E-Book, Deutsch, 128 Seiten
Ehrensperger / Stierli Keine Panik vor Dynamik!
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-8497-8244-3
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gruppendynamische Kompetenz für den pädagogischen Alltag
E-Book, Deutsch, 128 Seiten
ISBN: 978-3-8497-8244-3
Verlag: Carl Auer Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Ob man Kinder oder Jugendliche unterrichtet oder ob man mit Kollegen im Team zurechtkommen muss – in jedem Fall geht es um den Aufbau einer tragfähigen (Arbeits-)Beziehung. Was man als Gruppendynamik bezeichnet, verhält sich dabei wie das Wetter: Es ist immer da, zeigt sich aber in unterschiedlichen Formen. Wer erkennt, wie vielschichtig eine Situation betrachtet werden kann, ist eindeutig im Vorteil.
Heidi Ehrensperger und Peter Stierli beschreiben an eindrücklichen Fallbeispielen aus dem Schulalltag, wie sich gruppendynamische Vorgänge erkennen und einordnen lassen und wie man ihnen begegnen kann. Konflikte in der Klasse, dicke Luft im Teamzimmer, ein neuer Schüler kommt, heikle Elternabende, auffällige Kinder oder unerwartetes Verhalten von Kollegen: zu allen dargestellten Ereignissen werden wirksame Interventionen aufgezeigt und begründet.
Lehrpersonen und Schulleiter finden auf diese Weise jede Menge Anregungen, die ihr Handlungsrepertoire erweitern.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Was ist Gruppendynamik?
Wenn mehrere Menschen zusammen sind, haben wir nicht einfach
eine Ansammlung von Einzelwesen: Es entsteht etwas Neues,
anderes, das ganz eigenen Gesetzen gehorcht. Elmar Teutsch Gruppendynamik meint die in jeder Gruppe ablaufenden Prozesse. Anders gesagt: Gruppendynamik ist das, was zwischen den Mitgliedern einer Gruppe geschieht. Und darauf kann und soll die Leitung einer Gruppe – hier: einer Klasse, eines Lehrerteams oder einer Kindertagesstätte – Einfluss nehmen, denn ein positives Gruppenklima entwickelt sich nicht von selbst. Selbstverständlich spielen dabei die individuellen Befindlichkeiten, Bedürfnisse und Verhaltensweisen der Gruppenmitglieder eine gewichtige Rolle. Die Gruppendynamik trägt diesem Umstand Rechnung. Verschiedene Modelle helfen, eine Angelegenheit nicht nur von der eigenen Position her, sondern von außen zu betrachten und das ganze System rund um eine Begebenheit zu berücksichtigen. Eine Situation wird also nicht nur auf die entsprechende Handlung z. B. eines Kindes reduziert, sondern mit seinem ganzen Umfeld in Verbindung gebracht. Welche Rolle nimmt es in der Klasse ein, wie sieht die familiäre Situation aus, welche Beziehung besteht zwischen der Lehrperson und dem Kind? Ebenso wird das weitere Umfeld berücksichtigt: Wie sind die Strukturen in einer Schule oder Institution, wie verläuft die Zusammenarbeit im Schulhausteam, welche pädagogischen Grundsätze und welche Strukturen sind in einer Schule etabliert? Was ist formell festgelegt, und welche informellen Gesetze herrschen? Gruppendynamische Kompetenz Gruppendynamisch kompetente Pädagogen hinterfragen und schärfen ihre eigene Wahrnehmung für das Geschehen in Gruppen fortwährend, finden Worte für ihre Beobachtungen und können diese Beobachtungen in ihren Klassen oder im Schulhausteam adäquat ansprechen. Ebenso müssen sie nicht gleich eine Antwort zur Hand haben, sondern können verschiedene Vermutungen (Hypothesen) als Ursache für eine bestimmte Situation nebeneinander stehen lassen. Gruppendynamische Kompetenz bedeutet, mit den Unterschieden, die es immer gibt, gut umgehen zu können. Heterogenität besteht in jeder Gruppe; homogene Gruppen sind auch in der Schule eine Illusion. Unterschiede sind eben Unterschiede und kein Ausdruck von Wertungen, auch wenn sie häufig dafür genommen werden. Sie stellen gleichzeitig Bereicherungs- wie auch Spaltungspotenzial dar. Je besser es gelingt, Unterschiede zu benennen und nebeneinander stehen zu lassen, desto größer ist die Chance, dass sie in der Klasse und im Teamzimmer bereichernd wirken. Was ist eine Gruppe? Damit man von einer Gruppe sprechen kann, braucht es folgende vier Merkmale: •Gruppengröße: 3 bis ca. 25 Personen •Gruppenziel: eine gemeinsame Aufgabe oder ein gemeinsames Ziel •Dauer: Bestand über einen längeren Zeitraum. Dadurch entstehen unter anderem Engagement und Identifikation. •Wechselseitige Beziehungen: die Möglichkeit der direkten Kommunikation. Eine »Gruppe« meint also eine Anzahl von miteinander in Beziehung stehenden Menschen. Diese vier Elemente, die eine Gruppe kennzeichnen, beeinflussen sich wechselseitig. Eine Gruppe ist mehr als die Summe der Persönlichkeiten ihrer Mitglieder (Doppler u. Voigt, nach Antons, Ehrensperger u. Milesi 2019, S. 67). Die Schulklasse als spezielle Gruppe Somit können wir eine Schulklasse als Gruppe anschauen, die jedoch spezifische Eigenheiten aufweist: •Eine Schulklasse ist eine recht große Kleingruppe. •Eine Schulklasse ist eine zunächst aus organisatorischen Gründen gebildete Zwangsgruppe, die nach einiger Zeit zur Bezugsgruppe wird, d. h., es bilden sich Gefühlsbindungen (Ulich 2001, S. 51). •Für die Mitglieder einer Klasse ist es wie in allen Gruppen ein Bedürfnis, es miteinander gut zu haben und die anstehenden Aufgaben zu meistern; für das Individuum besteht der Wunsch, einen guten Platz in der Gemeinschaft zu haben. •Gleichzeitig sind die Kinder als Einzelkämpfer unterwegs (Ulich 1977, S. 63). Sie stehen untereinander in Konkurrenz und sollen den Erwartungen vor allem der Eltern entsprechen und diesem Druck standhalten. •Eine Schulklasse ist eine von außen gesteuerte Arbeitsgruppe mit Übergängen zur Freizeitgruppe (vgl. beispielsweise gemeinsame Freizeitaktivitäten der Kinder, Chatten im Netz). •Eine Schulklasse hat einen formalen und von außen bestimmten Leiter mit einem Alters- und Wissensunterschied, mit Disziplinierungs- und Bewertungsfunktion und damit verbundenen Autoritäts- und Übertragungseffekten (Jahnke 1982, S. 216). •Die Lehrperson ist also nicht Mitglied der Gruppe, sie ist Teil des Systems. Sie leidet und freut sich mit, hat aber klar andere Rollen und Funktionen als die Gruppenmitglieder. Eine Schulklasse ist geprägt von der Gleichzeitigkeit von •Lernen und der Schaffung der sozialen Bedingungen •Konkurrenz und Kooperation •Anpassung und Entfaltung. In einer Schulklasse dominieren die Beziehungsmuster von •Zusammenarbeit •Helfen •Vergleich, Wetteifer, Konkurrenz •Suche nach Anerkennung, Abwertung. Unterschied von Gruppe und Team Gruppe ist der Oberbegriff, Team eine Sonderform davon. Verkürzt kann man sagen, dass Teams etwas produzieren und Gruppen miteinander lernen. Die gruppendynamischen Phänomene unterscheiden sich nicht grundsätzlich. Das Eisbergmodell
Sichtbar die Spitze
Sechsmal mehr unter Wasser
Verborgene Kraft. (Haiku, H. E.) König und Schattenhofer (2015, S. 26 ff.) beschreiben das Eisbergmodell, wie man es sich für Gruppen vorstellen kann: »Im Alltag hat man oft den Eindruck, dass es in Gruppen um etwas anderes geht als das, was sichtbar und hörbar ist.« Wenn wir das Geschehen in Schulklassen oder Lehrteams betrachten, können wir die Metapher des Eisbergs heranziehen, um zu verstehen, dass sechs Siebtel »unter der Wasseroberfläche« verborgen sind. Abb. 1: Eisbergmodell (eigene Darstellung): In der Metapher des Eisbergs wird deutlich, dass sich unter der Wasseroberfläche ein Vielfaches des sichtbaren Volumens befindet, das ganz andere Themen enthält und die Sachebene beeinflusst Das eine Siebtel, das aus dem Wasser ragt, zeigt die Sachebene, das Bewusste. »Darunter liegen mehrere Schichten ›latenten‹ Geschehens, das man – je weiter es von der Oberfläche entfernt ist – nur erahnen kann« (ebd., S. 27). Die Art, wie miteinander über Sachthemen gesprochen wird, lässt vermuten, was sich darunter alles tut. »Wenn jedoch in einer Gruppe Dinge geschehen, die für die Erledigung der Sachaufgabe unsinnig erscheinen, dann ist dies ein erster Hinweis auf die Wirksamkeit der latenten Ebene« (ebd., S. 28). Freundschaftliche Nähe, Sympathie, Antipathie werden im Informellen, in Pausen unter Gleichgesinnten, sehr wohl besprochen. Es wird auch über die Abwesenden geredet – das sind Themen der soziodynamischen Ebene. »Immer muss der Leiter beide Ebenen im Auge behalten. Er muss dafür sorgen, dass sich neben der Sachkompetenz auch Sozialkompetenz entwickelt« (Langmaack u. Braune-Krickau 2000, S. 141). Sach- und Beziehungsebene miteinander zu verbinden und im offiziellen Kontext zu besprechen ist ungewohnt, oft sogar tabu. Gruppen müssen das zuerst lernen. Lehrpersonen sollen sich ein gutes »Echolot« erwerben, ein Gespür für psychische und soziale Prozesse sowie Kenntnisse darüber, wie man vorgehen könnte. »An tragfähige Sachlösungen kommt man nur wirklich heran, wenn man sorgfältig navigiert und ggf. in kleinere Boote (d. h. kleinere Schritte) umsteigt, um nicht unter Wasser, sprich im emotionalen Bereich, aufzulaufen« (ebd., S. 142). Weil die Form des Eisbergs unter Wasser schwer einschätzbar ist, bilden Lehrer oder Schulleiter zunächst Hypothesen (siehe S. 18). Das heißt, sie werden mehrere mögliche Ursachen für eine Verhaltensweise suchen und danach überlegen, wie wahrscheinlich diese Hypothesen sind. Darauf aufbauend, können sie dann...