E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
E-Book, Deutsch, 200 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-2154-7
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Dem Mimen flicht
die Nachwelt keine Kränze
Zwei Serien, eine eigene Talkshow. Von hundert auf null. Plötzlich … alles weg! Die Quoten erweisen sich weniger wert als das Papier, auf dem sie stehen. Alles fremd geworden! Keiner, der noch bremst. Wo bin ich hier? Im Nichts? Auch dort bin ich offensichtlich vergessen. Abgeschossen. Wie üblich das Haus doch verlassen, privatinvestigativ der Frage auf der Spur: »Wie oft noch – wann ist Schluss?« Dann letzte wilde Träume aus dem Bereich der Sexualität, die ich in bemerkenswerter Keuschheit an mir vorüberziehen ließ … Zweikampf zwischen Experiment Leben und Existenz Tod. Ich tanzte auf dem Seil, zu überheblicher Verzicht aufs Netz. Doch dann war ich zu schwach, den »Selbstversuch Weiterleben« bei vollem Bewusstsein rechtzeitig abzubrechen. Jetzt liege ich hier, schaue auf einen Spiegel in der Tür in etwa Briefbogengröße. Dahinter ein Schwenkarm mit Kamera, ständig auf mich gerichtet! Was soll die versteckte Kamera? Verstehen Sie Spaß? Kamera, hinter dem venezianischen Spiegel? Überhaupt ein Spiegel, der falsch herum hängt, dass man alles Verborgene sehen kann … wie sie mich anglotzt – pausenlos? … Die einäugige Sau, die mich ein halbes Leben jeden Tag neu ins Hamsterrad getrieben hat … Warum werde ich hier in diesem Raum ständig gefilmt? Glauben sie wirklich, ich merke das nicht? Will mich jemand weichkochen, mir die versaute Karriere ins Gesicht schlagen? Vernichtung durch Züchtung von Verzweiflung? Warum und wie bin ich in die Klinik hier gekommen? Galgen über meinem Bett, festgebunden, den Penis mit einem Schlauch verlängert, tut nicht weh, ist aber lästig. Infusionsständer und -flasche, Nadel im Arm. Konspirative Fachgespräche über mich, als sei ich nicht mehr da. Befremdlich das eigenartige Gefühl, aus dem Verkehr gezogen zu sein und nicht zu wissen, von wem. Es kommen mir Menschen in den Sinn mit migrantischem Hintergrund und das Gefühl des Fremdseins in einer Welt ohne Asyl. Und die bange Frage, ein Problem schon für Umberto Eco: Wem bin ich bei dieser Verschwörung ausgeliefert, wenn schon der Griff zum juckenden Skrotum ein Problem, wenn der eigene Sack nicht berührt werden kann? Ich bin festgebunden. Bin ich schon im Jenseits? Wehrlos? Ich weiß nicht, wie lange ich schon liege. Ist eine Ewigkeit per omnia saecula saeculorum schon vorbei? Dann kommen weiß bekleidete Männer und Frauen, Migranten der Pflege, es ginge nicht ohne sie. Wollen das Datum wissen, immer wieder das heutige Datum. Und immer dieser stechende Durst. Dann sehe ich das Schild TRINKSPERRE! Kaum haben diese weiß uniformierten regulären Truppen des Gesundheitswesens die Kammer verlassen, beziehen die Partisanen der virtuellen Kriegsführung die Stellungen. Sobald die Tür von außen zugemacht wird, quellen von allen Seiten, aus allen Löchern, Figuren. Schlangen, lebendig werdende Menschenähnliche, sogar aus den Vorhangschienen und Bohrlöchern. Bedrohliche Wesen, machen Räume und Wege dicht, ekelhaftes Gewürm, Bodentruppen der Halluzinationen. Guerilleros nehmen Besitz von der ganzen Kammer. All das Herumliegende, Hängende, sich Bewegende bekommt konkrete Gesichter, die dich spöttisch bis mokant anschauen. Feindlich! Der Wasserhahn wird zum Schlangenkopf. Was bis jetzt ein seelenloses weißblaues Frottee-Badetuch war, ist ab sofort eine dich andauernd impertinent anglotzende Mutter Teresa. Und um dich herum steht ein Wachsfigurenkabinett aus Klamotten. Du spürst sie erst, wenn die Tür aufgeht und sie alle verschwinden, dabei fast den Penis dir rausreißen und plötzlich auf einen Schlag wieder zu Handtüchern und Waschlappen werden, sich aber, kaum ist die Gefahr vorbei, genauso gebärden wie vorher. Du liegst in der eigenen Stellung im Kessel. Die Belagerer am Kesselrand. Um dich herum: Kleidungsstücke. Sie mutieren optisch, gehen auf dich zu, lassen dich in dem Glauben, näher zu kommen, ohne sich wirklich zu bewegen. Mustern dich mit spöttischen Blicken. Ist das ein groß angelegter Coup, mich unmündig erklären zu lassen? Unfähig, mich zu rühren, werde ich medikamentös für die feindliche Übernahme in die Unzurechnungsfähigkeit vorbereitet. Das Handy ist noch da. Rufe bei der Bank an – lasse alle Konten sperren … Kurz drauf kommt einer und nimmt mir das Handy weg. Abgehört werde ich also schon. Schlafe ein und träume von Leuten, die um mich herum ständig ans Bier gelangen. Ich erwische nur leere Gefäße. Immer wenn ich kurz davor bin, ein Getränk zu erhaschen, passiert etwas, und ich dürste weiter. Leben ist kein Traum, ist ein Traumgelände, besteht aus vielen Häusern, Zimmern, Plätzen und Wegen, Unterführungen, Brücken, Straßen und Gleisen. Höhere Instanzen stoßen uns in verschiedene Räume oder stupsen uns auf Wege mit unbekanntem Ziel. Je weiter wir uns nach der Geburt entfernen, umso mehr wir zuzugestehen glauben, desto mehr trübt sich das Klare und lässt uns auf einem schmalen Grat zwischen hell und dunkel tapsen, immer weniger lichten sich der Jugend Vorhänge. Höre ich irgendwo Blasmusik? Wenigstens weit weg von daheim kann ich nicht sein. Ich sehe mir den Film an, der »Heimat« heißt und Szenen meines Lebens zeigt. Höre mich reden: »… ohne jegliche Übertreibung eine kniende Ameise ausmachen könnte.« Das Handy ist wieder da. Was wollen sie damit herausfinden? Ich rufe die Polizei und den Anwalt an und sage, dass ich entmündigt werden soll. Dann wird mir schlagartig klar, dass ich nur zu retten bin, wenn ich mich normal, absolut normal verhalte, und greife der Krankenschwester in den Schritt. Traumgelände, besteht aus vielen Häusern, Zimmern, Plätzen und Wegen, Unterführungen. Höhere Instanzen stoßen uns in verschiedene Räume oder stupsen uns auf Wege mit unbekanntem Ziel. Die Krankenschwester hat das Handy mitgenommen. So beginnen Filme, die vielleicht »Lebenslinien« oder ähnlich heißen. Solch ein Film des Lebens muss sich ständig entscheiden zwischen Logik oder Wahrheit, Eitelkeit oder Demut. Wahrhaftigkeit oder Glaubwürdigkeit – Zwiebelturm – Blasmusik. Kenner des heimatlichen Traumhauses kennen vor allem die Wege zurück! Jetzt tut sich was: Klappernd das Geräusch einer Jalousie. Um mich herum hat sich alles verändert. Ich bin eingesäumt von Monitoren, Screens, Kabeln, Sticks, auf den Screens bombardiert mich eine fremde Macht mit Beiträgen über mich und mein Leben, da laufen jetzt einige meiner Geschichten. Alles vernetzt. Das alles ermöglicht der Ü-Wagen, in dem ich mich befinde, in meinem Ü-Wagen, der nicht müde wird, alles von mir zu senden. Informationen meinerseits für die Welt, die aufgrund ihrer Fülle zur Desinformation missraten. Und überall, auf allen Monitoren, bin also ich von Hawaii bis Passau ans Bett gefesselt, in der Welt daheim. Der Ü-Wagen und das Netz! Dadurch kann ich dem Vergessenwerden entfleuchen. Jeder, der uns verlassen wird, wird weiterleben in seinen Geschichten, an die man sich erinnert – sei es auch bloß das entscheidende Tor zum Aufstieg in die C-Klasse. Und je mehr dieser Geschichten man hinterlässt, umso länger lebt man im Bewusstsein der Zeitgenossen und der Nachgelassenen. Und sie lassen uns dann pünktlich mit der Geburt im Stich. Ich hab ihn nicht erlebt, den insgeheim ersehnten lebensrettenden Blitzschlag. Die Rettung, in Ausformung eines Weges, der etappenreich ist, aber, frei von der selbstbestimmten Wegweisung, nur eine Richtung kennt: die des heiligen Paulus, obwohl er bis dahin Saulus, der Schlimmste der Hassprediger, gewesen. Bei ihm hat sich das Abwärts verbunden mit einem unausweichlichen Höhenflug. Gott hat uns Menschen jedem einen Autopiloten geschenkt, der Mensch hält das für den freien Willen! München hatte noch einmal voll zugeschlagen – und mir ein vorläufiges Ende bereitet! Höhere Gewalt. Manchmal die Rettung. Ein Erlebnis war es, ähnlich immer wieder geschildert von Süchtigen harter Drogen, die gerade wegen der Niederlage gegen die Drogen die Handschellen seliggepriesen haben, die sie zum Tatort der Konsumation geschafft haben, trotz der daraus resultierenden Gefahr eines Entzugs, notfalls nach den Regeln des Public Viewing, aber final in Aussicht mit einer Coda des Brillierenden der Einsichtsfähigkeit in den Vollzug des Entzugs weitab vom Lippenbekenntnis und mit der Aussichtslosigkeit des breiten Wegs vorm Tor zur Hölle. Einer, der durch die Hölle gegangen ist: 1983 lernte ich Konstantin Wecker kennen. Auf einem lang gehegten Weg des noch nicht erkennbaren Niedergangs. Zielstrebig voran. Leben heißt nicht nur Vernichtung, davor läuft erst einmal der Niedergang, erst süß, dann aber immer saurer, schädlich bis zum ungenießbaren Genuss. Wahre Worte
Wir drehen auf dem Hamburger Fischmarkt. Die Location ist leer und blitzsauber, die Buden sind abgeräumt, man bekommt weit und breit kein Lachsbrötchen, als eine junge Frau sich in einer Weise anschleicht, die man mit »konspirativ unauffällig« umschreiben könnte. Sie kommt jedenfalls...