Fels | Das Tagebuch der Tracy Odell | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 373 Seiten

Fels Das Tagebuch der Tracy Odell


12. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7549-7310-3
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 373 Seiten

ISBN: 978-3-7549-7310-3
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Wer ist Tracy Odell? Was als eine harmlose Brieffreundschaft beginnt, entwickelt sich zu einer Reise in die Tiefen der geschundenen Seele einer Sechzehnjährigen. Dabei können die Gefühlswelten unterschiedlicher nicht sein. Auf der Suche nach sich selbst, bedroht vom dämonischen Stiefvater, entdeckt Tracy zugleich die berauschenden Gefühle erster Liebe, aber auch tödlichen, Verstand zerfetzenden Horror. Voller Selbstzweifel über die eigene Identität, flüchtet sich ihr Verstand in unheilvolle Zwischenwelten, aus denen es vermeintlich kein Entrinnen gibt. Jeder Schritt ins Licht wird begleitet vom Erscheinen eines, übermächtigen Dämonen. Am Ende bleibt die Frage: Wer ist Tracy Odell?

Der Anfang der siebziger Jahre in Essen geborene Autor Markus J. Fels weiß seine Leser mit unkonventionellen Psychothrillern zu begeistern. Dabei lässt er die urbane Romantik und das besondere Flair des Ruhrgebiets, insbesondere seiner Heimat Essen in seine Romane einfließen. Kuriose Situationskomik und Wortwitz sind ein weiteres Merkmal seiner besonderen Geschichten. Als begeisterter Historien und Lost-Places Fan erkundet er auf Streifzügen durch das Ruhrgebiet immer neue Locations für seine Romane und findet Inspirationen in gut beobachteten Details der Landschaften, Orte und Menschen seiner Umgebung, die er in längeren Texten, aber auch in Kurzgeschichten und Gedichten verarbeitet.

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  Kapitel 4
Geehrte Frau Verst, mit großem Bedauern teile ich ihnen mit, dass ihre Briefpatin Tracy Odell versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Zurzeit ist sie sich auf der Intensivstation. Zu ihrem eigenen Schutz ist die Medikation erhöht worden, sodass Tracy in den nächsten Wochen nicht in der Lage sein wird, zu schreiben. Für ihre Unterstützung bin ich ihnen dankbar. Leider war es im Vorfeld nicht absehbar, wie diese Maßnahme auf Tracy wirkt.   Leere. Der Blick fällt auf das Schreiben. Das Blatt zittert in ihren Händen. Die Finger zerknüllen den Brief. Bernadette schleudert in quer durchs Zimmer. Enttäuschung übermannt sie. War sie zu begeistert, darüber, wie mühelos sie sich mit Tracy verstanden hatte und von der Hoffnung beseelt, den Beginn einer wahren, tiefen Freundschaft zu erleben? Okay, Letzteres war nicht ausgeschlossen, redet sie sich ein. Die Daumenkuppe berührt nacheinander einzeln die Kuppe der anderen Finger. Eins, zwei, drei, vier. Und wieder von vorne. Acht. Nochmal zwölf. Und abermals. Sechzehn. Wie ein Mantra sprudelt jedes Wort über ihre aufgeschlagene Lippe. Lallend, den Schmerz ignorierend, hin und her schaukelnd. Die erkennbaren Umrisse der Umgebung formen sich zu einem verschwommenen Bild. Zu mehr ist das geschwollene Auge im unbeleuchteten Raum nicht fähig. Auf der anderen Seite tropft beharrlich Wasser aus dem undichten Ventil der Heizung. Er versteckt sie, damit die Nachbarn nichts merken. Die besorgten, ach so mitleidigen Anwohner. «Wie geht es ihnen?» – «Wir hoffen, ihre Tochter kommt bald darüber hinweg.» – «Man sieht sie ja kaum, die Arme. Es muss schrecklich für sie sein. Jetzt braucht sie einen sich sorgenden Vater wie sie.» Naive Heuchler! Unbändiger Hass pocht durch ihre Schläfen, hämmert von innen gegen die Schädeldecke, dass sie meint, ihr Hirn müsse jeden Moment explodieren. Er war nie ein liebevoller Vater. Niemand aus ihrer Klasse wurde jemals zu Besuch eingeladen, um ja nicht zu checken, dass das Bild der heilen Familie nur Kulisse war. Ihre Mutter Verschworene und ihre einzige Vertraute und sie immer eine Außenseiterin. Und wieder flackern die schrecklichen Erinnerungen durch ihren wunden Geist. Es ist der Tag der Beerdigung. Ihre Augen rot geweint, sitzt sie am Küchentisch. In sich zusammen gesunken, sucht sie nach einer Antwort auf die Frage, wie es jetzt weitergeht? Da klatscht etwas auf die weiße Tischplatte und rutscht ein Stückchen zu ihr hin. Tracy streicht sich mit ihrer Hand die herunterhängenden Haare zurück. Fassungslos starrt sie den in Papier eingewickelten Kuchen an. «Streuselkuchen», bemerkt ihr Vater, der sie aus trüben Augen mitleidlos fixiert. «Den fressen sie doch immer bei Beerdigungen. Lass ihn dir schmecken. Und dann wasch dich, damit ich dein verheultes Gesicht nicht länger ansehen muss.» «Mama ist tot!», kreischt Tracy ihm besinnungslos entgegen, «Kapierst du es nicht?» Mit einer wütenden Bewegung fegt sie den Kuchen vom Tisch. Das Paket landet auf den Küchenboden. Der Streuselkuchen fliegt heraus und zerbricht. Etliche Krümel verteilen sich auf den sauberen Fliesen. «In zehn Minuten ist diese Sauerei weg», schreit Joachim, stampft aus der Küche und knallt die Tür hinter sich zu. Tracy zuckt erschrocken zusammen, unter dem imaginären Schmerz einer Ohrfeige von ihm. Auf dem Weg in ihr Zimmer kommt sie an der Schlafzimmertür ihrer Eltern vorbei. Die Tür steht auf. Ihr Vater liegt auf dem Bett. Die Bettdecke zur Seite geschlagen. «Hey! Komm her! Leg dich zu mir und sorge dafür, dass du ein guter Ersatz für deine Mutter bist», fordert seine lallende Stimme. Er hat getrunken. Schon wieder. Tracy erstarrt. Das meint er nicht ernst, hofft sie. «Komm endlich her.», wiederholt er seine Forderung ungeduldig. Er beugt sich über sie. Seine Hände gleiten ihren Körper entlang, zu Stellen hin, die sie nicht berühren dürften. Sie verkrampft sich. Er deutet diese Reaktion anders. Ekel übermannt sie, als sich seine Lippen auf ihre pressen. Keuchend zuckt sie zusammen und versucht sich verzweifelt, seinem Griff zu entwinden, nachdem sich seine Hand in ihren Slip zwängt. Am nächsten Tag ist er nicht zu Hause. Tracy hockt in der Küche. Sie zittert unkontrolliert. Rotze klebt an ihrer Nase. Ihre Haare hängen strähnig vorm Gesicht. Die Kälte des Küchenbodens verbeißt sich in ihre nackten Füße. Fahrig krallt sich immer wieder ihre linke Hand um ihr rechtes Handgelenk. Ihre Fingernägel kratzen so lange über die Haut, bis rote Striemen zu sehen sind. Ein weiteres Mal wird sie das nicht überstehen, da ist sie sich vollkommen sicher. Ihr Blick flackert durch die Küche.   Benommen steht sie auf. Schwankt auf die Anrichte zu. Sie stützt sich schwer auf die Kante der Arbeitsplatte. Ihre rechte Hand streckt sich nach vorne. Die Finger schließen sich um den blanken Griff des Küchenmessers. Das Geräusch, mit dem sich die Klinge aus dem Messerblock löst, fährt ihr durch Mark und Bein. Ihre müden, verweinten Augen spiegeln sich in der breiten Schneide. Ihr Blick ist getrübt. Geistesabwesend huscht ein übergeschnapptes Lächeln über ihre zu einem dünnen Strich angespannten Lippen. Sie sieht sich schon blutüberströmt auf den weißen Fliesen liegen. Ob er sie dann wieder anschreit, diese Sauerei wegzumachen? Ob es wehtut, sich ein Messer ins Herz zu rammen? Oder ist sie schon tot, bevor die Erkenntnis darüber ihr Hirn erreicht? Unvermittelt ist da ein fiependes Geräusch in ihren Ohren, so wie bei einer Rückkopplung. Ihre Hand zuckt ihr entgegen. Das Summen der Türklingel reißt sie zurück in die Realität. Ihre Pupillen weiten sich schlagartig, nachdem ihr geschockter Verstand das Küchenmesser in ihrer Hand entdeckt. Als ob der Griff glühend heiß, schnellen ihre Finger auseinander. Das Messer fällt klirrend auf die Arbeitsplatte.   «Joachim?» Sie hört eine ihr bekannte Stimme, den Namen ihres Vaters rufen. «Tracy?» Dann taucht Tante Gerdas Gesicht im Türrahmen zur Küche auf. Mit wenigen Schritten ist Gerda bei ihr. Sie umfängt sie mit ihren Armen. Tracy drückt ihr Gesicht an Gerdas Brust. Lautlos bricht der Schmerz in heißen Tränen aus ihr heraus.   Liebe Tracy, ich weiß, du bist gerade nicht in der Lage, diesen Brief selbst zu lesen. Aus diesem Grund habe ich darum gebeten, ihn dir vorzulesen. Ich weiß, dass du in deinem Unterbewusstsein trotzdem etwas von der Bedeutung meiner Worte mitbekommst.   Ich bleibe an deiner Seite. Und wenn du bald wieder besser zurecht bist, werden wir uns sehen. Es ist alles schon abgesprochen. Sie haben mir erlaubt, dich zu besuchen. Unter uns Hexenschwestern, bevor der nächste Vollmond am Himmel steht, werden wir uns sehen. Ich gebe dir Halt und verspreche, dass du mich so schnell nicht loswerden wirst. Wenn du jemanden brauchst, dann bin ich für dich da. Das sind jetzt keine leeren Floskeln. Du kannst dir sicher sein, dass ich es damit ernst meine. Es entspricht der Lebenseinstellung, der ich folge, dass zu bringen, was ich jemanden verspreche. Hexenehrenwort. Halt mich in dieser Hinsicht für durchgeknallt. Meine Passion stößt bei den wenigsten Menschen auf Verständnis. Aber es ist für mich eine unerschöpfliche Quelle, die mir Kraft gibt. Genug für uns beide zusammen, Tracy. Und was immer dir widerfahren ist. Ich kenne einen Weg, die Wunden auf deiner Seele zu heilen. Du hättest die Gesichter der Psychologen sehen sollen, als sie den Brief gelesen haben. Ich glaube, am liebsten wäre es ihnen, mich direkt einzuweisen. Vielleicht gar keine schlechte Idee. Aber nur, wenn es Cheeseburger gibt. Lass mich ruhig herumalbern. Glaub mir, wenn du nur einen Funken von deinem Humor zurückgewinnst, dann wird es dir besser gehen. Glaub mir, den werde ich schon aus dir herauskitzeln.   Mit Liebe, Bernadette.   Hallo Bernadette, ich möchte nicht, dass du kommst, dass du mich so siehst. Einen Zombie. Denn mehr ist von mir nicht übrig. Wofür soll ich mir das noch länger antun. Das ist kein Leben. Auch wenn ich hier in Sicherheit bin. Es ist doch nur ein Gefängnis. Er läuft da draußen rum und hat schon längst die Nächste in seinen Bann gebracht. Solange er lebt, wird es nicht enden. Er ist zu gewitzt, als dass die richtigen Leute merken, was für ein Monster er ist. Er ist ein Spieler. Verrucht und gnadenlos. Ich habe längst schon begriffen, dass mein Leben an dem Tag endete, da sie starb. Du denkst sicher, dass ich in Rätseln spreche. Sorry. Aber ich will dich nicht mit meinem Mist belasten. Du hast es nicht verdient, da mit hineingezogen zu werden. Vielleicht ist das, was mir zugestoßen ist eine Bestrafung und er ist der Vollstrecker, mein Henker. Ich bin bereit, diese Welt zu verlassen. Denn als Zombie will ich nicht länger existieren. Und dort, auf der anderen Seite gibt es zumindest eine Person, die auf mich wartet. Auch wenn es nur kurz war. Aber es ist nett, dich kennengelernt zu haben.   Tracy   Kreidebleich lässt Bernadette den Brief aus ihrer Hand gleiten. Sie nimmt das Ticken des Sekundenzeigers der Wanduhr überdeutlich wahr, unfähig, sich zu rühren. Wie von einem Fluch getroffen, zu Stein erstarrt, sitzt sie auf dem Stuhl und starrt die letzten Zeilen des Briefes abermals an. Mephisto nimmt Anlauf. Mit einem gekonnten Sprung löst er sich vom Boden, katapultiert sich hinauf auf den Tisch und landet direkt auf Tracys Brief. Dann streckt er seine Pfote, die Krallen ausgefahren vor und schlägt nach ihrem Gesicht. Doch er hat die Bewegung durchdacht und mit präziser Katzengeschicklichkeit vollführt. So trifft...



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