Hintergründe, Analysen, Berichte
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-85371-877-3
Verlag: Promedia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Neben den regionalen Konfliktparteien agieren globale Mächte, allen voran die USA, die nach den zerstörerischen Interventionen im Irak (1991 bzw. 2003) als Schutzmacht des saudischen Königshauses auftreten. Geopolitisch auf der anderen Seite steht die zerbrechlichere Allianz zwischen dem Iran und Russland. Als weitere "Außenseiter" haben sich die Türkei und Israel militärisch in Stellung gebracht, während China mit seinem Projekt der "Neuen Seidenstraße" auch in der Golfregion wirtschaftlich immer stärker auftritt.
Matin Baraki und Fritz Edlinger haben eine Reihe von ExpertInnen zu den brennendsten Fragen der Region versammelt, wobei besonderes Augenmerk auf die wirtschaftlichen Hintergründe und sozialen Auswirkungen der Krise gelegt wird.
Das Öl ist längst zu einem Fluch für die Völker der Region geworden. Eine Handvoll Königshäuser und Emire teilen sich auf arabischer Seite die Gewinne aus Erdöl- und Erdgasförderung, während im Iran eine neue Klasse schiitischer Geistlicher eine islamische Republik zu ihren Gunsten verwaltet.
Eine Zeittafel und eine ausgewählte Bibliographie beschließen den Band.
Autoren/Hrsg.
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Andreas Krieg
Sicherheit – ein umkämpfter Begriff am Golf
Einleitung
Die Krise am Golf, die die Staaten des Golfkooperationsrats (GCC) seit einigen Jahren spaltet, hat seinen Ursprung in dem geostrategischen Wandel, der mit dem sogenannten »Arabischen Frühling« einherging. Während die alten Regionalmächte Nordafrikas und der Levante unter dem Druck der Revolutionen zerbrachen, verschob sich das Machtmonopol an den Arabischen Golf – in die Hände weitestgehend unerfahrener Monarchen, die mit ihrer neuen Rolle der Verantwortung zunächst überfordert waren. Durch Petro-Dollars finanziell weitaus stabiler aufgestellt und, mit der Ausnahme Bahrains, auch immuner gegen die Welle der Revolte, die nach 2011 über die Region schwappte, hatten die Golfmonarchien mehr Handlungs- und Gestaltungsspielraum in dem postrevolutionären Kontext, um zu experimentieren. Spätestens nach dem Fall des Gaddafi-Regimes zeigte sich, dass die Staaten des Golfs komplett unterschiedliche Politiken verfolgten, mit anderen Werten, Interessen und ideologischen Narrativen. Vor allem die kleineren aber auch ambitionierteren Golfstaaten, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), standen sich plötzlich auf unterschiedlichen Seiten eines regionalen Stellvertreterkrieges gegenüber. Die Konsequenzen für den Golfkooperationsrat als regionaler Sicherheitskomplex waren verheerend. Was 1981 unter der Schirmherrschaft Saudi-Arabiens als Bollwerk gegen die befürchtete Ausbreitung der islamischen Revolution im Iran begann, ist heute nur noch der Schatten eines Versuchs, die sechs Golfmonarchien unter einem gemeinsamen Sicherheitskonzept zu vereinen. Heute sind die sechs Staaten des Golfkooperationsrats9, die geschichtlich, sprachlich, religiös, ethnisch und familiär nicht enger miteinander verknüpft sein könnten, durch einen ontologischen Keil gespalten. Die Fragen, wie man Sicherheit und Stabilität regional definieren und erreichen kann, werden von ideologischen Narrativen getrieben. Die Versicherheitlichung von Sachverhalten10 findet nicht mehr auf regionaler GCC-Ebene statt, sondern wird individuell auf nationaler Ebene vorangetrieben. Das Resultat davon ist der effektive Zerfall des GCC als ein Sicherheitskomplex und die Entwicklung eines nationalen oder bilateralen Sicherheitsverständnisses. Wie dieser Beitrag zeigen wird, hat die Versicherheitlichung des politischen Islam und der Idee von liberaler Zivilgesellschaft ganz besonders zu einem Bruch zwischen Saudi-Arabien und den VAE auf einer Seite und Katar auf der anderen Seite geführt. Riad, Abu Dhabi und Doha, als die drei wichtigsten Protagonisten auf der arabischen Seite des Golfs, haben nach dem Arabischen Frühling die Aufstände gegen autoritäre Regierungen völlig unterschiedlich bewertet. Während Katar den soziopolitischen Wandel als eine Chance sieht, haben vor allem die Emirate und Saudi-Arabien den Schrei der Massen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und soziopolitischer Freiheit als eine Bedrohung gesehen. Obwohl das Narrativ des »iranischen Schreckensgespenstes« noch immer viel Resonanz im saudischen Königreich erhält, beschäftigen sich die Sicherheitsagenden der anderen Staaten mehr mit der Rolle von nichtstaatlichen Akteuren in einer Region im Umbruch. Das Konzept von Sicherheit am Golf
Die Theorie der Versicherheitlichung scheint besonders gut geeignet, um zu verstehen, wie hinter verschlossenen Türen, in kleinen, sehr zentralisierten Kreisen um einen Monarchen am Golf seit jeher Sicherheitslagen und Bedrohungen definiert wurden. Im Sinne der konstruktivistischen Idee ist Sicherheit kein absolutes, sondern ein relatives Konzept, das gesellschaftlich im Rahmen eines Sicherheitsdiskurses konstruiert wird. Die Protagonisten dieses Diskurses bestimmen, wie Sicherheit definiert wird, wer oder was eine Bedrohung darstellt, und wen oder was man wie schützen sollte. Das Konzept von Sicherheit ist hierbei an den Kontext gebunden, in dem dieser Diskurs stattfindet, der wiederum von ontologischen, weltanschaulichen und persönlichen Faktoren der Protagonisten beeinflusst wird. Der »globale Krieg gegen den Terror« nach dem 11. September 2001 ist ein gutes Beispiel dieser Versicherheitlichung, wobei insbesondere durch die amerikanische Bush-Regierung die Welt in Freunde und Feinde unterteilt und der gesamte Sicherheitsapparat der USA für die Bekämpfung dieser einen immateriellen und ungreifbaren Bedrohung gleichgeschaltet wurde. In den autokratischen Monarchien des Golfs ist dieser Sicherheitsdiskurs traditionell einer kleinen Elite vorbehalten, die zumindest im analogen Zeitalter ohne »soziale Medien« nie auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmen musste. Der König, der Emir oder der Sultan und seine direkten Berater treffen Entscheidungen oft ohne die jeweiligen Ministerien heranzuziehen, die oft nur mit der Umsetzung betraut werden. Obgleich der Kreis derer, die zu diesem Diskurs beitragen, auch in liberalen Demokratien meist sehr übersichtlich ist, so gewährleistet zumindest in der Theorie der demokratische Prozess einen Grad von Kontrolle. Ohne demokratische Kontrolle und Verantwortung findet die Versicherheitlichung am Golf oft in den Köpfen einiger weniger statt, die Konzepte von nationaler Sicherheit und Regimesicherheit miteinander gleichsetzen. Das Überleben des Regimes wird zu einem Faktor nationaler Sicherheit hochstilisiert. Die Grenzen zwischen internen und externen Bedrohungen verschmelzen.11 Das Verständnis von Sicherheit als die Abwesenheit von Bedrohung gegen das Fortbestehen der Stammesmonarchien war und ist immer noch weit verbreitet. Obwohl es bereits seit der Unabhängigkeit der kleineren Emirate in den 1960er und 1970er Jahren große Unterschiede in der Bewertung der Bedrohungslage gibt, so besteht dennoch einen Konsens, dass das Überleben des Regimes oberste Priorität hat – ein Konsens, den nur die regionale Supermacht Saudi-Arabien nicht akzeptieren wollte. Für das saudische Königreich waren die Sicherheitsbedürfnisse der kleineren Monarchien immer nur solange wichtig, wie sie mit den eigenen Sicherheitsinteressen vereinbar waren. Der Anspruch auf Souveränität und Selbstbestimmung in Doha, Manama und Abu Dhabi war für Riad schwer zu akzeptieren, das die jungen Stadtstaaten immer nur als Vasallenstaaten wahrgenommen hatte. Saudische Äußerungen, dass ein Angriff auf eine der Herrscherfamilien am Golf einem Angriff auf die eigene Herrscherfamilie gleichkäme,12 waren oft bloß Rechtfertigungen für saudische Einmischungen in »innere Angelegenheiten« in Bahrain 1994 und 2011 oder in Katar 1996. Es waren auch die Saudis, die in den 1970er Jahren die Initiative ergriffen, um eine kollektive Sicherheitsstruktur am Golf aufzubauen, damals noch einschließlich des vorrevolutionären Iran und Saddams Irak. Die iranische Revolution 1979 sollte dem Prozess der Sicherheitsintegration am Golf neue Dynamik verleihen. Der Golfkooperationsrat als Sicherheitskomplex
Das Jahr 1979 war in jeglicher Hinsicht ein Schock für die Monarchien am Golf. Nachdem die Rückkehr von Ayatollah Khomeini im Februar das Ende der Pahlavi-Monarchie im Iran einleitete, wurde Saudi-Arabien im November von der gewaltsamen Besetzung der Großen Moschee von Mekka durch militante Islamisten überrascht. Und im Dezember marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, um die Kommunisten zu unterstützen. Für die sechs Golfmonarchien schien sich die Großwetterlage in der Region fundamental zu ändern, ganz besonders mit der Errichtung eines islamischen Gottesstaates in Teheran, der den Führungsanspruch Saudi-Arabiens in der islamischen Welt infrage stellen sollte. Als dann im September 1980 Saddams Irak versuchte, die Wirren der Revolution im Iran auszunutzen, um seine Vormachtstellung auszubauen, war das für die Monarchen am Golf genug Impetus, den Weg für eine intergouvernementale Organisation zu ebnen, trotz rivalisierender Visionen für eine kollektive Sicherheitsstruktur. Jahre ergebnisloser Verhandlungen, die von konkurrierenden nationalen Sicherheitsagenden untergraben wurden, waren im Angesicht des neuen Sicherheitskontexts plötzlich vergessen. Als die Vertreter der sechs Golfstaaten im Februar 1981 in Kuwait zusammenkamen, um die Einzelheiten der neuen Organisation zu verhandeln, gab es drei verschiedene Vorschläge aus Saudi-Arabien, Kuwait und dem Oman, die hastig in ein gemeinsames Konzept umgewandelt werden mussten – die übermächtige Verhandlungsmacht des »großen Bruders« Saudi-Arabien sollte dabei das Zünglein an der Waage sein. Dass der dann im Mai 1981 geformte Golfkooperationsrat seinen Sitz in Riad haben sollte, war kein Zufall. Obgleich militärische Kooperation und kollektive Sicherheit in den Statuten des GCC festgehalten wurden, verpassten es die Gründungsväter, diese Konzepte weiter zu definieren. Eine klare Gesamtstrategie, die richtungsweisend eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vorgeben könnte, fehlte.13 Auf ein gemeinsames Konzept von Sicherheit konnte man sich nicht einigen. Der Golfkooperationsrat legte sich weder auf eine politische Union fest, noch legte er den Grundstein für eine strategische Militärallianz. Stattdessen erscheint der GCC bis heute als ein Provisorium, das als unmittelbare Kurzschlussreaktion auf die turbulenten Ereignisse in der Region zwischen 1979 und 1980 zu bewerten ist. Dabei war Riads Angst vor einem konfrontativen und expandierenden Iran unter der ideologischen Führung der...