Franke | Das Mädchen, das nicht verschwinden wollte | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

Franke Das Mädchen, das nicht verschwinden wollte

Roman

E-Book, Deutsch, 272 Seiten

ISBN: 978-3-96122-561-3
Verlag: Gerth Medien
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Miriam hat ihren beruflichen Erfolg hart erkämpft. Das fromme Weltbild ihres strengen Elternhauses hat sie jedoch längst abgelegt. Doch als alte Wunden aufbrechen, beschließt sie, sich einer neuartigen Therapie zu unterziehen, um ihre traumatischen Kindheitserfahrungen endgültig hinter sich zu lassen. Doch irgendetwas geht schief, und mit einem Mal sieht sich Miriam ihrem kindlichen Ich gegenüber. Fortan wird sie auf Schritt und Tritt von dem kleinen rothaarigen Mädchen begleitet, das niemand außer ihr sehen kann. Dies bringt nicht nur Miriams Berufs- und Privatleben gehörig durcheinander, sondern stellt auch ihre scheinbar so fest verankerte Weltsicht infrage ... Eine berührende Geschichte, die dabei hilft, die ungeheure Kraft des kindlichen Glaubens zu entdecken.

Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net Foto: © Studioline Erlangen
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Schuhlöffel und Pflegeengel

Morgenlicht flutete die Dachterrasse und zeichnete den scharfen Schatten eines ungenutzten Blumenkübels auf die rötlichen Bangkirai-Dielen. In den Kästen auf der Balkonbrüstung wucherte Löwenzahn. Eine winzige Blaumeise hüpfte von Kasten zu Kasten und suchte nach etwas Essbarem.

Miriam stand am bodentiefen Fenster ihres Wohnzimmers und ließ den Blick über die verwahrloste Terrasse schweifen, während sie an ihrem Cappuccino nippte. Vor gut zwei Jahren war sie hier eingezogen. Sie hatte Blumenzwiebeln gekauft, es aber noch nicht geschafft, sie einzupflanzen. Noch immer hingen keine Gardinen an den Fenstern, und im Schlafzimmer stapelten sich zwei Dutzend unausgepackte Umzugskartons.

Sie seufzte. Ob sie sich hier jemals zu Hause fühlen würde?

Im Inforadio wurde stockender Verkehr auf der Berliner Stadtautobahn A 100 gemeldet. Wenn sie die Rushhour vermeiden wollte, blieb ihr nicht mehr viel Zeit.

Miriam stellte den Kaffeebecher ins Spülbecken und eilte in die Diele. Nach kurzem Zögern entschied sie sich für die HighHeels mit den Zwölf-Zentimeter-Absätzen. Zwar war sie mit ihren 1,76Metern ohnehin keine kleine Frau, aber in ihrem Business konnte es niemals schaden, wenn die Männer zu ihr aufblicken mussten.

Sie trat hinaus in den Hausflur, schloss die Tür hinter sich ab und wollte sich gerade die Bluetooth-In-Ear-Kopfhörer in die Ohren stecken, als ein lauter Ruf durchs Treppenhaus hallte.

„Raus hier, aber sofort!“

„Frau Kühnemann, ich …“, erwiderte eine Frauenstimme besänftigend, wurde jedoch gleich wieder unterbrochen.

„Verlassen Sie meine Wohnung oder ich rufe die Polizei.“

Miriam verdrehte die Augen. Es war wieder einer dieser Tage… Um ihre Absätze bangend, hastete sie die Treppe hinunter und erreichte den dritten Stock im selben Augenblick, als Gerda Kühnemann, einen metallenen Schuhlöffel schwingend, auf die Fußmatte trat. Die Augen der betagten Dame starrten über die Lesebrille hinweg angriffslustig auf eine beleibte Mittvierzigerin, die ängstlich hinter dem Treppengeländer in Deckung ging.

„Was ist denn hier los?“, fragte Miriam im selben forschen Tonfall, mit dem sie ein Meeting eröffnete.

„Diese Person ist in meine Wohnung eingedrungen und wollte mich vergiften!“, behauptete Gerda Kühnemann.

„Das stimmt nicht! Ich bin ein Engel!“, verteidigte sich die Frau hinter dem Treppengeländer.

„Bitte was?“, fragte Miriam irritiert.

Gerda stach mit dem Schuhlöffel in die Luft. „Sie wollte mich umbringen!“

„Sie hätte mir beinahe den Schädel eingeschlagen!“, empörte sich die Frau, ohne die sichere Deckung zu verlassen.

Miriam rückte unauffällig dichter an ihre Nachbarin heran. „Keine Sorge, Gerda“, sagte sie in ruhigem Tonfall. „Ich kümmere mich darum.“

Die alte Dame ließ den Schuhlöffel sinken, starrte ihre Kontrahentin aber weiterhin finster an.

„Können Sie mir bitte erklären, was hier los ist?“, wandte Miriam sich wieder an die beleibte Frau hinter dem Treppengeländer.

„Ich komme von der PflegeengelGmbH. Als ich geklingelt habe, hat niemand aufgemacht, deshalb habe ich aufgeschlossen. Ich hörte Frau Kühnemann im Bad. Also habe ich mich durch ein lautes Guten Morgen bemerkbar gemacht und bin dann in die Küche gegangen, um die Medikamente für die Woche zu stellen. Und da kam sie auf einmal wie eine Furie um die Ecke gestürmt und wollte mir mit diesem … Ding den Schädel einschlagen!“

„Stimmt das, Gerda?“, fragte Miriam.

„Na ja, was würdest du denn machen, wenn auf einmal eine wildfremde Frau in deiner Küche steht und dir irgendwelche Pillen ins Frühstück mischt?“

„Ich bin nicht wildfremd, ich bin Schwester Karin!“, sagte die Pflegerin, während sie vorsichtig aus der Deckung trat.

„Sie können meinetwegen auch Schwester Hildegard sein, ich kenne Sie trotzdem nicht!“, schnaufte die alte Dame.

„Es war mit Ihnen abgesprochen, dass ich Ihnen die Herztabletten unter die Haferflocken mische.“

„Unsinn!“, fauchte Gerda. „Wenn ich mich vergiften wollte, würde ich das schon selber machen.“

Miriam warf einen Blick auf ihre Uhr. Einen Moment lang erwog sie, die beiden mit ihrem Zwist alleinzulassen. Schließlich ging sie das Ganze nicht wirklich etwas an. Gerda Kühnemann war nur ihre Nachbarin. Aber dann erinnerte sie sich daran, was sie der alten Frau verdankte, und zwang ein verbindliches Lächeln auf ihre Lippen. „Schwester Karin, würden Sie bitte einen Augenblick hier warten?“

„Ich habe keine Zeit! Eigentlich müsste ich schon längst beim nächsten Patienten sein!“

„Ach, das nächste Opfer wartet schon?“, giftete die alte Dame. „Auftragskillerin scheint ja ein stressiger Job zu sein!“

Die Pflegerin schnappte empört nach Luft.

Miriam mutmaßte, dass sie diese Tätigkeit noch nicht lange ausübte, sonst wäre sie sicher nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. „Es dauert nur einen Moment“, fügte sie freundlich hinzu. Dann hakte sie sich bei ihrer Nachbarin unter und zog sie sanft, aber bestimmt in die Wohnung. „Komm, Gerda, wir müssen etwas besprechen.“

Kaum hatte Miriam die Tür hinter sich geschlossen, änderte sich die Haltung der alten Frau. Sie sackte förmlich in sich zusammen. Als sie den Schuhlöffel ins Regal zurücklegte, zitterten ihre Hände, und ihr Gesicht bekam einen verzweifelten Ausdruck. „Ich glaube, ich muss mich einen Augenblick hinsetzen“, murmelte sie.

Miriam führte sie ins Wohnzimmer – oder in die gute Stube, wie Gerda es nannte – und die alte Dame setzte sich.

„Soll ich dir ein Glas Wasser holen?“

Gerda schüttelte den Kopf und seufzte leise. „Ach Kati, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist!“

Kati war Gerdas jüngere Schwester, wie Miriam inzwischen wusste. Sie war vor zwei Jahren verstorben.

Statt zu antworten, hockte Miriam sich hin, sodass sie auf Augenhöhe mit ihrer Nachbarin war.

„Meinst du wirklich, die Frau ist eine Pflegerin?“, fragte Gerda verunsichert.

Miriam nickte langsam. „Ehrlich gesagt glaube ich das. Seit gut drei Monaten kommt ein Pflegedienst zu dir, um dir deine Medikamente zu verabreichen und dir beim Duschen zu helfen.“

„Tatsächlich?“ Die Verwirrung stand der alten Frau ins Gesicht geschrieben. Ihr Blick verlor sich in der Ferne.

Miriam schaute wieder auf die Uhr. Mit dem Morgenmeeting würde es knapp werden. „Weißt du, was? Ich habe eine Idee!“

„Wie schön für Sie“, sagte Gerda mit neu erwachtem Misstrauen. „Und was machen Sie in meiner Wohnung?“

Miriam verspürte einen Stich der Besorgnis. So vergesslich wie heute hatte sie ihre Nachbarin noch nie erlebt. „Gerda“, sagte sie sanft, „du kennst mich doch.“ Sie strich sich eine Strähne ihres roten Haars hinters Ohr.

„Kati?“

Miriam lächelte.

„Ach Schätzchen, ich weiß auch nicht, was heute mit mir los ist.“

„Komm, wir machen ein Foto.“

Die alte Dame erhob sich und betastete ihre Frisur. „Nicht, solange ich aussehe wie ein Pudel, der in ein Starkstromkabel gebissen hat.“

„Doch nicht von dir, von der Pflegekraft“, erwiderte Miriam. „Das Bild hängen wir dann in deiner Wohnung auf, damit du sie beim nächsten Mal zuordnen kannst.“

Einen Augenblick lang zeigte sich Verwirrung auf Gerdas Gesicht, doch schließlich nickte sie.

Miriam erwischte den Pflegengel gerade noch auf dem letzten Treppenabsatz. „Warten Sie.“

„Ich habe wirklich keine Zeit mehr!“

„Bitte, lassen Sie mich ein Foto von Ihnen machen, als Erinnerungshilfe für Frau Kühnemann.“

„Okay, meinetwegen.“

Die Pflegerin knipste ein halbherziges Lächeln an, und Miriam schoss ein Foto mit ihrem Smartphone. „Was ist mit den Medikamenten?“, fragte sie dann.

„Sind noch in der Tablettenbox.“

Miriam eilte zurück in die Wohnung ihrer Nachbarin und achtete darauf, dass Gerda die Tabletten auch wirklich schluckte. Dann hastete sie zu ihrem Auto.

Sie war dankbar für den Stellplatz in der Tiefgarage, auch wenn sie sich für die unverschämt hohen Kosten eine Zweitwohnung hätte leisten können. Allerdings entsprach die Wahrscheinlichkeit, in dieser Gegend einen freien Parkplatz zu finden, in etwa der Chance, vom Blitz getroffen zu werden.

Die 200PS ihres Sportwagens waren angesichts des morgendlichen Stadtverkehrs nicht wirklich hilfreich. Miriam war zehn Minuten zu spät, als sie mit quietschenden Reifen auf dem Parkplatz der Agentur hielt.

Sobald sie ausgestiegen war, war von Eile jedoch nichts mehr zu spüren. Kontrolle war alles.

Sie lächelte kühl, als sich ein junger IT-Mitarbeiter neben ihr in den gläsernen Aufzug quetschte. Er murmelte ein „Guten Morgen“ und blickte dann unsicher blinzelnd an ihr vorbei.

Wie ein Mantra wiederholte Miriam innerlich die Worte ihres Mentors. Als Frau musst du intelligenter, härter und skrupelloser sein als jeder Mann, um in diesem Business Erfolg zu haben.

Die Aufzugstüren öffneten sich. Miriams High Heels klackten laut auf den auf Hochglanz polierten Marmorfliesen. Durch die Glastür des Besprechungsraums sah sie,...


Franke, Thomas
Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net

Foto: © Studioline Erlangen

Thomas Franke ist Sozialpädagoge und bei einem Träger für Menschen mit Behinderung tätig. Als leidenschaftlicher Geschichtenschreiber ist er nebenberuflich Autor von Büchern. Er lebt mit seiner Familie in Berlin. www.thomasfranke.net

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