Erzählungen
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-455-00008-5
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Traum von Ruhm und Geld, das Streben nach persönlichem Erfolg, die Mystifikation der Frau und der Liebe, rauschende Partys, Höhenflüge und Abstürze ins Bodenlose – das waren die Themen seines Lebens und seines Werks. Am Ende hatte F. Scott Fitzgerald, der umschwärmte Erfolgsautor, sein Publikum verloren. Kaum einer erinnerte sich an ihn, einen der bestbezahlten Story-Schreiber der zwanziger Jahre.
Und kaum eine Zeitschrift wollte seine Erzählungen drucken. Man erwartete noch immer Geschichten über junge Liebende von ihm. Aber Fitzgerald wollte sich nicht beschränken. Änderungsvorschläge lehnte er meist ab. So blieben viele Erzählungen bis heute unveröffentlicht. Nun erscheinen sie endlich: 14 abgeschlossene Storys, drei Filmskizzen und ein Fragment – im unnachahmlichen Fitzgerald-Ton. Eine literarische Wiedergutmachung.
Weitere Infos & Material
Cover
Titelseite
Spielschulden
Böser Traum
Die große Frage
Gracie auf See
Zusammen unterwegs
Für dich würde ich sterben
Auszeit von der Liebe
Wirbelsturm in stillen Gefilden
Die Perle und der Pelz
Ballettschuhe
Danke für das Feuer
Daumen hoch
Zahnarztbehandlung
Abseits
Die Frauen im Haus
Gruß an Lucy und Elsie
Liebe kostet Nerven
Das Ehepaar
Nachwort
Editorische Notiz
Erläuterungen und Stellenkommentar
Literatur und Quellen
Dank
Impressum
Spielschulden
von F. Scott Fitzgerald Der Name in der Überschrift ist nicht mein wahrer Name – der Bursche, dem er gehört, hat mir erlaubt, ihn für diese Geschichte zu benutzen. Meinen wahren Namen werde ich nicht verraten. Ich bin Verleger. Ich verlege dicke Romane über junge Liebe, verfasst von alten Jungfern in South Dakota, Krimis über wohlhabende Klubmitglieder und Ganovenbräute mit »großen dunklen Augen«, Essays über die Gefahren von allem Möglichen und über die Farbe des Mondes über Tahiti aus der Feder von Collegelehrern und anderen Arbeitslosen. Romane von Autoren unter fünfzehn Jahren nehme ich nicht an. Alle Kolumnisten und Kommunisten (die zwei Wörter kann ich einfach nicht auseinanderhalten) schimpfen auf mich, sie sagen, ich dächte nur ans Geld. Das stimmt – ich denke an fast nichts anderes. Meine Frau braucht Geld. Meine Kinder geben es die ganze Zeit aus. Würde mir jemand alles Geld anbieten, das es in New York gibt, würde ich nicht nein sagen. Ich würde lieber ein Buch mit fünfhunderttausend Vorbestellungen herausbringen, als Samuel Butler, Theodore Dreiser und James Branch Cabell in einem Jahr entdeckt zu haben. Und Sie würden genauso denken, wenn Sie Verleger wären. Vor sechs Monaten machte ich einen Vertrag für ein Buch, das eine todsichere Sache zu sein schien. Es war von Harden, dem Parapsychologen Dr. Harden. Sein erstes Buch – 1913 von mir veröffentlicht – hatte sich mit der Beharrlichkeit einer Long-Island-Sandkrabbe in den Bestsellerlisten festgekrallt, und damals war Parapsychologie lange nicht so in Mode wie heute. Das neue Buch bewarben wir als herzergreifendes Dokument. Dr. Hardens Neffe war im Krieg umgekommen, und sein Onkel hatte einen eleganten und zurückhaltenden Bericht über seine übersinnliche Kommunikation mit ebendiesem Neffen Cosgrove Harden via diverse Medien geschrieben. Dr. Harden war kein intellektueller Parvenü. Er war ein angesehener Psychologe, in Wien promoviert, in Oxford habilitiert und zuletzt Gastprofessor an der Universität von Ohio. Sein Buch war weder kaltschnäuzig noch naiv. Seine Haltung war von großer Seriosität grundiert. Beispielsweise erwähnt er in seinem Buch, dass ein junger Mann namens Wilkins ihn aufgesucht und behauptet habe, der Verstorbene schulde ihm drei Dollar und achtzig Cents. Er hatte von Dr. Harden verlangt, den Verstorbenen zu fragen, was in dieser Sache zu tun sei. Dr. Harden hatte sich standhaft geweigert, diesem Verlangen nachzukommen. Seiner Ansicht nach könnte man genauso gut wegen eines verlorenen Regenschirms den Beistand der Heiligen erbitten. Neunzig Tage lang bereiteten wir die Veröffentlichung vor. Die erste Seite des Buches hatten wir in drei verschiedenen Schrifttypen setzen lassen, und wir ließen je zwei Entwürfe von fünf sündteuren Grafikern anfertigen, bevor wir uns für den perfekten Buchumschlag entschieden. Die Umbruchfahnen wurden von nicht weniger als sieben erfahrenen Korrektoren gelesen, damit nicht etwa das leichteste Zittern im Schwanz eines Kommas oder das Schielen einer Versalie die anspruchsvollen Augen des großen amerikanischen Publikums verletzten. Vier Wochen vor dem vorgesehenen Erscheinungstermin wurden riesige Kisten an alle Punkte des literarischen Kompasses geschickt. Allein nach Chicago versandten wir siebenundzwanzigtausend Exemplare. Nach Galveston in Texas gingen siebentausend Stück. Jeweils hundert Exemplare wurden mit Ächzen und Stöhnen nach Bisbee, Arizona, Redwing, Minnesota, und Atlanta, Georgia, geschafft. Nachdem die größeren Städte versorgt waren, wurden über den Kontinent hinweg aufs Geratewohl Einheiten von zwanzig, dreißig, vierzig Exemplaren verteilt, so wie ein Sandkünstler sein fast vollendetes Bild mit feinem Rieseln eigenhändig vollendet. Die erste Auflage des Buches betrug dreihunderttausend Exemplare. Unterdessen war die Werbeeabteilung fünf Tage die Woche von früh bis spät damit beschäftigt, sich als regelrechte Akzidenzdruckerei zu betätigen, mit Kursivschrift, Unterstreichungen und Versalien, und Schlagworte, Überschriften, Artikel und Interviews vorzubereiten, Fotos auszuwählen, auf denen Dr. Harden nachdenklich, versonnen und besinnlich aussah, Schnappschüsse von ihm zu sammeln, die ihn mit einem Tennisschläger, einem Golfschläger, einer Schwägerin oder einem Ozean zeigten. Lobende Begleitschreiben wurden massenhaft vorbereitet. Freiexemplare wurden gestapelt, adressiert an die Kritiker unzähliger Zeitungen und Zeitschriften. Der große Termin war der 15. April. Am vierzehnten herrschte Atemlosigkeit in den Büroräumen, und in der Vertriebsabteilung warfen die Angestellten nervöse Blicke auf die leeren Flächen, die für die Bücherstapel vorgesehen waren, und zu den leeren Schaufenstern, wo drei fachkundige Dekorateure den ganzen Abend das Buch in Rechtecken, Bergen, Haufen, Kreisen, Herzen, Sternen und Parallelogrammen arrangieren sollten. Am Morgen des 15. April um fünf vor neun fiel unsere Chefstenographin Miss Jordan vor lauter Aufregung ohnmächtig meinem Juniorpartner in die Arme. Um Punkt neun erwarb ein alter Herr mit altmodischem Backenbart das erste Exemplar von Die Aristokratie der Welt des Übersinnlichen. Das große Buch war auf dem Markt. Drei Wochen danach beschloss ich, mich nach Joliet in Ohio zu begeben und Dr. Harden aufzusuchen. Es war ein Fall von Mohammed (oder war es Moses?) und dem Berg. Er war ein scheuer, in sich gekehrter Mensch; man musste ihm gut zusprechen, ihm gratulieren, eventuellen Avancen der verlegerischen Konkurrenz zuvorkommen. Ich wollte alles tun, um mir sein nächstes Buch zu sichern, und in dieser Absicht nahm ich mehrere sorgsam aufgesetzte Verträge mit, die ihm für die nächsten fünf Jahre unangenehme finanzielle Probleme ersparen würden. Wir verließen New York um vier Uhr. Bei Geschäftsreisen pflege ich ein halbes Dutzend Exemplare meines Spitzentitels einzustecken und sie ganz zufällig den intelligenter wirkenden Mitreisenden zu leihen in der Hoffnung, neue Leserkreise für das Buch zu gewinnen. Bevor wir Trenton erreichten, blätterte eine Dame mit Lorgnette in ihrem Privatabteil misstrauisch in ihrem Exemplar, der junge Mann, der die andere Hälfte meines Abteils innehatte, war völlig in die Lektüre seines Exemplars vertieft, und ein Mädchen mit rotblonden Haaren und auffallend sanftem Blick spielte auf dem hinteren Vorsatzpapier eines dritten Exemplars Tic-Tac-Toe. Ich döste. Die Landschaft von New Jersey wurde unmerklich zur Landschaft Pennsylvanias. Wir kamen an vielen Kühen und reichlich Wäldern und Feldern vorbei, und zirka alle zwanzig Minuten sah man den immergleichen Farmer in seinem Frachtwagen neben dem Dorfbahnhof seinen Priem kauen und gedankenverloren zu den Fenstern der Pullman-Waggons schauen. Wir waren an diesem Farmer sicher fünfzehn- oder zwanzigmal vorbeigefahren, als mein Nickerchen abrupt beendet wurde, weil ich merkte, dass der junge Mann in meinem Abteil den Fuß auf- und abbewegte wie ein Schlagzeuger im Orchester und leise Ausrufe und Grunzlaute äußerte. Ich war erschrocken, aber auch erfreut, denn ich konnte sehen, dass er sehr ergriffen war, ergriffen von dem Buch, das er mit seinen langen weißen Fingern umklammert hielt – Dr. Hardens Aristokratie der Welt des Übersinnlichen. »Soso«, bemerkte ich leutselig, »das scheint Ihr Interesse geweckt zu haben.« Er sah auf; die Augen in seinem schmalen Gesicht waren von der Art, wie man sie bei zwei Menschentypen sieht: denen, die sich dem Spiritismus verschrieben haben, und denen, die sich vom Spiritismus losgesagt haben. Da er noch immer benommen wirkte, wiederholte ich meine Bemerkung. »Interesse!«, rief er. »Interesse! Großer Gott!« Ich sah ihn aufmerksam an. Ja, er war entweder ein Medium oder einer dieser sarkastischen jungen Männer, die humoristische Geschichten über Spiritisten in Groschenblättchen veröffentlichen. »Eine bemerkenswerte – äh, Arbeit«, sagte er. »Offenbar hat der – Held, wenn man ihn so nennen will, den größten Teil seiner Zeit seit seinem Tod darauf verwendet, seinem Onkel zu diktieren.« Ich konnte ihm nur zustimmen. »Der Wert des Ganzen«, fuhr er fort, »steht und fällt natürlich damit, ob der junge Mann sich dort befindet, wo er zu sein behauptet.« »Selbstverständlich.« Ich war ratlos. »Der junge Mann muss sich im – im Paradies befinden und nicht – nicht im Fegefeuer.« »Ja«, stimmte er nachdenklich zu, »es wäre peinlich, wenn er im Fegefeuer wäre oder – noch peinlicher – an einem ganz anderen Ort.« Das ging mir langsam zu weit. »Es gab nichts im Leben des jungen Mannes, was vermuten ließe, dass er sich in – in –« »Natürlich nicht. Die Gegend, auf die Sie anspielen, war mir gar nicht in den Sinn gekommen. Ich sagte nur, es wäre peinlich, wenn er im Fegefeuer wäre, und noch peinlicher, wenn er woanders wäre.« »Und wo, Sir?« »Zum Beispiel in Yonkers.« Das ließ mich zusammenfahren. »Wie?« »Wenn er sich nämlich im Fegefeuer aufhielte, dann hätte er einen Fehler gemacht, wenn er aber in Yonkers wäre –« »Mein lieber Mann«, rief ich ungehalten, »was für eine Verbindung soll es denn zwischen Yonkers und der Aristokratie der Welt des Übersinnlichen geben?« »Keine. Ich wollte nur sagen, wenn er in Yonkers wäre –« »Er ist aber nicht in Yonkers.« »Nein, ist er nicht.« Er...