E-Book, Deutsch, Band 1, 170 Seiten
Reihe: Blutrot
14 Autoren. 30 Tote. Eine Stadt.
E-Book, Deutsch, Band 1, 170 Seiten
Reihe: Blutrot
ISBN: 978-3-95865-582-9
Verlag: 110th
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Stephan Hähnel: Drehbuchautor und Schriftsteller. Seit 2005 sind vier Bände Mörderischer Kurzgeschichten entstanden. Neben der Krimilesebühne des Syndikats 'Wortmotive', zeichnet er verantwortlich für die Wohnzimmerlesungen 'Tatort-Wohnzimmer'. www.stephan-haehnel.com Horst Bosetzky (-ky), geboren 1938 in Berlin, em. Soziologieprof. Seit 2000 Vorsitzender des VS Berlin, 2005 Bundesverdienstkreuz. Neueste Veröffentlichungen Kempinski erobert Berlin, Promijagd, Bücherwahn, Rumbalotte und (mit Jan Eik) Am Tag, als Walter Ulbricht starb (alle 2010). www.horstbosetzky.de Kai Hensel, geboren 1965 in Hamburg. Lebt als freier Autor und Reisejournalist in Berlin. www.kiepenheuer-medien.de Jochen Senf, geboren am 6. Januar in 1942 Frankfurt a.M. Studium Germanistik/Romanistik. Examen 1968. 1969-1978 Dramaturg beim Saarländischen Rundfunk. Danach freischaffend als Schauspieler/Autor. 1987-2005 Tatortkommissar Max Palu beim SR. Viele andere TV-und Filmrollen. Theater. Schreibt Krimis, Kurzgeschichten, Drehbücher, Hörspiele. Lebt in Berlin. Ulrike Bliefert, geboren 1951. Studierte Germanistik, Anglistik, Theaterwissenschaften und Schauspiel. Sie arbeitet als TV-/ Filmschauspielerin + Hörfunksprecherin. 2006 beendete sie ihre Tätigkeit als Drehbuchautorin und schreibt seitdem ausschließlich Prosa. www.ulrikebliefert.de Michel Birbæk, Schriftsteller, Drehbuchautor, Kolumnist. In Kopenhagen geboren, in Köln am Leben. www.birbaek.de Andrea Vanoni, Studium der Literaturwissenschaften, Assistentin am Wiener Burgtheater, Dramaturgin am Kieler Opernhaus. Nach 'Totensonntage' (Reclam), 'Im Herzen rein' + 'Seelenruhig' erscheint ihr 4. Roman mit dem Titel 'Unschuldig' beim Diana Verlag. Sie arbeitet seit über 10 Jahren als Agentin für Drehbuchautoren, Regisseure + Kameraleute. www.etzundwels.de Vincent Kliesch, zahllose Auftritte als Stand-Up-Comedian u.a. im Quatsch Comedy Club und bei Nightwash. Seit 2008 Moderator im Filmpark Babelsberg. www.vincent-kliesch.de Sebastian Fitzek wurde 1971 in Berlin geboren. Gleich sein erster Psychothriller Die Therapie eroberte die Taschenbuch-Bestsellerliste, wurde als bestes Debüt für den Friedrich-Glauser-Preis nominiert und begeisterte Kritiker wie Leser gleichermaßen. Darauf folgten die Bestseller Amokspiel, Das Kind, Der Seelenbrecher, Splitter und Der Augensammler. Seine Bücher wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt, darunter auch in den USA und England. www.sebastianfitzek.de Lothar Berg, geboren am 23. Januar 1951 in Witten an der Ruhr. Ist freier Autor seit 2001. Er schreibt Krimis, Drama und Comedy, zeichnet verantwortlich für diverse Inszenierungen + Regie für Bühne und Film, hält Lesungen. Christoph Spielberg, lebt als Arzt + Autor in Berlin. Der 1. Band seiner Kriminalromane um den Krankenhausarzt Dr. Hoffmann wurde mit dem Friedrich-Glauser-Preis für das beste Debüt ausgezeichnet. 2005 gewann er den Agatha- Christie-Krimipreis. Lena Blaudez, studierte Volkswirtschaft + Internationale Entwicklungspolitik. Heute lebt sie als freie Journalistin und Autorin in Berlin. Oliver Bottini, 1965 in Nürnberg geboren. Für 'Mord im Zeichen des Zen' + 'Im Sommer der Mörder' erhielt er den Deutschen Krimipreis. Viktor Iro, promovierte in Kulturwissenschaft. War Dozent in Budapest. Unterrichtet kreatives Schreiben.
Autoren/Hrsg.
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Oliver Bottini Das mit dem Psychiater, das war ein Rat von Holg. Geh mal zum Psychiater, hatte er ungefähr ein Jahr vor dem Exitus gesagt. Erleichtert die Seele, man kommt mit sich ins Reine, weißt du. All die toten Pappnasen, beim Psychiater kann man sich die von der Seele reden, und das ist dann wie neu anfangen. Ich will nicht neu anfangen, Holg, hatte ich gesagt, hab einen Horror vor neu anfangen, und auf meine Scheißseele passen noch jede Menge Pappnasen. Ich mein ja nur, hatte Holg gesagt, wenn 's mal so weit ist, geh zum Psychiater. Darfst nur nicht vergessen, ihn hinterher auszuknipsen, vorgetäuschter Selbstmord ist gut. Wenn sich so ein Psychiater in der Badewanne ertränkt oder die Pulsadern aufschneidet, stellt keiner Fragen. Ist doch klar, dass die all die kaputten Mandanten nicht ewig ertragen, irgendwann geht jeder Psychiater in die Wanne. Und, hatte ich gesagt, wie viele Psychiater hast du schon ins Wasser gelegt? Ach, so einige, hatte Holg gesagt, und ich hatte gesagt: Erklärt die hohe Selbstmordrate bei Psychiatern, und wir hatten gelacht. Hätte ich mal lieber genauer hingehört stattdessen. Ein Jahr später wurde Holg beim BKA vorstellig und sang sich all das von der Seele, was seine Psychiater drauf gelassen hatten, und ich musste ihn ausknipsen. Aber das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls, das mit dem Psychiater, das war ein Rat von Holg. „Ich bin kein Psychiater“, sagte mein Psychiater. Ich tastete nach dem Hattori HD-11 Carving 240 Millimeter-Messer. „Nein?“ „Ich bin Psychoanalytiker, Psychotherapeut, Verhaltenstherapeut und Familientherapeut, außerdem Familienmediator.“ „Scheißangeber“, sagte ich. „Profineurose, was?“ Mein Psychiater schwieg. Er hatte einen grauen Vollbart und lange graue Haare und war um die Sechzig, und an seinem grauen Gesicht konnte man erkennen, dass er mit der Welt fertig war. Er sah aus, als hätte er 1995 zum letzten Mal durchgeschlafen und sich am liebsten auf seine beschissene Couch gelegt und bis Ostern geschnarcht. Der Kerl war weniger ein Mensch als ein fusseliges Relikt aus den 70ern, ein ranzig gewordenes 70er- Jahre-Weichei, aus jedem Scheißbarthaar troff ihm Sanftmut- und Verständnisglibber auf die Strickjacke. „Friseur wär mal fällig“, sagte ich. „Sieht scheiße aus.“ Er lächelte, deutete auf die Couch. „Wollen Sie jetzt?“ „Hab vor sechzehn Jahren mit dem Liegen aufgehört, mein Problem wird im Sitzen gelöst, klar?“ Der Vollbarturwald bewegte sich leicht, ein Ton kam nicht raus. „Reden Sie“, sagte ich. Er schwieg. „Ich hör nichts.“ „Ich habe nichts gesagt.“ „Na, dann sagen Sie was.“ Er schwieg. „Wie wollen Sie mein beschissenes Problem lösen, wenn Sie das Maul nicht aufbekommen?“ Die trüben Kifferaugen starrten mich an, als hielten sie mich für eine strippende Nonne. In Zeitlupe nahm er ein Notizheft vom Tisch neben sich und begann zu schreiben. Quietschquietsch, machte der 70er-Jahre-Füllfederhalter, als hätte man einem Eunuchen eine rostige Drahtschlinge um den Hals gelegt. Was für ein beschissener Einfall hierherzukommen, dachte ich, leg den Schmuddelgreis gleich in die Wanne und ruf die Telefonseelsorge an, die quatschen wenigstens. Das Problem war nur: Der hatte keine Wanne. Hier in der Kanzlei Handwaschbecken und Klo, oben in der Wohnung Duschkabine. Wie soll man einen ins Wasser legen, der in der Duschkabine badet? Und wer ersäuft sich in einem Waschbecken oder im Klo? Holgs Ratschläge. Holg, unsere Ikone. Der Meistermörder. Entpuppte sich posthum als der beschissenste Ratgeber, den man sich vorstellen konnte. „Reden Sie endlich, Scheißvollbartträger“, sagte ich. Die nikotingelben Finger stoppten, die Kifferaugen starrten, das Gemüsegehirn arbeitete. Dann fing er wieder an zu schreiben. Zweimal verheiratet, zweimal geschieden, keine Kinder. Drei Schwestern, keine Brüder, deswegen hatte ich ihn genommen. Bei Söhnen und Brüdern weißt du nie, vor allem hier in Kreuzberg, wo jeder Mann ein halber Türke ist, selbst ein Psychiater. Am Ende hast du einen hysterischen Hinterbliebenen am Hals, der Blutrache geschworen hat, und kannst dich nur noch in Scheißmarzahn oder Dahlem rumtreiben, weil dir halb Kreuzberg an den Arsch will. Um neun Uhr morgens trank er Espresso im Cuccuma in der Zossenerstraße, um eins aß er im Atlantic in der Bergmannstraße, um fünf trank er Weißwein im Molinari in der Solmsstraße. Abends stieg er hin und wieder in mottenzerfressenes Wildleder und ging in den Swingerclub Ecke Gneisenaustraße und hockte an der Bar und glotzte. Aber einen Ruf hatte der! Er hätte selbst Jack the Ripper therapiert, hatte vor ein paar Wochen ein Charlottenburger Internist gekrächzt, die Drahtschlinge um den Hals, der macht aus Ihnen einen neuen Menschen! Söhne? Brüder? Hunde? Nein! Allein! Dann hatte das Gefeilsche begonnen, ich verschaffe Ihnen Privatsitzungen bei ihm, kostet Sie keinen Cent, wenn Sie mich nur am Leben blablabla. Aber das Geld ist nicht das Problem, verstehen Sie? Die Scheißidentität ist das Problem. „Wenn wir in dem Tempo weitermachen“, sagte ich, „sitzen wir in zehn Jahren noch hier, und mein Problem hat Wurzeln geschlagen, und Sie kriegen es nie aus mir raus.“ Er schwieg und schrieb und lächelte. „Was krakeln Sie da? Hab ich was Interessantes gesagt?“ „Oh …“, sagte er und lächelte und schrieb weiter. „Schwachkopf.“, sagte ich und dachte wieder, was für eine beschissene Idee, hätte ich mal nicht auf Holg gehört. Außer ihm hatte keiner von uns gute Erfahrungen mit Psychiatern gemacht. Marie hatte erzählt, dass sie nur einmal im Leben richtig Angst hatte, als sie nämlich wegen einer Depression bei einem Psychiater lag und der Psychiater hinter ihr immer mit irgendwelchen Papieren raschelte und sie vor Angst halb wahnsinnig wurde. Sie knipste den Psychiater aus, weg waren die Angst und die Depression. Und Ratibor hatte immer gesagt: Nur Gott darf mehr über dich wissen als du selbst. Das Quietschen hörte auf. „Warum sind Sie hier, Karl-Heinz?“ „Keine Namen, klar?“ „Mögen Sie Ihren Namen nicht?“ „Welchen?“ „Karl-Heinz.“ „Keine Namen, Sie Schmock!“ Er schwieg und schrieb. Die Notizen, dachte ich, vergiss bloß die Notizen nicht, wenn du ihn ins Klo gelegt hast. Am besten frisst du sie, ein 70er-Jahre-Füllfederhalter schreibt für die Ewigkeit, verbrennen hilft da nicht. Das war wie mit Pink Floyd, hielt auch für die Ewigkeit, vor allem „Careful with that Axe, Eugene“. „Also, Kar… Herr … Warum sind Sie hier?“ „Na, weil Sie Psychiater sind.“ „Und warum wollten Sie einen … Psychiater aufsuchen?“ „Finden Sie 's raus, ist doch Ihr Job.“ „Helfen Sie mir.“ „Für hundert Euro die Stunde gern.“ Ein honigsüßes Lächeln, die Äuglein glänzten voller Liebe. Wenn der eine Tochter gehabt hätte, dann hätte er sie mir spätestens jetzt geschenkt. „Was machen Sie beruflich?“ „Das wollen Sie nicht wissen.“ „Oh doch, sehr gern.“ Ich zuckte die Achseln. „Hat was mit Menschen zu tun“ Schweigen. „Sie arbeiten also mit Menschen.“ „Ich bearbeite sie.“ „Und das macht Ihnen Spaß?“ „Irgendwas muss man tun.“ „Arbeiten Sie gern mit Menschen?“ „Bei Hunden wird nicht so gut gezahlt.“ „Sie mögen Menschen nicht, habe ich recht?" „Drei mochte ich.“ „Mochte?“ „Sind weg.“ „Freunde?“ „Kollegen.“ „Haben sie Namen?“ Scheiß drauf, dachte ich, unter der Erde ist unter der Erde. „Holg, Ratibor und die Marie.“ „Warum sind Holg, Ratibor und die Marie weg?“ Ich zuckte die Achseln. „Holg hat die Marie ausgeknipst, und dann hab ich Holg und Ratibor ausgeknipst.“ „Ausgeknipst?“ „Entfernt.“ „Aus Ihrem Leben.“ Ich nickte. Allmählich verstanden wir uns, mein Psychiater und ich. „Aus ihrem und meinem.“ Ich lachte. „Warum?“ „Darum.“ Er schwieg, die Brauen gerunzelt, jetzt sah er fast ein bisschen streng aus. Scheiß drauf, dachte ich, er landet sowieso im Klo. „Es gab Probleme. Verrat. Standesehre. Kausale Zusammenhänge. Bist du einer von uns, hältst du das Maul. Verpfeifst du einen von uns, wirst du ausgeknipst.“ „Entfernt." „Yup.“ Mein Psychiater nickte und klappte das Notizbuch zusammen. Auf seiner Stirn stand Schweiß, als hätte er eine Nachtschicht in der Kohlegrube hinter sich. „Problem gelöst?“ Er lächelte erschöpft....