E-Book, Deutsch, Band 6
Reihe: Die Welt der tausend Ebenen
Farmer Der Zorn des Roten Lords
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-641-20248-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Welt der tausend Ebenen, Band 6 - Roman
E-Book, Deutsch, Band 6
Reihe: Die Welt der tausend Ebenen
ISBN: 978-3-641-20248-4
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wiedersehen in der Welt der tausend Ebenen
Jim Grimson ist siebzehn Jahre alt, als man ihn vor die Wahl stellt: Jugendgefängnis oder Psychotherapie. Er entscheidet sich für letzteres und wird in eine Klinik eingeliefert, wo er Doktor Porsena kennenlernt. Dieser verfolgt bei seiner Therapie einen neuen Ansatz: er versetzt seine Patienten in fiktionale Paralleluniversen, wo sie in Rollenspielen mit Situationen umzugehen lernen, die auch im realen Leben vorkommen. So betritt Grimson die Welt der tausend Ebenen, wo er zum gefürchteten Roten Lord wird. Doch etwas an diesem Rollenspiel fühlt sich viel zu real an ...
Philip José Farmer wurde am 26. Januar 1918 in North Terre Haute, Indiana, geboren. Die Familie siedelte nach Illinois über, wo Philips Vater einen kleinen Betrieb hatte. Als dieser Mitte der 1930er Jahre pleiteging, musste Philip sein Collegestudium abbrechen und seine Familie mit allerhand Jobs finanziell unterstützen. Er studierte später neben dem Beruf und machte 1950 seinen Bachelor of Arts in Englisch. Danach arbeitete er als technischer Journalist für verschiedene Unternehmen, ehe er 1952 mit seiner Erzählung 'Die Liebenden' schlagartig berühmt wurde. Die Story, die mit dem Hugo Award ausgezeichnet wurde, war zuvor von renommierten SF-Magazinen abgelehnt worden, weil sie von einer sexuellen Beziehung zwischen einem Menschen und einem Alien handelt, was im prüden Amerika der 1950er Jahre für einen Skandal sorgte. Mit Romanen wie 'Fleisch' festigte Farmer sein Image als Tabubrecher; Reihen wie der Flusswelt-Zyklus, für die er seinen zweiten Hugo Award gewann, oder die 'Welt der tausend Ebenen'-Saga befassen sich mit neomythologischen Themen. Philip José Farmer starb am 25. Februar 2009 in seinem Heim in Peoria, Illinois.
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2. Kapitel
3. November 1979 »Alle Patienten bisher«, sagte Doktor Porsena, »haben früher schon andere Therapien ausprobiert. Sie haben ihnen nichts gebracht, allerdings kann das zum Teil auch daran liegen, dass sie sowieso etwas gegen jede Art von psychiatrischer Therapie hatten.« »Alte chinesische Weisheit«, sagte Jim Grimson. »WER ZUM PSYCHIATER GEHT, MUSS VERRÜCKT SEIN. Und noch ein göttlicher Spruch: WAHNSINN IST NICHT WAS MAN WAHNSINN WÄHNT.« L. Robert Porsena, Doktor der Medizin, Mitglied der Bundesvereinigung der Psychiater, Leiter der Psychiatrie in der Wellington-Klinik, lächelte dünn. Vermutlich, so nahm Jim an, dachte er: Noch so ein kleiner Klugscheißer, mit dem ich mich abgeben muss. Hab seine Klosprüche schon tausendmal gehört. ›Göttlicher Spruch‹, allerdings. Er versucht mich zu beeindrucken, will mir zeigen, dass er nicht irgend so ein beschränkter, sabbernder, verpickelter, mit Drogen vollgepumpter, Rock-närrischer Jugendlicher ist, der einen Sprung in der Schüssel hat. Allerdings mochte Doktor Porsena auch etwas ganz anderes denken. Schwer zu sagen, was hinter diesem gutgeschnittenen Gesicht vorging, das fast genauso wie Julius Caesars Büste aussah. Bis auf den schwarzen Fu-Manchu-Bart und den gelackten modischen Haarschnitt. Er lächelte viel. Seine wissbegierigen hellblauen Augen erinnerten Jim an das Lied des verrückten Hutmachers in Lewis Carrolls Alice im Wunderland: »Funkel, funkel, Fledermaus! Auf was willst du bloß hinaus! Fliegst jetzt auf und über die Welt, Teetablett am Himmelszelt. Funkel, funkel …«{2} Doktor Porsenas jugendliche Patienten behaupteten, er sei ein Schamane, eine Art Wunderheiler, ein Medizinmann der Großstadt, der über Zauberkräfte und Geister aus dem Jenseits gebiete. Doktor Porsena wollte gerade etwas sagen, als ihn die Gegensprechanlage auf seinem Schreibtisch unterbrach. Er drückte auf einen Knopf: »Winnie, ich hab's Ihnen doch mitgeteilt. Keine Anrufe!« Winnie, die schöne schwarze Sekretärin, die auf der anderen Seite der Wand an ihrem Schreibtisch saß, hatte offensichtlich eine dringende Angelegenheit durchzustellen. »Entschuldige, Jim«, sagte Doktor Porsena. »Es wird nicht länger als eine Minute dauern.« Jim hörte nur mit halbem Ohr hin, während er aus dem Fenster schaute. Die Psychiatrische Abteilung und Porsenas Büro lagen im zweiten Stock. Das Fenster war wie alle übrigen in diesem Bereich mit dicken Eisenstäben vergittert. Durch die Lücken in der Gebäudefront gegenüber konnte Jim die Dachgiebel im Hafengebiet erkennen. Die Bauten lagen am Ufer des Tarhee River, der eine Meile südwärts in den Mahoning River floss. Er konnte auch die Kirchturmspitzen von Sankt Grobian und Sankt Stephan sehen. Wahrscheinlich hatte seine Mutter an diesem Morgen die Frühmesse besucht. Das war inzwischen die einzige Zeit, zu der sie zum Gottesdienst gehen konnte. Sie hatte zwei Arbeitsstellen, zum Teil wegen ihm. Das Feuer hatte alles zerstört. Bis auf das gemalte Porträt seines Großvaters, das hatte man zusammen mit ihm aus dem Haus geborgen. Seine Eltern waren in eine ziemlich billige möblierte Wohnung gezogen, ein paar Ecken weiter. Nach Eric Grimsons Geschmack zu nah bei der ungarischen Nachbarschaft. So eine Undankbarkeit sah seinem Vater ähnlich. Evas Verwandte – eigentlich das ganze Magyarenviertel – hatten Geld gespendet, um ihnen aus der Patsche zu helfen. Einen Großteil des Bargeldes hatten sie durch eine Lotterie aufgebracht. Das war schon was, denn wegen der wirtschaftlichen Misere in der Gegend von Youngstown waren Wohltätigkeitsspenden in den letzten paar Jahren nur noch spärlich geflossen. Aber Evas Familie, Freunde und Kirche hatten's geschafft. Wenn sie wegen ihrer Ehe auch eine Halbausgestoßene war, so war sie doch immer noch eine ungarische Landsmännin. Und jetzt, wo sie ganz unten war, sollte sie ihre Lektion wohl gelernt haben und angemessene Reue zeigen, wie man so sagt. Die Grimsons hatten sich eine Versicherung, die Schaden am Hauseigentum oder Verlust in Folge des Zusammenbruchs von Fundamenten abdeckte, nicht leisten können. Obwohl sie eine Feuerversicherung abgeschlossen hatten, würde man ihnen nichts zahlen, falls das Feuer durch höhere Gewalt verursacht worden war. Das war noch nicht entschieden. Eric Grimson konnte sich keinen Rechtsanwalt leisten. Aber einer von Evas Cousins, ein Staatsanwalt, hatte angeboten, den Fall zu übernehmen. Falls er gewann, würde er zehn Prozent der Auszahlung kassieren. Falls er verlor, würde er leer ausgehen. Klar, dass er seine Zeit nur deshalb opferte, weil die Sippe zusammenhielt und seine Cousine ihm leid tat. Dass sie mit einem Nicht-Magyaren verheiratet war, der dazu noch ein fauler Rumtreiber und Atheist und früherer Protestant war, das war ja schon schlimm genug. Aber dass sie auch noch ihr Haus und ihren ganzen Besitz verlieren musste und einen Sohn hatte, der übergeschnappt war … das war zu viel. Obwohl er ein Rechtsanwalt war, hatte er ein großes Herz. Die Krankenversicherung deckte das Geld für Jims Therapie, aber die vierteljährlichen Versicherungsbeiträge waren sehr hoch. Eva Grimson hatte eine zweite Arbeitsstelle angenommen, um sie bezahlen zu können. Bis jetzt hatte sie Jim zweimal besucht und jedes Mal sehr müde ausgesehen. Sie hatte schnell Gewicht verloren, ihre Wangen wurden hohl, und um die Augen hatte sie schwarze Ringe. Jim hatte solche Schuldgefühle, dass er anbot, die Therapie abzubrechen. Das wollte seine Mutter nicht annehmen. Man hatte ihren Sohn vor die Wahl gestellt, sich entweder einer Therapie zu unterziehen oder zu einer Gefängnisstrafe verurteilen zu lassen. Der Bezirksstaatsanwalt hatte ihn als erwachsenen Strafmündigen behandeln wollen, was ein strengeres Urteil bedeutet hätte. Sie würde alles tun, was sie konnte, um so etwas zu verhindern. Außerdem – das sprach sie zwar nicht aus, konnte es aber nicht verbergen – hielt sie Jim für echt verrückt und ging davon aus, dass er es ohne psychiatrische Behandlung auch bleiben würde. Jims Vater hatte ihn nicht besucht. Jim hatte seine Mutter nicht gefragt, warum Eric Grimson fortblieb. Zum einen wollte Jim seinen Vater gar nicht sehen. Zum anderen wusste er, dass Eric sich sehr schämte, dass er ein ›verrücktes‹ Kind hatte. Die Leute würden denken, der Wahnsinn sei in der Familie verbreitet. Vielleicht traf das auf Evas Familie auch zu. Alle Ungarn waren verrückt. Aber nicht die Grimsons, weiß Gott nicht! Eigentlich hatte Jim großes Glück gehabt, dass er so schnell in die Therapie aufgenommen worden war. Wegen der knappen finanziellen Mittel in dieser Gegend hatte man die Programme zur Behandlung der psychisch Kranken beträchtlich gekappt. Normalerweise wäre Jim ganz am Ende der langen Warteschlange gewesen. Er wusste nicht, wie oder warum er so vorgezogen worden war. Er hatte den Verdacht, dass Sam Wyzaks Onkel, der Richter, seinen Einfluss geltend gemacht hatte. Es konnte auch sein, dass der Cousin seiner Mutter, der Staatsanwalt, einigen Druck gemacht hatte, wahrscheinlich auf nicht ganz legale Weise. Obwohl Doktor Porsena sich nicht darüber ausließ, wem sein Bocksprung über andere hinweg zu verdanken war, hatte er möglicherweise etwas damit zu tun gehabt. Jim hatte den Eindruck, dass der Psychiater ihn wegen seiner Geschichte der Stigmata und Halluzinationen für einen sehr interessanten Fall hielt. Vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Schließlich war er wirklich nichts Außergewöhnliches, nur irgend so ein Wichser, Prolo, Bankert, quadratschädeliger ungarischer Arsch. Wenn er der ganzen hässlichen Wahrheit ins Gesicht sah, dann war er genau das. Doktor Porsena legte endlich den Hörer auf. »Wir haben gerade von anderen Patienten gesprochen«, sagte er, »die jetzt bei diesem Programm mitmachen, nachdem sie früher andere Therapien versucht haben. Die hatten bei diesen Patienten, die alle etwas gegen jede Art von psychiatrischer Therapie hatten, keinen Erfolg. Was ich dir anbiete – wir üben hier keinerlei Druck oder Zwang aus –, ist die sofortige Aufnahme in die Therapie, mit der wir viel Erfolg gehabt haben.« Doktor Porsena sprach sehr schnell, aber deutlich. Wenn er redete, machte er auffallend wenig Pausen oder Verzögerungen, wie sie bei den meisten Leuten das Gespräch unterbrechen. Kein … äh … hmm … also, weißt du. »Es ist nicht leicht. Keine Therapie ist leicht. Blut, Schweiß und Tränen und so weiter. Und wie bei jeder Therapie hängt der Erfolg grundsätzlich von dir ab. Wir heilen den Patienten nicht. Er oder sie heilt sich selbst, unter unserer Anleitung. Im Klartext: Du musst selbst den Wunsch haben, deine Probleme in den Griff zu bekommen, du musst es wirklich wollen.« Der Doktor schwieg kurz. Jim sah sich im Büro um. Auf ihn wirkte es ziemlich luxuriös. Ein dicker (Persianer?) Teppich, supergepolsterte Sessel und Couch, ein großer Schreibtisch aus irgendeinem glänzenden Hartholz, stilvolle Tapete, an der Wand viele Diplome und Zeugnisse, in den Nischen die Büsten berühmter Leute und Gemälde, die Jim, der sich mit Kunst nicht auskannte, für abstrakt oder surrealistisch oder für sonst was hielt. »Hast du alles verstanden, was ich gesagt habe?«, fragte Porsena. »Wenn es etwas gibt, das du nicht völlig begreifst, dann sag's. Ob Patient oder Arzt, wir sind alle hier, um zu lernen. Es ist überhaupt keine Schande, wenn man seine Unwissenheit zugibt. Ich zeige meine eigene ziemlich oft. Ich weiß nicht alles. Niemand weiß alles.« »Klar, ich verstehe. So weit. Wenigstens reden Sie nicht so von oben herab und in diesem Fremdwörterjargon mit mir, nicht in diesem...