Wissenschaftsgeschichte
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-8312-5599-3
Verlag: Komplett-Media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Wir fragen uns oft, was neu und zu wenig, was gut ist. Die gefährliche Idee des Fortschritts kam mit Descartes, Kepler und Galilei in die Welt.
Ob Atom, Energie, Entropie, Gene oder Raumzeit. Ernst Peter Fischer stellt 10 Kernthemen aus Physik und Biologie vor.
WELCHE NATURWISSENSCHAFT BRAUCHT DER GEBILDETE MENSCH?
Die Antwort hängt davon ab, was man unter Bildung versteht. Wenn Bildung die Form ist, die Kultur in einem Individuum annimmt, lautet die nächste Frage, in welcher Kultur wir leben. Die Antwort ist einfach. Wir leben in einer Kultur, deren Gegenwart von der Wissenschaft und ihren Auswirkungen geprägt wird.
ALS DAS NEUE NOCH NEU WAR
Jeder Fortschritt wurde dabei als menschlicher Fortschritt angesehen. Dieser Gedanke war vor vierhundert Jahren neu und wichtig. Er ist inzwischen alt und riskant.
Wer zum Beispiel heute noch in der Wirtschaft Innovation und Wachstum verknüpft, wie aktuell geschieht, ist ein Selbstmord-Attentäter.
GROSSE IDEEN DER WISSENSCHAFT
Die genannten Ideen werden auf ebenso prägnante wie elegante Weise vorgestellt, wobei deutlich wird, dass die Naturwissenschaften zugleich grandios sind, aber auch geheimnisvoll bleiben. · Das Atom · Das Quantum · Die Energie · Die Entropie · Die Evolution · Die Gene · Die Zelle · Die Information · Die Raumzeit · Komplementarität
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ALS DAS NEUE NOCH NEU WAR
Als die moderne Wissenschaft in Europa geboren wurde – im frühen 17. Jahrhundert –, sprachen ihre Pioniere – der Engländer Bacon, der Deutsche Kepler, der Italiener Galilei, der Franzose Descartes – davon, dass sie etwas Neues machen würden. Sie hatten die Idee des Fortschritts entdeckt, der zufolge die Zukunft besser werden kann als die Vergangenheit. Dies gelingt den Menschen, wenn sie das Wissen erwerben, das uns Macht über die Natur gibt. Jeder Fortschritt wurde dabei als menschlicher Fortschritt angesehen. Dieser Gedanke war vor vierhundert Jahren neu und wichtig. Er ist inzwischen alt und riskant. Wer zum Beispiel heute noch in der Wirtschaft Innovation und Wachstum verknüpft, wie aktuell geschieht, ist ein Selbstmord-Attentäter. Wir fragen zu oft, was neu, und zu wenig, was gut ist. Wir leben in einer Welt, die das Neue liebt, die das Neue umschwärmt und das Neue gerne kauft. Läden werben mit einer Neueröffnung, es gibt neue Musik zu hören und neue Filme zu sehen. Insgesamt hat man den Eindruck, dass es darauf ankommt, dass wir viele Neuigkeiten und vieles Neue um uns haben. Ich möchte heute davon erzählen, dass es mal eine Zeit gegeben hat, als das Neue wirklich neu war, und dass das Neue heute eher etwas Altes ist. Dass überhaupt ein Problem mit dem Neuen besteht, wenn wir uns auf das Neue konzentrieren. Wenn nur das Neue zählt, dann wächst eigentlich nur das Alte, denn das was neu ist, ist in dem Moment, wo es da ist schon wieder das Alte. Dann muss ich also wieder etwas Neues haben, das heißt, wenn ich nur auf das Neue achte, bekomme ich nur Altes. Bei all den vielen Fragen weiß ich gar nicht, ob das Neue auch gut ist, ob es überhaupt geeignet ist. Mir wäre lieber, wir würden auf das Gute achten und nicht auf das Neue. Wie kann ich das tun? Wie kann ich mich absetzen? Noch verehren wir das Neue. Wir sprechen gerne von einem neuen Tag, manchmal auch von einer neuen Zeit und merken gar nicht, dass die Zeit gar nicht anders kann, als neu zu sein. Sie ist ja weitergelaufen, sie ist jetzt neu. Morgen ist ein neuer Tag, dann gibt es eine neue Zeitung, und was ich sage, ist jetzt auch schon wieder neu. Das ist einfach aufgrund einer zeitlichen Abhängigkeit, ohne etwas Besonderes zu sein. Innovation
Der Gedanke wird nicht besser, wenn wir ihn in die spätlateinische Form der Innovation überführen. Innovation gilt heute als der Maßstab aller Dinge. Menschen preisen sich an, dass sie innovativ sind, Firmen preisen sich an, dass sie innovative Produkte haben, die Arzneimittelindustrie sagt, sie hat tausend innovative Medikamente im Jahr. Ich glaube das alles gar nicht. Ich denke, man sollte vorsichtiger sein mit dem Wort, mehr auf das qualitative Andere achten und nicht nur auf die Neuartigkeit. Zum Beispiel ist es unsinnig, von innovativen Modellen bei Autos oder innovativen Laptops zu sprechen. Der Laptop, das war eine Innovation, der Computer, das ist eine Neuigkeit. Ein Auto, das Auto überhaupt zu haben, das ist neu. Aber jedes Automodell ist keine Innovation. Man sollte versuchen, die Inflation dieses Begriffes wegzulassen. Man sollte versuchen, sich auf das zu konzentrieren, was man braucht, was nützlich ist, was in dem Sinne das Gute ist. Insofern bin ich skeptisch und eher kritisch eingestellt, wenn zu viel vom Neuen die Rede ist. Trotzdem, es gab mal eine Zeit in unserer Geschichte, in der das Neue Sinn gemacht hat. Über diesen Zeitpunkt und die Bedeutung dieses Zeitpunktes möchte ich erzählen. Begriff des Neuen
Den Begriff des Neuen hat es in unserer Kultur schon sehr früh gegeben. Wir kennen alle das Neue Testament, das ist natürlich teils geschichtlich gemeint, indem man eine neue Botschaft für den neuen Menschen gemacht hatte, einen Neuen Bund mit Gott einging. Aber davon möchte ich auch nicht sprechen, das ist eine eigene Komplikation. Wir sind in einer säkularen Welt, in der es auf das Wirtschaftliche ankommt, auf das Ökonomische. Und die Ökonomie hat tatsächlich die Innovation für uns entdeckt. Vor cirka 100 Jahren hat der Nationalökonom Josef Schumpeter entdeckt, dass die Wirtschaft, um die Lebensweise, an die wir uns gewöhnt haben, weiter produzieren, wachsen muss. Wie wächst Wirtschaft? Indem sie neue Produkte schafft. Mit anderen Worten, wir brauchen Innovationen, um wirtschaftliches Wachstum zu erzielen. Innovationen und Wachstum das sind die Schlagwörter. Schumpeter konnte im 19. Jahrhundert auch sehen, wo das hergekommen ist. Denn das Wachstum, zum Beispiel der deutschen Industrie beim Ausgang des 19. Jahrhunderts, ist vor allen Dingen dadurch möglich geworden, dass man die Wissenschaft in die Industrie geholt hat, Laboratorien eingerichtet hat, so dass neue Ideen zu neuen Produkten und dann zu wirtschaftlichem Wachstum geführt haben. Innovation und Wachstum, das ist die Verbindung. Die Suche, die Sehnsucht nach dem Neuen ist insofern berechtigt, als dass wir uns weiter im wirtschaftlichen Wohlstand aufhalten und wohl fühlen wollen. Dieser Gedanke, dass das Neue für Wachstum sorgt, dass sozusagen immer etwas Neues in die Welt gesetzt werden muss, der entspringt ganz selbstverständlich einer Industriegesellschaft, die sich ausbreitet, die größer werden und zunehmen muss. Dem entgegen steht der uralte Gedanke, den man aus der Bibel kennt, aus den Sprüchen des Predigers Salomon: „Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“ Das entspricht dem Denken der Agrargesellschaft. Wir müssen versuchen herauszukriegen, wie wir diesen Gedanken, „dass es nichts Neues unter der Sonne gibt,“ ausgetauscht haben gegenüber dem Gedanken, dass wir „nur Neues unter der Sonne“ brauchen. Mitten drin hat es den Gedanken der Evolution gegeben. Der große Evolutionsbiologe Konrad Lorenz hat auch deswegen den Spruch von Salomon dahingehend abgewandelt, dass es „nichts Altes unter der Sonne“ gibt. Jedenfalls nicht im Rahmen der Evolution. Da ist Nichts schon einfach da gewesen. Mit der Evolution haben wir einen natürlichen Prozess, der Neues hervorbringt. Neue Arten, neue Lebensformen und dann auch ganz neue Bedingungen, unter denen Leben existieren kann. Es ist vielleicht interessant zu überlegen, wie es die Evolution schafft, Neues zu produzieren. Wir werden am Ende darauf zurückkommen. Das tatsächlich Neue
Jetzt müssen wir aber zu dem Thema kommen, auf das ich mich eigentlich konzentrieren möchte, nämlich die Frage: „Wie ist das Neue in unserer gesellschaftlichen Entwicklung in die Welt gekommen? Wann ist das Neue tatsächlich neu gewesen? Man kann die Frage auch anders stellen: Wann hat sich der Übergang von der agrarischen Gesellschaft, in der es nichts Neues unter der Sonne gab, zu einer Industriegesellschaft vollzogen, die nach Neuigkeiten strebt? Meiner Ansicht nach kündigte sich das zu Beginn des 17. Jahrhunderts an, durch die Entwicklung in Europa, die ich gerne als Geburt der modernen Wissenschaft bezeichne. Etwa zu Beginn des 17. Jahrhunderts, zwischen 1600 und 1620, vor rund 400 Jahren, entsteht in Europa in vielen Ländern die Idee, die wir heute Wissenschaft nennen wollen und diese Idee verbindet sich mit der Benutzung des Wortes „NEU“. Gemeint ist zum Beispiel der Engländer Francis Bacon, der ein Buch schreibt das „Novum Organum“ heißt, das „Neue Werk“, mit dem er eine neue Zeit anzukündigen versucht. Im selben Jahr, in derselben Zeit schreibt der aus Württemberg stammende Johannes Kepler sein Buch über die Himmels-Gründe. Er nennt sein Werk die neue Astronomie, „Astronomia nuova“. Zur gleichen Zeit entwickelt in Italien Galileo Galilei sein „System der neuen Wissenschaft,“ wie er es nannte. Er führte einen Disput darüber. Und etwas später in Frankreich entwickelt René Descartes „die neue Methode der Wissenschaft.“ Plötzlich überall, quasi inflationär, der Gebrauch des Wortes „Neu“. Wir müssen nun überlegen, was wirklich neu war, damals, als das Neue neu war, was der Grundgedanke ist, der hinter dieser wissenschaftlichen Entwicklung steht, der meiner Ansicht nach das Leben bis in die heutige Gegenwart ganz entscheidend und maßgeblich beeinflusst. Wenn man fragen will, was tatsächlich damals neu war, dann kann man am einfachsten mit der Kurzfassung der Ideen von Francis Bacon antworten, der sie zum ersten Mal 1596 formuliert hat: „Wissen ist Macht.“ Bacon drückt damit aus, dass wir Macht über die Natur gewinnen müssen, um den Menschen zu helfen, von denen er merkt, dass es ihnen schlecht geht. Man kann das auch so zusammenfassen, dass damals die Idee auftaucht, dass es notwendig ist, die Bedingungen der menschlichen Existenz zu erleichtern. Neu ist in dieser Zeit, dass das geht. Neu ist, dass man sozusagen durch Einsatz von Wissen, durch Erwerb von Wissen, diese Lebensbedingungen verbessern kann. Das kann man auch so ausdrücken, dass Fortschritt möglich ist. Idee des Fortschritts
Man kann sehr wohl definieren, was in dem Fall Fortschritt heißt. Fortschritt ist mehr Macht, mehr Einflussnahme auf die Natur, mehr Vorhersagefähigkeit. Was wirklich neu war, als das Neue entdeckt wurde, war die Idee des Fortschrittes. Die Idee des Fortschrittes heißt, dass die Menschen glauben oder davon ausgehen, optimistisch denken, dass die Zukunft besser werden kann als die Vergangenheit war oder die Gegenwart ist. Und die Zukunft kann besser werden durch ihre eigene Tätigkeit, durch das Anwenden ihrer eigenen Rationalität,...