E-Book, Deutsch, 222 Seiten
ISBN: 978-3-98510-085-9
Verlag: Phoemixx Classics Ebooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Freifrau Marie Ebner von Eschenbach (* 13. September 1830 auf Schloss Zdislawitz bei Kremsier in Mähren als Marie Dubský von Tebomyslice; 12. März 1916 in Wien) war eine mährisch-österreichische Schriftstellerin. Ihre psychologischen Erzählungen gehören zu den bedeutendsten deutschsprachigen Beiträgen des 19. Jahrhunderts in diesem Genre.Marie von Ebner-Eschenbach, geborene Freiin Dubský, ab 1843 Gräfin, war die Tochter des Franz Baron Dubský, ab 1843 Graf Dubský, und seiner zweiten Frau Baronesse Marie von Vockel. Väterlicherseits hat sie ihre Wurzeln im alten böhmisch-katholischen Adelsgeschlecht der Dubský von Tebomyslice. Mütterlicherseits stammt sie vom Geschlecht der sächsisch-protestantischen Familie Vockel ab. Sie hatte sechs Geschwister, darunter den österreich-ungarischen General und Diplomaten Viktor Dubský von Tebomyslice.
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Antonio hatte den Tag in der Brancacci-Kapelle zugebracht mit Filippo Lippi. Dieser Sklave seiner Launen war plötzlich von der Lust angewandelt worden, die »Vertreibung aus dem Paradiese« zu kopieren. Antonio malte am Sockel unter dem Taufbilde. Sie kehrten einander die Rücken zu und wechselten kein Wort. Ohne Gruß verließ Lippi zuerst die Kirche, und bald darauf wurde auch sein Widersacher durch die Dunkelheit, die einzubrechen begann, gezwungen, von seiner Arbeit abzulassen. Filippos Staffelei stand vor dem Eingangsbogen der Kapelle. Ein letzter Tagesschein beleuchtete die Kopie schwach, aber deutlich. Antonio verweilte vor ihr, und neidische Bewunderung ergriff ihn. Wie das mühelos hingestrichen war, wie das von Talent strotzte! Wie dieser Filippo Lippi straflos alles durfte, wie er sogar zum Frevel berechtigt schien und sich vermaß, die Worte Fra Giovanni Angelicos mit der Anwendung auf sich zu wiederholen: »Ich ändere nichts, denn so wie ich’s zuerst gemacht habe, so hat es Gott gewollt.« Er genoß das Leben, seine Heiterkeit gewann ihm alle Herzen, er wurde gesucht und geliebt und ließ sich finden und lieben. Schenkte er hie und da auch der Arbeit einen Tag, lohnte sie ihm dieses karge Geschenk überreich – um wie vieles reicher als dem unermüdlich strebenden Antonio! Der kannte keine andere als die herbe Wonne des Fleißes; in sie vergrub er, was jung und freudedurstig in ihm war, wie in ein Grab und hatte nur eine Sehnsucht und rang nur nach einem Ziel – nach der Macht eines großen Könnens. Er war nicht verblendet über sich, er sah: Was ich so heiß begehre, wonach ich rastlos jage – der das gemalt hat, der hätte es, sobald er die Hand danach ausstreckte … Eine fressende Pein ergriff ihn. Ist denn die Kunst eine Dirne, die sich dem treuen Bewerber versagt, um ihre Gunst dem Gleichgültigen zu schenken, der ihrer in flüchtiger Laune begehrt? »Ich Narr! ich Narr!…« Sein Schrei schlug an die Wände der leeren Kirche, die ihn dumpf widerhallten. Der unheimliche Schall sagte ihm zu; die rieselnden Schauer, die ihn durchliefen, milderten seine ätzende Qual; das leise Grauen, das ihn erfaßte, schläferte sie wohltuend ein. So fuhr er fort, in den hohen, dunklen Raum laut hineinzurufen: »Narr! Narr! Ich diene umsonst. Jahrelang umsonst. O der alte Mann, der mich haßt! O die Worte, die ich nie vergesse: Ein Halber! Ich habe den Fluch, er haftet. Hört es, ihr heiligen Mauern: Ich werde euch nie mit unsterblichen Werken schmücken. Ihr seht meine Herzensnot, meine heiße Arbeit, meinen Ruhm werdet ihr nie sehen. Ich werde sterben, wie der Schrei meiner Verzweiflung zwischen euch erstirbt.« Er warf sich zur Erde nieder, stöhnend, rasend, in wahnsinnigem Schmerz. Er preßte sein wild klopfendes Herz an die kalten Steine und fühlte sich unsäglich elend und um alles Glück und um alle Hoffnung betrogen. Daheim auf dem ersten Treppenabsatz traf er Cencetta. Wie gering war die Beachtung, die er ihr schenkte, und doch wartete sie Tag für Tag geduldig auf ihn, um ihm, wenn er kam, einen leisen Gruß zu bieten, der meist unerwidert blieb. Heute einmal nicht. Sie hatte, an die Rampe des Halbstockes gelehnt, mit weit ausgestrecktem Arm die kleine Lampe über die Stufen gehalten, die er heraufstieg, so langsam, so merkwürdig langsam. Und nun erhob er den Kopf und richtete die Augen auf sie und lächelte sie an, die so demütig und so sehnsüchtig nach einem Blick der Güte von ihm verlangte, wie er nach einem Zeichen der Huld von seiner Göttin. Es war aber ein gar trauriges Lächeln, das ihr ebenso weh tat als wohl. Und doch hätte sie aufgejubelt beim leisesten Ahnen der Gedanken, die ihm in diesem Augenblick durch die Seele schwebten … Du bist jung, Cencetta, hold und gut. Und du bist arm, und vor dir liegt eine glanzlose Zukunft wie vor mir. Wär’s nicht das beste, wenn wir einander die Hände reichen und fortwandern würden, weit weg von dieser Stätte des Ruhmes und des Glückes der anderen, nach dem stillen Ariccia? Dort klopfen wir an die Tür des Töpferhauses, und eine alte Frau schließt dich freudig in die Arme, wenn ich ihr sage: Da ist, die mein Weib werden soll, und ein alter Mann feiert den süßesten Triumph und vergißt darüber einen langgehegten Groll, wenn ich zu ihm sage: Da bin ich und wieder dein Geselle, gib mir Krüge und Schüsseln zum Bemalen. Das ganze Bild stand vor ihm. Wehmütig, leidvoll, bitter kam ihm alles zu Sinne, was seiner wartete … auch aller Spott und Hohn … Nur zu! Dir wird, was dir gebührt, du Tor und Träumer, du hoffärtiger Selbstbetrüger! Cencetta blickte ihm beseligt nach, als er in das Zimmer des Meisters trat. Der Gruß, den er ihr im Vorbeigehen gegönnt hatte, war zutraulich und herzlich gewesen. Den langen Sommertag hatte die Nacht abgelöst. In Masaccios großer Stube brannte die dreiarmige Lampe. Der Meister saß am Tische mit dem Rücken gegen die Tür. Unberührt lagen Mappe, Pinsel und Stifte neben ihm, der sonst sogar während der Mahlzeiten die Arbeit nur für Augenblicke unterbrach. Er hatte sich behaglich zurückgelehnt und führte – er, der Schweigsame – ein lebhaftes Gespräch mit einem jungen Mädchen, dessen Anblick auf Antonio wie der einer himmlischen Erscheinung wirkte. Sprachlos blieb er stehen, und Masaccio, der sich nach ihm umgewandt hatte, mußte die Aufforderung, näherzukommen und am Tische Platz zu nehmen, wiederholen, bevor der Jüngling ihr stumm und zögernd gehorchte. Nun saßen die zwei schönen Menschen dem Maler gegenüber. Das Licht der Lampe fiel auf sie herab, aber nicht von ihm, von ihnen schien der Glanz auszugehen, der die dämmerige Stube erhellte. Masaccio sah das verzückte Staunen, mit dem Antonio die Jungfrau betrachtete; er sah auch – und dabei beschlich ihn ein nie gekanntes, bitteres Gefühl – die Röte, die in Margheritas Wangen stieg, als sie nach einem Blick auf Antonio, der kaum weniger Staunen ausdrückte als der seine, die Augen senkte. Sie, die eben so zutraulich geschwatzt und kindlich gelacht hatte, wurde plötzlich schweigsam und befangen. Leise und rührend beschattete ein träumerischer Ernst ihre glanzvollen Züge. Ergriffen sagte sich der Meister, daß er Zeuge eines hohen Wunders war, des ersten Erwachens von etwas Allgewaltigem, für das ganze Leben Entscheidendem in zwei jungen, erbebenden Seelen. Ja, sie waren geboren, um einander zu beglücken, die Blühenden, Schönheitbegnadeten! – Guidi betrachtete sie, und ein bitteres Lächeln verzog seinen Mund. In dem Augenblick erlebte er an sich das Beschämendste, erlebte, daß er fähig sei zu empfinden, was er am tiefsten verachtete – Neid. Ja, ja, ja, der Meister beneidete seinen demütigsten Schüler … Was Meister, was Schüler! Nenne dich, wie du magst, sei, was du willst, strebe den Gipfel des Ruhmes an, erreiche ihn, die Liebe eines armen Dorfkindes gewinnst du deshalb nicht im Sturme wie der. Hinunter mit dem kaum entflammten Wunsch, ertöte, ersticke, rotte ihn aus – Masaccio! Er erhob seine Hände und ließ sie, fest angepreßt, an seinen eingefallenen Schläfen, seinen hohlen Wangen herabgleiten. Ein tiefer Atemzug, ein kurzer Kampf, und er langte nach seiner Mappe und sprach: »Mädchen, der große Bursche, dein Nachbar, der dich anstarrt, aber noch vergessen hat, dich zu grüßen, ist mein Schüler, Antonio Venesco. Antonio, unser Gast, das ist Margherita Guidi, meine Base. Unterhalte sie, erzähle ihr etwas Lustiges. Ich will sie lachen sehen, und so will ich sie malen.« »Sie malen?« rief der Jüngling und hatte auf einmal die Sprache wiedergewonnen. »Versucht das nicht, Meister, versucht das nicht! Das kann kein irdischer Maler, das könnt nicht einmal Ihr: Sankt Lukas müßte vom Himmel steigen, um diese himmlische Schönheit im Bilde darzustellen.« Antonios Warnung erfüllte sich. Das erste Bild, das Maso von seiner Base entwarf, mißlang, und mit einem zweiten war er nicht glücklicher. Filippo Lippi geriet in Begeisterung, als er Margherita zum erstenmal erblickte, und schwur hoch und heilig: jetzt sei es ihm leuchtend aufgegangen, wozu ihn der Himmel mit Talent begnadet habe. Damit er Gottes vollkommenstes Werk nachschaffe – dazu! Und er malte das Dorfkind aus Fontana als heilige Rosa, als heilige Katharina, als heilige Cäcilia, und es entstanden liebenswürdige und anmutige Bilder, keines aber hatte eine mehr als flüchtige Ähnlichkeit mit Margherita. Jeder Versuch, den er mit einer bei ihm unerhörten Beharrlichkeit anstellte, ihre Züge mit dem Stift und dem Pinsel darzustellen, bedeutete einen Mißerfolg. Ehrlich gestand Antonio seine Freude darüber ein. Was hätte es ihm auch genützt, sie verbergen zu wollen? Sie würde sich ja doch verraten haben; sie war so heilsam, diese Freude! Sie hob seinen eine furchtbare Stunde lang niedergeworfenen Mut, ließ den Glauben in ihm aufleben, daß er sich jede Fähigkeit und auch die zutrauen dürfe, die höchsten Güter des Lebens an sich zu fesseln: den heiß ersehnten Ruhm und die Liebe der Geliebten. Untrennbar erschienen ihm die beiden und eines das andere bedingend. Im Sturm war die Liebe gekommen, emporgeflammt wie eine Feuersäule; er fühlte sich von neuen Kräften durchströmt, von einem Bewußtsein seiner selbst, wie er es nie gekannt hatte. Die Zukunft lag in strahlendem Lichte vor ihm, und er traute sich das Erreichen der fernsten Ziele zu. Masaccio überflügeln, wie der Masolino überflügelt hatte, der größte Maler Italiens und im Besitze des schönsten Weibes sein, davon träumte er, das spiegelten wonnige, kühne Phantasien ihm vor. Arme kleine Cencetta! Während eines flüchtigen Augenblicks hatte er sie an seiner Seite und in ihr seine Lebensgefährtin sehen können, als das lang verschmähte Gut, mit dem die...