Das Geheimnis der Heiligen Nacht
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
ISBN: 978-3-451-83976-4
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Papst Franziskus, Jorge Mario Bergoglio, geboren am 17. Dezember 1936, war vom 13. März 2013 bis zu seinem Tod Bischof von Rom. Der argentinische Jesuit war Sohn einer siebenköpfigen Familie italienischer Auswanderer und war von 1973 bis 1979 Provinzial der argentinischen Jesuiten. Von 1998 bis 2013 war er Erzbischof von Buenos Aires, er wurde 2001 zum Kardinal ernannt. Franziskus starb am 21. April 2025.
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Die Krippe
»Es nahte aber der Tag der Freude, die Zeit des Jubels kam heran. Aus mehreren Niederlassungen wurden die Brüder gerufen. Männer und Frauen jener Gegend bereiteten, so gut sie konnten, freudigen Herzens Kerzen und Fackeln, um damit jene Nacht zu erleuchten, die mit funkelndem Sterne alle Tage und Jahre erhellt hat. Endlich kam Franziskus, fand alles vorbereitet, sah es und freute sich. Nun wird eine Krippe zurechtgemacht, Heu herbeigebracht, Ochs und Esel herzugeführt. Zu Ehren kommt da die Einfalt, die Armut wird erhöht, die Demut gepriesen, und aus Greccio wird gleichsam ein neues Betlehem.«
Thomas von Celano, Die Krippe von Greccio
Wer in der Krippe ist glücklich?
Wer in der Krippe ist glücklich? Das würde ich gerne euch, die Kinder, fragen, die ihr gern die kleinen Statuen betrachtet … und sie vielleicht auch gern ein wenig bewegt, verschiebt, und euren Vater ärgert, der sie mit so viel Sorgfalt aufgestellt hat!
Also, wer in der Krippenszene ist glücklich? Die Muttergottes und der heilige Josef sind voller Freude: Sie blicken auf das Jesuskind und sind glücklich, weil sie nach Tausenden von Sorgen dieses Geschenk Gottes mit großem Glauben und viel Liebe angenommen haben. Sie »sprudeln über« vor Heiligkeit und folglich vor Freude. Und ihr werdet mir sagen: Natürlich! Es sind die Muttergottes und der heilige Josef. Ja, aber wir dürfen nicht glauben, dass es leicht für sie war: Man wird nicht als Heiliger geboren, sondern man wird dazu, und das gilt auch für sie.
Dann sind die Hirten voller Freude. Auch die Hirten sind heilig, gewiss, denn sie haben auf die Verkündigung der Engel geantwortet, sind sofort zur Grotte gelaufen und haben das Zeichen des Kindes in der Krippe erkannt. Das war nicht selbstverständlich. In den Krippendarstellungen gibt es häufig einen kleinen, jungen Hirten, der verträumt und verzaubert auf die Grotte blickt: Dieser Hirte bringt die staunende Freude dessen zum Ausdruck, der das Geheimnis Jesu mit dem Herzen eines Kindes annimmt. Das ist ein Merkmal der Heiligkeit: die Fähigkeit des Staunens bewahren, staunen über die Gaben Gottes, seine »Überraschungen«, und das größte Geschenk, die immer neue Überraschung, ist Jesus. Die große Überraschung ist Gott!
Dann gibt es in den größeren Krippen mit vielen Personen die Berufe: Schuster, Wasserträger, Schmied, Bäcker … und was uns sonst noch so alles einfällt. Und alle sind glücklich. Warum? Weil sie wie »angesteckt« sind von der Freude des Ereignisses, an dem sie teilnehmen, das heißt der Geburt Jesu. So wird auch ihre Arbeit von der Gegenwart Jesu geheiligt, von seinem Kommen zu uns.
(…) Das also ist mein Wunsch: heilig sein, um glücklich zu sein. Aber nicht Heilige wie auf einem Heiligenbildchen, nein, nein. Normale Heilige. Heilige Männer und Frauen aus Fleisch und Blut, mit unserem Charakter, unseren Fehlern, auch unseren Sünden – bitten wir um Vergebung und gehen wir voran –, aber bereit, uns von der Gegenwart Jesu unter uns »anstecken« zu lassen, bereit, zu ihm zu laufen wie die Hirten, um dieses Ereignis zu sehen, dieses unglaubliche Zeichen, das Gott uns geschenkt hat. Was sagten die Engel? »Siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll« (Lk 2,10). Werden wir hingehen, um ihn zu sehen? Oder werden wir von anderen Dingen in Beschlag genommen sein?
Franz von Assisi, der Erfinder der Weihnachtskrippe
Das wunderbare Zeichen der Krippe, die dem christlichen Volk so sehr am Herzen liegt, weckt immer wieder neu Staunen und Verwunderung. Das Ereignis der Geburt Jesu darzustellen bedeutet, das Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes mit Einfachheit und Freude zu verkünden. Die Krippe ist in der Tat wie ein lebendiges Evangelium, das aus den Seiten der Heiligen Schrift hervortritt. Wenn wir über die Weihnachtsszene nachdenken, sind wir eingeladen, uns geistlich auf den Weg zu machen, uns anziehen zu lassen von der Demut des Einen, der Mensch wurde, um jedem Menschen zu begegnen. Und wir entdecken, dass er uns so sehr liebt, dass er sich mit uns vereint, damit auch wir uns mit ihm vereinen können.
Mit diesem Schreiben möchte ich die schöne Tradition in unseren Familien stützen, in den Tagen vor Weihnachten eine Krippe aufzubauen, als auch den guten Brauch, sie am Arbeitsplatz, in Schulen, Krankenhäusern, Gefängnissen, auf öffentlichen Plätzen usw. aufzustellen. In wirklich kreativem Einfallsreichtum entstehen aus den unterschiedlichsten Materialien kleine Meisterwerke, die sehr schön anzusehen sind. Schon als Kind wächst man da hinein, wenn Vater und Mutter zusammen mit den Großeltern diesen freudigen Brauch weitervermitteln, der aus einer reichen Volksfrömmigkeit schöpft. Ich hoffe, dass dieses Brauchtum nie vergeht; im Gegenteil, ich hoffe, dass es dort, wo es nicht mehr gepflegt wird, wiederentdeckt und neu belebt werden kann.
Die Krippe geht in ihrem Ursprung vor allem auf einige in den Evangelien beschriebene Details der Geburt Jesu in Betlehem zurück. (…). Jesus wird in eine Futterkrippe gelegt (lateinisch praesepium), die der Weihnachtskrippe den Namen gibt.
(…) Aber kommen wir sogleich zum Ursprung der Krippe, wie wir sie kennen. Wir begeben uns im Geist nach Greccio im Rieti-Tal; der heilige Franziskus hielt sich dort auf, als er wohl von Rom kam, wo er am 29. November 1223 von Papst Honorius III. die Bestätigung seiner Ordensregel erhalten hatte. Nach seiner Reise ins Heilige Land erinnerten ihn die dortigen Höhlen auf besondere Weise an die Landschaft von Betlehem. Und es ist möglich, dass den Poverellovon Assisi in Rom die Mosaiken der Basilika Santa Maria Maggiore mit der Darstellung der Geburt Jesu beeindruckt hatten, die sich in direkter Nähe zu dem Ort befinden, wo nach alter Überlieferung Teile der Krippe Jesu aufbewahrt werden.
Die Franziskus-Quellen berichten ausführlich, was in Greccio geschehen ist. Fünfzehn Tage vor Weihnachten rief Franziskus einen Einheimischen namens Johannes zu sich und bat ihn um seine Mithilfe bei der Verwirklichung eines Wunsches: »Ich möchte nämlich das Gedächtnis an jenes Kind begehen, das in Betlehem geboren wurde, und ich möchte die bittere Not, die es schon als kleines Kind zu leiden hatte, wie es in eine Krippe gelegt, an der Ochs und Esel standen, und wie es auf Heu gebettet wurde, so greifbar als möglich mit leiblichen Augen schauen« (Thomas von Celano, Erste Lebensbeschreibung, 84: Franziskus-Quellen (FQ), 250). Gleich nachdem er dieses Anliegen vernommen hatte, ging der treue Freund los, um am vorgesehenen Ort alles Notwendige entsprechend dem Wunsch des Heiligen vorzubereiten. Am 25. Dezember kamen viele Brüder aus verschiedenen Gegenden nach Greccio, und es kamen auch Männer und Frauen von den umliegenden Höfen mit Blumen und Fackeln, um diese heilige Nacht zu erleuchten. Als Franziskus ankam, war schon alles vorbereitet: die Krippe mit Heu, Ochs und Esel. Der Anblick der Weihnachtsszene erfüllte die herbeigeeilten Menschen mit unsagbarer, nie zuvor erlebter Freude. Dann feierte der Priester über der Krippe feierlich die Eucharistie und machte so die Verbindung zwischen der Menschwerdung des Sohnes Gottes und der Eucharistie sichtbar. Bei dieser Gelegenheit kamen in Greccio keine Figuren zum Einsatz: Die Anwesenden selbst stellten die Krippenszene dar und erlebten sie (vgl. ebd., 85: FQ, 250).
So entstand unsere Tradition, als alle um die Grotte versammelt waren, von Freude erfüllt und ohne Distanz zwischen dem stattfindenden Geschehen und denen, die zu Teilnehmern an diesem Geheimnis wurden.
Der erste Biograph des heiligen Franziskus, Thomas von Celano, erinnert daran, dass zu der einfachen und berührenden Szene in jener Nacht noch das Geschenk einer wunderbaren Vision hinzukam: Einer der Anwesenden sah das Jesuskind selbst in der Krippe liegen. An diesem Weihnachtsfest im Jahr 1223 kehrte ein jeder »in seliger Freude nach Hause zurück« (ebd., 86: FQ, 251).
Der heilige Franziskus hat mit der Schlichtheit dieses Zeichens ein großes Werk der Evangelisierung vollbracht. Seine Lehre ist in das Herz der Christen eingedrungen und bleibt bis in unsere Tage ein authentischer Weg, um die Schönheit unseres Glaubens auf schlichte Weise neu darzulegen. Im Übrigen bringt auch der Ort der ersten Krippendarstellung selbst diese Gefühle zum Ausdruck und ruft sie hervor. Greccio wird zu einem Zufluchtsort für die Seele, die sich auf dem Felsen verbirgt, um sich von der Stille umhüllen zu lassen.
(…) Das Aufbauen der Krippe in unseren Häusern hilft uns dabei, die Geschichte, die sich in Betlehem zugetragen hat, neu zu erleben. Natürlich bleiben die Evangelien immer die Quelle, die uns ermöglicht, mit diesem Ereignis vertraut zu werden und es zu betrachten. Und doch sind die Krippendarstellungen eine Hilfe, sich die Szenen vorzustellen; sie wecken unsere Zuneigung und laden uns ein, uns in die Heilsgeschichte einbezogen zu fühlen und dieses Ereignis mitzuerleben, das in den verschiedensten historischen und kulturellen Kontexten lebendig und aktuell ist.
Von ihren franziskanischen Ursprüngen her ist die Krippe in besonderer Weise eine Einladung, die Armut zu »fühlen« und zu »berühren«, die der Sohn Gottes bei seiner Menschwerdung für sich gewählt hat. Und so ist sie implizit ein Appell, ihm auf dem Weg der Demut, Armut und Entäußerung zu folgen, der von der Futterkrippe in Betlehem zum Kreuz führt. Sie ist ein Aufruf, ihm in den bedürftigsten Brüdern und Schwestern zu begegnen...