Buch, Englisch, Deutsch, 95 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm
Jakob Wassermann Deutscher und Jude German and Jew
Buch, Englisch, Deutsch, 95 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm
ISBN: 978-3-9825997-0-0
Verlag: Jüdisches Museum Franken
Text - Bild - Geste
Kurt Winkler
"[...] Vor wenigen Tagen, am 10. Mai, wurde der Bücherverbrennung vor 90 Jahren ge- dacht. Die Ereignisse sind bekannt: An diesem Tag wurden auf dem Berliner Opern- platz, dem heutigen Bebelplatz, und in weiteren 18 Hochschulstädten in Deutschland Tausende Werke von Autorinnen und Autoren, Wissenschaftlerinnen und Wissen- schaftlern verbrannt, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft, ihrer politischen Haltung, ihrer künstlerischen Ausdrucksform missliebig waren. Der 10. Mai 1933 markierte symbolisch aber auch faktisch den Beginn des beispiellosen Regimes von Ausgren- zung, Verfolgung und Vernichtung, mit dem der Nationalsozialismus unter dem Ap- plaus eines großen Teils der deutschen Bevölkerung seinen Terror über Deutschland und Europa verbreitete.
Anlass besonderer Scham ist es, dass die Bücherverbrennung von Professoren un- terstützt und von der organisierten Studentenschaft durchgeführt wurde. Die ideologi- sche Losung lautete „Aktion wider den undeutschen Geist“, eine Botschaft, die auf eine Selektion des zur deutschen Kultur Zugehörigen und des aus ihr Auszuschließen- den, ja Auszumerzenden hinauslief.
Auch die Werke von Jakob Wassermann zählten zu jener inkriminierten und dis- kreditierten Literatur, die der Verbrennung zum Opfer fiel. Wassermann selbst erlebte die Wochen seit dem 30. Januar 1933, die mit dem Verkaufsverbot seiner Bücher und mit dem Ausschluss aus der Preußischen Akademie der Künste verbunden waren, als ultimativen Schritt der Abweisung und Ausgrenzung, als endgültiges Scheitern seiner Hoffnungen, als jüdischer Autor Anerkennung zu finden und als Jude Teil der deut- schen Literatur, in den Worten der Zeit Teil der „Deutschen Kulturnation“ zu sein. Wassermann lebte zu diesem Zeitpunkt im österreichischen Altaussee, wo er am 1. Januar 1934 verarmt und deprimiert starb. Und sicherlich haben die Erfahrungen in diesem ersten Jahr nationalsozialistischer Herrschaft zu seinem frühen Tod beigetra- gen.
Auf der Liste der von der Bücherverbrennung betroffenen Autoren findet sich auch Thomas Mann. Zumindest für Hannover, Hamburg, Göttingen und Köln ist be- legt, dass auch Werke aus seiner Feder ebenso wie Schriften seines Bruders Heinrich ins Feuer geworfen wurden.
Zwölf Jahre vor den Ereignissen auf dem Berliner Opernplatz hatte Thomas Mann „in freundschaftlichster Ehrfurcht“ einen Brief an Jakob Wassermann geschrieben, einen Brief, der zu den schrecklichen Irrtümern der deutschen Literaturgeschichte ge- zählt werden muss. [...]
Zielgruppe
Künstler, Kunstinteressierte, Literaturhistoriker, Historiker, Medienkünstler, Germanisten, Geschichtsinteressierte, Literaturliebhaber
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
4 Vorwort / Preface
Daniela F. Eisenstein
9 Text - Bild - Geste. Arnold Dreyblatts Installation „Lesezeichen. Jakob Wassermann. Deutscher und Jude“ / Text - Image – Gesture: Arnold Dreyblatt’s Installation “Bookmarks. Jakob Wassermann – German and Jew”
Dr. Kurt Winkler
23 Zur Installation „Lesezeichen“ von Arnold Dreyblatt
On the Installation “Lesezeichen” (Bookmarks) by Arnold Dreyblatt
Dr. Felicitas Heimann-Jelinek
37 Mein Weg zu Jakob Wassermann / My Path to Jakob Wassermann Arnold Dreyblatt
53 LESEZEICHEN Gelesene Passagen, Video Installation
BOOKMARKS Read Passages, Video Installation Zu Arnold Dreyblatt / About Arnold Dreyblatt Zu den Autoren / About the Authors
82 Zu Arnold Dreyblatt / About Arnold Dreyblatt
90 Zu den Autoren / About the Authors
92 Impressum / Imprint
94 Literatur- und Bildnachweis / Literature and Photo Credits
94 Dank / Acknowledgement
VORWORT
Daniela F. Eisenstein
[...] „Es ist vergeblich, für sie zu leben und für sie zu sterben. Sie sagen: er ist ein Jude.“ Diese
Zeilen schrieb der in Fürth geborene Autor Jakob Wassermann 1921 in seinem autobiografischen Essay „Mein Weg als Deutscher und Jude“. Zwölf Jahre vor Beginn des Nationalsozialismus beschrieb er in dieser Schrift schonungslos den Antisemitismus seiner Zeit.
Jakob Wassermann (1873-1934) war einer der meistgelesenen Autoren seiner Epoche. Er wertete den Erfolg seiner Bücher zunächst als Beweis der gelungenen deutsch-jüdischen Symbiose. Der wachsende Antisemitismus und der beginnende Nationalsozialismus zwan- gen ihn jedoch zurück ins „spirituelle Ghetto“, aus dem er einst aufgebrochen war. Zeit sei- nes Lebens litt Wassermann an dem Gedanken, er sei in seinem Versuch, als Jude von den Deutschen akzeptiert zu werden, gescheitert. Seine beinahe manische Beschäftigung in seinen Schriften mit der deutsch-jüdischen Identität sind erschütternd, sie sind sprachlich und inhaltlich ein Spiegel Wassermanns Zeit und dennoch aktuell.
[...]
Kurt Winkler
[...] A few days ago, May 10, marked the commemoration of the book burnings that occurred ninety years ago. The events are well-known: On this day, thousands of works by writers and scholars were burned on the Opernplatz (today known as Bebelplatz) in Berlin as well as in 18 other university cities across Germany. The au- thors were personae non gratae due to their Jewish origins, their political views, or their forms of artistic expression. May 10, 1933 marked both the symbolic and the factual beginning of an unparalleled regime of exclusion, persecution, and annihila- tion, through which National Socialism spread its terror across Germany and Europe accompanied by the applause of a large part of the German population.
A particularly shameful aspect of the book burnings is the fact that they were sup- ported by professors and carried out by organized student groups. The ideological motto was “Aktion wider den undeutschen Geist” (Operation against the Un-German Spirit), a message that indicated who was to be selected as belonging to German culture and who was to be excluded, even eradicated, from this culture.
Jakob Wassermann’s works also numbered among the incriminated and discredit- ed literature that fell victim to the flames. His books had already been banned in the weeks following January 30, 1933, and Wassermann personally was expelled from the Prussian Academy of Arts. He experienced these developments as the ultimate step toward rejection and exclusion and as the ultimate disappointment of his hopes of being accepted as a Jewish author, as a Jew in the world of German literature, and – in the words of the time – as a member of the “German cultural nation.” At the time, Wassermann was living in Altaussee in Austria, where he eventually died in poverty and misery on January 1, 1934. His experience of the first year of Nazi rule surely contributed to his early death.
The list of authors whose books were to be burned also included Thomas Mann. There is documentary evidence that his works, along with those of his brother Heinrich, were burned at least in the cities of Hannover, Hamburg, Göttingen, and Cologne. Twelve years before the events that unfolded on the Opernplatz in Berlin, Thomas Mann wrote a letter “in friendliest veneration” to Jakob Wassermann, which must be regarded as one of the most terrible mistakes in German literary history. [...]