E-Book, Deutsch, Band 7, 320 Seiten
Reihe: Alpen-Krimis
Ein Alpen-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 7, 320 Seiten
Reihe: Alpen-Krimis
ISBN: 978-3-492-97313-7
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nicola Förg, Bestsellerautorin und Journalistin, hat mittlerweile über zwanzig Kriminalromane verfasst, an zahlreichen Krimi-Anthologien mitgewirkt, einen Island- sowie einen Weihnachtsroman vorgelegt. »Hintertristerweiher«, ihr von der Presse vielfach gelobter Roman, ist 'eine feinsinnige Familiengeschichte, die über Generationen hinweg reicht und einen spannenden Bogen schlägt von den Wirren des Zweiten Weltkriegs bis zu den Wirrungen in der Jetztzeit' (Münchner Merkur). Die gebürtige Oberallgäuerin, die in München Germanistik und Geografie studiert hat, lebt heute mit Familie sowie Ponys, Katzen und anderem Getier auf einem Hof in Prem am Lech - mit Tieren, Wald und Landwirtschaft kennt sie sich aus. Sie bekam für ihre Bücher mehrere Preise für ihr Engagement rund um Tier- und Umweltschutz.
Autoren/Hrsg.
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1 Seit sechsundzwanzig Jahren kamen die Millers aus Ratingen nach Garmisch-Partenkirchen. Zum fünfjährigen Jubiläum hatten sie vom Tourismusverband ein Piccolöchen bekommen, zum Zehnjährigen einen Blumenstrauß. Zum Fünfzehnjährigen gab es ein Käsebrettchen mit Messer, dessen Griff ein geschnitzter Gamskopf zierte. Oder ein Steinbock. Oder ein Hirsch. Das war nicht so klar ersichtlich – »schnitzkünstlerische Freiheit«, wie Heinrich zu sagen pflegte. Wobei Annemone sicher war, dass es sich um eine Gams handelte. Zum Zwanzigjährigen hatten sie noch ein Brettchen bekommen, allerdings üppig belegt mit Käse und Kaminwurzen und schön in Zellophan eingeschlagen. Zum Fünfundzwanzigjährigen hatte es einen Essensgutschein gegeben, den sie im Gasthaus Mohren eingelöst hatten, nur die Getränke hatten sie selber zahlen müssen. Den Dreißigsten wollten sie auf jeden Fall noch voll machen. Sie hatten nach sechzehn Jahren das Quartier wechseln müssen, weil die alte Zilli mit der Vermietung aufgehört hatte. Das Bad am Gang und die Toilette eine Etage tiefer waren auch nicht ganz auf dem Stand der Zeit gewesen. Außerdem hatte die alte Zilli nicht mehr so gut gesehen, was etwas zulasten der Reinlichkeit gegangen war. Nun wohnten die Millers seit zehn Jahren bei der Franziska und dem Franzl, die ihre Landwirtschaft aufgegeben, die Tenne an einen Autobastler vermietet und im Haus Ferienwohnungen eingerichtet hatten. Zu diesem rein persönlichen Zehnjährigen hatte es einen Obstkorb und Wein gegeben und ein Glas Honig vom Franzl. Die Bienenstöcke waren sein Heiligtum. Wenn sie abreisten, kaufte Annemone auch immer ein Glas Honig, denn sie zahlte dann nur drei Euro statt der üblichen sechs. Doch – man konnte sagen, sie waren angekommen im Werdenfels. Sie hatten sich hochgearbeitet zu Stammgästen und konnten mit Fug und Recht behaupten, diese Region zu kennen. Annemone war zwar nicht mehr so gut zu Fuß, Senkbreitplattspreizfüße, der Hallux und circa zwanzig Kilo Übergewicht standen ihr einfach im Weg. Daher wanderten sie seit einigen Jahren eher im Flachen dahin. Besonders liebten sie die Loisachauen. Auch heute, an einem leicht bewölkten Herbsttag, hatten sie sich zum Spaziergang aufgemacht. »Es riecht nach Regen«, hatte der Franzl gesagt. Das Ehepaar aus Ratingen hatte einige Jahre gebraucht, um den tiefgründigen Witz zu verstehen. Die Bauern odelten immer dann, wenn sie vermuteten, dass es am Abend oder am nächsten Tag regnen und die Gülle so richtig ins Erdreich gespült würde. »Es riecht heute aber ganz schön nach Regen«, kicherte Annemone, die unpassend zur Körperfülle ein Mickymausstimmchen hatte. »Saubären«, maulte Heinrich und zupfte an seinem Janker, den er letztes Jahr teuer beim Grasegger in Garmisch-Partenkirchen erstanden hatte. »Den hängen wir dann zum Lüften auf den Balkon«, beruhigte ihn die Ehegattin. Sie gingen am Feldrain entlang. Draußen auf dem Feld dröhnte ein gewaltiger Bulldog, der ein noch gewaltigeres Fass schleppte, aus dem es stinkend hinauskotzte. »Was die für Maschinen haben! Früher gab’s das nicht«, maulte Heinrich weiter. »Die Viecher sind nur noch im Stall. Laufställe für Millionen bauen sie, und wir Feriengäste kriegen keine Kühe mehr auf der Wiese zu sehen. Ich fahr doch nicht fast siebenhundert Kilometer, damit es hier genauso aussieht wie bei mir zu Hause.« Dabei tat es das wirklich nicht, denn weit hinten war die Seilbahn zur Zugspitze zu sehen, die das Licht reflektierte. Die Berge warfen lange Schatten – wie in Ratingen sah es hier definitiv nicht aus. »Ja, ja, früher war alles besser. Da haben wir auch bei Zilli auf dem eiskalten Klo geschissen«, konterte Annemone, die sich den Tag nicht verderben lassen wollte. »Und die Landwirtschaft ändert sich nun mal.« »Ach komm, Mönchen, das kannst du nicht vergleichen. Wozu braucht ein Bauer hier solche Geräte? Die haben doch gar nicht die Flächen dafür! Angabe ist das, Overkill!« Mönchen schwieg und zupfte ein paar Ahornblätter ab, die sich schon herbstlich umfärbten. Sie walzte etwas tiefer hinein in die Baumgruppe, um Eicheln aufzulesen. Heinrich hasste den Dekowahn seiner Frau, aber über all die Jahre hatte er resigniert. So war sie halt, sein Mönchen. Hier ein Engelchen, da ein Tierchen, dort ein paar Hummelfiguren, viele gestickte Deckchen, Blümchen und Gestecke – immer passend zur Jahreszeit. Lieber stand er sich die Füße in den Bauch, als unter diese Bäume zu robben. Das Traktorengeräusch kam näher. Immer näher. Er würde keinen Zentimeter weichen. Schließlich stand er auf dem Wanderweg. Diese Saubauern machten sowieso allerorts Wege einfach zu Teilen ihrer Wiesen. Er hatte noch die alten Wanderkarten, da waren Wege eingezeichnet, die es heute gar nicht mehr gab. Der Bulldog hatte ihn im Vorbeifahren fast touchiert, das Fass ließ die Erde beben, und dann kam der Strahl. Treffer, nein, Volltreffer musste man sagen. Heinrich war kurzzeitig wie erstarrt, dann rannte er dem röhrenden Gefährt hinterher. Erneut wurde er eingeodelt, aber das war ja nun egal. »Anhalten! Halten Sie sofort an! Sie ausgemachter Trottel! Saubauer! Anhalten!« Es gab ein gurgelndes Geräusch. Der Traktor blieb stehen, und überraschend schnell öffnete sich die Tür. Aus schier schwindelnder Höhe sprang ein Mann herab. »Ja, du Depp, du! Was wuist du auf meim Feld? Ja, schleich di!« »Sie sagen Depp zu mir? Sie haben mich tätlich angegriffen.« »Wos hob i?« »Mich über den Haufen gefahren und befleckt.« Der Mann begann schallend zu lachen. »Befleckt, ja du bist mir ja ein ganz ein gscheiter Depp.« Heinrichs Gesicht wurde rot unter der Odelschicht. »Ich zeig Sie an!« »Ja, wärst halt an Schritt zur Seite getretn!« »Sie haben den Weg verodelt. Den Weg!« »Woaßt was, i hob mei Zeit ned g’stohln. Habe die Ehre.« Der Landwirt stieg wieder auf, das Gefährt erdröhnte und setzte sich in Bewegung. Heinrich rannte noch ein paar Schritte hinterher, dann zischte noch etwas durch die Luft. Eine Art Geschoss. Heinrich stolperte und wäre fast gestürzt. Auf dem Boden lag ein Metallteil. Das hätte ins Auge gehen können, im wahrsten Sinne des Wortes. Na, hoffentlich war dem Saubauern etwas an seinem Höllengespann gebrochen, und er würde liegen bleiben oder in die Luft fliegen. Doch das tat er nicht. Er drehte weiter seine Kreise. Heinrich hob das Teil auf und wickelte es in ein Taschentuch, um es einzustecken. »Den zeig ich an!«, brüllte er nochmals und wandte sich um. Annemone starrte ihn entgeistert an. Vor Zorn bebend baute er sich vor seiner Frau auf. »Schmeiß deine Scheißblätter weg. Wir gehen zur Polizei.« Nervös zwinkerte Annemone mit ihren Schweinsäuglein. Das tat sie immer, wenn sie sich richtig unwohl fühlte und gegen die Ohnmacht ankämpfte, die ihr Mann ihr ständig vermittelte. Als sie seinerzeit – viel zu jung – geheiratet hatte, war sie chancenlos gewesen gegen seine Übermacht, aber sie hatte gelernt, sich zu wehren, auch wenn es sie jedes Mal so viel Kraft kostete und sie anschließend immer ein paar Pralinen brauchte. »Was willst du bei der Polizei?« »Den Idioten anzeigen! Das war ein tätlicher Angriff! Ich hätte tot sein können.« »Ja, an dem Gestank, den du ausdünstest, kann man tatsächlich sterben.« Nicht nur Heinrich war sprachlos, sondern auch Annemone, denn so schlagfertig war sie nur selten. Er drehte sich wortlos um und stapfte davon. Irmi gab es nur ungern zu, aber von Zeit zu Zeit schaute sie sich Bauer sucht Frau an. So wie gestern. Ein paar Kumpels ihres Bruders hatten mal vorgeschlagen, Bernhard für die Sendung anzumelden, so »schiach« sei der doch gar nicht. Und Irmi habe dann auch gleich die Chance, die neue Schwägerin auf Herz und Nieren zu prüfen. Aber Bernhard brauchte keine Frau, er war nicht interessiert. Irmi hatte für einen Moment darüber nachgedacht, was es wohl bedeuten würde, wenn ihr Bruder doch noch … Würde sie mit einer fremden Frau unter einem Dach leben wollen? Würde sie dann ausziehen? Wie schnell ihr gut eingerichtetes Leben auf einmal aus den Fugen geraten könnte … theoretisch zumindest. Wie hätten sie Bernhard wohl bei RTL angekündigt? Als den behäbigen Bernhard? Den malerischen Milchbauern? Den Schweiger aus Schwaigen? Dieser Alliterationswahn war doch eine Seuche: In der Bauernvermittlungsshow gab es den romantischen Rinderwirt, den schmusigen Schafbauern und den zickigen Ziegenzüchter. Ganz zu schweigen vom feinsinnigen Forstwirt. Hühnerhöfe im heimeligen Harz gab es ebenso wie schneidige Schweineställe im schnuckeligen Schwaben. Der sanfte Sven, der kräftige Karl und der magische Martin. Natürlich auch der lustige Ludwig und der humorvolle Hubert. Puh! Längst prägte Bauer sucht Frau das Bild der deutschen Landwirtschaft, allerdings nicht immer auf die vorteilhafteste Weise. Entweder waren die Höfe komplett verranzt, dann hatte das Drehteam als Ausgleich alles an Requisiten verteilt, was Romantik versprach. Für Menschen wie Irmi war es jedoch nichts als ein totaler Verhau! Kein Bauer warf Strohballen neben die Eingangstür, warum auch? Keiner stellte drei rostige Bulldogs in den Obstgarten. Und angesichts der Kätzchen mit ihren verklebten Schnupfenaugen und der Ponys, die stundenlang irgendwo angebunden standen, war es erstaunlich, dass der Tierschutz nicht längst Sturm lief. Oder die Bauern bekamen von RTL brandneue Traktoren mit lackschwarzen Reifen hingestellt. Die Fahrzeuge glänzten so, dass sie aussahen, als kämen sie direkt vom Tieflader. Ob die Kandidaten diese Schlepper wohl behalten...