E-Book, Deutsch, Band 02, 400 Seiten
Reihe: Immortal-Guardians-Reihe
ISBN: 978-3-8025-9171-6
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dianne Duvall hat Englisch studiert und arbeitet in der Filmindustrie. Bereits mit ihrem ersten Roman gewann sie den Nachwuchswettbewerb der Romance Writers of America und landete einen Bestseller in den USA.
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1 Nicht der kalte Wind war schuld daran, dass sich die Härchen in Amis Nacken aufstellten, sondern das leise, animalische Knurren, das er mit sich trug. Ami erstarrte mit ausgestrecktem Arm, und ihre Finger umklammerten unwillkürlich die DVD-Hülle, die sie schon halb in den Rückgabeschlitz der Videothek gesteckt hatte. Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, und ihr Herz schlug schneller, während Adrenalin durch ihre Venen schoss. Sie wirbelte herum, um den Verursacher des Warnrufs zur Rede zu stellen, und suchte mit den Augen den Parkplatz ab, der abgesehen von ihrem glänzenden schwarzen Tesla Roadster leer war. Orangefarbene und braune Blätter tanzten über den löchrigen Asphalt, der an einigen Stellen immer noch von einem mitternächtlichen Regenschauer glitzerte. Der Whole-Foods-Supermarkt, die Videothek und die anderen Geschäfte des Einkaufszentrums waren längst geschlossen. Sie sah nach rechts. Die East Franklin Street lag verlassen da … alles war so, wie es sein sollte. Chapel Hill in North Carolina war eine Universitätsstadt. Es war ungefähr halb vier Uhr, Sonntagnacht (oder Montagmorgen), und die meisten Studenten und Professoren lagen friedlich schlummernd in ihren Betten, um fit zu sein für den nächsten Arbeitstag. Ami entspannte ihre Finger, die immer noch die DVD-Hülle umklammerten, und ließ den Film mit einem kleinen Knall auf den Berg zurückgegebener Filme und Videospiele fallen. Sie machte einen Schritt auf ihr Auto zu. Das Knurren erklang erneut – dieses Mal traf es sie wie ein Schlag und zerzauste ihr zusammen mit dem Nordwind die Ponyfransen. Kehlig und bedrohlich klingend, hatte dieser Laut nichts mit der Klage eines gereizten Schoßhündchens gemein, das zu lange den Elementen überlassen worden war. Kein Hund brachte solch ein Geräusch zustande. Es musste von einem größeren Tier stammen, der Stimmlage und dem Volumen nach von einem Löwen oder Tiger. Etwas anderes antwortete mit einem Knurren, und auch wenn die Antwort nicht so beeindruckend klang wie der erste Laut, war er dennoch beunruhigend. Dann war noch ein Knurren zu hören. Und noch eins. Und noch eins. Stirnrunzelnd griff Ami in ihre Jacke und zog die Neun-Millimeter-Glock heraus, die sie – Seth hatte darauf bestanden –, immer bei sich trug. Vorsichtig näherte sie sich der East Franklin Street. Die Tierlaute kamen definitiv aus nördlicher Richtung. Nicht von den abgedunkelten Geschäften auf der gegenüberliegenden Straßenseite, sondern von dem Fahrradweg rechts davon, der sich zu ihrer Linken zwischen den Bäumen hindurchschlängelte. Das Knurren vibrierte inzwischen derart vor Aggression und Wut, dass man hätte meinen können, Zeuge eines Kampfs zwischen einem Löwen und einem Wolfsrudel zu werden. Als sie das Ende des Parkplatzes erreichte, wurden die Knurrlaute von seltsamen Boing-, Pling- und Klonk-Geräuschen untermalt. Ami sprintete über die Straße und rannte den Fahrradweg entlang. Zu ihrer Rechten ragten hochgewachsene Bäume wie Felsnadeln auf. Links von ihr gab es eine kleine Wiese mit einem Funkturm, doch das Gras ging schnell in Wald über. Als sie die Bäume erreichte, verlangsamte Ami ihre Schritte und tauchte in die Schatten ein. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. In der Nähe hörte sie das Plätschern eines in der Dunkelheit unsichtbaren Bachs. Nachdem sie etwa fünfzehn Meter gegangen war, verließ sie den Pfad und schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch, wobei sie sich den Weg durch Unterholz bahnen musste. Zum Glück hatte es geregnet. Die Herbstblätter, die den Boden bedeckten, waren noch feucht und dämpften ihre Schritte. Über ihr in der Luft flimmerten kleine Lichter, die sie an Glühwürmchen erinnerten. Bernsteinfarben. Grün. Blau. Silbern. Manche allein. Manche in Paaren. Sie flirrten und verschoben sich permanent, als wären sie unablässig in Bewegung. Ami schluckte und fragte sich, ob sie den Verstand verloren hatte, als sich die Bäume plötzlich lichteten. Sie blieb stehen, die dichten Blätter verbargen sie vor neugierigen Blicken. Vor ihr im Wald lag eine kleine Wiese, die die Bezeichnung Lichtung kaum verdiente, da sie kaum größer war als eine Autogarage. In der Mitte der kleinen Lichtung spielte sich eine Szene ab, die so unglaublich war, dass die meisten Menschen ihren Augen nicht getraut hätten. Die flirrenden Lichter, die ihr zuvor im Wald aufgefallen waren, blitzten immer nur kurz in ihrem Gesichtsfeld auf, weil sich die dazugehörigen Gesichter so schnell bewegten, dass ihre Gestalten verschwammen. Männer, die ganz offensichtlich keine Sterblichen waren, fochten einen surrealen Kampf aus, der ihre spontane Phantasie vom Kampf des Löwen mit dem Wolfsrudel wieder auferstehen ließ. Der Löwe – eine dunkle, bedrohliche Gestalt im Auge des Sturms –, hatte leuchtende, bernsteinfarbene Augen und langes, schwarzes Haar, das ihn wie Rauchtentakel umzüngelte, während er um die eigene Achse wirbelnd kämpfte. Er schlitzte seine Angreifer mit einer Geschwindigkeit auf, die sie an den Tasmanischen Teufel erinnerten, den sie in Darnells Warner-Brothers-Cartoons gesehen hatte. Ein Unsterblicher Wächter. Keine andere Kreatur hatte solche Reflexe. Die Wölfe – mit ihrem Knurren machten sie ihren Namensvettern alle Ehre – hatten ebenfalls leuchtende Augen, die grün, blau und silbern funkelten. Wie der Unsterbliche steckten sie in dunklen Klamotten, hatten jedoch unterschiedliche Haarfarben. Blond. Braun. Kastanienbraun. Lang. Kurz. Geschoren. Stachelig. Zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie bewegten sich ebenfalls viel schneller als ein Mensch, schossen urplötzlich nach vorn und griffen den Unsterblichen mit Bewegungen an, die für das bloße Auge kaum wahrnehmbar waren. Dann wichen sie zurück, begutachteten ihre Verletzungen und gaben gleichzeitig ihren Kameraden Gelegenheit, den Gegner ebenfalls zu attackieren, während blutrote Flüssigkeit von ihren Klingen tropfte. Vampire. Auch wenn sie mit der Schnelligkeit und Stärke des Unsterblichen nicht mithalten konnten, waren die Vampire in der Überzahl … Acht gegen einen, falls sie richtig zählte. Das genaue Aussehen der einzelnen Vampire konnte Ami nur zwischen den Angriffspausen ausmachen. Die äußerlichen Merkmale des Unsterblichen konnte sie nicht erkennen, da er ständig in Bewegung war und sein Schwert oder seine Saigabel schwang, um sich vor den aus allen Himmelsrichtungen kommenden Angriffen zu schützen. Mit schwitzenden Handflächen griff Ami in die Hosentasche und zog den zylindrischen Aluminiumschalldämpfer heraus, der länger als die Glock selbst war. Ohne das Gefecht vor sich aus den Auge zu lassen, schraubte sie den Schalldämpfer auf den Pistolenlauf. Der erstklassige Dämpfer würde die Schallemissionen der Hohlspitzgeschosse zu einem dezenten Klick abmildern, sodass die Menschen, die jenseits des Waldes in ihren Häusern schlummerten, nicht geweckt wurden. Sie hob die rechte Hand mit der Glock, stützte sie mit der linken Hand ab und wartete. Eine in blitzschneller Bewegung verschwimmende Gestalt manifestierte sich zu einem blonden, blauäugigen Vampir, der mit bluttriefenden Bowiemessern am Rand des Kampfschauplatzes innehielt. Ami feuerte zwei Schüsse ab. Blut spritzte ihr aus der Halsschlagader und der Oberschenkelarterie des Vampirs entgegen. Der Blutsauger ließ seine Waffen fallen, stieß einen gurgelnden Laut aus und versuchte vergeblich, mit den Händen den Blutfluss aus seiner Halsschlagader zu stoppen. Neben ihm tauchte ein Vampir mit zotteligem braunen Haar auf. Ami feuerte drei weitere Schüsse ab und verletzte Zottelhaar an Hals-, Oberarm- und Oberschenkelarterie. Die sechs übrigen Vampire stutzten und musterten ihre verletzten Kameraden, die schneller ausbluteten, als sie das Virus, mit dem alle Vampire infiziert waren, heilen konnte. Der Unsterbliche Wächter erstarrte ebenfalls und sah Ami direkt in die Augen. Für den Bruchteil einer Sekunde setzte ihr Herzschlag aus, und alles um sie herum versank in Dunkelheit. Alles – außer dem Unsterblichen. Sein Haar war zur Ruhe gekommen und umfloss in wilder Unordnung seine Brust und den Rücken, wobei es einen Großteil seines Gesichts verdeckte. Seine Augen, die durch das dunkle Gewirr gerade noch zu sehen waren, glühten unter rabenschwarzen Augenbrauen in einem durchdringenden Bernsteinton. Dunkle Bartstoppeln bedeckten ein kräftiges Kinn, das von Blutflecken und Schrammen überzogen war. Seine vollen Lippen öffneten sich, er keuchte und stieß Knurrlaute aus, rang nach Luft und entblößte dabei weiße, schimmernde Reißzähne. Dieser Augenblick war möglicherweise einer der seltsamsten in Marcus’ Leben. Na ja, seltsam war vielleicht nicht das richtige Wort. Dass sich die Vampire neuerdings zu größeren Gruppen zusammenrotteten – das war seltsam. Dass sie clever genug waren, einen erfolgreichen Hinterhalt zu planen – das war seltsam. So etwas war ihm seit eineinhalb Jahren nicht mehr passiert. Aber das hier … War eine Überraschung. Und es gab nicht viele Dinge, die Marcus Grayden überraschten. Keuchend und aus unzähligen Wunden blutend, die noch keine Zeit zum Heilen gehabt hatten, starrte er die Ursache der unverhofften Kampfpause an. Er hatte erwartet, einen Sekundanten in schwarzer Vampirjäger-Kluft zu sehen. Stattdessen richtete sich sein faszinierter Blick auf ein...