Flügge | Stéphane Hessel - ein glücklicher Rebell | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 271 Seiten

Flügge Stéphane Hessel - ein glücklicher Rebell

E-Book, Deutsch, 271 Seiten

ISBN: 978-3-8412-0408-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Phänomen Stéphane Hessel Manfred Flügge zeichnet den geistigen und politischen Kosmos des Stéphane Hessel nach: Als Résistancekämpfer 1944 nach Buchenwald deportiert, überlebte er dank eines Identitätsaustauschs. Fortan stellte er sein Leben in den Dienst der Menschenrechte. Innerhalb der UNO setzte er sich für eine Welt ohne Totalitarismus, Konzentrationslager, Atombomben ein. Er wirkte am ersten Teil der Menschenrechtscharta mit, vermittelte in politischen Konfiikten und unterstützte die Entkolonialisierung. Bis heute gibt der Globalisierungskritiker und Humanist Hessel unermüdlich in Büchern und weltweiten öffentlichen Auftritten seine Botschaft von Recht und Gerechtigkeit, Verantwortung und Zivilcourage weiter. 'Seine Leichtfüßigkeit hat etwas vom Götterboten, vom Hermes mit den Flügeln. Sein Leben ist ein Kunstwerk.' Manfred Flügge über Stéphane Hessel Die DVD »Der Diplomat Stéphane Hessel« ist im Handel erhältlich. Mehr Infos zum Film unter: http://www.derdiplomatstéphanehessel-derfilm.de'

Manfred Flügge, geboren 1946, studierte Romanistik und Geschichte in Münster und Lille. Von 1976 bis 1988 war er Dozent an der Freien Universität Berlin. Heute lebt er als freier Autor und Übersetzer in Berlin. 2014 erhielt er den 'Literaturpreis Hommage à la France der Stiftung Brigitte Schubert-Oustry' und in Cognac den Prix Jean Monnet du Dialogue Européen. Im Aufbau Verlag sind seine Bücher 'Die vier Leben der Marta Feuchtwanger', 'Das Jahrhundert der Manns', 'Stadt ohne Seele. Wien 1938', 'Das flüchtige Paradies. Deutsche Schriftsteller im Exil an der Côte d'Azur' und 'Stéphane Hessel - ein glücklicher Rebell' lieferbar.
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Teil 1: EIN LEBEN
Verhaftet in Paris
No longer mourn for me when I am dead. Warum fällt ihm gerade dieser Vers ein? Wenn ich tot bin, trauert länger nicht um mich … Seit Greco den Revolver in seinem Rücken spürte, hat sich alles verändert. Seit dem Kommando »Hände hoch!« ist sein Körper zugleich starr und angespannt. Man hat ihn gefasst, und er will gefasst bleiben, schließlich musste er in seiner Mission auf alles gefasst sein. Aber wenn der Ernstfall eintritt, ist es doch ganz anders, als man es sich ausgemalt hat. Verhaftet in Paris, der Stadt, an der er so sehr hängt, dass er sie nicht verließ, als es ihm befohlen wurde. Der erste Gedanke ist ein Sonett-Anfang. No longer mourn for me when I am dead – du muss es heißen, klage du nicht zu lange um mich, wenn mein Tod vermeldet wird. Der Satz richtet sich an einen bestimmten Menschen. Und an wen denkt der Verhaftete an diesem Montag, dem 10. Juli 1944? An seine Frau? An die Kameraden? An den Bruder? Denkt er an seine Eltern, die nur wenige Schritte entfernt von hier gewohnt haben, in der Rue Schoelcher, am Ostende des kleineren Teils vom Friedhof Montparnasse? No longer mourn for me – verschwendet eure Zeit nicht mit nutzlosen Klagen, hat Shakespeare das gemeint? Und an wen hat er dabei gedacht? Wer war sein Du? Das weiß man nicht so genau, schließlich weiß man nicht, wer Shakespeare überhaupt war. Wissen die Nazischergen, wen sie hier verhaften? Interessiert es sie, welche Geschichte der Verhaftete mit sich trägt? Was ihn mit diesem Ort verbindet, an dem sein Leben enden könnte? Es ist zu schäbig, dieses kleine Bistro, genau an der Ecke, wo der Boulevard Edgar Quinet, die Südgrenze des Friedhofs von Montparnasse, schräg auf den Boulevard Raspail stößt. Les Quatre-Sergents heißt die Kneipe, vier Feldwebel waren nicht nötig, hier genügten zwei, um Greco festzusetzen. Und ein Verräter. Verhaftet gleich neben dem Friedhof, zu dumm, zu passend. Jetzt ist das Spiel aus. Jetzt kommt der Tod. Alles andere ist unwahrscheinlich. Die »Mission Greco« ist zu Ende. Ausgerechnet an diesem Ort in Paris. Da ist die kleine Straße mit den Mauern, die den großen Friedhof in zwei Bereiche teilt. In dieser Gasse zwischen den Gräbern haben sich einmal drei Freunde ein spaßiges Wettrennen geliefert, der Vater, die Mutter, ihr französischer Freund. Wenige Schritte von hier, genau an der Ecke zum Boulevard du Montparnasse, liegt das Café du Dôme, in dem sich seit 1904 die deutschen Künstler trafen. Wer immer aus München oder Berlin nach Paris kam, fand sich in dieser engen Kutscherkneipe ein. Der Vater war hier lange Zeit Stammgast, in diesem Künstlertreff lernte er die Mutter kennen, das war im Herbst 1912. Hier eigentlich begann seine eigene Vorgeschichte, in dieser Ecke der Stadt wurde bestimmt, dass auch für ihn Paris zum Schicksalsort wurde. Künstlertreff, Künstlerpech. Polizeitreff nun. Greco hatte schon mehrere Termine an diesem Tag absolviert. Jedes Treffen stellte ein Risiko dar, aber ganz ohne Vertrauen erreichte man nichts in der Résistance. Schon seit März lebt er mit falschen Papieren, die ihn als Geschäftsmann aus Lyon ausweisen, in wechselnden Quartieren, mal an der Rue Mouffetard, mal in einem Hotel, mal in der Rue Campagne-Première, die Straße der Malerateliers in der Blütezeit von Montparnasse. Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern … Ringelnatz! Den der Vater so geliebt hat. Ein fernes Echo der Shakespeare-Verse. Meine Liebe wird mich überdauern. Am Grab des Vaters wurde es aufgesagt, in Sanary, das ist jetzt drei Jahre her. Der Vater, der ihm den Sinn für Lyrik gab und ihre lebensbejahende Kraft. Lebe, lache gut! mache deine Sache gut … Grecos zehnter Kontakt an diesem Tag hatte den Decknamen Bambou, ein Funker, den er aus London kannte. Die Verabredung lautete: 18 Uhr im Café des Quatre-Sergents. Es hieß, Bambou sei von den Deutschen verfolgt worden, ihnen aber entkommen, er brauche neues Material, um weiter nach London funken zu können, aber auch neue (falsche) Papiere, neue Kleidung und Geld. Jean-Pierre Couture wollte Greco zu dem Treffen begleiten, doch der fand es sicherer, allein hinzugehen. Bambou saß schon auf der Terrasse vor dem Bistro, als er eintraf, neben ihm ein zweiter Mann, den er als alten Kameraden vorstellte. Sie gingen zum Reden ins Innere des Bistros. Bambou redete sonderbares Zeug: Die Deutschen hätten ihn beinahe gefasst, aber er sei entkommen, besitze nun aber nichts mehr. Vielleicht war Greco schon müde, etwas zerstreut, hörte nicht auf den Ton in der Stimme des anderen. Er ließ sich zu tief hineinlocken in das Bistro. Keine Chance zur Flucht. Und dann gleich die Verhaftung. Als es zu spät war, begriff er: Bambou war den Deutschen nicht entkommen, sie hatten ihn verhört und gefoltert und gezwungen, seine Kameraden in die Falle zu locken. Auch Couture geriet in diese Falle – er war doch noch zum Bistro gekommen, etwas später, und hatte einen Ersatz-Quarz für ein Funkgerät dabei. Zu spät durchschaute er den Hinterhalt, flüchtete an der Friedhofsmauer entlang, warf den Quarz auf die andere Seite, wurde aber dennoch gestellt. Was mag er gedacht haben? Reden kann man nicht mehr in solchen Augenblicken. Was ab jetzt geredet wird, ist Teil eines blutigen Spiels. Schweigen wäre das Beste, aber das geht auch nicht. Was Reden heißt und was Schweigen, das wird Greco nun lernen. Jetzt kommen ganz andere Worte. No longer mourn for me when I am dead. Später wird Greco den Vers auf einen Zettel schreiben und ihn in seine Jackentasche stecken. Vitia, seine Frau, wird eines Tages die Botschaft finden, stellt er sich vor, und sie wird es verstehen. Vitia ist in London, arbeitet in dem Büro des Nachrichtendienstes der Résistance, in dem auch er gearbeitet hat, ehe er sich im März auf die Mission Greco schicken ließ. Den Decknamen hatte er sich selbst ausgedacht. Anfang Juni waren die Alliierten in der Normandie gelandet, und wenn dort auch noch eine heftige Schlacht tobte, so war die Befreiung von Paris schon abzusehen. Die wollte er nicht versäumen. Nun wird er nicht dabei sein. Er hält es für sicher und denkt doch, dass dies ein schwerer Schicksalsfehler wäre, dass ein solches Ende nicht zu ihm passt. In der Kraft, die einen Menschen noch angesichts des Untergangs solche Dinge schreiben, sagen, memorieren lässt, steckt Freude, Liebe, Hoffnung: No longer mourn for me when I am dead … – es ist keine Totenklage, sondern eine Liebeserklärung über das Grab hinaus.   Der Rest des Sonetts 71 fällt ihm ein, als er Bekanntschaft mit seinen neuen Betreuern macht. No longer mourn for me when I am dead Then you shall hear the surly sullen bell Give warning to the world that I am fled From this vile world, with vilest worms to dwell – Nur solange die Totenglocke erklingt, soll die geliebte Person um ihn trauern, wenn sie diese Zeilen erhält. Der Glockenton verkündet, dass er aus der bösen Welt zu noch böseren Würmern geflohen ist. Für Greco ist es keine Zuflucht, und es sind sehr schlimme Würmer, mit denen er zu tun bekommt. Wenngleich das Ambiente höchst stilvoll ist. Die breite Avenue Foch, eine der vornehmsten Straßen von Paris, führt vom Triumphbogen in südwestliche Richtung. Stadtvilla reiht sich hier an Stadtvilla. Sandsteinfassaden mit reichlich Zierrat. Hierher bringt ihn ein schwarzes Polizeiauto. Das Haus Nummer 84 gehört zum ersten Häuserblock am Südwestende der rechten Seite der Avenue Foch und ist deutlich niedriger als die beiden Nachbarhäuser. Zum runden Platz hin, der Porte Dauphine, sieht man einen zierlichen Pavillon, einen Métro-Eingang, den Hector Guimard im Art-déco-Stil gestaltet hat, mit grüngestrichenem Metall und Glas und Verzierungen in Baum- und Blattform. Im Jahr 1944 residiert in diesem repräsentativen Block mit Sandsteinfassaden und Marmortreppen der Sicherheitsdienst der Besatzungsmacht (SD), der sich um die Abwehr gegnerischer Agenten kümmert. Der SD hat auch die Nachbarhäuser 82 und 86 requiriert, aber die Nummer 84 ist der Ort für die Sonderverhöre von Angehörigen der British Special Operation Executive (SOE), die im besetzten Frankreich agieren, unter ihnen viele Kanadier. Da Greco aus England geschickt wurde, brachte man ihn hierher. Ob er wirklich Greco ist (den Namen wissen sie wohl von Bambou), müssen sie erst noch herausfinden. Noch streitet er es ab. Im zweiten Stock der Nummer 84 arbeiten Josef Goetz und seine Funkabteilung; sie nutzen Sendefrequenzen des Widerstands, um falsche Botschaften zu übermitteln und den Gegner zu verwirren. Die deutsche Funkabwehr besitzt sehr effektive, stark miniaturisierte Ortungsgeräte, es ist ihnen gelungen, in einige Funknetze der Résistance wie der britischen Agenten einzubrechen. Oft verhaften sie die Funker separat, bringen sie unter Einsatz der Folter zu Geständnissen und zum Verrat von Kameraden. Im dritten Stock haust SS-Sturmbannführer Josef Kieffer, Spezialist für verschärfte Verhöre, ganz oben im fünften Stock liegen die Verhörkammern und Zellen für die Gefangenen. Hier hat auch Ernest Vogt ein kleines Zimmer, ein Deutschschweizer, der als Übersetzer bei den Verhören dient.   Grecos Verhaftung bedeutet große Gefahr für die anderen Widerstandskämpfer. Von London aus hat er viele Netze betreut, er kennt zu viele Namen. Jeden Morgen gab es in der Wohnung von Jean-Pierre Couture in der Rue Delambre ein Frühstück mit Lagebesprechung und Verteilung der Aufgaben: Treffen mit Kontaktpersonen, Botschaften...


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