Fischer | Buxtehude in der Zeit des Nationalsozialismus | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 358 Seiten

Fischer Buxtehude in der Zeit des Nationalsozialismus

Diktatur und kleinstädtische Gesellschaft

E-Book, Deutsch, 358 Seiten

ISBN: 978-3-529-08714-1
Verlag: Wachholtz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das vorliegende, reich bebilderte Werk stellt erstmals die Geschichte des Nationalsozialismus in Buxtehude dar. Auf Basis archivalischer Quellen analysiert Norbert Fischer Gesellschaft, Alltag, Ereignisse und Biografien. Besonderes Augenmerk gilt den Opfern der Diktatur. Der Zweite Weltkrieg brachte neuerliches Leid, tausende Hamburger Bombenflüchtlinge und eine wachsende Zahl von Zwangsarbeiter:innen in die Stadt.

Norbert Fischer, Dr. phil. habil., Sozial- und Kulturhistoriker, apl. Professor an der Universität Hamburg, Forschungsschwerpunkte u.a.: Zeitgeschichte; räumlicher Wandel im Hamburger Umland; norddeutsche Fluss- und Küstengeschichte; Trauer- und Gedenkkultur. Publizierte u.a.: 'Geschichte des Raumes zwischen Elbe und Weser Band IV: Von 1866 bis ins frühe 21. Jahrhundert' (2023, Mit-Hrsg.); 'Spuren des Maritimen - Kulturwissenschaftliche Studien an Nord- und Ostsee' (2024, Mit-Hrsg.)
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EINLEITUNG
ÜBER DIKTATUR UND KLEINSTÄDTISCHE GESELLSCHAFT1
Die Zeit des Nationalsozialismus ist seit vielen Jahren Thema der Geschichtsforschung. Dies gilt für die nationale Ebene, größere Städte und Regionen sowie für zahlreiche Einzelaspekte der nationalsozialistischen Diktatur, ihrer Täter und Opfer, nicht zuletzt im Bereich der Holocaust-Forschung. Jedoch gibt es nur wenige Mikrostudien zu Kleinstädten mit ihren spezifischen Milieus und Netzwerken – und Buxtehude war zur Zeit des Nationalsozialismus mit seiner Wohnbevölkerung von knapp 7.000 definitorisch eine Kleinstadt (Stand 16. Juni 1933: 6.915 Einwohner:innen).2 Als Pionierarbeit gilt in diesem Zusammenhang bis heute das 2023 in Neuauflage erschienene Werk des US-amerikanischen Historikers William Sheridan Allen über das südniedersächsische Northeim.3 Aus neuerer Zeit und wegen der guten Vergleichbarkeit sowohl des kleinstädtischen Milieus als auch der Lage der Stadt innerhalb des Hamburger Umlandes ist die 2021 erschienene Studie zum holsteinischen Bad Oldesloe von Sylvina Zander zu nennen.4 Fast zeitgleich kam das Buch von Dirk Stegmann für das allerdings deutlich größere Lüneburg heraus – in beiden Fällen auch die Zeit der Weimarer Republik mit umfassend.5 Für den Landkreis Stade, zu dem Buxtehude seit 1932 gehört, erschien bereits zu Beginn der 1990er-Jahre eine von Hartmut Lohmann verfasste Geschichte des Nationalsozialismus.6 Hartmut Lohmann und Heike Schlichting lieferten 2023 eine grundlegende Übersicht zum Nationalsozialismus im Elbe-Weser-Raum.7 Henning Müllers ebenfalls 2023 abgeschlossene, noch unveröffentlichte Dissertation über die Zeit der Weimarer Republik im Elbe-Weser-Raum erbrachte für Buxtehude wichtige Erkenntnisse zur Vorgeschichte des Nationalsozialismus. Sie flossen in eine gemeinsam mit Michael Ehrhardt verfasste Übersicht zum selben Thema ein.8 In Buxtehude hingegen waren mehrere Initiativen gescheitert, Forschungen zur Geschichte des Nationalsozialismus auf den Weg zu bringen. Zwar wurde bereits Anfang der 1990er-Jahre ein entsprechendes Projekt geplant – Hartmut Lohmann begründete mit diesem Hinweis, dass er der Stadt Buxtehude in seinem erwähnten Buch zur NS-Zeit im Landkreis Stade nicht den eigentlich notwendigen Raum widmete. Zu diesem Projekt ist es aber trotz weiterer Anläufe in den folgenden knapp 30 Jahren nicht gekommen, daher dauerte das Forschungsdefizit bis Anfang der 2020er-Jahre an. In dieser Hinsicht ist besonders bemerkenswert, welch verschwindend geringe Rolle die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in der lokalen Buxtehuder Geschichtsschreibung und die der umliegenden, inzwischen eingemeindeten Kommunen spielt. Selbst in der als Standardwerk betrachteten, 1993 in völlig neu bearbeiteter und stark erweiterter Auflage erschienenen Stadtgeschichte wird die Zeit des Nationalsozialismus praktisch nicht behandelt.9 Möglicherweise hängt dies auch damit zusammen, dass Personen, die mit dem Nationalsozialismus politisch-ideologisch aufs Engste verbunden waren, nach 1945 – mit nur geringen Verzögerungen – in wichtigen Funktionen weiterwirken konnten. Dies erweist sich zumal dann als besonders problematisch, wenn diese Personen direkt mit Dokumentation und Aufarbeitung der lokalen Geschichte zu tun haben. Hier ist beispielhaft zu erwähnen der (Ober-) Studiendirektor, Wehrturnsportleiter und Anführer des „Volkssturmes“, Johannes Langelüddeke: Er war ab 1949 noch für viele Jahre als städtischer Archivpfleger in Buxtehude tätig. Vor allem aber ist der Lehrer, Heimatforscher und nationalsozialistische Kulturfunktionär Wilhelm Marquardt zu nennen. Er vertrat, wie später zu dokumentieren sein wird, in seinen Texten teilweise fanatisch nationalsozialistische Ideologie und konnte dennoch – nach politisch bedingter Internierung nach Kriegsende – zum Abschluss seiner Laufbahn noch als Schulleiter in Immenbeck sowie danach auf vielfältige Weise in Ehrenämtern (unter anderem Kreisarchivpfleger im Landkreis Harburg) sowie als Autor wirken. In seiner 1983 von der Stadt Buxtehude herausgegebenen, fast 500-seitigen Geschichte der Buxtehuder Geestdörfer kommt die Zeit des Nationalsozialismus praktisch nicht vor.10 Nach seinem Tod wurde in einer Publikation des Buxtehuder Heimatvereines ein ausführlicher Nachruf veröffentlicht, der zahlreiche Verdienste, Stellen und Ehrenämter aufzählt, aber Marquardts zentrales Wirken im Nationalsozialismus nur knapp mit dem Hinweis auf seine NSDAP-Mitgliedschaft und seine Zuständigkeit für „Volkstum und Heimat“ im Gau Osthannover abhandelt.11 So war es letztlich dem anhaltenden, nachdrücklichen Engagement der früheren Stadtarchivarin von Buxtehude, Eva Drechsler, zu verdanken, dass das Projekt einer Geschichte des Nationalsozialismus von der Stadt finanziert, Mitte 2021 auf den Weg gebracht und im Jahr 2023 abgeschlossen werden konnte. Im Ergebnis will das hier nun vorliegende Werk die Zeit des Nationalsozialismus über Strukturen, Ereignisse und Fallstudien sowie das Handeln (oder Nicht-Handeln) einzelner Akteur:innen darstellen. Letztere bedienten sich des Nationalsozialismus für ihre Karrieren in Politik, Gesellschaft, Schulwesen oder Kirche. So verschaffte sich der 1934 nach Buxtehude gekommene Bürgermeister und NSDAP-Ortsgruppenführer Eduard Großheim in der Stadt eine starke Stellung, bevor er kurz vor Kriegsende wegen des Vorwurfs sexueller Belästigung versetzt wurde. Der Erste Pastor an der St.-Petri-Kirchengemeinde, Karl Thielbörger, war frühes NSDAP-Mitglied, propagierte den Nationalsozialismus von der Kanzel und konnte sich das ersehnte Amt des Superintendenten im Kirchenkreis sichern. Andere litten unter dem Nationalsozialismus und wurden zu seinen Opfern. Der vor allem kommunistisch getragene Widerstand gegen die Diktatur im Untergrund war in Buxtehude erstaunlich weit verbreitet und zäh, was aus der starken Verankerung der Arbeiterbewegung vornehmlich in Altkloster resultierte (das seit 1931 zu Buxtehude gehört). Sozialdemokraten und Kommunisten wurden ab März 1933 systematisch verfolgt und mehr oder weniger lange inhaftiert. Darunter litt beispielsweise der Sozialdemokrat Wilhelm Geerken, der nach 1945 Buxtehuder Bürgermeister wurde. Zum Höhepunkt der Verfolgung politisch Andersdenkender wurde der aufsehenerregende „Hochverratsprozess“ im März 1935 gegen eine von Rudolf Welskopf geleitete, im Untergrund wirkende KPD-Widerstandsgruppe. Neben den politisch Verfolgten gilt besonderes Augenmerk den von den Nationalsozialisten sozial Stigmatisierten und Ausgegrenzten. Der Ein- oder Ausschluss in der selbstdefinierten, alles andere gesellschaftlich herabwürdigenden NS-„Volksgemeinschaft“ konnte für die Betroffenen fatale, nicht selten tödliche Folgen haben. Der völkische Rassismus und die antisemitische Propaganda der Nationalsozialisten waren auch in Buxtehude allgegenwärtig: Gleich zu Beginn der Diktatur wurde ein vermeintlich jüdisches Geschäft von Nationalsozialisten belagert. Das Leben des in Buxtehude gebürtigen, später in Lüneburg lebenden jüdischen Kaufmanns Adolf Aron Schickler endete – ebenso wie das seiner Frau Hulda – mit ihrer Deportation und ihrem Tod im Konzentrationslager Theresienstadt. Auch Roma und Sinti, Wanderarbeiter und Obdachlose erlitten Stigmatisierungen und Erniedrigungen, wurden als „Volksschädlinge“ diffamiert und Opfer von speziellen Razzien der Nationalsozialisten. Als weiteres, besonders bedrückendes Beispiel sei auf den tragischen Lebensweg des Buxtehuder „Euthanasie“-Opfers Dorothea Schultz in die Tötungsanstalt Pfafferode verwiesen – und sie war keineswegs das einzige Buxtehuder Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Praktiken. Buxtehudes kleinstädtische Gesellschaft zeigte sich unter der Diktatur in ganz unterschiedlichen Bereichen. Sie produzierte sich immer wieder neu: Im Verlauf der Arbeit werden die netzwerkartigen Verflechtungen zwischen Strukturen, Ereignissen und einzelnen Persönlichkeiten in den Vordergrund treten. Viele Entwicklungen verweisen auf Wechselbeziehungen mit benachbarten Städten: Dies gilt für Hamburg – nicht zuletzt zu Kriegszeiten durch den Zustrom der Hamburger Bombenflüchtlinge im Sommer 1943 – und vor allem für die Kreisstadt Stade, die zugleich Sitz des Regierungsbezirkes, der NSDAP-Kreisleitung und weiterer Parteiinstanzen sowie von Gerichten und Gerichtsgefängnissen war. Gelegentlich werden auch Verbindungen zu Personen und Ereignissen sichtbar, die weit über Buxtehude hinausweisen – Beispiele für vielfältige, manchmal eher zufällige Verflechtungen zwischen der norddeutschen Kleinstadt und der „großen“ Geschichte und Kultur. So gehörte Hitlers berüchtigter „Berghof“ auf dem Obersalzberg bis Anfang der 1930er-Jahre als „Haus Wachenfeld“ der bekannten Buxtehuder Unternehmerswitwe Margarete Winter (geborene Wachenfeld). Ein weiteres Beispiel: Das Kriegsende in Buxtehude und die Besetzung der...


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