Finze-Michaelsen | In diesem wilden Tal | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 184 Seiten

Finze-Michaelsen In diesem wilden Tal

Geschichten aus der Geschichte von St. Antönien

E-Book, Deutsch, 184 Seiten

ISBN: 978-3-907095-85-0
Verlag: Edition Somedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Es gäbe St. Antönien nicht, wäre da nicht im 4. Jahrhundert ein ägyptischer Mönch gewesen.Eine Kirchenglocke wird entführt.Torti Henni von Aschüel wird wegen Hexerei angeklagt.Der «kurze Luzi» zerquetscht sich zwischen zwei Baumstämmendas Bein und reitet trotzdem noch heim.Ein Graf aus der fernen Oberlausitz findet auch hier einezahlreiche Anhängerschaft.Ein Viehraub endet damit, dass sich ein Alpknecht zu Todemusiziert.Vor hundert Jahren: Kinder erzählen von ihrem Alltag.Das stattlichste Hotel am Platz, Ziel internationaler Gäste,wird ein Raub der Flammen.Der Pfarrer ist prinzipiell gegen Motorwagen und Postautos.«Wer hierher kommen will, kommt auch ohne Auto!»
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I. Wie man sie sah Gross und stark, gutmütig und dienstwillig «Die Familie bestand nur aus vier Köpfen, einem alten Vater, der meistens ruhte, seiner Frau, die die Küche und was sonst im Hause zu thun war, bestellte, und dem Sohn, der mit seiner Frau das Vieh besorgte. Sowol hier als im Antonien- und Gavienthale überhaupt hatten wir von der mehrmals angemerkten vorzüglichen Grösse und sichtbaren Stärke so mancher Gebirgsbewoner sehr bestätigende Beispiele vor uns. Älplerische Gutmütigkeit und Dienstwilligkeit entwikelte sich bei unsern Wirthleuten immer mehr, wie sich ihre erste Scheue verlor. Sie äusserten nur darüber bei iedem Anlasse ihre Unruhe, dass wir mit ihrer Bedienung übel zufriedenseyn würden, doch wurden sie bald gesprächig und brachten mancherlei verständige Fragen, mitunter auch launische Einfälle hervor. Abb. 1: Gottlieb Conrad Christian Storr. Mit anbrechendem Tage besorgten die iunge Eheleute das Vieh, das man hier nur den Tag über auf den nahe liegenden Waiden lässt und nicht nur die Nacht durch gewönlich im Stalle behält, sondern, zumal bei nasser Witterung, auch des Morgens da füttert und erst nach dem Melken durch den Gemeindhirten zur Waide füren lässt. Gegen sieben Uhr nahm die Familie gemeinschaftlich das Frühstück, das aus Milch, Brod, Zieger und Käse bestand. Gegen acht Uhr gingen die iunge Leute zum Melken und übergaben die Milch der Mutter, die das Sennen besorgte. Nach neun Uhr sezten sie sich widerum zu Tische, um zu Mittag oder viel mehr auch dem gemeinüblichen älplerischen Ausdruke nach zu Morgen zu essen. Suppe, Molken und Zieger, Sauerkraut, Schweinfleisch, Würste und Brod waren die Gerichte dieses Mals. Um zwei Uhr nahmen sie widrum Milch, Brod und Käse, und um sieben Uhr Gerste mit Milch gekocht, Milch, Zieger und Brod. Nach dem Morgenessen sezte die Mutter mit Hülfe ihrer Schwigertochter die Milcharbeiten fort und besorgte etwas Essen für uns. Der Sohn sezte sich an die Schnizbank, Heinzen zu machen.» Gottlieb Konrad Christian Storr (1749–1821) aus Stuttgart, der als 32jähriger 1781 die Schweizer Alpen besuchte, war in Tübingen ab 1774 Profesor für Chemie und Botanik. Ungekünstelte Natur und unverdorbenes Herz Soll ich «die noch mit alter Schweizer Redlichkeit und unschuldiger Einfalt der Sitten beglükten Bergbewohner, sie, die unversucht vom Neide und von der Begierlichkeit unangefochten bald in zerstreuten Hütten, bald im stillen Dörfgen, im Genusse der unumschränktesten Freiheit, im Schoosse des Wohlstandes die heitersten, zufriedensten Tage verleben, soll ich sie nicht mehr sehen und die Sprache der ungekünstelten Natur und des unverdorbenen Herzens nicht mehr hören können!» Johannes Baptista Cattaneo (1745–1831), 1772 bis 1784 Pfarrer in St. Antönien, 1784 beim Abschied von Graubünden und seiner Gemeinde, als er mit seiner Familie nach Norka an der Wolga auswanderte. Schlau und listig «In frühern Zeiten betrachtete man die St. Antönier als die eigentlichen Gasgonnier der Prettigäuer. Anscheinend höchst simpel, linkisch, unsauber und von etwas verwildertem Aussehen bargen sie doch eine bedeutende Dosis Geschäftsgewandtheit, Schlauheit und List in sich. Sie gaben hierin ihren lieben Nachbarn, den Montafunern, jenseits der Bergscheide, sehr wenig nach; ja oft mochte man im Gegentheil meinen, die Montafuner seien einmal bei den St. Antöniern in die Schule gegangen.» Aus einer Anekdote im Bündner Kalender 1859. Den Bewohnern der historischen Provinz Gascogne im Südwesten Frankreichs wurden Raffinesse im Handel und Schlitzohrigkeit nachgesagt. Selbstbewusst und zufrieden «Aus dieser Landesbeschaffenheit und Lebensweise […] ist ein im Allgemeinen körperlich kräftiger, gesunder, abgehärteter Menschenschlag hervorgegangen, willenskräftig und beharrlich bei Umsicht und Besonnenheit, arbeitsam, anstellig, sparsam, nüchtern und streng sittlich; daher die St. Antönier im Allgemeinen hablich sind und zufrieden in ihren einfachen Verhältnissen.» Die Bevölkerung hat «Selbstbewusstsein, das sich in Offenheit, Geradheit und Entschiedenheit ausprägt, wo es nicht in Selbstüberschätzung ausartet oder in einem Alleswissen und Alleskönnen unangenehm zu Tage tritt.» Johann Wilhelm Fortunat Coaz (1822–1918), bahnbrechender Schweizer Forstingenieur und Gebirgstopograf, im Bericht über eine Exkursion der Sektion Rätia des Schweizerischen Alpenclubs auf die Sulzfluh im September 1864. Abb. 2: Johann Wilhelm Fortunat Coaz. Einfach, kräftig, hilfsbereit, nüchtern Das St. Antöniertal ist «bewohnt von einem einfachen, kräftigen Menschenschlag. […] Ihr Charakter ist ein trefflicher. Unsere St. Antönier sind ein sympathisches, tüchtiges Völklein. Ihre Einfachheit, Arbeitsamkeit und Mässigkeit […], ihre Freundlichkeit berührt den Fremden sehr angenehm. Mit herzlichem ‹Willkumme, willkumme› wird er begrüsst, freundlich steht man ihm Red und Antwort. In den Sennenhütten wird man gern und gut bewirtet, und hie und da kommt es sogar noch vor (so namentlich am Partnunsee), dass die Annahme einer Bezahlung verweigert wird. Das enge Zusammenleben und das Bewusstsein gegenseitiger Hülfsbedürftigkeit bei den vielen Gefahren des Alpenlebens, das Gefühl des Aufeinanderangewiesenseins hat einen schönen Charakterzug der St. Antönier gezeitigt, den sie übrigens mit vielen unserer Bergbewohner gemein haben: ich meine die unbegrenzte gegenseitige Hülfsbereitschaft. Sie erachten es als selbstverständlich, dass in Zeiten der Not jeder dem andern selbst mit grossen Opfern beispringt. […] Die St. Antönier sind, wie viele unserer Bergbewohner, ein nüchternes Völkchen.» Carl Joseph Schroeter (1855–1939) aus Esslingen/Neckar war ein bedeutender Naturforscher, seit 1883 Professor für Botanik an der ETH Zürich. St. Antönien wurde durch seine vielen Aufenthalte dort nahezu zu seiner zweiten Heimat. Abb. 3: Carl Joseph Schroeter. Fleissig und sparsam «Die Bewohner des Thales sind geweckte, sehr fleissige und sparsame Leute. […] In einem Thale, das nur Gras produziert, keine Industrie besitzt und bis vor Kurzem keine Strasse hatte, kann allgemeiner Wohnstand nicht Platz greifen, umso weniger als die Bevölkerung dazu noch in beständigem Kampfe mit zerstörenden Naturmächten stehen muss.» Georg Fient (1845–1915) 1896 in einem Reiseführer durchs Prättigau. Fient stammte aus Pany und war Lehrer, Kanzleidirektor, Zeitungsredaktor und Volksschriftsteller. Abb. 4: Martin (1854–1932) und Elsbeth (1856–1922) Flütsch-Flütsch, Besitzer vom Nühus, Partnun, mit ihren fünf Kindern, Aufnahme vom Jahr 1900. Robuste Gestalten mit freiem, gesundem Blick «Die St. Antönier sind freundlich und zuvorkommend, und das ist immer die Äusserung eines geweckten, heitern Volkscharakters. Dazu sind die St. Antönier höchst arbeitsam und von einer peinlichen Ordnungsliebe; das lehren uns die blank gescheuerten Häuser und die steingereinigten Alpen.» Die Ausnahme: «Der kleine Friedhof ist ein trübes Bild der Impietät; das wilde Gras überragt die wenigen, zum Teil dem Umfallen nahen Grabsteine. Abb. 5: Eheleute Christian und Elsa Flütsch-Buol am Platz, Ende 19. Jahrhundert. […] Der Friedhof von St. Antönien böte gute Weide.» «Daneben soll der St. Antönier höchst mässig sein und nur selten oder gar nie ein Wirtshaus betreten. […] Wir sehen nicht nur unter dem männlichen, sondern auch unter dem weiblichen Teile die hochgewachsenen, robusten Gestalten mit dem freien, gesunden Blicke und einer oft charakteristisch kräftigen Gesichtsbildung. […] Da hinauf muss man, um den bündnerischen Föderalismus verstehen zu lernen; dann wird man ihn auch nicht unbillig beurteilen, sondern hochachten als ein Stück kernigen Volkscharakters, eines einfach-kräftigen Menschenschlages, der, fernab von dem Lärm der modernen Heerstrasse, so tief in der eigenartig heimischen Erde wurzelt wie der Bergahorn, der sein Haus beschattet und schützt.» Michael Schnyder, 1896–1902 Luzerner Staatsschreiber, über eine zurückliegende Exkursion vom 27 Luzerner Mitstudenten mit ihren drei Professoren nach St. Antönien, erschienen im Jahr 1900 in der Luzerner Zeitung «Das Vaterland». Verwetterte, aus hartem Holz geschnitzte Gesichter «Ich habe Partnun zu allen Jahreszeiten gesehen, auf jedem begehbaren Weg erreicht. Der Sommer ist die Zeit des Sonnenglanzes und der tiefen Schatten. […] Vor ihren Hütten sitzen die graubärtigen Sennen mit verwetterten, aus hartem Holz geschnitzten Gesichtern. Es sind immer dieselben halb versteinerten Gestalten, jetzt wie vor zehn und dreissig Jahren. Der kurze Pfeifenstummel qualmt, und wenn du das Zutrauen des wortkargen Alten gewonnen hast, führt er dich wohl auch hinein zum blinkenden Käsekessel und in die Stube und zeigt dir seltsame, auf schmale Brettchen geschnörkelte Zahlen und Buchstaben, die seit Jahrhunderten eingekratzte Buchführung der Alp, die meldet, wer jemals als Senn hier oben hantierte und wieviel Ziegen und Kühe ihm unterstanden. Oder der Greis erzählt dir beim flackernden Herdfeuer von seiner fernen Jugend, als er, ein schmucker Grenadier, unter Neapels Fahnen diente, und sein Wort wird lebhafter, als ob er wieder vom feurigen Wein gekostet hätte, der dort unten auf vulkanischem Boden...


Holger Finze-Michaelsen, Jg. 1958, stammt aus Ostfriesland an der Nordseeküste. Während 35 Jahren war er reformierter Gemeindepfarrer in Zweisimmen BE und in den Prättigauer Gemeinden St. Antönien, Schiers und Jenaz/Buchen. Von ihm stammen zahlreiche Publikationen zur Historie Graubündens, daneben auch Bücher mit Geschichten. Seit 2018 arbeitet er als Autor und lebt in Zizers. Er ist verheiratet und Vater von fünf erwachsenen Kindern.


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