Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie
E-Book, Deutsch, 240 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-540-27609-8
Verlag: Springer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Pathogenese, Epidemiologie und Klassifikation des diabetischen Fußsyndroms.- Funktionelle Anatomie des Fußes.- Diagnostik.- Therapie.- Diagnostik und Therapie bei diabetisch-neuropathischer Osteoarthropathie.- Nachbehandlung und Präention.- Erfahrungen in der Umsetzung eines interdisziplinären Behandlungskonzeptes.- Versorgungsstrukturen in der Zukunft.
1 Pathogenese, Epidemiologie und Klassifikation des diabetischen Fußsyndroms (S. 1)
R. Lobmann
Das diabetische Fußsyndrom stellt ein besonderes Problem unter den Komplikationen des Diabetes dar. Dabei ist das diabetische Fußsyndrom nicht ausschließlich eine klassische Spätkomplikation des Diabetes, sondern kommt bereits bei neu diagnostizierten Diabetikern gehäuft vor. Erhöhte plantare Drücke in Kombination mit einer diabetischen Polyneuropathie und ggfs. einer Angiopathie führen zusammen mit einer vermutlich systemischen Komponente bei Patienten mit einem Diabetes mellitus zur chronischen Fußläsion. Nach der Literatur schwankt die Prävalenz für die Entwicklung eines diabetischen Fußsyndroms zwischen 4 und 15%.
Bei 2/3 dieser Patienten wird eine sog. Major-Amputation (Amputation oberhalb des Sprunggelenkes) durchgeführt. Die in der Literatur angegebene Sterblichkeitsrate von Diabetikern mit einem diabetischen Fußsyndrom ist mehr als doppelt so hoch wie die der Durchschnittsbevölkerung. Die Krankenhaussterblichkeit nach einer Major-Amputation beträgt 15–25%. Auch nach einer erfolgreichen Amputation bleiben rund 30% der Beinstümpfe nicht dauerhaft belastbar.
Von den für die Solidargemeinschaft entstehenden Kosten durch den Diabetes entfallen – mit steigender Tendenz – mittlerweile bereits 25% auf das diabetische Fußsyndrom. Die Vorgaben der St.-Vincent-Deklaration von 1989, in der eine Reduktion der Amputationsrate um 50% in einem Zeitraum von 10 Jahren gefordert wurde, sind nicht annähernd umgesetzt worden. Heute muss in Deutschland immer noch von über 30.000 Amputationen pro Jahr aufgrund eines Diabetes ausgegangen werden.
1.1.1 Pathogenese des diabetischen Fußsyndroms
Ätiopathogenese des diabetischen Fußes
Neuere Untersuchungen zeigen, dass die diabetische Neuropathie in Kombination mit erhöhten plantaren Drücken Hauptursache der Entwicklung des diabetischen Fußes ist. In fast 2/3 der Fälle ist eine Neuropathie allein verantwortlich. Nur in bis zu 20% ist ausschließlich eine pAVK, in 25% eine Kombination von Neuro- und Angiopathie als auslösendes Moment der diabetischen Plantarulzeration nachweisbar [24, 25, 35, 63, 74, 87].
Aspekte der diabetischen Polyneuropathie im Rahmen des diabetischen Fußsyndroms
Die Neuropathie der distalen unteren Extremität kann dabei in eine sensorische, motorische und peripher autonome Komponente unterteilt werden [26, 58]. Zeichen einer sensorischen Neuropathie sind ein Verlust des Vibrationsempfindens, Sensibili- tätsausfälle und Parästhesien [59, 76]. Eine besondere und für den Patienten meist stark belastende Form der diabetischen Neuropathie ist das sog. burning feet syndrome«, das besonders nachts auftritt und mit erheblichen Schmerzsensationen einhergeht [28, 65, 90].
Die motorische Neuropathie äußert sich in einer Atrophie der kleinen Fußmuskeln, häufig überwiegt, v. a. im Bereich der kleinen Fußmuskeln und der Binnenmuskulatur im Sehnenbereich, die Innervation der Extensoren im Vergleich zu jenen der Flexoren. Dies wiederum bewirkt eine Fehlstellung der Zehen im Sinne der sog. Hammer-, Haken- oder Krallenzehen. Außerdem kommt es zu Paresen und einem Verlust der Muskeleigenreflexe, wobei der Ausfall des Achillessehnenreflexes eines der Frühsymptome einer motorischen Neuropathie ist. Zusammenfassend resultiert aus der motorischen und sensorischen Komponente der peripheren Neuropathie eine Fußfehlbelastung und Gangunsicherheit für den betroffenen Diabetiker [7, 35].
In der Folge von Neuropathie und erhöhter Druckbelastung bilden sich Hyperkeratosen aus, durch subepidermale Hygrom- oder Hämatombildung kommt es an typischen Prädilektionsstellen zum Malum perforans. Durch eine periphere autonome Neuropathie kommt es zu einer Vasomotorenlähmung mit Eröffnung von arterio-venösen Shunts im Bereich der Wade, Folge ist eine periphere Luxusperfusion mit Minderperfusion im Fußbereich.