E-Book, Deutsch, 492 Seiten
ISBN: 978-3-451-83777-7
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ging es den Päpsten bis 1870 noch um die Behauptung ihres politischen Gewichts, hatten sie sich danach als »Gefangene im Vatikan« als geistliche Autorität eines angefochtenen Katholizismus neu zu erfinden. Das 20. Jahrhundert brachte die Auseinandersetzung mit den totalitären Ideologien, den Katastrophen zweier Weltkriege sowie dem sozialen und politischen Wandel in der ganzen Welt (Ende des Kolonialismus). Das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) versuchte einen Neuaufbruch für einen erstarrten Katholizismus und hat seitdem die Spannungen zwischen Reformern und Konservativen auszutarieren, ohne zu versäumen, sich als moralische Größe in der sich rasant wandelnden Welt Gehör zu verschaffen.
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„Der Papst stirbt, das Papsttum jedoch ist unsterblich“ Voltaire, Les Lettres d’Amabed, 1769 Vorwort
Nach einem alten Sprichwort, dessen Ursprünge im Dunkeln liegen, handelt die Kirche in Jahrhunderten und denkt in Jahrtausenden. Das lässt sich treffend verdeutlichen an ihrem ältesten und wichtigsten Amt: demjenigen des Papstes. Das Papsttum ist nicht vom Himmel gefallen, sondern in den letzten 2000 Jahren zu dem geworden, was es heute ist. Besonders in den letzten zwei Jahrhunderten war es einem starken Wandel unterworfen. Dieses Buch will Entwicklungslinien nachzeichnen und aufzeigen, wie sich Tradition und Fortschritt beim Papsttum ineinanderfügen. Warum setzt dieser Band im Jahr 1800 an? Dieser Zeitpunkt scheint zum einen dadurch gerechtfertigt, als Ludwig von Pastors monumentale Papstgeschichte mit dem Tod Pius’ VI. im Jahr 1799 endet. Zum anderen liegt es auch von daher nahe, hier zu beginnen, als vielen Zeitgenossen in jenem Jahr das Papsttum als erledigt und historisch überholt galt. Es war nicht einmal klar, ob eine ordentliche Papstwahl stattfinden konnte. Ein Drittes kommt hinzu: Die Wende zum 19. Jahrhundert markiert in der Papstgeschichte eine Zäsur. Bei den folgenden Päpsten haben sich immer mehr moderne Züge ausgebildet, die das Papsttum bis heute kennzeichnen. Dies versuche ich in einem Überblick darzulegen, der auf die Darstellung der einzelnen Pontifikate folgt und diese systematisch auswertet. Es geht also nicht nur um die einzelnen Päpste, sondern auch um die Entwicklung des Papsttums. Dieses Buch dient nicht der Hagiographie, also der Heiligengeschichtsschreibung. Es geht nicht darum, die Größe und Integrität der Päpste zu erweisen, sondern ihr Wirken historisch-nüchtern darzustellen und dabei die Auswirkungen des jeweiligen Pontifikates auf Kirche und Gesellschaft zu analysieren. Immer wieder sollen die jeweiligen Amtsträger in längeren Zitaten auch selbst zu Wort kommen. Untersucht werden 224 Jahre Papst- und Kirchengeschichte. Die letzten Jahrzehnte fallen in den Bereich der kirchlichen Zeitgeschichte. Ihre Schilderung ist für den Historiker besonders heikel. Viele Leserinnen und Leser haben den betreffenden Zeitraum mit all seinen Höhen und Tiefen noch erlebt. Namentlich für die letzten Pontifikate ist es besonders schwierig, zu einem Urteil zu gelangen, das Einseitigkeiten meidet. Fast notwendig werden zeitgenössische Beobachter in dem einen oder anderen Punkt zu einer anderen Einschätzung gelangen. Diese Darstellung versteht sich daher eher als Denkanstoß, nicht als Endurteil über eine Epoche und ihre Päpste. Alles andere wäre ohnehin vermessen. Gleichwohl bin ich um Ausgewogenheit bemüht und versuche, unangebrachte Zuspitzungen zu vermeiden. Vor allem ist es mir wichtig, den Stand der wissenschaftlichen Diskussion abzubilden. Das scheint mir umso sinnvoller, als Päpste und Papsttum in populären Darstellungen nicht immer sachgerecht gewürdigt werden. Dieses Buch ist so angelegt, dass man es als fortlaufende Erzählung zusammenhängend lesen kann. Die einzelnen Kapitel, die jeweils einen Pontifikat behandeln, sind aber zugleich in sich abgerundet. Es handelt sich insofern um eine Sammlung kürzerer Biographien zu den einzelnen Päpsten. Auch das Kapitel mit dem forschungsgeschichtlichen Überblick zu den Entwicklungslinien des Papsttums bildet eine geschlossene Einheit. Bei der Darstellung der einzelnen Pontifikate werden immer wieder Rückverweise, Vergleiche und Hinweise auf spätere Entwicklungen eingeflochten. Damit ist ein Grundanliegen dieses Bandes beschrieben: Die einzelnen Pontifikate und päpstlichen Amtsträger stehen nicht für sich, sondern sind Teil einer Geschichte, die sie jeweils auf ihre Weise kreativ fortschreiben. Es geht also auch um die Spannung zwischen Tradition und Innovation, die sich in jeder Amtszeit immer wieder neu vollzieht. Bei meiner Darstellung bemühe ich mich um eine internationale Perspektive. Heute machen die Katholiken in den deutschsprachigen Ländern nur noch 2,3% der Gesamtkatholikenzahl aus. Während andere Länder in der katholischen Weltkirche stärker in den Fokus gerückt sind, hat das Gewicht der deutschen, österreichischen und schweizerischen Angelegenheiten aus römischer Sicht in den letzten 200 Jahren kontinuierlich abgenommen. Sie sollen daher in diesem Buch keinen beherrschenden Raum einnehmen, wie das noch in den älteren deutschsprachigen Publikationen zur Papstgeschichte Fall war. Die emerging churches, also die Ortskirchen in Amerika, Afrika und Asien, müssen stärker in den Blick genommen werden, da sie heute für das Papsttum eine ungleich größere Bedeutung haben als noch vor 224 Jahren, als die katholische Kirche vor allem ein europäisches Unternehmen war. Bis zum Ende der Amtszeit Pius’ XII. 1958 sind die Archivbestände im Vatikanischen Apostolischen Archiv weitgehend zugänglich. Zu den Pontifikaten bis 1939 liegen vor allem italienische und französische Teileditionen vor. Wiederum profitiere ich wie schon bei meinen Biographien Benedikts XV., Leos XIII. und Pauls VI. sowie bei meinem Buch über die päpstliche Außenpolitik seit 1870 (Friedensmacht – die vatikanische Außenpolitik seit 18701) in erheblichem Maß von den Ergebnissen italienischer, französischer und spanischer Forschungen. Auf dem Feld der Papstgeschichte wird in Italien und Frankreich deutlich mehr geforscht und publiziert als im deutschsprachigen Raum. Bei den italienischen Forschern und Forscherinnen dürfte die Nähe zum Vatikanischen Apostolischen Archiv ausschlaggebend sein. In diesem Sinn verstehe ich meine eigene Arbeit auch als Vermittlung romanischer Forschungsergebnisse an den deutschen Kulturraum. Das Literaturverzeichnis versucht daher, die einschlägige internationale Literatur zu berücksichtigen. Es muss aber angesichts der Fülle an Publikationen, die vor allem auf Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch erschienen sind, notwendigerweise ausschnitthaft bleiben. Die Bibliographie führt bewusst nur Titel auf, die nach der Jahrtausendwende erschienen sind – alles andere würde jeden Rahmen sprengen. Die ältere Literatur ist ohnehin in den bis dahin erschienenen Überblickswerken zur neueren Papstgeschichte dokumentiert. Verwiesen sei insbesondere auf Georg Schwaigers Buch, Päpste und Papsttum im 20. Jahrhundert. Von Leo XIII. zu Johannes Paul II.2 sowie auf meinen Forschungsbericht zur Papstgeschichte in der Theologischen Revue vom Dezember 2022, der in gewissem Sinn eine Vorarbeit zu diesem Buch darstellt.3 Zu den einzelnen Pontifikaten bietet das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon Literaturverzeichnisse, die in der online-Version ständig aktualisiert werden. In der Bibliographie werden im Allgemeinen nur Monographien, Lexika, Tagungsakten und Sammelbände dokumentiert, nicht aber einzelne Artikel, dies wäre unverhältnismäßig. Bei der Bibliographie kann es sich also naturgemäß nur um eine Auswahl handeln – zu groß ist die Anzahl an einschlägigen Veröffentlichungen. Was die Quellen zu der in diesem Band dargestellten Epoche und zu den einzelnen Päpsten angeht, kann man diese Beschränkung auf die letzten zweieinhalb Jahrzehnte natürlich nicht durchhalten. Hier ziehe ich auch Quellen heran, die bis in die Lebenszeit der betreffenden Päpste zurückreichen. Nach Möglichkeit vermeide ich es dabei, seltene und schwer zugängliche Ausgaben zu zitieren, und stütze mich auf verbreitete Ausgaben (wie etwa die Acta Apostolicae Sedis oder die offizielle Website des Vatikans). Die interessierte Leserschaft sollte die zitierten Texte leicht wiederfinden können, wenn sie sie selbst nachlesen will. Ich beschränke mich auf bereits edierte Texte und verzichte auf unveröffentlichtes Archivmaterial, da es sich ja um eine Überblicksdarstellung, nicht um eine Spezialstudie handelt. Weil alles andere nicht zu leisten wäre, wird bis auf wenige Ausnahmen davon abgesehen, populärwissenschaftliche Publikationen aufzunehmen. Um der besseren Lesbarkeit willen wird auf einen wissenschaftlichen Apparat verzichtet, abgesehen von Zitatbelegen und Literaturhinweisen im forschungsgeschichtlichen Überblick zur neuzeitlichen Papstgeschichte. Der Text ist wissenschaftlich verantwortet, von einem Wissenschaftler geschrieben, basiert auf wissenschaftlicher Literatur – richtet sich aber durchaus auch an breitere Kreise. Ob dieser Spagat gelungen ist, mögen der Leser oder die Leserin beurteilen. Rechtschreibung und Zeichensetzung in Zitaten werden an die heute geltende Regelung angepasst. Lebensdaten werden im Allgemeinen bei der ersten Nennung einer Person angeführt. Dieses Buch stellt im gewissen Sinne einen Ertrag meiner eigenen Forschungen zur Papstgeschichte dar. Mir ist bewusst, dass ich bestenfalls einen Zwischenstand wiedergeben kann, wird doch zu den meisten jüngeren Pontifikaten ausgiebig geforscht und publiziert. Den Leserinnen und Lesern präsentiere ich ein opus in fieri, ein work in progress – bestenfalls eine Anregung zu weiterer Lektüre und vertieftem Nachdenken. Für Hinweise zur Sache bin ich jederzeit dankbar. Danken möchte ich meinen Augsburger Mitarbeitern Florian Backeler, Josef Wagner und...