Frag-würdige Einsichten ins Johannesevangelium
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-451-82184-4
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Mein Suchen als Gottesfrage
Das Internet hat vieles in unserem Leben verändert. Fast für alle Lebensbereiche hält es Tipps und Informationen parat. Wir können problemlos online Artikel bestellen, sodass das Blättern in Katalogen überflüssig wird. Auch den Weg ins Geschäft und das mühsame Suchen nach dem Passenden können wir uns sparen, wenn wir konkrete Vorstellungen davon haben, was wir uns zulegen möchten. Ein kurzer Suchbegriff und schon wird uns auf dem Computerbildschirm eine Fülle von Angeboten präsentiert, die wir im Onlinehandel bestellen können. Das ist gerade in Zeiten wie der Coronavirus-Pandemie äußerst hilfreich und entlastend. Erleichterungen durch das Internet gibt es auch in anderen Lebensbereichen. Wie aufwendig war noch in meinen Studienjahren die Vorbereitung eines Referats. Am Anfang stand die Schlagwortrecherche in den gängigen Lexika. Dann folgte die mühsame Suche nach Artikeln und Fachliteratur in den Bibliothekskatalogen. Schließlich das Warten, bis die ersehnten Bücher eintrafen, und wenn sie dann endlich auf dem eigenen Schreibtisch lagen, wusste man immer noch nicht, ob sie für die Thematik überhaupt brauchbar waren. In vielen kleinen, oft mühsamen Schritten mussten die Kenntnisse zusammengetragen werden. Heute dagegen genügt eine kurze Eingabe in einer Suchmaschine oder in digitalen Bibliothekskatalogen und in Kürze erhalten wir eine Fülle von Hinweisen und Buchtiteln. Auch hier braucht es das kritische Sichten, aber der Suchvorgang an sich wurde doch entscheidend vereinfacht. Die Suchmaschinen sagen inzwischen eine Menge über uns aus. Am Abend eines Tages kontrolliere ich manchmal, welche Internetseiten ich besucht habe. Allein das kann schon sehr aufschlussreich sein für das, was mich an einem Tag beschäftigt hat. Häufig begleitet mich der gleiche Suchbegriff eine Zeit lang. Das kann auch schon mal lästig werden. Vor einiger Zeit wollte ich mir schwarze Hemden zulegen. Also gab ich „schwarze Hemden“ als Suchbegriff ein, um mich zu erkundigen, was alles auf dem Markt ist. Über Wochen wurden mir dann in der Internetwerbung mehr oder weniger günstige Hemden von unterschiedlichen Anbietern zum Kauf angeboten. Das ist ein harmloses Beispiel. Anders war es, als ich für eine Hochzeitspredigt das Thema „Partneragenturen“ recherchierte, da sich das Brautpaar über eine solche kennengelernt hatte. Seitdem bekomme ich immer wieder Tipps und Angebote, schnell eine passende Partnerin für mich zu finden. „Sag mir, was du suchst, und ich sage dir, wer du bist!“, meinte einmal scherzhaft ein Freund zu mir. Unsere Suchbegriffe sagen etwas über uns aus und die beiden Beispiele zeigen mir noch einmal, wie vorsichtig wir damit umgehen sollten. Wir wissen nicht, wer letztlich diese Informationen bekommt und wie sie weiterverarbeitet und interpretieren werden. Manch intime Wünsche und Träume an falscher Stelle geäußert, können etwas von uns preisgeben, das nicht für alle gedacht ist. So gesehen hat es die erste Frage, die Jesus im Johannesevangelium stellt, in sich: „Was sucht ihr?“ Was sucht ihr?
Am folgenden Tag stand Johannes wieder da mit zwei von seinen Jüngern, richtete seinen Blick auf den vorübergehenden Jesus und sagte: Seht, das Lamm Gottes! Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Jesus wandte sich um, und als er sie nachkommen sah, fragte er sie: Was sucht ihr? Sie aber sagten zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wohnst du? Er antwortete ihnen: Kommt und seht! Sie gingen also mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war ungefähr die zehnte Stunde. Joh 1,35–39 Im Johannesevangelium geschieht die Berufung der ersten beiden Jünger durch Vermittlung von Johannes dem Täufer. Er ist es, der sie auf Jesus aufmerksam macht. Die Männer folgen Jesus aus eigenem Antrieb heraus. Auch die anderen drei Evangelien, Markus, Matthäus und Lukas, berichten von einer Berufungsgeschichte. Diese trägt sich aber vollkommen anders zu: Am See Genezareth arbeiten vier junge Fischer in ihren Booten. Als Jesus am Ufer vorbeikommt, ruft er ihnen zu: „Folgt mir nach!“ Ohne Rückfragen und ohne ein Wort zu sagen, verlassen die beiden Brüderpaare ihre Boote, lassen alles hinter sich und gehen mit dem Fremden mit. (Vgl. Mk 1,16–20; Mt 4,18–22; Lk 5,1–11) Im Vierten Evangelium hingegen sind die beiden Jünger selbst aktiv. Wahrscheinlich sind sie schon länger auf der Suche nach einem Lehrer, weil sie vielleicht bei den angestammten religiösen Autoritäten ihrer Zeit auf ihre Fragen keine Antworten mehr finden können. Ob sie ihre Unzufriedenheit zu Johannes dem Täufer geführt hat, wissen wir nicht. Dieser galt zu seiner Zeit als eigenartiger Aussteiger. In seinem Selbstanspruch, ein Wegbereiter für den erwarteten Messias zu sein, wird er vom religiösen Establishment kritisch beäugt. (Vgl. Joh 1,19–28) Für die beiden jungen Männer jedoch scheint er ein glaubwürdiger Ansprechpartner zu sein. Beide Male, wenn Johannes der Täufer Jesus sieht, spricht er vom Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt. (Vgl. Joh 1,29;36) Damit legt er ein Bekenntnis ab. Den theologischen Begriff „Sünde“, der eine schwierige Geschichte hat, kann man neutraler formuliert als „Gottferne“ verstehen. Wenn nun Jesus die Gottferne wegträgt, kann man in ihm unmittelbar Gott begegnen. Das bedeutet, wer Jesus begegnet, der begegnet Gott, wer mit Jesus mitgeht, der geht mit Gott durchs Leben. Davon ist Johannes der Täufer offensichtlich überzeugt und so verweist er seine neuen Gefolgsleute an Jesus. Nur von einem der Männer wird der Name überliefert. Er heißt Andreas. Er wird im Anschluss auch seinen Bruder Simon zu Jesus führen. Der andere hingegen bleibt namenlos. Unter Bibelwissenschaftlern wurde viel gerätselt, ob dieser zweite Mann eventuell der Jünger sein könnte, von dem es später im Johannesevangelium heißt, dass Jesus ihn liebte. Aus diesem Grund wird dieser Jünger auch häufig als „Lieblingsjünger“ bezeichnet. Er taucht im zweiten Teil des Johannesevangeliums in wichtigen Momenten auf: Er ist bei der Fußwaschung dabei (vgl. Joh 13,23), ruht beim Abendmahl an Jesu Brust (vgl. Joh 13,23), hält ihm bei der Passion bis unter das Kreuz die Treue (vgl. Joh 19,26) und findet am Ostermorgen als Erster zum Glauben an die Auferstehung (vgl. Joh 20,2). Es ist nicht bekannt, ob dieser namenlose Lieblingsjünger mit dem namenlosen Gefährten des Andreas identisch ist. In der Tradition wurde er später mit dem Evangelisten Johannes gleichgesetzt. Eine andere Interpretation besagt, dass der namenlose Jünger zu Beginn stellvertretend für jeden Leser des Evangeliums steht. Dieser sei als Platzhalter zu verstehen, an dessen Stelle wir als Leser unseren eigenen Namen einsetzen können. So werden wir in das Geschehen mit hineingenommen und sind zusammen mit Andreas direkt von Jesus angesprochen. Wie er, so sind auch wir von Jesus angefragt: Wen sucht ihr? Letzten Endes muss es offen bleiben, wer der Jünger konkret ist, von dem kein Name überliefert wird. Eines aber ist sicher: In den beiden Männern begegnen uns Menschen, die die Suche nach dem Sinn ihres Lebens mit uns teilen. Eine innere Unruhe, ja vielleicht auch eine gewisse Unzufriedenheit motiviert sie, sich Jesus anzuschließen und ihm nachzufolgen. Sie begegnen ihm im Vertrauen, bei ihm eine Antwort zu finden. Jesus nimmt die beiden wahr und wendet sich ihnen explizit zu. Er sieht sie an und zeigt echtes Interesse an ihnen, wenn er ihnen die zunächst etwas lapidar klingende Frage stellt: Tí zeteite? Das griechische Fragewort tí lässt interessanterweise zwei Übersetzungsmöglichkeiten zu. Zum einen könnte Jesus die Jünger fragen: Wen sucht ihr? In diesem Fall wäre es vorstellbar, dass er die beiden auf sich zukommen sieht und ihnen mit einer schnellen Auskunft weiterhelfen möchte. Zum anderen – und dafür entscheiden sich die meisten Bibelübersetzungen – kann es aber auch heißen: Was sucht ihr? Spannend finde ich an dieser Stelle, dass die Jünger ja wahrscheinlich beides suchen. Sie suchen einen spirituellen Lehrer und sie sind auf der Suche nach etwas, das ihrem Leben tieferen Sinn verleiht. Außerdem wäre es auch möglich, das griechische Wort zetein – „suchen“ – mit „wollen“ zu übersetzen. Das könnte jedoch missverständlich sein, denn in der Frage geht es wohl nicht um eine kurzzeitige Bedürfnisbefriedigung, so wie wenn wir z. B. in einem Geschäft gefragt werden: „Was möchten Sie?“ Es geht vielmehr um ein echtes „Wollen“, um die Frage: Was willst du mit deinem Leben machen? Um diese Frage beantworten zu können, benötigen wir genaue Vorstellungen. Das alles setzt einen intensiven Suchprozess voraus. Jesus stellt den Jüngern, und damit uns, keine simple Frage. Gleich zu Beginn will er wissen: Was willst du aus deinem Leben machen? Was hat dich zu mir geführt? Was sucht ihr? – Diese ersten Worte Jesu im Johannesevangelium sind somit Signalworte und Programm zugleich, wie wir schon in der Einleitung feststellen konnten. Mit dieser Frage stellt sich Jesus nicht selbst in den Mittelpunkt, sondern die Suchenden. Sie werden von Jesus radikal ernst genommen. Umso erstaunlicher ist es, dass die so Angefragten keine Antworten geben, sondern gut rabbinisch mit einer Gegenfrage aufwarten: „Rabbi – wo wohnst du?“ Allein schon die Anrede „Rabbi“ – „Lehrer“, „Meister“ – verdeutlicht, mit welch hohem Respekt und mit welch großer Wertschätzung sie Jesus begegnen. Anscheinend spüren sie, dass eine große Autorität...