Freytag Goodbye Ruby Tuesday
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95669-037-2
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Edition 211
ISBN: 978-3-95669-037-2
Verlag: Bookspot Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ruby Tuesday, Alkoholikerin und fettleibig, steht kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag und vor der Frage, wie sie sich zu diesem Anlass das Leben nehmen soll. Da findet sie in ihrer Spülmaschine einen Daumen - von einer dunkelhäutigen Frau. Seit gestern ist Rubys ghanaische Nachbarin verschwunden …
Hat Ruby einen Filmriss? Hat sie selbst ihre Nachbarin ermordet und zerstückelt? Oder will sie jemand aus dem Mietshaus auf diese Weise ganz bewusst in den Wahnsinn treiben? Oder aber ist der Daumen ein böser Fingerzeig in die Vergangenheit, als Ron so sein Okay-Zeichen machte, bevor er mit ihr schlief?
Einmal geweckt, lassen sie die Gespenster der Vergangenheit nicht mehr los: Erinnerungen an die Zeit nach dem Abi, als Ron und sie nach Frankreich abhauten, steigen empor, an ihren Roadtrip, der sie direkt in die Hölle führte. Und dann taucht auch noch die Einladung zur 30-Jahre-Abi-Feier auf - und mit ihr erscheinen Kalli, der das Klassentreffen organisiert, und schließlich Ron auf der Bildfläche. Währenddessen findet Ruby immer mehr Körperteile, in ihrer Wohnung, in ihrer Einkaufstasche, am Fenster - wie hängt das alles zusammen?
Eine ungewöhnliche Geschichte aus der Generation danach, nach 1968 und Woodstock, und darüber, was von ihr heute noch geblieben ist.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Ruby II
Stiefelschritte kommen von unten herauf, ein schwerer wechselt sich mit einem kürzeren leichteren ab. Hausmeister Knut zieht das linke Bein nach, seit einem Unfall, erzählt er jedem. Was für ein Unfall das war, erzählt er nicht, und Ruby hat sowieso keine Lust, ihm irgendwas zu glauben. Sie nimmt die Stirn von Abenaas Tür. Die Augen brauchen einige Sekunden, um sich an das trübe Licht zu gewöhnen, das durch die verdreckten Oberlichter fällt. Sie zwängt sich hinter den Schrank, den Abenaa sofort nach ihrem Einzug aus der Wohnung geschoben hat. Das ist verboten, aber wen kümmert das? Knut jedenfalls nicht. Sein Kommen kündigt sich mit feinen Wolken an, die von seiner schwitzenden Glatze aufsteigen, begleitet vom Schnaufen einer altersschwachen Dampflok. Schließlich erscheint der ganze Mann. Die Schiebermütze hat er wegen der Erhitzung abgenommen und wischt damit über die Stirn. Er wirft einen Blick auf Abenaas Tür, aber nicht hinter den Schrank. Er ist auf dem Weg zu einer Wohnung im siebten. Das zumindest vermutet Ruby, und dass dort Lucky wartet. Als er weg ist, drückt sich Ruby wieder aus der Lücke zwischen Schrank und Mauerwerk. Verdammt, ist sie fett. »Das Zimmer ist frei«, piepst eine noch vom Stimmbruch verschonte Jungenstimme. Mist, warum hat sie nicht etwas länger gewartet. Knut knurrt eine unfreundliche Antwort. Dann kommt die verrotzte Nase des Bengels die Treppe runter. Sobald er Ruby sieht, wird sein Gang breitbeiniger. Er gehört zu der alleinerziehenden Schlampe im siebten, die ihr Gewächs tagelang sich selbst überlässt, weil sie noch was erleben will, keiner weiß wo und zwischen wessen Beinen. Und keinen interessiert’s. Kollateralschaden ist dieser Furz, der glaubt, all die Ausdrücke, die er von seiner Erziehungsverpflichteten gelernt hat, an dem Rest der Menschheit ausprobieren zu dürfen. Und der während ihrer Abwesenheit das Schlafzimmer untervermietet, zum Beispiel an Lucky und Knut. Zur Aufbesserung von Hartz IV. Vielleicht hat seine Mutter noch kein Angebot von Otto bekommen. Eigentlich unwahrscheinlich. Vielleicht hat sie es abgelehnt. Wäre cool. Inzwischen hat sich der Rotzbengel vor Ruby aufgebaut und glotzt mit ausdrucksloser Visage auf ihre Brüste. Dann hebt er langsam den Blick bis zu ihrer Eulenbrille. Er hat schon einiges drauf. »Du bist so was von Achtziger, Bitch.« Scheiß MTV-Generation. Verpiss dich, du kleiner Scheißer. Kaum zwölf und schon ein Arsch. Ist es verboten, so einem eine zu klatschen? Allein schon zur Wahrung von einem letzten Rest Respekt. Was für ein letzter Rest? Ruby beißt auf ihre Unterlippe und versucht, sich an ihm vorbeizuschieben. Er macht keinen Millimeter Platz. Er stinkt nach einem Männerparfüm. Gibt’s noch Zweifel an seiner Karriere? Ruby holt aus, aber er duckt sich weg und rutscht das Geländer runter. Sein Lachen und ein paar weitere Nettigkeiten kieksen durchs Haus, dann ist er unten und raus auf die Straße. Ruby stapft die Treppe runter. Siebziger, denkt sie. Wir waren die Reste, die in den Achtzigern noch nicht mitbekommen hatten, dass die Siebziger vorbei waren. Dann bemerkt sie fast auf jeder Stufe die schwarzen Striche, so als habe jemand seine Gummisohlen drüber gerieben. Irgendsoein Blödmann. Und Knut ist natürlich viel zu beschäftigt, um das wegzumachen. Unten hängen etwa zwanzig Metallbriefkästen. Rubys ist mit Werbung verstopft. Sie wird sich darum kümmern, aber nicht jetzt. Neben dem Haupteingang gibt es die Tür zum Keller, meistens abgeschlossen, wenn Knut es nicht vergisst. Davor liegt zwischen Zigarettenkippen und einer gelben Pfütze ein Lederarmband. Ruby hebt es auf. Es ist geflochten und ein einzelner roter Faden ist hinein gewebt. Irgendwie afrikanisch. Ruby meint, es bei Abenaa gesehen zu haben. Sie steckt ihre Hand hindurch und findet, dass es ihr gut steht. Sie wird es der Negertusse zurückgeben. Vielleicht, wenn die sich wieder beruhigt hat. Also wenn Ruby Opa Strangs Köterschiss beseitigt hat. Der Aldi ist nicht weit. Trotzdem schafft die Dicke mit den zwei Plastiktüten den Weg nicht in einem Stück. Sie lässt sich schwer atmend auf eine bröckelnde niedrige Mauer fallen und sucht in ihrer Jacke nach Zigaretten. Sie heißt Russlana, oder so, und ist einfach scheiße drauf. Sie wohnt im Stockwerk über Ruby und es ist schwer vorstellbar, wie sie die Treppe bis dorthin bewältigt. Mit ihren prallen Tüten und den vollgestopften Plastiktaschen. Ruby ist an ihr vorbei, bevor Russlana sie um Hilfe anbetteln kann. Vorm Aldi lehnt Lucky, heute in engen schwarzen Leggins, Sneakers und Jeansjacke mit geschätzten dreihundert Aufnähern. Sein rechtes Ohr ist getunnelt und entzündet. Lucky raucht. Nicht Lucky Strike, die kann er nicht bezahlen, also findet er sie auch scheiße. Er dreht mit Billigkraut. Rancho. Schmeckt wie russische Baumrinde. Manchmal schnorrt Ruby eine von ihm. »Willst ’n du hier?« »Stör ich?« »Mache ich so einen gestörten Eindruck?« »Ehrlich gesagt …« »Halt’s Maul.« Das übliche. Lucky bläst ihr den Rauch ins Gesicht. »Dachte, du wärst …« Sie nickt zum Wohnblock. »Siehste, was beim denken rauskommt.« »Knut war aufm Weg nach oben.« Lucky zuckte nur mit den Achseln. Ruby hat keine Lust, ihn auf das Ohr anzusprechen. Vermutlich sitzt da in ein paar Tagen etwas in der Größe eines Colaverschlusses drin oder so. Und später kriegt er ein hässliches Schlabberohr. Aber Lucky wird ja nicht alt. Er hält Ruby die Zigarette hin. »Kannst den Rest haben.« »Danke. Hab ’n komisches Erlebnis gehabt.« Lucky grinst müde. »Haste doch immer.« Er gibt ihr einen schnellen Kuss aufs Ohr, was schmerzhaft knallt, und dreht ab. »Muss weg.« »Arsch.« Lucky verlässt das Bild. Hätte sie ihm von dem Daumen erzählt, hätte er ihr sowieso nicht geglaubt, selbst wenn sie ihm das Teil sonstwo reingeschoben hätte. Ruby fasst in ihre Jackentasche. Er ist noch da. Sie hört dem Langhaarigen zu, der auf dem Mülleimer hockt, Gitarre spielt und den blauen Himmel ansingt. This could be heaven or this could be hell. Otto kommt plötzlich aus der automatischen Schwingtür. Er sieht Ruby nicht und steuert direkt auf den Sänger zu. »Gut, dass du hier sitzt.« Der Musiker unterbricht überrascht sein Spiel. »Wieso?« »Dann sitzt du wenigstens nicht woanders im Weg.« Otto grinst nicht mal, sondern stapft zum Parkplatz. »Kuck nich so mixolydisch.« Das ging an Ruby. Sie kennen sich. Manchmal darf sie sich bei ihm ein Lied wünschen, für lau, manchmal für einen Kuss oder einen Schluck Wodka. Das letztere besonders, wenn es kalt ist. Heute hat sie keinen Wunsch. Sie raucht ein paar Züge und zertritt die Kippe. »Da ist der Abfall!«, keift eine Oma mit Dutt, die, auf ihren Rollator gestützt, ein etwa vierjähriges Mädchen bewacht. Sie deutet hektisch zum Mülleimer, auf dem Musiker sitzt. »Soll ich dich dahin begleiten?«, fragt Ruby freundlich. Die Oma schnappt nach Luft, wird aber von der Kleinen abgelenkt, die an ihrem Rocksaum zupft. Sie will ihr einen Kreis zeigen, den sie mit einem Stöckchen in den Staub gemalt hat, mit einem Strich von der rechten Seite bis zu ihrer Miniaturfußspitze. »Fein!«, säuselt die Oma. »Du kannst schon eine Neun schreiben.« »Nee«, widerspricht die Kleine und piekst zwei Löcher in den Kreis, »das bist du.« Brüllend vor Lachen flüchtet der Musiker Richtung Parkplatz. Die Oma blickt in Rubys Gesicht. Ruby verzieht keine Miene. Sie bückt sich und ergänzt einen Nasen- und einen Mundstrich und kann grade noch in den Aldi entkommen, bevor die Handtasche der Oma auf ihren Rücken knallt. Sie haben schon wieder umgeräumt. Das wäre, so hat ihr mal ein pickeliges Jüngelchen über ein Regal hinweg erklärt, das er gerade umräumte, das wäre, weil die Kunden mal was Neues entdecken sollen. Ruby will nichts Neues entdecken. Hauptsache die Limonade-Abteilung ist noch da, wo sie vorgestern war. Ist sie. Ruby klemmt drei Halbliterflaschen Jelzin zu 4,95 unter den Arm und nimmt den kürzesten Weg zur Kasse. Die Blicke aus Abscheu und Mitleid, die sie begleiten, stören sie nicht. Nicht mehr. Bei manchen ist es der blanke Neid, weil sie sich keine drei Flaschen Himmel leisten können, weil Monatsende ist und sie keinen Otto haben, oder leider Männer sind, auf die Otto nicht steht. Wobei Himmel sicher das falsche Wort ist für etwas, dessen Geschmack Lucky mal zwischen Putzmittel und Katzenpisse eingeordnet hat. Lucky hat manchmal sogar Fantasie. Und Ruby will sich das Zeug ja auch nicht auf der Zunge zergehen lassen. Sie verstaut zwei Flaschen im Rucksack, schraubt die dritte auf und testet ihre Fähigkeit zur...