Flor / Lautenbacher / Kunz | Neuropsychologie des chronischen Schmerzes | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 116 Seiten

Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie

Flor / Lautenbacher / Kunz Neuropsychologie des chronischen Schmerzes


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-8444-2246-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 116 Seiten

Reihe: Fortschritte der Neuropsychologie

ISBN: 978-3-8444-2246-7
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bei der neuropsychologischen Diagnostik und Therapie ist die Thematik „Schmerz“ oftmals nicht weit. So weisen eine ganze Reihe von ZNS-Erkrankungen auch wiederkehrende oder anhaltende Schmerzen als Begleitsymptom auf. Darüber hinaus führen chronische Schmerzen ab einer gewissen Dauer und Intensität auch ohne primäre Schädigungen des Gehirns zu neuropsychologischen und neuropsychiatrischen Auffälligkeiten, die schwere Probleme bei gutachterlichen Fragestellungen hervorrufen.
Eine große Herausforderung in der Schmerzdiagnostik und -behandlung stellen zudem Schmerzen bei Personen mit Kommunikationsstörungen dar, die keine Auskunft über Intensität, Lokalisation, Affektstörung und Funktionsbeeinträchtigungen geben können. Menschen mit Demenz, geistiger Behinderung und Aphasie sind auf valide Fremdbeobachtungen angewiesen.
Dieser Band vermittelt einerseits diagnostische und therapeutische Grundkenntnisse der psychologischen Schmerzbehandlung und anderseits das essenzielle neuropsychologische Anwendungswissen.

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Zielgruppe


Neuropsycholog_innen, klinische Psycholog_innen, Neurolog_innen

Weitere Infos & Material


2  Ätiologie
Chronischer Schmerz ist ein multidimensionales Geschehen, welches multifaktoriell bedingt ist und auf Chronifizierungsprozessen auf allen Ebenen des Nervensystems beruht. 2.1  Pathophysiologie
An der Schmerzentstehung sind eine Vielzahl peripherer und zentralnervöser Prozesse beteiligt. So werden potenziell schmerzhafte Reize über spezielle Nervenfasern an das Rückenmark und von hier an das Gehirn weitergeleitet. Erst die Verarbeitung der Schmerzinformation im Gehirn (Thalamus und Kortex) führt zum Erleben von Schmerz. An der Pathophysiologie chronischer Schmerzen können sowohl Veränderungen in der peripheren Reizverarbei|12|tung, der spinalen Reizverarbeitung als auch der Reizverarbeitung im Gehirn beteiligt sein. Ein detaillierter Überblick zur Pathophysiologie von Schmerz findet sich in Magerl und Treede (2017) oder Brune et al. (2013). 2.1.1  Periphere Reizverarbeitung – Nozizeptoren Die peripheren Rezeptoren, die potenziell schmerzhafte Reize weiterleiten, und deren Neurone werden Nozizeptoren (von lateinisch nocere?=?schädigen) genannt. Schmerz wird im Allgemeinen durch zwei Arten von Nervenfasern vermittelt: Dünn myelinisierte Ad-Fasern sowie unmyelinisierte C-Fasern. Markhaltige Aa- und Aß-Fasern leiten normalerweise keine nozizeptiven Reize weiter, können jedoch unter pathophysiologischen Bedingungen zur Schmerzentstehung mit beitragen. Bei Auslösung eines Oberflächenschmerzes (auf der Haut) tritt erst ein heller 1. Schmerz vor einem späteren dumpfen 2. Schmerz auf. Nozizeptoren finden sich in der Haut, den Bindegeweben, Muskeln und Gelenken (Tiefenschmerz) sowie den Viszera. Die Zellkörper der Nozizeptoren liegen in den Hinterwurzelganglien und werden auch als DRG- Zellen (vom Englischen „dorsal root ganglion“) bezeichnet. Sie produzieren Neuropeptide wie CGRP (calcitonin gene-related peptide), Substanz P (SP) oder Neurokinin A (NKA), die bei Erregung aus den peripheren Nervenendigungen freigesetzt werden und möglicherweise bei der Schmerzentstehung eine Rolle spielen. Nozizeptoren können durch mechanische, thermische und insbesondere chemische Reize erregt werden. Sind alle drei Modalitäten wirksam, spricht man von einem polymodalen Nozizeptor. Im gesunden Gewebe finden sich Nozizeptoren mit sehr hohen Schwellen, die normalerweise nicht erregbar sind („schlafende Nozizeptoren“). Bei pathophysiologischen Veränderungen im Gewebe, z.?B. bei einer Entzündung, werden Nozizeptoren sensibilisiert, d.?h., sie senken die Schwelle für Erregung ab und schlafende Nozizeptoren können nun „aufgeweckt“ werden. Das bedeutet, dass auch nicht noxische Reize Schmerzen auslösen können, so z.?B. bei Sonnenbrand, wo bereits angenehm warme Wassertemperaturen als schmerzhaft wahrgenommen werden können. 2.1.2  Reizverarbeitung im Rückenmark Nozizeptive Reize werden im Hinterhorn des Rückenmarks bzw. den Trigeminuskernen umgeschaltet und weiter an höhere Zentren übertragen (siehe Abbildung 1). |13| Im Hinterhorn finden sich Neurone, die nozizeptive Reize vor allem in der I. und V. Schicht verarbeiten. Nozizeptorspezifische Neurone werden von solchen Neuronen unterschieden, die auf viele Arten von Reizen reagieren („wide dynamic range“ oder WDR-Neurone). Wichtig ist, dass zentrale Neu|14|rone in komplexen Schaltkreisen miteinander verbunden sind. Bei pathophysiologischen Zuständen können diese zentralen Neurone sensibilisiert werden, d.?h., es kommt zu einer andauernden Veränderung der synaptischen Struktur des Hinterhorns, einem Prozess, der als zentrale Sensibilisierungbezeichnet wird. Charakteristisch für die zentrale Sensibilisierung ist die Erregbarkeitssteigerung der Neurone des Hinterhorns, die Verminderung von Hemmprozessen sowie strukturelle Veränderungen an den zentralen Nervenendigungen der primären sensorischen Neurone, der Interneurone und der Projektionsneurone. Diese zentrale Sensibilisierung wird von den NMDA-(Natrium-methyl-D-aspartat)Rezeptoren und ihrem Transmitter Glutamat vermittelt. Niederschwellige afferente Neurone können funktionelle Verbindungen mit aufsteigenden spinalen Projektionsneuronen eingehen, die nozizeptive Information weiterleiten. Ebenso können hemmende Interneurone durch schnelle Entladung aus dem verletzten Gewebe zerstört werden und zu einem übererregbaren Rückenmark führen. 2.1.3  Reizverarbeitung im Gehirn Die nozizeptive Information wird im Hirnstamm, Thalamus, limbischen System und auch im Kortex weiterverarbeitet. Die wichtigste aufsteigende Bahn ist die spinothalamische Bahn, die von Neuronen der I. und V. Schicht des Rückenmarks ausgehend kreuzt und im Vorderseitenstrang zum somatosensorischen Thalamuskern (ventrobasaler Komplex) zieht. Viele Projektionen aus dem Rückenmark kommen auch im Mittelhirn und den medialen Thalamuskernen an, andere direkt im Hypothalamus und im limbischen System. Dabei wird das vom Tractus spinothalamicus ausgehende als laterales System bezeichnet, das Input von der kontralateralen Körperhälfte erhält und zu den spezifischen thalamischen Projektionskernen und in den primären und sekundären somatosensorischen Kortex zieht. Es soll die sensorisch-diskriminative Schmerzkomponente repräsentieren. Ein zweites System, das mediale System, umfasst retikuläre Kerne im Hirnstamm und die medialen Thalamuskerne und projiziert zum limbischen System, der Insel, dem Gyrus cinguli und den Frontallappen. Es erhält bilateralen Input von verschiedenen Bahnen und soll v.?a. die affektive und kognitive Schmerzkomponente repräsentieren. Schmerz entsteht erst im Gehirn als das Endprodukt eines komplexen Prozesses. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass chronischer Schmerz funktionelle und strukturelle Veränderungen im Gehirn auslöst, die mit zunehmender Chronifizierung den Schmerz in Abwesenheit peripheren Einstroms aufrechterhalten und verstärken können (Schmidt-Wilcke, 2015; Flor, 2014). Neben den afferenten/aufsteigenden Bahnen im Schmerzsystem wird die Schmerzverarbeitung durch efferente Bahnen reguliert. So wird die Umschaltung nozizeptiver Reize im Rückenmark durch absteigende Bahnen aus dem |15|Gehirn moduliert. Dies geschieht unter anderem durch Erregung opioiderger Neurone aus dem zentralen Höhlengrau, welche zu den Raphe-Kernen projizieren, von wo aus serotoninerge Fasern ins Rückenmark absteigen. Durch die Ausschüttung von Serotonin werden spinale Interneurone erregt, die über GABA, Glycin und körpereigene Opioide hemmend auf die Umschaltung nozizeptiver Reize einwirken. Nicht nur im Rückenmark, sondern auch in weiten Teilen des Gehirns finden sich Opioidrezeptoren, die auf sub-kortikaler und kortikaler Ebene hemmenden Einfluss auf die Schmerzverarbeitung und auf das letztendliche Schmerzerleben haben. Es gibt jedoch eine Reihe weiterer Transmitter wie z.?B. die Cannabinoide, die in die Schmerzmodulation involviert sind. Unterschiede in der Effektivität absteigender schmerzhemmender Systeme können in Chronifizierungsprozesse involviert sein (Heinricher, 2016). Merke Schmerzhafte Reize werden über sogenannte Nozizeptoren ins Hinterhorn des Rückenmarks weitergeleitet, wo die Reize umgeschaltet und über den Hirnstamm an den Thalamus übertragen werden. Vom Thalamus aus wird die nozizeptive Information in weiten Teilen der Großhirnrinde verarbeitet. Der Schmerz entsteht erst im Gehirn, da der nozizeptive Input auf allen Ebenen des Nervensystems moduliert wird. Körpereigene schmerzhemmende Systeme greifen auf Rückenmarksebene und in weiten Teilen des Gehirns hemmend in die Schmerzverarbeitung ein. 2.2  Psychologische Faktoren
2.2.1  Kognitive Faktoren: Schmerzbewertung In kognitiv-verhaltenstherapeutischen Modellen chronischer Schmerzen wird betont, dass die Schmerzerfahrung des Patienten wesentlich davon abhängt, wie Schmerz bewertet und bewältigt wird (Turk, Meichenbaum & Genest, 1983). Der kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansatz geht davon aus, dass ...



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