Federici | Jenseits unserer Haut | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 139 Seiten

Federici Jenseits unserer Haut

Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-95405-080-2
Verlag: Unrast Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Körper als umkämpfter Ort im Kapitalismus

E-Book, Deutsch, 139 Seiten

ISBN: 978-3-95405-080-2
Verlag: Unrast Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



»Eine Geschichte des Körpers kann erzählt werden, indem man die unterschiedlichen Formen der Repression beschreibt, die der Kapitalismus gegen ihn eingesetzt hat. Ich habe mich entschieden, stattdessen über den Körper als Grundlage des Widerstands zu schreiben, das heißt über den Körper und seine Fähigkeiten - die Fähigkeit zu handeln, sich zu verändern - sowie den Körper als Grenze der Ausbeutung.« - Silvia Federici Stärker denn je ist der Körper in den Fokus linker und linksradikaler Politiken gerückt. Ob feministische, antirassistische, queere oder ökologische Bewegungen: Sie gehen vom Körper in seinen verschiedenen Facetten aus, um ihre politischen Forderungen zu formulieren und emanzipatorische soziale Praktiken zu entwickeln. Zugleich ist der Körper zentraler Signifikant für die durch den Neoliberalismus ausgelöste Reproduktionskrise sowie für den weltweiten Anstieg staatlicher Repression und zwischenmenschlicher Gewalt. In Jenseits unserer Haut untersucht die langjährige Aktivistin und Bestseller-Autorin Silvia Federici die Grenzen, die unsere Körper der kapitalistischen Profitmaximierung setzen, und das Widerstandspotenzial, das ihnen innewohnt. Damit stellt sie Fragen, die für gegenwärtige emanzipatorische Bewegungen zentral sind: Wie ist der Körper als Kategorie des politischen Handelns zu begreifen? Wie kann es uns gelingen, der Einhegung unserer Körper entgegenzustehen? Es gilt, das steht für Federici fest, die Kreativität und Weisheit unseres Körpers neu zu entdecken, um seiner fortschreitenden kapitalistischen Transformation in eine Arbeitsmaschine zu widerstehen.

Silvia Federici ist feministische Aktivistin, Schriftstellerin und Lehrerin. Sie war 1972 eine der Mitbegründerinnen des International Feminist Collective, der Organisation, die die internationale Kampagne »Lohn für Hausarbeit« ins Leben gerufen hat. Von 1987 bis 2005 unterrichtete sie Internationale Politik und Politische Philosophie an der Hofstra-Universität im Bundesstaat New York. In all diesen Jahren hat sie Bücher und Essays über Philosophie und feministische Theorie und in jüngerer Zeit über den weltweiten Kampf gegen die kapitalistische Globalisierung und für eine feministische Wiederaneignung der Commons geschrieben.

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Einführung
Jenseits unserer Haut sollte ursprünglich zur Beantwortung der Fragen dienen, die im Rahmen meiner drei Vorlesungen im Winter 2015 am California Institute of Integral Studies über die Bedeutung des Körpers und der Körperpolitik in der feministischen Bewegung der 1970er-Jahre und in meinen eigenen theoretischen Arbeiten entstanden waren. Diese Vorlesungen verfolgten unterschiedliche Ziele: den Beitrag hervorzuheben, den der Feminismus der 1970er zur Theorie des Körpers geleistet hat und der von neueren Generationen von Feminist*innen hochgradig unterschätzt wird; gleichzeitig die Einsicht zu betonen, dass es versäumt wurde, Strategien zu entwickeln, die die materiellen Lebensbedingungen von Frauen signifikant verändern könnten; und des Weiteren, den theoretischen Rahmen zu präsentieren, den ich in Caliban und die Hexe entwickelt habe, um die Ursprünge der Ausbeutungsformen zu untersuchen, denen Frauen in der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaft unterworfen wurden. In diesem Sinne sollte meine Präsentation der Auseinandersetzung mit den Lehren der Vergangenheit dienen. Die Diskussionen im Anschluss an die Vorlesungen warfen jedoch Fragen auf, die über den ursprünglichen Rahmen hinausgingen, was mich zu dem Entschluss brachte, den Horizont meiner Vorlesungen und dieses Buchs zu erweitern. Vier Fragen spielen in diesem Band die Hauptrolle. Erstens: Ist ›Frau‹ noch immer eine notwendige Kategorie für feministische Politik angesichts der unterschiedlichen Lebensgeschichten und Erfahrungen, die sich hinter diesem Etikett verbergen, oder sollten wir sie lieber verwerfen, wie Butler und andere poststrukturalistische Theoretiker*innen vorschlagen? Allgemeiner ausgedrückt, sollten wir jegliche politische Identität automatisch als fiktiv abtun und Einheiten vorziehen, die auf rein oppositionellen Grundlagen basieren? Wie sollen wir die neuen Reproduktionstechnologien einordnen, die uns versprechen, unsere physische Erscheinung zu restrukturieren und unsere Körper unseren Wünschen entsprechend umzugestalten? Geben uns diese Technologien mehr Kontrolle über unsere Körper oder verwandeln sie sie in Versuchsobjekte und Quellen des Profits für den kapitalistischen Markt und den medizinischen Sektor? Mit Ausnahme von Teil Eins dreht sich das Buch um diese Fragen, wobei Teil Eins als Vorbereitung dient, da ich darin demonstrieren möchte, dass die feministische Bewegung der 1970er in erster Linie anhand ihrer Strategien und nicht ihres Gender-Standpunktes bewertet werden sollte. In diesem Sinne unterscheidet sich meine Sichtweise deutlich von der der Performanztheoretiker*innen, die die Frauenbefreiungsbewegung der 1970er eher für ihre vermeintliche Identitätspolitik als für ihre tatsächlich verfolgten politischen Strategien kritisieren. In den 1990ern – zu Zeiten einer großen Krise des Feminismus aufgrund der Auswirkungen einer institutionellen Übernahme, des Eintritts von Frauen in männlich dominierte Berufe und einer wirtschaftlichen Umstrukturierung, die eine genderfluidere Arbeiterschaft erforderte – entwickelten sich poststrukturalistische Theorien, die postulierten, dass Körper und Gender die Produkte diskursiver Praxis und Performanz sind. Zweifellos besaßen sie damals – und für manche noch heute – ihren Reiz. Wenn ›Frau‹ jedoch als analytische/politische Kategorie abgeschafft wird, dann auch entsprechend der ›Feminismus‹, denn es fällt schwer, sich eine oppositionelle Bewegung ohne gemeinsam erlittene Ungerechtigkeit als Grundlage vorzustellen. Tatsächlich haben sowohl Arbeitgeber*innen sowie Gerichte nur allzu gern ihren Vorteil daraus gezogen, dass sich Feminist*innen auf die nicht reduzierbare Diversität unter Frauen beriefen, indem Sammelklagen wegen Diskriminierung von Arbeiterinnen (beispielsweise bei Walmart) als solche abgewiesen wurden und die Arbeiterinnen stattdessen gezwungen wurden, jeweils einzeln vor Gericht zu ziehen.[1] Wichtiger noch – wir können doch sicherlich Erfahrungen wie die Mutterschaft, Kindererziehung und soziale Unterordnung gegenüber Männern als gemeinsames Terrain des sozialen Kampfes der Frauen betrachten, selbst wenn sich daraus gegensätzliche Strategien entwickeln? Sind etwa alternative Identitäten wie ›homosexuell‹, ›trans‹ und ›queer‹ in geringerem Maße Fragmentierungen auf Grundlage von Klasse, ›Rasse‹[2], Herkunft und Alter ausgesetzt? Ich schreibe diese Worte, nachdem ich die erstaunlichen Bilder aus den Straßen von Buenos Aires und anderen Teilen Argentiniens gesehen habe, wo sich seit Jahren Hunderttausende Frauen versammeln, trotz ihrer Unterschiedlichkeit und manchmal auch Uneinigkeit, um zu kämpfen – gegen Gewalt gegen Frauen, gegen die Verschuldung von Frauen und für das Recht auf Abtreibung – und um kollektive Entscheidungen zu treffen, die verändern, was es heißt, eine Frau zu sein. Was wären solche Kämpfe ohne die Anerkennung der ›Frau‹ als politisches Subjekt, als Identität, die natürlich umstritten ist, aber auch stetig neu definiert wird, was eine wichtige Rolle beim Aufbau einer Vision von der Welt, die wir erschaffen wollen, spielt? Diese Argumentation entwickle ich im zweiten Teil des Buchs, wo ich meinen Standpunkt darlege, dass die Verleugnung jeglicher sozialen, politischen Identifikation die sichere Niederlage bedeutet. Dies bedeutet eine Verleugnung der Solidarität unter den Lebenden sowie mit den Toten und setzt in Wahrheit die Vorstellung von Menschen ohne Vergangenheit voraus. Ein weiterer ernüchternder Gedanke ist, dass jedes allgemeingültige Konzept einmal unter großen Differenzen entstanden ist. Wie können wir entschlossener von Liebe, Bildung und Tod sprechen als von Frauen, Männern und Trans, wenn wir Diversität als Ausschlusskriterium annehmen? Wir wissen zum Beispiel, dass die Liebe im antiken Griechenland oder Rom eine ganz andere Form hatte als die Liebe im Europa oder den USA des 20. Jahrhunderts oder Liebe in einem polygamen Kontext. Das hindert uns nicht daran, dieses und viele andere ähnlich konstruierte Konzepte zu benutzen, denn sonst wären wir zum Schweigen verdammt. In Teil Zwei wird zudem die – nennen wir sie – Körperumgestaltungsbewegung untersucht, bei der sowohl technologische Innovationen als auch der medizinische Sektor eine große Rolle spielen. Hierbei liegt mein Ziel eher darin, zu betonen, was auf dem Spiel steht, und vor den indirekten Gefahren zu warnen, als die jeweiligen Praktiken zu kritisieren. Es gibt ein breites Spektrum an Körperumgestaltungen, von plastischer Chirurgie über Leihmutterschaft bis hin zur Geschlechtsumwandlung. Was jedoch in jedem dieser Fälle hervorsticht, sind die Macht und das Prestige, die medizinische Expert*innen durch ihre Verheißungen erlangt haben. Die Abhängigkeit von einer Institution mit einer so langen Geschichte der Kooperation mit dem Kapital und dem Staat sollte uns Sorgen bereiten. Die Geschichte sollte uns eines Besseren belehren. Teil Drei enthält Artikel über die Rolle der Medizin und Psychologie bei der Organisation und Disziplinierung der Industriearbeiter*innen sowie der Frauen als Subjekte der Reproduktionsarbeit. In diesem Teil findet sich ebenfalls ein Rückblick auf die zur Zeit der Reagan-Ära aufkommenden Diskussionen darüber, wie die Arbeiterschaft, die für die Arbeit in neuen technologischen und extraterrestrischen Umgebungen benötigt wird, beschaffen sein muss. Der in »Mormon*innen im All« gespiegelte kapitalistische Traum von einem asketischen Arbeiter, der die Trägheit eines über Millionen von Jahren entwickelten Körpers überwindet und beispielsweise in Weltraumkolonien funktioniert, ist heute sehr lehrreich, da die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz nach neuen Fähigkeiten und neu geformten Subjektivitäten verlangt. Momentan zeigt sich dieser Traum konkret in der Einpflanzung von Mikrochips ins Gehirn, was denjenigen, die es sich leisten können, ein Leben frei von Pässen und Schlüsseln ermöglicht. Doch es mehren sich bereits die Visionen von einer Zukunft, in der ausgewählte Personen geistig verstärkt werden, riesige Mengen von Erinnerungen speichern und mit enormer Geschwindigkeit denken können, sodass sie beispielsweise dazu fähig sind, ein Buch in einer halben Stunde durchzulesen. Indessen gehen auch die Experimente um das Zerteilen und Neuzusammensetzen unseres Körpers immer schneller voran und deuten auf eine Zukunft hin, in der Klone, Genmanipulation und Gentransfers – heute schon bei Tieren angewandt – fester Bestandteil der Medizin sein werden, was vermutlich dem Kapitalismus ermöglicht, zukünftig nicht nur unbelebte Waren zu produzieren, sondern auch neue Formen des menschlichen Lebens. In diesem Sinne beginnt die Wiederaneignung unseres Körpers, unserer Selbstbestimmung über unsere körperliche Realität damit, dass wir die Kraft und Weisheit des Körpers anerkennen, des Körpers, wie wir ihn kennen, wie er über einen langen Zeitraum in beständiger Interaktion mit der Entwicklung unseres Planeten geformt wurde – ein Prozess, der jetzt zum großen Nachteil für unser Wohlergehen leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. »Gepriesen sei der tanzende Körper«, der abschließende Artikel des Buchs, den ich schrieb, nachdem ich einen Tanz der Choreografin Daria Fain über die Entstehung des Bewusstseins und der Sprache gesehen hatte, ist eine Ode an diese Kraft und Weisheit, die der Kapitalismus heute zerstören will. Meine Vision unterscheidet sich hier von Bachtins Konzept[3] des Pantagruelischen Körpers, wie ihn sich Rabelais[4] im 16. Jahrhundert erdacht hat. Dieser Körper geht über...


Silvia Federici ist feministische Aktivistin, Schriftstellerin und Lehrerin. Sie war 1972 eine der Mitbegründerinnen des International Feminist Collective, der Organisation, die die internationale Kampagne »Lohn für Hausarbeit« ins Leben gerufen hat. Von 1987 bis 2005 unterrichtete sie Internationale Politik und Politische Philosophie an der Hofstra-Universität im Bundesstaat New York. In all diesen Jahren hat sie Bücher und Essays über Philosophie und feministische Theorie und in jüngerer Zeit über den weltweiten Kampf gegen die kapitalistische Globalisierung und für eine feministische Wiederaneignung der Commons geschrieben.



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