E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Frerichs Zeit der unverhofften Bilder
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7526-6585-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7526-6585-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Roman handelt vom Werden einer Künstlerpersönlichkeit. Im Mittelpunkt steht die Freundschaft eines Schriftstellers und eines Malers, die sich über die Wesensmerkmale ihres jeweiligen Metiers austauschen und dadurch gegenseitig inspirieren. Sie diskutieren buchstäblich über Gott und die Welt; über die Schöpfung, die Zeitlichkeit allen Daseins, die Existenzbedingungen ihres Künstlertums und die Sinnhaftigkeit ihres künstlerischen Schaffens. Einig sind sie sich darin, dass Kreativität das entscheidende Merkmal eines sinnvollen Lebens ist. Ihr Credo könnte lauten: Literatur und Kunst sind der Beweis dafür, dass das Leben allein nicht genügt.
Joke Frerichs, Dr. rer. pol., Studium der Philosophie, Soziologie und Politikwissenschaft. Langjährige Forschungsttäigkeit in im sozialwissenschaftlichen Feld. Seit 2005 freier Schriftsteller. (Lyrik, Prosa). Zahlreiche Veröffentlichungen.
Autoren/Hrsg.
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Er lebte zurückgezogen an einem Ort, den er nie mehr zu verlassen wünschte. Dort gab es genug für ihn zu sehen und alles, was er zum Leben brauchte. Er schrieb alles auf, was ihn beschäftigte. Mit der Zeit häufte sich ein Sammelsurium von Blättern an, ohne jede innere Ordnung. Viele der Aufzeichnungen zeugen von einer existentiellen Unruhe. Sie war der Nährboden seiner Phantasie und Quelle seines Schreibens: ‚Immerfort diese Unruhe. Sie ist wie ein zartes Gewebe, das beim Falten zerbröselt. Ich kann mich nie mehr erholen, weil ich vergaß, mich zu Hause zu lassen’, notierte er auf einem der Blätter. Es waren lauter unzusammenhängende Betrachtungen, aber sie waren von verstörender Zartheit und Anmut. Sein ganzes inneres Leben hat er seinen Blättern anvertraut. Es ist dieser Mangel an Zusammenhängen, die den Zusammenhang ausmachen. Man könnte auch sagen: die Unruhe ist der ruhige Mittelpunkt seiner Texte. Das war eine der teilweise paradoxen Einsichten, zu denen er gelangte. Obwohl die Texte zeitweilig von einer schier unaufhaltsamen Talfahrt in seinem Leben berichten, haben sie nichts gemein mit dem Weltschmerz eines Romantikers: ganz einfach deshalb nicht, weil er keine Erlösung in einer anderen Wirklichkeit suchte, sondern von den Leerräumen in seinem Dasein ausging, wo er einen geheimen Sinn vermutete, der sich ihm nur noch nicht erschlossen hatte. Viele seiner Reflexionen kreisten um die Schwierigkeit, sich schreibend dieser verborgenen Welt zu nähern. Und immer wieder stellen sich Träume ein: ‚Habe wieder viel geträumt. Manchmal bin ich es müde, wieder einmal nur geträumt zu haben. Freilich werde ich nicht müde zu träumen. Denn träumen heißt vergessen’. Immer stärker beschäftigte ihn die Frage nach dem Verhältnis von Traum und Erinnerung. Ihn hatte eine Aussage irritiert, wonach es nicht möglich sei, ein Bild oder einen Traum ein für allemal präzise zu beschreiben. Das aber konnte nur bedeuten: den Erinnerungen, die uns im Traum erscheinen, kann man nicht trauen. Was wir erinnern, sind einzelne Ereignisse, die sich mit Tagen verbinden. Sie suchen sich Räume, in denen sie sich entfalten können. In einer Abhandlung ‚Über die natürliche Magie der Einbildungskraft’, die er gelesen hatte, hieß es: ‚Die Begriffe Gedächtnis, Erinnerung und Phantasie meinen Verschiedenes. Gedächtnis ist nur eine eingeschränkte Phantasie. Erinnerung ist nicht die bloße Wahrnehmung der Identität zweier Bilder, sondern sie ist die Wahrnehmung der Verschiedenheit des räumlichen und zeitlichen Verhältnisses gleicher Bilder. Folglich breitet sich die Erinnerung über die Verhältnisse der Zeit und des Orts und also über Reih und Folge aus; aber bloßes Ein- und Vorbilden stellt sie einen Gegenstand nur abgerissen dar. Die fünf Sinne heben mir außerhalb, die Phantasie innerhalb meines Kopfes einen Blumengarten vor die Seele; jene gestalten und malen, diese tut es auch; jene drücken die Natur mit fünf verschiedenen Platten ab, diese, als Gesamtheit aller Sinne, liefert sie alle mit einer’. So gesehen wäre auch die Zeit nur ein Medium des Zwanges, der Unangemessenheit, der ständigen Wiederholung. In der Zeit ist man, was man ist und immer schon war. Dagegen ist der Raum weit und unermesslich. Nur im Raum kann es gelingen, ein anderer zu sein. Unsere Träume heben die Dinge, die wir erinnern, in die Räumlichkeit. Sie brechen die Zeit auf und hinterlassen uns lauter Traumfetzen, und aus diesen Ruinen versuchen wir, eine einigermaßen verständige Ordnung herzustellen. Seine Überlegungen erschütterten und erschöpften mich. Jeder Satz kam mir vor, als wäre er ein Letztes. Schon immer hatte auch ich die Neigung verspürt, in einem Satz gleichsam alles aussagen zu wollen. Es dauerte lang, bis der nach innen gerichtete Blick vollständiger Konzentration mir einen Gegenstand so vor Augen führte, dass ich in der Lage war, darüber zu schreiben. Immer schwang die Angst mit, an einer Aufgabe zu scheitern oder vorzeitig aufgehalten zu werden. Dann wiederum kam es mir vor, als sei das Denken und Schreiben letztlich eine Frage der Ausdauer, wie überhaupt alles Dasein. Ich erinnerte mich daran, dass das nicht gelebte Leben sich nur in Form von Träumen noch einmal erleben lässt und auf diese Weise zu einer Art bevorzugter Wirklichkeit wird. Sie in eine literarische Form zu bringen, ist eine Kunst und verhilft dazu, das eigene Selbst als eine Kolonie von Möglichkeiten und Begabungen darzustellen. Ich sagte mir erneut: Auch Kinder erdichten sich ihre Welten, die dann beginnen, ein Eigenleben zu führen. Vorstellungen dieser Art können wunscherfüllend wirken und werden auf diese Weise zur glücksbringenden Verheißung. Dieser Mechanismus erklärt, warum die Traumarbeit auch zum Ersatz für fehlende Liebe werden kann: sie selbst ist es, die zur Liebe wird. In dieser ambivalenten Gefühlslage erkannte ich all meine Absichten wieder. Nur durch das geschriebene Wort leben unsere Träume und Bilder weiter. Das macht den Wert des Lebens aus. Alles andere sind künstlich geschaffene Eitelkeiten, die die Leute zappeln machen wie Käfer, die unter einem aufgehobenen Stein sitzen; auch sie stieben davon, sobald man den Stein ein wenig lüftet, der den blauen sinnlosen Himmel solange verborgen hielt. Letztlich geht es um die Liebe zum Wort, zur Schönheit, zur vollendeten Formulierung, zur Ästhetik! Er schreibt: ‚Ich liebe das Schreiben als einen kontinuierlichen Schaffensprozess, bei dem es gelingt, alles andere zu vergessen und stattdessen in einen nie endenden Dialog mit mir selbst einzutreten. Sich nicht einmischen in die Dinge. Hören Schauen Schweigen. Gewährenlassen. Die Dinge, die Räume, die Stille in der Schwebe halten. Die Stille nicht als Bedrohung ansehen. Entziffern des Sichtbaren wie des Unsichtbaren. Worte finden, solange alles noch ein Suchen ist. Noch im Vorübergehen die Rufe der Vögel unter den Wolken hören und sich fragen, ob es recht ist, die Bäume so sehr zu lieben’. Er achtete auf die kleinen Dinge. Die Blumen in all ihren Facetten. Die Kostbarkeit der Steine, wenn wir sie in die Hand nehmen und geduldig betrachten. Er sprach des Öfteren von der Gemeinsamkeit aller Dinge; dass wir sie zusammen denken sollen und es gilt vereint zu leben, wenn auch getrennt. Er verlachte die Reichen, weil sie die Wahrheit der Blumen nicht kennen und das Sonnenlicht verfehlen, das Berge und Täler mit Farben versieht, während es die Augen blendet beim Anblick all der Schönheit. Seine Seele schien in einem sanften Schlummer zu liegen. Er lächelte sich in den Schlaf, und in seinen Träumen spielte er, dass er die ganze Welt in seine Arme nähme und sie in sein Haus trüge. Und für die Dauer dieses Traums besänftigte er seine Bangigkeit und vergaß die Furcht vor dem nächsten Erwachen. Bei sich dachte er: Merkwürdig, dass Träume zwischen Vergangenheit und Zukunft keinen Unterschied machen. Für Träume steht die Zeit still. Deshalb liebe ich sie so. Zu Recht hat man ihn einen ‚Mystiker des Alltags’ genannt, weil er es verstand, den täglichen Ereignissen tiefere Bedeutung abzulauschen. Er wahrte die Distanz, um zu beobachten und sich einzufühlen. Sehen und hören waren für ihn die wichtigsten Wesensmerkmale des Dichters. Er liebte die Ekstase des Schauens; sobald er sich in das Spiel der Wolken vertiefte, geriet er in Verzückung. Er träumte sich mit ihnen fort. Ihm galt der Traum mehr als die Tat. Die Literatur galt ihm als Refugium. Sobald er es sich an seinem Schreibtisch bequem machte, fühlte er sich in Sicherheit: er war ihm ein Bollwerk gegen das Leben. Er war dann endlich in seiner eigenen Welt. Manchmal schien es, als würde er mit dem Herzen denken. Doch er sagte auch: ‚Wenn das Herz denken könnte, stünde es still’. Er war der festen Überzeugung: ‚Die wahren Dichter sind lachende Nihilisten, die an nichts glauben und gerade deshalb immer weitermachen. Wenn das Leben einem zerbrochenen Spiegel gleicht, der in viele Bestandteile zerbrochen ist; dann spiegelt das Schreiben die Sehnsucht wider, den Spiegel erneut zusammenzusetzen’. Wie nah ihm all das war, wie vertraut. Hatte da jemand über ihn geschrieben und dabei sein innerstes Wesen entdeckt? War er es selbst gewesen? So sehr war er jetzt eins mit sich. Er hatte auf jede Beschreibungsüppigkeit verzichtet. Man erfuhr nicht, wie er aussah; was er anhatte, noch nicht einmal den Namen des unbekannten Dichters. Das entsprach seiner Auffassung vom Schreiben. Was hätte es gebracht, wenn er diesem einen Namen gegeben hätte? Er fühlte sich in seiner Art zu schreiben bestätigt, als er bei einem anderen Autor die folgenden Zeilen las: Er sagt, dass ein Schriftsteller durch die übergenaue Beschreibung seiner Figuren die Einbildungskraft eher stört als unterstützt, und dass man es dem Leser überlassen sollte, sich die Personen auf seine Art vorzustellen. Das Schreiben von allen nicht spezifischen Elementen befreien....