Eine persönliche Geschichte als Hausmann und Hochschullehrer. Ein Leben für Familie und Wissenschaft
E-Book, Deutsch, 335 Seiten
ISBN: 978-3-8312-5721-8
Verlag: Komplett-Media
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Heutiger Wohlstand, Mobilität, Gesellschaften und individuelle Freiheit wären ohne die Gedanken und Taten von Wissenschaftlern und Technikern nicht denkbar.
Ernst Peter Fischer, Jahrgang 1947, bettet sein Leben in die Entwicklungsgeschichte der Naturwissenschaften der vergangenen Jahrzehnte ein. Transistor, Quantenmechanik, Computer, Internet, die Doppelhelix der DNA sind nur einige der Meilensteine, die unser aller Leben heute bestimmen.
Ernst Peter Fischer: "Die meisten wissenschaftlichen Errungenschaften bleiben unverstanden und unvermittelt. Selbst gebildete Zeitgenossen verstehen die wirksamsten Kräfte, die unser aller Leben bestimmen, weniger als ein mittelalterlicher Bauer die Theologie seiner Zeit".
Fischer ist der Überzeugung, dass die vornehmste Aufgabe des wissenschaftlichen Forschens darin besteht, die menschliche Existenz zu erleichtern. Eben die andere Leichtigkeit des Seins zu schaffen, die Neugier, Staunen und Verantwortlichkeit jedes Einzelnen mit einschließt.
www.der-wissens-verlag.de
Best.-Nr. 10388
ISBN 978-3-8312-0388-8
Lasche links:
Foto (Ausschnitt nehmen: Portrait vom Fischer-Bild IMG_5829) und darunter:
Prof. Ernst Peter Fischer
diplomierter Physiker, promovierter Biologe, habilitierter Wissenschaftshistoriker
apl. Professor für Wissenschaftsgeschichte an der Universität in Konstanz;
freie Tätigkeiten als Wissenschaftsvermittler und Berater, unter anderem für die Stiftung Forum für Verantwortung; in dieser Funktion Herausgeber (gemeinsam mit Klaus Wiegandt) von "Mensch und Kosmos" (2004) und "Die Zukunft der Erde" (2006). Autor zahlreicher Bücher: Werner Heisenberg - Das selbstvergessene Genie, (2001), Die andere Bildung (2001), Das Genom (2002), Einstein, Hawking, Singh und Co. (2004), Die Bildung des Menschen (2004), Einstein für die Westentasche (2005), Einstein trifft Picasso und geht mit ihm ins Kino (2005), Schrödingers Katze auf dem Mandelbrotbaum (2006)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Das erste Jahrzehnt (1947–1956)
Nachkriegszeit Aus meinem Leben In meiner konkreten ersten Erinnerung unternehme ich einen Wettlauf mit meiner Mutter. Sie lacht dabei fröhlich und ermutigt mich, wie so oft. Es ist Sonntag, es geht bergauf, und wir spurten gemeinsam mit meinem älteren Bruder durch einen Wald, um zu dem Parkplatz zu kommen, an dem unser Auto – ein beigefarbener Zweitakter der Marke Goliath – steht. Zu meiner Überraschung habe ich bei dem Rennen keine Chance. Meine Mutter kommt vor mir an dem Wagen an, in dem mein Vater auf uns wartet. Er ist stark behindert und ständig auf Unterstützung angewiesen. Wir müssen ihm zu dritt helfen, wenn er das Auto verlassen will, um ein wenig spazieren zu gehen. Leider richten an diesem Tag – wie so oft – viele Gaffer ihren Blick auf ihn und seine Mühen. Mein Vater will aber nicht angestarrt werden. Er verliert die Lust und will nur noch abfahren. Dabei wollte ich ihm doch zeigen, wie schnell ich inzwischen laufen konnte. Meine zweite Einzelerinnerung lässt sich zeitlich genauer festlegen. Es ist wieder ein Sonntag. Meine Mutter geht mit ihren beiden Söhnen durch merkwürdig leere Straßen. Es ist still, aber es bleibt nicht lange so. Plötzlich vernehmen wir von überall her Lärm und Jubel, wenn auch nur kurz. Die Menschen feiern fröhlich einen Sieg. Deutschland ist Fußballweltmeister geworden. „Wir haben 3:2 gegen die Ungarn gewonnen“, wie mein Vater uns zuruft, ohne ganz zufrieden zu sein. Er streitet sich bei aller Begeisterung mit einem Onkel um einen Spieler, der nicht dabei war. Es geht um Bernie Klodt vom FC Schalke 04. Er musste Helmut Rahn weichen, dem Torschützen des Siegtores. Dieser Erfolg lässt zwar jede Diskussion überflüssig erscheinen, doch mein Vater will sich nicht damit abfinden. Er liebt doch den FC Schalke 04, und außerdem konnte Klodt besser mit dem Ball am Fuß dribbeln, wie mein Vater meinte und ausdrückte und so den Kinderohren ein schönes Wort schenkte. Mein Vater Mit dem Tag des Triumphes im (jetzt leider abgerissenen) Berner Wankdorf-Stadion rückte der Fußball für lange Zeit in den Mittelpunkt meines Lebens, wobei es besser heißen sollte, dass mein Vater den Fußball dorthin rückte. Er gehörte zwar selbst nie einer Mannschaft an, überlebte aber mit dem Geld, das er schwierig genug auf Sportplätzen mit einem Bauchladen voller Zigaretten und Zigarren verdiente. Mit seinen Waren kämpfte er sich durch die Reihen der Zuschauer, die oft erregt und vielfach fluchend den Verlauf von Fußballspielen verfolgten. In dieser bei aller Anspannung meist stimmungsvollen Umgebung fühlte sich mein Vater trotz seiner körperlichen Einschränkungen und Mühen zu Hause, und hierher wollte er seine Söhne mitnehmen. Freiwillig gewählt hatte er diese als „selbstständig“ titulierte Arbeit und diesen Weg über die Straßen und Plätze nicht. Mein Vater – er hieß Alfred und gehörte zum Jahrgang 1903 – hatte ursprünglich Schriftsetzer gelernt, dann aber bei einem Eisenbahnunfall den rechten – seinen starken – Arm verloren. Er war noch keine 30 Jahre alt, als er mit nur einer Hand und leeren Händen dastand, denn das soziale Netz, in das mein Vater hätte fallen können, war damals noch nicht geknüpft. Betteln wollte er nicht, und so blieb ihm nicht viel anderes übrig, als sich einen Bauchladen umzuschnallen. Ein Junge aus Barmen Die Stadt, in der sich dies abspielte und in der auch ich geboren worden bin, heißt in den Büchern und auf den Landkarten Wuppertal. Auf die Frage, wo er wohne, hätte mein Vater aber mit „Barmen“ geantwortet, wenn er nicht noch genauer den Stadtteil „Wichlinghausen“ genannt hätte, in dem wir zu Hause waren. Mit der Auskunft „Barmen“ bekannte er sich zu dem bis 1929 selbstständigen östlichen Teil der Stadt und distanzierte sich zugleich von dessen westlichem Gegenstück, Elberfeld. In dem Weltbild meines durch und durch sozialdemokratisch eingestellten Vaters blieb die Trennung zwischen dem näher am protestantischen Westfalen liegenden Barmen (mit seinen zahlreichen Armen) und dem direkter zum katholischen Rheinland sich hinziehenden Elberfeld (mit seinem vielen Geld) bestehen, auch wenn eine Verwaltungsreform dies ignorierte, und es kostete stets große Mühe, ihn zu einem Ausflug etwa in den Zoo zu überreden, der ganz weit im Westen von Wuppertal lag (und liegt). Vielleicht erinnern sich einige noch daran: Wuppertal war einmal mit einer Fußballmannschaft in der Bundesliga vertreten, aber dieser Wuppertaler SV spielte in Elberfeld. Das interessierte meinen Vater überhaupt nicht – und mich dann auch kaum. Wir liefen lieber auf den Sportplätzen in Barmen herum – am liebsten auf dem Mallack, wo der lokale Lieblingsverein meines Vaters, „Schwarz Weiß“, spielte. Hier meldete er bald auch seine Söhne an, damit sie das Kicken lernen konnten – mit anfänglich umjubeltem, dann aber immer mehr nachlassendem Erfolg und zuletzt ganz ohne ihn. Als ich noch siegreich in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre voller Stolz das Trikot seines Clubs trug, war mein Vater zu einem richtigen Kaufmann aufgestiegen. Er verdiente seinen und unseren Lebensunterhalt mit einem Kiosk, den er sich noch als Junggeselle aus seinen Bauchladengeschäften abgespart hatte. Dieser Schritt war ihm gerade rechtzeitig gelungen, bevor ihn weiteres Unheil traf, und erneut ziemlich schlimm. Eines Tages stürzte er von einer Leiter und kam dabei so unglücklich auf einem Betonboden auf, dass beide Kniescheiben zerschmettert wurden. Ich kenne meinen Vater nur in diesem Zustand – als einen Mann mit zwei steifen Beinen und ohne rechten Arm. Wer die endlose Mühe verstehen will, die solch ein Leben mit sich bringt, braucht sich nur die Frage zu stellen, wie man mit diesen Behinderungen zum Beispiel zur Toilette geht, wie man sich anzieht, wie man in ein Auto steigt oder wieder herauskommt. Meine Kindertage bestanden zu einem großen Teil darin, meinem Vater bei alltäglichen Verrichtungen aller Art zu helfen, die den meisten Mitmenschen keine Mühe machen und an die sie keinen Gedanken verschwenden. Zusätzlich musste jemand wie ich all die anderen Aufgaben im Haushalt übernehmen – etwa die Kohlen oder die Badewanne aus dem Keller holen –, die damals im Allgemeinen Vätern vorbehalten waren. Dreimal Glück Neben dem vielen Pech hatte mein Vater aber auch Glück, und zwar dreimal. Für sein erstes Glück war die Stadt Wuppertal verantwortlich, die eine Bushaltestelle genau dorthin – an den Wichlinghauser Markt in Barmen – verlegte, wo sich der Kiosk meines Vaters befand, in dem es auch Zeitungen zu kaufen gab. Jetzt ging das Geschäft zwar schon in aller Frühe los, aber es gab dadurch regelmäßig Umsatz, und das zählte. Für das zweite Glück sorgte die Lottogesellschaft, die nach Läden suchte, denen sie die Annahme von Lottoscheinen anvertrauen konnte, und sie wählte den meines Vaters. Jetzt lief das Geschäft nicht nur morgens gut, wenn die Menschen mit dem Bus zur Arbeit fuhren, jetzt lief das Geschäft den ganzen Freitag gut, wenn „Annahmeschluss“ war, wie das Zauberwort lautete, das die Kunden mit ihren Scheinen scharenweise herbeiführte. Es gab so viel zu tun, dass mein Vater die Arbeit nicht mehr allein meistern konnte. Er hatte längst einige Angestellte, die ihm zur Hand gingen. Vor allen Dingen hatte er aber meine Mutter. Mit ihr hatte er sein drittes und größtes Glück gefunden, wobei ich mir nicht so recht vorstellen kann (und nie gefragt habe), wie die Verbindung begonnen hat. Mein Vater liebte meine Mutter, keine Frage, und er nannte sie zärtlich „mein Goldfasänchen“, aber er erzählte immer nur von Fußballspielen und Männerabenden, und der erste Merksatz, den er seinen Söhnen eintrichterte, lautete: „Mensch sei helle, bleib Junggeselle.“ Meine Mutter Mein Vater war über 40 Jahre alt, als er meine Mutter heiratete. Sie hieß Else und war 1916 in Barmen geboren worden. Der Ernst in meinem Namen kommt von ihrem Vater her. Er hieß Ernst Lang, konnte – leider als letzter der Familie – gut singen und gehörte einem Männergesangsverein an, der in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg in einer für ihn schwierigen Zeit eine Reise nach Berlin unternommen hatte. Ernst Lang war nämlich gerade Witwer geworden, und er musste sich dringend Gedanken machen, wie seine vier Töchter zu versorgen waren, die alle noch in seinem kleinen Häuschen lebten. Das Problem wurde durch ein junges Mädchen aus Polen mit Namen Rosalie Jamrosche gelöst, die meine Großmutter geworden ist und deren Geburtstag im Dreikaiserjahr ich früh gelernt und immer behalten habe – den 28.8.1888. Das war keine zwei Wochen nach dem Tod von Kaiser Friederich, wie mir später im Geschichtsunterricht beigebracht wurde. In dem polnischen Dorf, in dem meine Großmutter zur Welt gekommen ist, gab es nicht viel zu tun. Viele Einwohner gingen nach Berlin oder wurden in die große Stadt verfrachtet oder geschickt, um es freundlich auszudrücken. Zu ihnen gehörten auch Rosalie und ihre Schwestern, von denen eine gleich schwanger wurde, was eine nette Nebengeschichte für das nächste Kapitel ergibt. Meine Großmutter hielt sich bei Männern bedeckt und landete in dem, was sie ein „herrschaftliches Haus“ nannte. Hier putzte und kochte sie, bis der Männerchor aus Barmen kam und Ernst Lang sich singend in sie verliebte. Er nahm sie mit in seine Heimat, und sie schenkte ihm hier zwei weitere Kinder, einen Sohn und eine Tochter, meine Mutter. Meine Großmutter ging mit den insgesamt sechs Kindern so um, wie man mit ihr umgegangen war, das heißt, sie schickte sie zur Arbeit, sobald das möglich wurde, und...