E-Book, Deutsch, 412 Seiten
ISBN: 978-80-272-0038-2
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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II
Inhaltsverzeichnis Wo sich die Wahrheit des alten französischen
Sprichworts: »Das Kleid macht nicht den
Mönch,« erweist. Der Eintretende war ein Mann von acht und zwanzig bis dreißig Jahren, von einer nervösen, kränklichen Organisation, bleich, groß, anmuthig in seinen Bewegungen, ausgezeichnet in seiner Haltung; reinlich gekleidet, jedoch mit einer gewissen Nachläßigkeit, die nicht ohne Reiz war und die Mitte hielt zwischen der Entblößung der vornehmen Herren und dem Sichgehenlassen der Künstler. In einem Zustande tiefer Aufregung Begriffen, zerdrückte er für den Augenblick seinen Hut unter seinem Arm und fuhr mit seiner weißen, gepflegten Hand durch seine in Schweiß gebadeten Haare. Sein angenehmes, sanftes, schwermüthiges Gesicht trug einen gewissen Charakter von Unruhe, beinahe von Irrsinn an sich, den der Noviz leicht hätte bemerken können, ohne die tiefe Aufmerksamkeit, mit der er seit der Ankunft der Person, welche wir in Scene gebracht, weder mehr rechts, noch links zu schauen bemüht war. Nachdem er ziemlich rasch in die Kirche eingetreten, dann stehen geblieben war und umhergeschaut hatte, schien der Fremde es zu versuchen, seine Lebensgeister wieder zu sammeln, und fing an in der Kapelle hin und her zu gehen, bis er im Strahle seines Auges dem Novizen begegnend plötzlich seinen Entschluß faßte und gerade aus ihn zutrat. Der Noviz. der dies mehr errieth, als sah, schloß rasch sein doppeltes Buch, begrub sein Gesicht in seine beiden gefalteten Hände und versenkte sich diesmal heuchlerisch in eine Litanei von Gebeten. Der Unbekannte war indessen so nahe auf ihn zugetreten, daß er beinahe die Schultern des Novizen berührte, welcher bei dieser Annäherung plötzlich zu erwachen und sich aus dem Abgrunde von Frömmigkeit, in den er sich gestürzt hatte, zu erheben schien. »Verzeihen Sie, mein Bruder, wenn ich Sie in Ihren Gebeten störe,« sagte der Fremde, zuerst das Gespräch anknüpfend. »Mein Bruder,« erwiderte der Noviz, während er aufstand und sein Buch hinter seinem Rücken verbarg, «ich bin zu Ihren Befehlen.« »Mein Bruder, vernehmen Sie, was mich hierher führt. Ich bedarf eines Beichtigers: darum habe ich mich Ihnen genähert und Sie in Ihren Gebeten gestört, worüber ich Sie demüthig um Verzeihung bitte.« »Ach! ich bin nur Noviz,« antwortete der junge Mann, »und da ich die Weihen nicht erhalten, so kann ich nicht die Beichte hören. Sie müßten einen unserer Väter haben.« »Ja, ja, so ist «s,« versetzte der Fremde, seinen Hut mehr als je marternd; »ja, ja, ich müßte einen von den Vätern haben. Würden Sie mir wohl den Gefallen erweisen, mich bei demjenigen einzuführen, von welchem Sie glauben, er könnte mir einige Augenblicke bewilligen, oder ihn zu veranlassen, hierher zu mir zu kommen?« »Es ist gerade die Stunde des Mittagsmahles, und in diesem Augenblick sind alle Väter im Refectorium.« »Ah! Teufel!« murmelte der Unbekannte mit einer sichtbaren Unzufriedenheit, »alle im Refectorium; ah! Teufel!« Dann bemerkte er ohne Zweifel, daß er den Namen vom Feinde des Menschengeschlechts in einer Kirche angerufen hatte, und sprach: »Was habe ich denn gesagt? . . Mein Gott, verzeihe mir!« Und er machte rasch, beinahe verstohlen, das Zeichen des Kreuzes. »Die Schwierigkeit, einen Beichtiger zu bekommen, ist Ihnen ärgerlich,« fragte theilnehmend der Noviz. »Oh! ja. ja, sehr.« »Sie haben also große Eile?« »Große Eile.« »Welch ein Unglück, daß ich nur Noviz bin!« »Ja, das ist ein Unglück! Doch Sie sind bald im Alter, ordiniert zu werden, und Sie werden es sein, und dann, dann. . . Oh! mein Bruder, wie glücklich finde ich Sie!« »Glücklich! und warum?« fragte naiv der Noviz. »Weil Sie in einem Jahre das Ziel erreicht haben werden, das sich jede christliche Seele vorsetzen muß, nämlich das Heil, und weil Sie mittlerweile, im Noviciat der Jesuiten wohnend, diesen würdigen Vätern, wann Sie wollen und so oft sie wollen, beichten können.« »Oh! ja, das ist wahr, wann Ich will und so oft ich will,« erwiderte der Noviz mit einem Seufzer, durch den er bewies, daß er nicht zu demselben Werthe, wie der Fremde, die ausnehmende Gunst, die er vom Himmel empfangen, schätzte. »Und dann,« fuhr der Fremde mit wachsender Begeisterung fort, »und dann sind Sie hier zu Hause; diese Kirche, dieser Altar, diese heiligen Gesäße, Alles dies gehört Ihnen.« Der Noviz schaute den Fremden mit einem Erstaunen an, das nicht ganz von Bangigkeit frei war. Offenbar fing er an zu befürchten, er habe es mit einem Manne von leicht verrücktem Gehirn zu thun. Der Fremde aber fuhr, immer mehr sich belebend, fort: »Dieses Kleid gehört Ihnen; dieser Rosenkranz gehört Ihnen; dieses Buch, ein heiliges Buch, indem Sie vom Morgen bis zum Abend lesen können, gehört Ihnen.« Und während er diese Worte mit einem leidenschaftlichen Tone sprach, schüttelte er so kräftig den Arm des Novizen, daß aus der Hand, die diesen Arm schloß, das so beneidete Buch und zugleich mit dem Buche die von uns beschriebene Brochure fielen. Als er diese Trennung zwischen dem Buche und der Brochure gewahrte, stürzte der Noviz ganz betreten aus die Brochure los und ließ sie von den mysteriösen Tiefen einer der Taschen seiner Sutane verschlingen: wonach er, noch ganz schauernd von einer Gemütsbewegung, die dem Schrecken glich, das Buch aufhob. Dann richtete er schüchtern seinen Blick wieder aus den Fremden. Doch der Unbekannte hatte nichts bemerkt, so groß war seine religiöse Begeisterung. Die Augen der zwei Männer begegneten sich, und beinahe zu gleicher Zeit ergriff der Unbekannte die beiden Hände des Novizen. »Hören Sie, mein lieber Bruder,« rief er, »Gott hat mich in Ihre Kirche geschickt, die Vorsehung hat Sie aus meinen Weg gestellt: Sie flößen mir das zarteste Vertrauen ein. Verzeihen Sie diesen Erguß einem Manne, der sehr zu beklagen ist, aber wahrhaftig, Ihr Gesicht gibt mir Muth.« Das Gesicht des Novizen, von dem wir noch nichts gesagt haben, war in der That eines der reizendsten Gesichter, die man sehen konnte, und folglich sehr würdig des Lobes, das man ihm gespendet. »Sie nennen sich unglücklich, mein Bruder, und Sie wollen beichten?« versetzte der Noviz. »Oh! ich bin sehr unglücklich!« rief der Unbekannte. »Oh! ja, ich möchte gern beichten.« »Sollten Sie unglücklicher Weise einen Fehler begangen haben?« »Einen Fehler! Ei! mein ganzes Leben ist ein Fehler, ein Fehler, der vom Morgen bis zum Abend dauert!« rief der Unbekannte mit einem Seufzer, welcher andeutete, daß er in einem Zustande völliger Zerknirschung war. »So spreche ich mit einem Schuldigen?« fragte der junge Mann mit einer Art von Angst. »Oh! ja, mit einem Schuldigen, mit einem großen Schuldigen,« Der junge Mann machte unwillkürlich einen Schritt rückwärts. »Urtheilen Sie selbst!« fuhr der Unbekannte mit einer Gebärde der Verzweiflung fort: »ich bin Schauspieler.« »Siel« rief der junge Mann mit dem freundlichsten Tone, indem er sich dem Fremden näherte, während sich der unglückliche Künstler im Gegentheil entfernte, als wäre er nach dem Geständniß, das er gemacht, nicht mehr würdig der Berührung von seines Gleichen; »Sie, Schauspieler!« »Mein Gott! ja.« »Ah! Sie sind Schauspieler.« Und der junge Mann rückte immer näher aus ihn zu. »Wie!« rief der Künstler, »Sie wissen, wer ich bin, und Sie fliehen mich nicht, wie man einen Pestkranken flieht?« »Nein!« erwiderte der Noviz; »ich hasse die Schauspieler nicht.« Und er fügte so leise bei, daß ihn selbst der Andere nicht hören konnte: »Im Gegentheil.« »Wie!« wiederholte der Künstler, «Sie empören sich nicht beim Anblick eines Ketzers, eines Excommunicirten, eines Verdammten!« »Nein!« »Ah! Sie sind noch so jung! doch eines Tags . .« »Mein Bruder,« versetzte der Noviz, »ich gehöre nicht zu denjenigen, welche aus Vorurtheil hassen.« »Ach! mein Bruder,« erwiderte der Künstler, »die Schauspieler schleppen eine Art von Ursünde nach sich, welche, einfach für die Anderen, doppelt, dreifach, vierfach für mich ist, der ich der Sohn, der Enkel, der Urenkel von Komödianten bin. Bin ich verdammt, so werde ich es an der Seite von Adam und Eva sein.« «Ich verstehe Sie nicht recht,« sprach neugierig der Noviz. »Damit will ich sagen, mein Bruder, ich sei Schauspieler von Geburt, und ich werde verdammt sein durch meinen Vater und durch meine Mutter, durch meinen Großvater und durch meine Großmutter, kurz durch meine väterlichen und mütterlichen Vorfahren bis in die dritte und vierte Generation; mit einem Wort, mein Herr, ich beiße Champmeslé. Der Noviz riß weit seine Augen aus, in denen ein tiefes Erstaunen gemischt mit einer leichten Nuance von Bewunderung hervortrat. »Wie! mein Herr,« rief er, die bei den Orden gebräuchliche Benennung Bruder vergessend, »sollten Sie zufällig der Enkel der berühmten Schauspielerin sein?« »Ganz richtig, mein Herr. Ach! meine arme Großmutter, das ist eine sehr verdammte Frau.« »Dann war Ihr Herr Großvater der Schauspieler Champmeslé, der die Könige spielte?« »Sie haben es gesagt, Marie Desmares, meine Großmutter, heirathete Charles Chevillet, Herrn von Champmeslé; er hatte den berühmten Latorilliére im Hotel von Burgund...