2 Romane in einem Band
E-Book, Deutsch, 576 Seiten
ISBN: 978-3-522-62149-6
Verlag: Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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… sie bedienen sich aber auch des Bogens, der Streitaxt und des Schildes und machen sich aus den Fellen wilder Tiere Helme, Mäntel und Gürtel … Strabon (um 63 v. Chr.–23 n. Chr.) Wir können den Festsaal im ersten Stock nutzen«, sagte Elias, nachdem er Clonie eingeholt hatte, die vorangestürmt war, ohne zu wissen, wohin es gehen sollte. »Dort haben wir genug Platz und sind ungestört.« Wieder liefen sie an den Leibgarden vorbei in die große Halle und die Treppe hinauf. Elias öffnete eine Tür und trat zur Seite, um Clonie vorzulassen. »Warte hier«, sagte er. »Ich besorge uns zwei Schwerter.« Noch bevor Clonie etwas erwidern konnte, war Elias verschwunden. Clonie nutzte die Gelegenheit und sah sich um. Hier, im ersten Stock der beeindruckend großen Burganlage, drang mehr Licht durch die Fensteröffnungen als im ebenerdigen Geschoss unter ihnen. Auch dieser Saal war groß und geräumig wie das Versammlungszimmer, in dem sich immer noch Damasos, Derimacheia und Antheia berieten, doch völlig ohne jegliches Mobiliar. In diesem Raum feierte Königin Derimacheia ihre Feste. Jetzt aber sollte er Clonie und Elias als Arena dienen. Clonie blickte soeben durch eins der Fenster auf den nahe gelegenen Wald, als Elias hinter ihr zurück in den Saal trat. In den Händen hielt er zwei nicht sehr lange Schwerter. Clonie entledigte sich ihres Bogens, den sie neben der Fensteröffnung gegen die Mauer lehnte, und nahm ein Schwert aus Elias’ Hand entgegen. Sie versuchte, sich ihren Unmut nicht anmerken zu lassen, doch war das Schwert nicht die Waffe ihrer Wahl. Es war für den Kampf vom Pferderücken aus denkbar ungeeignet und deswegen hatte sie in seiner Beherrschung auch nicht allzu viel Übung. Sie betrachtete die zweischneidige Klinge und wog die Waffe noch in ihrer Hand, während sich Elias bereits vor ihr aufstellte. Elias und Clonie fixierten einander. Jeder von ihnen umrundete den Gegner, auf der Suche nach einer passenden Gelegenheit für den ersten Schlag. Clonie, die in Gedanken noch die Entfernung zum Waldrand abschätzte, der ihr erschreckend nah erschien, wenn man bedachte, welche Gefahren in ihm lauern konnten, gab einen Augenblick nicht acht und schon senkte sich Elias’ Schwert von oben auf ihr Haupt herab. Clonie hörte, wie es die Luft über ihr zerschnitt. Im letzten Moment konnte sie ihre Waffe hochreißen und Elias’ Schlag abwehren. Der Schmerz strömte in ihre Schultern, als die Klingen aufeinandertrafen. Nein, dachte Clonie, der Kampf mit dem Schwert ist wahrlich nicht das Richtige für mich. Am liebsten waren ihr Pfeil und Bogen, aber auch mit der Steinschleuder kam sie gut zurecht. Für den Nahkampf übte sie den Umgang mit der Streitaxt, die sich hervorragend vom Pferderücken aus schwingen ließ. Aber das Schwert? Für den Kampf vom Pferd aus war es nicht zu viel nütze. Wieso also sollte sie den Umgang mit ihm üben? Jetzt saß Clonie jedoch nicht auf dem Rücken ihrer Stute Kore. Jetzt stand sie Elias gegenüber und wirbelte herum, als er sie mit einem seitlichen Hieb zu treffen versuchte. Das Schwert zischte durch die Luft und Clonie war froh, dass es sie nicht berührt hatte. Selbst wenn Elias die Waffe nicht mit voller Kraft einsetzte – schließlich wollte er Clonie nicht ernsthaft verletzen –, so wäre dieser Schlag, hätte er sein Ziel getroffen, doch zumindest sehr schmerzhaft gewesen. Als Nächstes zog Elias das Schwert von unten hoch und Clonie sprang behände zur Seite, um der scharfen Klinge im letzten Augenblick zu entgehen. Allmählich sah Elias recht zufrieden aus, stellte Clonie fest. Und er hatte zugegebenermaßen allen Grund dazu, denn sie hatte noch nicht einen einzigen Angriff zuwege gebracht und war lediglich damit beschäftigt, ihm auszuweichen wie ein hakenschlagendes Kaninchen. Clonie kniff die Augen zusammen, vergewisserte sich, dass sie einen festen Stand hatte, und wartete auf eine passende Gelegenheit zurückzuschlagen. Elias sah die Entschlossenheit in Clonies funkelnden Augen. Er hatte durchaus bemerkt, dass sie von seiner Entscheidung für das Schwert nicht begeistert gewesen war. Es bedurfte großer körperlicher Kraft, mit dem Schwert zu kämpfen. Und Kraft war das Einzige, was die Töchter des Ares nicht in gleicher Weise besaßen wie die Männer, gegen die sie sich nicht scheuten zu kämpfen. Mut, Gewandtheit, Schnelligkeit hingegen hatten auch in einem Frauenkörper Platz. Und nicht zuletzt ihre reiterischen Fähigkeiten machten das Frauenvolk zu gefürchteten Feinden. Elias machte sich nichts vor: Clonie war eine ernst zu nehmende Gegnerin. Und hätte er nicht den Gürtel getragen, der ihm ein Gefühl der Unbesiegbarkeit gab und sein Selbstbewusstsein stärkte, er hätte beim Anblick Clonies, deren Wangen gerötet waren und die ihn anblickte, als scheute sie nicht davor zurück ihn zu vernichten, das Fürchten gelernt. Als Clonie jetzt einen Schritt auf ihn zumachte und mit ihrem Schwert nach ihm stieß, konnte er sich nur durch einen beherzten Sprung nach hinten retten. Doch fand er schneller sein Gleichgewicht wieder als seine Gegnerin, die all ihre Kraft in diesen einen Stoß gelegt hatte und noch nach ihrer Balance suchte. Elias stürzte nach vorne, schlug Clonie das Schwert aus der Hand, das klirrend zu Boden fiel, und richtete die Spitze seiner Waffe auf Clonies Brust. Elias und Clonie rangen gleichermaßen nach Luft und Clonie hatte Mühe, verständliche Sätze zu formulieren. Sie hob die Arme und keuchte: »Du hast gewonnen.« Elias ließ sein Schwert sinken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl der Kampf nicht lange gedauert hatte, fühlte er sich bereits erschöpft. »Jetzt wähle ich die Waffen«, fuhr Clonie fort, die schneller wieder zu Atem kam. Elias schaffte es nur, zustimmend zu nicken. »Im Bogenschießen wirst du mich nicht besiegen«, erklärte Clonie. Elias lächelte. Er musste Clonie nicht nur für ihren Kampfeswillen bewundern, sondern darüber hinaus zugeben, dass sie die größere Ausdauer hatte. Während er immer noch hechelte wie ein betagter Hofhund an einem besonders heißen Sommertag, stand Clonie bereits wieder aufrecht vor ihm und wirkte frisch und ausgeruht. »Du wählst die Waffen und du trägst den Gürtel«, sagte Elias, dem viel daran lag, redlich zu handeln. Clonie lachte. »Ich brauche den Gürtel nicht, um dich zu besiegen«, behauptete sie. »Er würde mich eher behindern als beschützen.« »Trotzdem«, beharrte Elias. »Es soll gerecht zugehen. Wer die Waffen wählt, erhält auch den Gürtel.« Er öffnete die Schnalle und reichte Clonie das wertvolle Stück. »Meinetwegen«, willigte Clonie ein. Sie griff nach dem Gürtel und band ihn sich um die Hüften. »Aber ich werde dich nicht wegen des Gürtels besiegen. Vielmehr werde ich trotz seiner gewinnen.« Elias folgte Clonie mit Blicken, als sie zum Fenster schritt, um Pfeil und Bogen zu holen, die sie dort abgelegt hatte. Sie hob ihre Waffe auf und kehrte zu Elias zurück, der in der Mitte des Saals stehen geblieben war. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, spannte sie einen Pfeil ein, hob die Waffe und fixierte eine der Fackeln, die am anderen Ende des Saals in einer Wandhalterung brannten. Das leise Zischen des Pfeils durchschnitt die Luft, als Clonie ihn abfeuerte. Er traf die Fackel genau in der Mitte und blieb vibrierend darin stecken. Mit ausdruckslosem Gesicht gab Clonie den Bogen an Elias weiter und nahm einen zweiten Pfeil aus ihrem Köcher, den sie ihm ebenfalls reichte. Elias blickte bewundernd auf den Bogen. Ein so schönes Exemplar hatte er selten gesehen. Er war aus einem Stück gefertigt und das helle Holz schmiegte sich weich und warm in seine Hand. Die Bogensehne hatte genau die richtige Spannung. Clonie entgingen Elias’ bewundernde Blicke nicht. »Ich habe ihn selbst gefertigt«, erklärte sie mit Stolz in der Stimme. »Er ist perfekt«, sagte Elias, legte den Pfeil ein, hob den Bogen hoch, spannte die Sehne, fixierte die Fackel rechts neben der, die von Clonies Pfeil getroffen worden war, und ließ los. Sein Pfeil schnellte davon, bohrte sich ebenso wie zuvor Clonies durch das Material und blieb darin stecken. Mit einem zufriedenen Lächeln gab er Clonie den Bogen zurück. Immer noch verzog Clonie keine Miene, während sie den nächsten Pfeil einlegte, erneut den Bogen vor ihre Brust hob und kurz zielte. Sie war darin geübt, ihr Ziel sofort zu erfassen. Im Kampf und vom Pferderücken aus blieb nicht viel Zeit. Hier war Schnelligkeit gefragt. Sonst holte der Pfeil des Feindes den Kämpfenden vom Pferd, bevor er den Bogen auch nur gespannt hatte. Wieder flog der Pfeil durch die Luft, bahnte sich seinen Weg durch den hundert Fuß langen Saal und blieb in seinem Ziel stecken: Clonies Pfeil ließ den von Elias zersplittern, als er den Schaft genau traf. Elias nickte anerkennend. Nicht nur Clonies Treffsicherheit beeindruckte ihn, auch die Schnelligkeit, mit der sie gehandelt hatte, ließ ihn staunen. Wieder griff er nach dem Bogen, spannte ihn und versuchte, Clonies ersten Pfeil zu treffen. Er nahm sich mehr Zeit als das Mädchen. Und doch verfehlte sein Pfeil das Ziel knapp, blieb oberhalb des zuerst geschossenen Pfeils in der Fackel stecken. »Also gut«, sagte er und gab Clonie den Bogen zurück. »Du hast gewonnen.« »Noch...