E-Book, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 115 mm x 187 mm
Reihe: Politisches Sachbuch
Eckert / Kösters / Habicht Ernährung. Genuss – Gesundheit – Geschäft
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7344-0885-4
Verlag: Wochenschau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Begleitbuch zum hr-iNFO Funkkolleg
E-Book, Deutsch, 240 Seiten, Format (B × H): 115 mm x 187 mm
Reihe: Politisches Sachbuch
ISBN: 978-3-7344-0885-4
Verlag: Wochenschau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Mensch isst nun mal traditionell … alles! Was eben da ist! Was auf den Tisch kommt! Wir sind „getrieben von der Biologie“ und daher nicht zu bremsen, wenn es um Fett und Zucker geht. Uns zu limitieren geht also nur dank unserer Vernunft, dank des menschlichen Intellekts. Als Gesellschaft ein gesundes UND im besten Sinne vernünftiges Verhältnis zum Essen zu finden – das ist jedenfalls eine riesige Herausforderung. Das Begleitbuch zum hr Info-Funkkolleg 2019/20 beschäftigt sich mit vielen Aspekten von "gutem Essen" – einem Thema, zu dem jede(r) eine Meinung hat und bei dem manchmal auch die Emotionen hochkochen.
Autoren/Hrsg.
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JULIANE ORTH Das Märchen von der richtigen Ernährung
In der Küche von Paläo-Koch Manuel Schneider in Mainz. Man könnte auch sagen: Steinzeit-Koch. Denn genau das ist die Grundidee hinter der so genannten Paläo-Ernährung: Kochen und Essen wie die Menschen in der Steinzeit, genauer gesagt der Altsteinzeit, dem Paläolithikum. Manuel Schneider kocht heute Zucchini-Nudeln. „Dazu gibt es ein Spargel-Gemüse aus grünem und weißem Spargel an einer Sauce aus Kokosmehl mit Weißwein und Tapiokastärke, fermentierten Salzzitronen, und im Anschluss kommen noch ein paar frische Heidelbeeren drauf.“ Die Zutaten stehen schön angerichtet und fertig portioniert nebeneinander parat. Steinzeit-Küche? Sieht eher nach moderner Koch-Show aus. Trotzdem ist alles absolut paläokonform, sagt Manuel Schneider: „Wer sagt uns denn, dass gewisse Zutaten, wie wir sie heute kennen, in einer anderen Form nicht schon damals vorhanden waren? Wir wissen, die Aubergine sah früher anders aus als heute. Diese große Frucht war früher eine ganz, ganz kleine. Aber wir gehen davon aus, hätte es die Möglichkeiten und Zutaten, mit denen wir heute arbeiten, damals schon gegeben, man hätte sich genauso ernährt.“ Welche Lebensmittel nun genau „paläokonform“ sind, also der Ernährung in der Altsteinzeit entsprechen oder zumindest nahekommen, darüber gibt es in der Paläo-Szene unterschiedliche Auffassungen. Dahinter steckt der Wunsch, sich möglichst „natürlich“ und damit vermeintlich „richtig“ zu ernähren. Aber gibt es überhaupt eine bestimmte Ernährungsform, die dem Menschen in die Wiege gelegt ist, die die Natur also für ihn „vorgesehen“ hat? Die Paläodiät-Verfechter gehen davon aus. Sie schauen weit zurück. Millionen von Jahren hat es gedauert, bis sich der moderne Mensch entwickelte. Die Altsteinzeit, das Paläolithikum, begann vor rund zweieinhalb Millionen Jahren. Und endete erst vor 10.000 bis 20.000 Jahren, als die Menschen sesshaft wurden, als sie begannen, Ackerbau zu betreiben und Vieh zu halten. Millionen Jahre menschliche Evolution, weitgehend ohne Getreide und Milch und gerade einmal 10.000 bis 20.000 Jahre mit – im Vergleich ein Wimpernschlag. Gejagt und gesammelt wurde also quasi schon immer – alles andere kam viel später dazu. So spät, dass sich unsere Körper darauf möglicherweise noch gar nicht richtig einstellen konnten und unsere Mägen evolutionstechnisch in der Steinzeit hängengeblieben sind – so die grobe Argumentationslinie der Paläo-Verfechter. Aber zunächst kocht Manuel Schneider – nach Paläo-Art. Manchmal tut er das zwar auch an einer Feuerstelle, hier schaltet er aber einfach den Herd ein. Er erklärt: „Natürlich ist Industriestrom oder Strom generell nicht paläokonform, aber da ich keinen Gasanschluss in der Küche habe, muss ich mir leider damit behelfen.“ Strom ist also notfalls zugelassen in der Paläoküche. Ansonsten sind erlaubt: viel Gemüse, Nüsse, Körner, Samen, Saaten, Fleisch und Fisch. Viele Fette sind möglich, aber nicht alle. Und auch sonst gibt es so einiges, wovon der Paläokoch unbedingt die Finger lässt, zum Beispiel Soja, Hülsenfrüchte, Getreide und Lupinen, wie Manuel Schneider ausführt, weil die Jäger und Sammler der Altsteinzeit – so die Annahme – die noch nicht kannten. Und auch weil das nach Paläo-Lesart Nahrungsmittel sind, die erst verarbeitet werden müssen, bevor der Körper sie verwerten und daraus Energie ziehen kann. Viele Hülsenfrüchte, zum Beispiel Kichererbsen oder Bohnen, sind roh verzehrt giftig für den Menschen. Eine Zucchini kann man dagegen auch roh konsumieren und der Körper kann die Nährstoffe nutzen – auch wenn sie den meisten in gekochter Form besser schmecken dürfte. Manuel Schneider spannt die Zucchini in den Spiralschneider und dreht den Hebel. Was sich da aus der Maschine windet, sieht aus wie grün-weiße Spaghetti in Spiralform, verhält sich aber nicht so. „Al dente ist nicht“, lacht der Paläo-Koch. Die Spargel ziehen inzwischen schon in der Pfanne vor sich hin und bekommen an einigen Stellen eine braune Färbung. So ein etwas ursprüngliches Aussehen ist in der Paläo-Küche durchaus beabsichtigt, wie Manuel Schmidt erläutert: „Der Spargel als ungleichmäßige und natürliche Erdfrucht-Variante ist nicht ganz gleichmäßig, aber das ist völlig normal, da wir ja nicht etwas perfekt Geformtes in die Pfanne gelegt haben, sondern etwas mit Bewegung, Wellen, Ecken und Kanten. Darum wird das auch mal etwas anders aussehen. Der Teller lebt schon durch Formen und Varianten, die man so durchaus nicht erwartet hätte.“ Der fertig angerichtete Teller kann sich sehen lassen. Die Grün-, Weiß- und Blau-Töne machen sofort Appetit: Die Basis bilden die Zucchini-Spiralen, darauf liegen die Spargel und dazwischen blitzen die Heidelbeeren auf. Und es schmeckt auch gut: Die Spargel sind sehr knackig und durch die dunklen Stellen leicht deftig. Die Zucchini-Nudeln sind ungewohnt weich und bekommen durch die Soße eine zitronig-säuerliche Note. Der Geschmack der Rezepte war es letztlich auch, der Manuel Schneider von der Paläo-Küche überzeugt hat. Außerdem hält er die Paläo-Ernährung für ökologischer, weil im Anbau der Lebensmittel weniger Wasser verschwendet und mehr auf gute Tierhaltung geachtet werde. Wenn er überhaupt Fleisch verwendet, nimmt Manuel Schneider gerne Wildfleisch oder Fleisch von Weidetieren. Paläo-Küche gleich viel Fleisch – diese Gleichung gilt bei ihm nicht: „Unsere Vorfahren im Paläolithikum mussten sich ihr Fleisch erarbeiten durch Jagd. Da gab es nicht zwölf Monate im Jahr Wild, Mammut, Säbelzahntiger, was auch immer. Da musste gehaushaltet werden, da hat man angefangen, natürliche Produkte zu essen. Und man hat ausprobiert: Diese Pflanze dort, ich beiß’ mal rein, im schlimmsten Fall bin ich halt tot. Diesen Erfahrungen haben wir zu verdanken, dass wir heute wissen, was wir essen können.“ Wer überlebte und genug Nachkommen aufziehen konnte, also den Fortbestand seiner Art sichern konnte, hatte offenbar nicht die schlechteste Wahl bei der Ernährung getroffen. Aber was aßen unsere Vorfahren denn nun? Und wie finden Wissenschaftler das heraus? Hans Konrad Biesalski ist Ernährungsmediziner und war Professor für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft an der Uni Hohenheim. Er erklärt, dass Forscher die Zähne aus Skelettfunden untersucht haben. „Da gibt es Zähne, die haben enormen Abrieb, da geht man davon aus, die haben harte Wurzeln und Ähnliches verzehrt. Und dann gibt es solche, die sind sehr scharf wie unsere Schneidezähne. Da sagt man, die haben Fleisch zerreißen müssen und und und. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Ich kann durch den Nachweis bestimmter Isotope in den Zähnen feststellen, ob die Ernährung vorwiegend pflanzlich, gemischt oder vorwiegend tierisch war.“ Klar ist: Die Ernährung der Steinzeit gab es nicht. Ob die frühen Menschen vorwiegend Fleisch oder komplett vegetarisch aßen, hängt auch von den klimatischen und landschaftlichen Gegebenheiten ab. Und auch die unterlagen dem Wandel. Hans Konrad Biesalski hat als Ernährungsmediziner die Bedeutung der Mikronährstoffe für die Evolution des Menschen erforscht. Während Makronährstoffe die Grundbausteine Fett, Kohlenhydrate und Proteine umfassen, bezeichnen Mikronährstoffe Vitamine und Mineralien wie Vitamin C, Calcium oder Eisen. Hans Konrad Biesalski beginnt seinen Rückblick mit dem Beispiel des Menschenaffen Sahelanthropus tchadensis, der am Tschadsee in Zentralafrika lebte, etwa sieben Millionen Jahre vor unserer Zeit. Möglicherweise gehörte er zu den letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse, es gibt dazu unterschiedliche Theorien. Vermutlich ging der Sahelanthropus tchadensis aufrecht – und er lebte in einem ausgesprochen reichhaltigen Ökosystem. Denn damals war der Tschadsee rund hundertmal größer als heute und hatte ein flaches und sumpfiges Ufer, das ihm vielfältige Nahrung bot. Hans Konrad Biesalski beschreibt die Lebensumstände: „Der saß in den Bäumen am See – und Menschen waren immer am See –, in den Bäumen war er geschützt, er hat Blätter gefunden und Früchte. Ab und an ist er an den See gegangen und hat was getrunken. Dann hat er einen Flösselhecht gefangen und ganz gegessen. Danach ist er zurück auf seinen Baum, da war er geschützt. Er hatte das, was wir heute eine vegetabile, also pflanzlich basierte Mischkost nennen.“ Gräser, Fische, Weichtiere und Algen aus dem See versorgten ihn also mit einer Vielzahl von Mikronährstoffen. Und das trug offenbar dazu bei, dass der spätere Mensch sich zum aufrechten Gang hin...