Fessler / Hinsch | Wie funktioniert Wirtschaft? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Fessler / Hinsch Wie funktioniert Wirtschaft?

Eine kritische Einführung

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-85371-816-2
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Wie funktioniert Wirtschaft?" ist eine allgemein verständliche Einführung zum Begreifen ökonomischer Prozesse im Zeitalter der Globalisierung, die dazu dient, auch Krisenerscheinungen besser verstehen zu können.

Für die vorliegende zweite Auflage wurden sämtliche Beispiele und Statistiken aktualisiert und zusätzliche Abschnitte zur seit 2007 anhaltenden Krise verfasst.

Folgende Fragestellungen begleiten die Lesenden:

*) Wie funktionieren Märkte - und warum funktionieren sie manchmal eben nicht? Wann braucht es staatliche Eingriffe - und wessen Interessen folgen sie?

*) Was ist Geld? Warum steigen Preise normalerweise, warum steigen sie manchmal zu schnell - und warum kann es schlecht sein, wenn sie einmal fallen?

*) Wie funktioniert das Finanzsystem - und warum bricht es von Zeit zu Zeit zusammen?

*) Welche Maßnahmen sind möglich, wenn die Wirtschaft in eine Rezession rutscht - und welche Risiken sind mit diesen Maßnahmen verbunden?

*) Warum wird internationaler Handel betrieben? Macht uns Handel alle reicher - warum sind dann so viele arm?

*) Warum wird die internationale Einkommens- und Vermögensverteilung immer ungleicher - und warum wird dadurch das internationale Wirtschaftssystem fragiler?

Wir stehen vor einer verzerrten öffentlichen Debatte: Auf der einen Seite erscheint das Funktionieren von Wirtschaft ausschließlich dem Reich der Experten zugehörig. Deren Entscheidungen sind für die Öffentlichkeit nicht nachvollziehbar, aber ihnen ist zu folgen, sonst droht - angeblich - ein Zusammenbruch. Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von trivialen Stehsätzen einer neoliberal ausgerichteten Volkswirtschaftslehre. Diese sind griffig, oftmals aber problematisch. Geboten werden etwa Maximen wie "Wir dürfen nicht mehr ausgeben als einnehmen, denn Schulden gehen auf Kosten künftiger Generationen". Solche Aussagen sind nicht notwendigerweise falsch, immer aber zu einfach - und lassen sich auch nicht aus volkswirtschaftlicher Theorie herleiten.
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1. Woher wir wissen, was sieben Milliarden Menschen brauchen oder zumindest kaufen wollen
Um ein altes Beispiel der Volkswirtschaftslehre hervorzukramen: Wir wollen Robinson Crusoe auf seiner Insel bemühen. Robinson Crusoe geht fischen, weil er etwas zu essen braucht. Er baut ein Haus, um sich vor der Kälte und vor wilden Tieren zu schützen. Er stellt Werkzeuge her, um seine übrigen Arbeiten effizienter zu gestalten. Robinson Crusoe würde nicht auf die Idee kommen, tonnenweise Fische zu fangen, die er weder essen noch konservieren kann. Er erzeugt auch nicht zwanzig Hämmer, wenn er nur drei benötigt. Er arbeitet mit knappen Ressourcen – sein Arbeitstag ist begrenzt – und wird immer genau das herstellen, was ihm im Augenblick dringlich erscheint. Es ist unmittelbar nachvollziehbar, dass das in einer Weltwirtschaft, an der mehr als sieben Milliarden Menschen teilnehmen, nicht ganz so einfach sein kann. Warum erzeugt ein Stahlwerk in Südkorea die richtige Menge an Stahlträgern, die dann am Persischen Golf in Hochhäuser hineinbetoniert werden? Wie kann bestimmt werden, wie viele Becher Erdbeerjogurt gebraucht werden, wie viele Paar Herrenschuhe und wie viele Krankenhäuser? Warum produzieren sieben Milliarden Menschen, was andere sieben Milliarden brauchen? Wie wird das koordiniert? Um eine erste Einschränkung zu treffen: Sehr oft wird eben nicht produziert, was gebraucht wird – oder es wird zwar produziert, aber jene, welche die Dinge brauchen, bekommen sie nicht. Ein Beispiel: Etwa eine Milliarde Menschen auf der Welt leiden an akuter Unterernährung. Diese bräuchten eigentlich zusätzliche Lebensmittel, bekommen sie jedoch nicht – und das, obwohl die weltweite Agrarproduktion völlig ausreichend wäre, um alle zu ernähren. Noch ein Beispiel: Tatsächlich wurden in den letzten Jahren zwar nicht zu viele Stahlträger erzeugt, wohl aber zu viele Hochhäuser am Persischen Golf. In jeder Wirtschaftskrise bleiben Waren liegen, die nicht mehr abgesetzt werden können, und in der Folge wird dann die Produktion eingeschränkt und Menschen verlieren ihre Arbeit. Dennoch ist es offensichtlich, dass die Weltwirtschaft nicht ununterbrochen in totalem Chaos auseinanderfällt. In der bisher schwersten Wirtschaftskrise seit der industriellen Revolution, der »Großen Depression« mit ihrem Höhepunkt 1931 war vielleicht ein Drittel der Menschen arbeitslos. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass selbst in dieser Situation zwei Drittel immer noch beschäftigt waren. Es geht keineswegs darum, die Bedeutung von Krisen zu relativieren, denn die Rate der Arbeitslosigkeit in den 1930er Jahren hat ausgereicht, um die Gesellschaft in ihren Grundfesten zu erschüttern. Dennoch muss es Mechanismen geben, die Ordnung in ein völliges Chaos bringen, zumal die Arbeitslosigkeit für gewöhnlich auch nicht dreißig Prozent beträgt. Das Problem der Koordinierung der Wirtschaft beginnt nicht in der Steinzeit. Das Robinson-Crusoe-Beispiel zeigt, dass diese Schwierigkeiten offensichtlich mit Arbeitsteilung und Austausch von Gütern zusammenhängen. Obwohl es Handel schon sehr lange gibt, ist zu bemerken, dass die Produktion von Gütern für den Austausch bis in die Neuzeit nur einen kleinen Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten der Menschen abgedeckt hat. Die Gesellschaft wurde von der »Subsistenzwirtschaft« oder »Hauswirtschaft« dominiert, der Leistungsproduktion von Familiengemeinschaften und von diesen Familiengemeinschaften abhängigen Personen für den Eigenbedarf. Damit beschäftigten sich auch die VorläuferInnen der Wirtschaftswissenschaft: Das Wort Ökonomie kommt vom griechischen oîkos, dem Haus, und die oikonomía des Aristoteles meint die gute Bestellung des Hauses (mit vielen praktischen Tipps, etwa wie SklavInnen zu behandeln sind oder was bei der Aussaat zu beachten ist). Die europäische Landwirtschaft – und das ist der ganz überwiegende Teil der Wirtschaft Europas bis in das 19. Jahrhundert – beginnt (mit Ausnahmen, etwa im Weinbau) frühestens im 16. Jahrhundert mit Produktion, die nicht mehr in erster Linie auf die Selbstversorgung ausgerichtet ist. In vielen Ländern der Erde ist die Subsistenzwirtschaft bis heute die Lebensgrundlage eines großen Teils der Bevölkerung. Der Trend zur Ausweitung der Arbeitsteilung ist dabei bis heute ungebrochen. Das zeigt sich nicht nur an der Vertiefung der Integration der Weltwirtschaft und der Zunahme des Welthandels, sondern auch an der weiteren Zurückdrängung der Hauswirtschaft. Aus jener abgegeben wurden etwa erst in jüngster Zeit die Betreuung von Kleinkindern in Kindergärten oder weite Teile der Nahrungszubereitung. Beim Verarbeiten von Lebensmitteln erledigen wir heute nur mehr die allerletzten Schritte: Selbst wer keine Mikrowellen-Gerichte isst, bäckt sein Brot nicht mehr selbst und knetet auch keinen Nudelteig. Die entstehende Wirtschaftswissenschaft entdeckt das Koordinierungsproblem gerade zu dem Zeitpunkt, als die Koordinierung schwieriger wird. Das liegt an der fortschreitenden Arbeitsteilung, der Ausweitung der Geldwirtschaft und der Möglichkeit, Geld zu sparen oder Kredite zu bekommen. Im Laufe der Neuzeit treten langsam neue Typen von Krisen auf. Zuvor ist eine Wirtschaftskrise meist eine Krise der Subsistenz und damit eine Krise der Landwirtschaft. Der Grund kann eine relative Überbevölkerung sein (relativ zu den Produktionsmöglichkeiten der Landwirtschaft) oder der Zusammenbruch von landwirtschaftlichen Produktionsarrangements, etwa politische Wirren, die Bewässerungssysteme verfallen lassen. Eine derartige Krise ist eine Krise des »zu wenig«, in der Seuchen eine vom Hunger geschwächte Bevölkerung heimsuchen. Solche traditionellen Gesellschaften kennen aber auch keine Arbeitslosen. Im Laufe der Neuzeit entwickeln sich neue Krisen, die mit der einsetzenden Modernisierung einhergehen. Die Modernisierung der englischen Landwirtschaft im 17. Jahrhundert führt zur Vertreibung der Bauernschaft von ihrem Land und zur Entstehung von Armeen von BettlerInnen. In den 1840er Jahren besingt Gerhart Hauptmann die schlesischen Weber, die von den Dampfwebstühlen in Elend und Arbeitslosigkeit getrieben werden. Im selben Jahrzehnt kommt es erstmals zu Absatzkrisen der Industrieproduktion und zu staatlichen Arbeitsprogrammen (etwa in Frankreich), um die politischen Auswirkungen des Elends in Grenzen zu halten. Diese Krisen sehen anders aus als jene traditioneller Gesellschaften. Nun gibt es Menschen, die in Not leben, weil sie keine Arbeit haben, und gleichzeitig Betriebe, die ihre Produktion drosseln, weil der Absatz schwierig wird. Solche Krisen werden von unterschiedlichen Schulen der Volkswirtschaftslehre unterschiedlich interpretiert, aber es entsteht eine Debatte darüber, wie die Koordinierung der Wirtschaft möglich ist und warum sie zeitweise zusammenbricht. In den letzten gut zweihundert Jahren hat die Volkswirtschaftslehre mehrere Mechanismen wirtschaftlicher Koordinierung aufs Tapet gebracht. Da wäre einmal die spontane Ordnung des Marktes, die sich unabhängig vom einzelnen menschlichen Willen vollziehen soll. Außerdem hätten wir da das bewusste, auf ein Ziel gerichtete Eingreifen des Staates oder anderer Institutionen, welches als »Planung« bezeichnet werden kann. Es gibt Vorstellungen, welche die Ordnung der Wirtschaft als weder unmittelbar geplant noch als völlig spontan begreifen, sondern als abhängig von institutionellen Arrangements, etwa von der Art des Zusammenwirkens von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bei der Festsetzung von Löhnen oder von der Stellung der Zentralbank. Es gibt kaum jemanden, der das gleichzeitige Auftreten aller drei Faktoren bestreiten würde. Über die Gewichtung kann freilich gestritten werden, denn – so viel sei vorausgeschickt – das Problem lässt sich nicht mit mathematischer Sicherheit lösen. Letztlich bleibt es eine politische und eine ethische Frage, was aber die Begründung der einzelnen Positionen keineswegs unbedeutend macht. Gerade in den letzten Jahrzehnten wurde – ob zu Recht oder nicht – im Allgemeinen der Markt als wichtigste und beste Instanz wirtschaftlicher Koordinierung betrachtet. Markt
Ein Markt wird definiert als Ort des Aufeinandertreffens von Kauf- und Verkaufsinteresse, von Angebot und Nachfrage. Auf Märkten werden Preise gefordert und bezahlt. Wir wollen nicht zu lange mit Trivialitäten langweilen, aber tatsächlich fallen Preise, wenn die Nachfrage gleich bleibt und das Angebot steigt, und Preise steigen, wenn ein geringes Angebot auf hohe Nachfrage trifft; und die Angebots- und Nachfrageentscheidungen reagieren ihrerseits auf diese Preise. Der Markt vermag dadurch, individuelle Angebots- und Nachfrageentscheidungen über die sich bildenden Marktpreise aufeinander abzustimmen. Die Sache ist dabei nicht immer ganz so einfach. Industrieprodukte können bei sinkender Nachfrage auch teurer werden, weil die Produktionskosten pro Stück steigen, wenn weniger abgesetzt werden kann. (Mehr dazu weiter unten.) Der schottische Aufklärer Adam Smith war der Erste, der von der »unsichtbaren Hand« des Marktes gesprochen hat, welche die Wirtschaft lenkt. Tatsächlich sagte Smith viele Dinge, die zum Teil nicht mit dem ihm nachgesagten Marktliberalismus zu vereinbaren sind; aber oft geht es nicht darum, was gesagt wurde, sondern wie Menschen das Gesagte verstehen wollen. Es ist kein Wunder, dass die Idee des Marktes in der Traditionslinie der Aufklärung steht. Diese etablierte das Individuum und dessen Freiheit in der Philosophie. Das Denken des Mittelalters war nicht auf einzelne Individuen, sondern auf Korporationen, auf menschliche Verbände und Gemeinschaften gerichtet. Smith propagierte die über den Markt...


Pirmin Fessler, Jahrgang 1980, hat Volkswirtschaftslehre an der Universität Wien studiert. Er lebt und arbeitet als Ökonom in Wien.

Stefan Hinsch, Jahrgang 1976, unterrichtet Geographie und Wirtschaftskunde, Geschichte sowie Betriebswirtschaftslehre an einem Gymnasium in Wien und hat jahrelange Erfahrung in der Erwachsenenbildung.


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