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E-Book, Deutsch, 420 Seiten

Dufner Partner im Kalten Krieg

Die politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Chile

E-Book, Deutsch, 420 Seiten

ISBN: 978-3-593-42249-7
Verlag: Campus
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark



Chile im Kalten Krieg – das ruft vor allem Bilder des sozialistischen Präsidenten Allende und der brutalen Verfolgung unter Pinochet wach. Doch die chilenische Zeitgeschichte war weit vielschichtiger. So pflegte die Bundesrepublik Deutschland während des Kalten Krieges mit dem südamerikanischen Land in vielen Bereichen enge Beziehungen. Anhand umfassender, bisher unveröffentlichter Archivquellen und Zeitzeugeninterviews untersucht Georg Dufner die herausfordernden Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Chile, einem Land mit vielfachen politischen Umbrüchen zwischen 'Drittem Weg', marxistischem Sozialismus und autoritärer Diktatur.
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Inhalt
Vorwort9
1Einleitung10
1.1Die Bundesrepublik und Chile - eine Annäherung10
1.2Fragestellung20
1.3Forschungsansatz und zentrale Begriffe24
1.4Forschungsstand und Quellen29
1.5Methodik und Gliederung 34
2Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und die deutsch-chilenischen Beziehungen38
2.1Mythos, Realität und Auswirkungen des Nationalsozialismus in Chile 38
2.2Die Perzeption der "deutschen Katastrophe" in Chile49
3Stunde Null oder Wiederanknüpfung? Die Beziehungen der 1950er Jahre 53
3.1Einleitung53
3.2Transnationalismus in den Beziehungen55
3.3Die zwischenstaatlichen Beziehungen der 1950er Jahre71
3.4"… den früheren wirtschaftlichen Kontakt wiederherzustellen …" - Erwartungen und Realitäten der wirtschaftlichen Beziehungen der 1950er Jahre 79
3.5Eine Wiederanknüpfung mit Untertönen: Die Beziehungen der 1950er Jahre 98
4Aufbruch, Reform und politische Experimente: Die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Chile 1960-1970101
4.1Zwei folgenreiche Beben: Die Beziehungen und ihr globales Umfeld zu Beginn der 1960er Jahre 101
4.2Die deutschen politischen Stiftungen und ihre Arbeit in Chile110
4.3Intergouvernementale Beziehungen während der 1960er Jahre: Antikommunismus, Entwicklungshilfe und die Deutsche Frage138
4.4Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Chile in den 1960er Jahren 172
4.5Die nichtstaatliche Entwicklungshilfe der 1960er Jahre 180
4.6 Die Bundesrepublik und die späte Regierung Frei: Epilog des ersten chilenischen Experiments186
5Kommunistischer Alptraum oder sozialistisches Utopia? Salvador Allende, die Unidad Popular und die Bundesrepublik, 1970-1973201
5.1Erste Reaktionen bundesdeutscher Akteure auf die Wahl Allendes 201
5.2Bonn und die Unidad Popular207
5.3Die divisorische Wirkung des sozialistischen chilenischen Experiments in den transnationalen Beziehungen 232
5.4Die Bundesrepublik und die Unidad Popular 263
6Die Bundesrepublik und ihre Beziehungen zum chilenischen Militärregime von 1973-1980268
6.1Der Putsch und seine unmittelbaren Folgen: Die Umkehrung der politischen Vorzeichen268
6.2Öffentliche Wahrnehmung, Diskussion der Chilebeziehungen und ihre Folgen293
6.3Der praktische Umgang bundesdeutscher Akteure mit der etablierten Diktatur320
6.4Die chilenische Diktatur und die Bundesrepublik348
7Fazit355
8Anhang383
9 Literatur395


1.1Die Bundesrepublik und Chile - eine Annäherung
"Der Atlantik ist zu groß, um das Binnenmeer einer Existenz zu sein. Das kann auch als politische Einsicht verstanden werden." Klaus Harpprecht
Chile war und ist für Deutschland - global gesehen - weder ein geopoli-tisch bedeutsamer noch ein unverzichtbarer ökonomischer Partner. Den-noch existieren seit Jahrhunderten vielfältige Beziehungen zwischen beiden Staaten und Gesellschaften, die in dieser Form in Richtung Lateinamerika sonst nur noch mit Brasilien und Argentinien bestehen. Die Geschichte dieser Beziehungen reicht bis in die Zeit der spanischen Kolonie zurück und erreichte einen vorläufigen Höhepunkt Ende des 19. Jahrhunderts. In der Besiedlung Südchiles und den intensiven Handelsbeziehungen ab Mitte des 19. Jahrhunderts liegen unter anderem die Wurzeln für ein wohlwollendes Deutschland-Bild in Chile und gegenüber "den Deutschen". Dieses überwiegend positive Stereotyp besteht - mit Wandlungen - bis heute fort. Die daraus abgeleiteten "freundschaftlichen Beziehungen" waren und sind als ein "weicher Faktor" und als rhetorische Figur in vielen Bereichen der Beziehungen beobachtbar. Neben der vielfach als Erfolgsgeschichte verstandenen Besiedlung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und deren Nachwirkungen im kollektiven Gedächtnis Chiles wurde das meist freundschaftliche Verhältnis zwischen beiden Staaten und ihren Bevölkerungen im 20. Jahrhundert auch mit Brüchen und Konflikten belastet. Insbesondere der nach Lateinamerika ausgreifende Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und seine politischen Auswirkungen auf das Andenland, aber auch die Kenntnis der Verbrechen während der Herrschaft des Nationalsozialismus wirkten sich auf die öffentliche Meinung zwischen Arica und Feuerland aus. In ihrer Unterstützung für die Alliierten war die chilenische Politik und Gesellschaft dennoch nicht immer voll entschlossen, die Regierungen in Santiago hielten lange an ihrer traditionellen Neutralitätspolitik fest. Erst sehr spät wurde diese aufgegeben: Am 20. Januar 1943 brach Chile per Dekret die Beziehungen zu den Achsenmächten ab.
Nach der "deutschen Katastrophe" (Friedrich Meinecke) geschah die Wiederaufnahme der Beziehungen zur jungen Bundesrepublik und ihren Vorläufern unter neuen, materiell wie psychologisch wenig verheißungs-vollen Vorzeichen. Unmittelbare Folgen des Zweiten Weltkriegs waren die Paralysierung des Schiffsverkehrs und der Postverbindungen aufgrund der alliierten Seeblockade. Eine große Zahl deutscher Exilanten unterschiedlichster Couleur und politischer Einstellungen hatte sich zwischen 1939 und 1949 in Südamerika versammelt, auch in Chile. Aus den historischen Quellen wird deutlich, dass insbesondere die politisch Verfolgten und Gegner des NS-Regimes die Geschehnisse im besetzten Deutschen Reich sowie die Politik der frühen Bundesrepublik aufmerksam beobachteten und kommentierten. Für die chilenische Außenpolitik endete mit der Kapitulation des Deutschen Reiches eine Phase großer diplomatischer Anspannung.
Für Chile stellte der Zweite Weltkrieg und sein Ende keine vergleich-bare historische Zäsur dar wie für die Staaten Europas; das südamerikani-sche Land hatte dem Deutschen Reich auch nie den Krieg erklärt. Tiefe Umwälzungen hatten sich daher für die chilenische Politik im Vergleich zur Zwischenkriegszeit nicht ergeben. Obwohl die staatlichen Verhältnisse in den Westzonen beziehungsweise der Bundesrepublik stark verändert waren, so existierten doch noch genügend Anknüpfungspunkte auf gesell-schaftlicher Ebene für einen Neustart der Beziehungen zu Chile, einem der für Deutschland wirtschaftlich und politisch traditionell wichtigsten Länder der Region. An die deutsch-südamerikanischen Handelsbeziehungen der Vorkriegszeit anzuknüpfen war eines der erklärten Ziele Ludwig Erhards und der wirtschaftlichen Eliten der frühen Bundesrepublik. Für den westlichen Teil des vom Eisernen Vorhang zerschnittenen Deutschlands war Südamerika nach den USA und Westeuropa das wichtigste Exportziel in Übersee und Wunschpartner für den baldigen Wiederaufstieg. Die intensiven nichtstaatlichen Beziehungen der Zwischenkriegszeit erlebten bald eine Renaissance. Westdeutsche Unternehmen kehrten schnell auf den Subkontinent zurück oder siedelten sich neu an. Die Bundesrepublik wurde aufgrund ihres wirtschaftlichen Erfolgs, zu dem Lateinamerika als Exportmarkt, Rohstofflieferant und Investitionsziel entscheidend beitrug, innerhalb nur eines Jahrzehnts zu einer "Weltmacht wider Willen" (Christian Hacke). Die Bedeutung war gegenseitig: So war während langer Phasen die Bundesrepublik für Chile hinter den USA der zweitwichtigste Handelspartner.
Waren die Beziehungen in den 1950er Jahren in ihren Akteuren, Ziel-setzungen und Strukturen nicht völlig neuartig, so veränderten sich diese Fundamente in den 1960er Jahren stark. Seit der kubanischen Revolution von 1959, der Hinwendung Fidel Castros zur Sowjetunion und seinem Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus ab 1961 wurde aus dem bis dato ruhigen "Hinterhof der USA" eine Region, um deren Zukunft sich der Westen Sorgen machen musste. Die Tiefenströmung der lateinamerikani-schen Politik drehte sich fundamental nach links, Antiimperialismus und Antikolonialismus wurden unter Studenten, Intellektuellen und politischen Parteien zu Elementen ihres Denkens und Handelns. Sie halfen, die wirt-schaftliche und soziale Misere zu deuten. Das Bewusstsein, als Teil der Dritten Welt zu den "Verdammten dieser Erde" zu gehören, brachte ein mächtiges, mobilisierendes, antiwestliches Gefühl in die Politik nicht nur der Linken ein. Kennedys "Allianz für den Fortschritt" war die Reaktion Washingtons auf diese Entwicklung und die ihr zugrunde liegenden langfristigen Missstände. Für kurze Zeit wurde so die seit 1945 bestehende politische Vernachlässigung der Region umgekehrt. Die Vereinigten Staaten erkannten, dass das Engagement der Alliierten - darunter auch der wirtschaftsstarken Bundesrepublik - nötig sein würde, um die Region in ihrer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu unterstützen um sie so politisch zu stabilisieren und von marxistischen Einflüssen fernzuhalten. Die Entwicklungspolitik Bonns sollte aktiv zu diesem Ziel beitragen, wofür 1961 mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) nicht nur ein neues Ministerium entstand, sondern sich auch zahlreiche bekannte und neue nichtstaatliche Akteure mit großem Einsatz im Zeitgeist der Fortschrittseuphorie engagierten. Über das direkte Ziel der Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen hinaus knüpften politische Stiftungen, Kirchen und Gewerkschaften Kontakte zu chilenischen Partnern, wodurch eine intensive Kooperation, ein Austausch von Meinungen und Informationen entstand. In Chile trafen die Träger der Entwicklungspolitik auf ein Land, das zwar nicht zu den ärmsten der Welt zählte, sich seiner chronischen Entwicklungsdefizite aber schmerzlich bewusst war. Die hartnäckige Inflation, die große Abhängigkeit von Primärgüterexporten, die krisenhaft unproduktive Landwirtschaft, der Mangel an wettbewerbsfähigen Industrien und die soziale Frage - manifestiert insbesondere in den stark anwachsenden Städten - waren einige der Punkte, denen sich die chilenische Politik lange entzogen hatte und die seit Anfang der 1960er Jahre mit neuer Dringlichkeit zur Sprache gebracht wurden. Die unterschiedlichen politischen Lager entwickelten tiefgreifende Konzepte zum Umbau des Landes. Der Christdemokrat Eduardo Frei Montalva wollte mit seiner Regierung ab 1964 ein ambitioniertes sozialpolitisches Programm eines dritten Weges zwischen Kapitalismus und Sozialismus umsetzen. Mit seinem Konzept einer "Revolution in Freiheit" und seiner charismatischen Persönlichkeit traf er den Nerv nicht nur der chile-nischen Wähler, sondern auch weiter Teile der bundesdeutschen Politik, der europäischen Christdemokraten und Kirchenleute. Die erste offizielle Europareise eines amtierenden chilenischen Staatspräsidenten überhaupt erzeugte zudem eine bis dahin ungekannte Aufmerksamkeit für Chile in der europäischen Presse.
Das öffentliche Interesse für Chile sollte sich noch weiter steigern, als 1970 mit dem Sozialisten Salvador Allende erstmals ein Kandidat mit ei-nem marxistischen Programm ins oberste Staatsamt gewählt wurde. Ob-wohl die seit 1969 regierende deutsche Sozialdemokratie den Zielen Allendes anfangs zurückhaltend gegenüberstand und die Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) durch Chile noch vor Inkrafttreten des Grundlagenvertrags die Beziehungen belastete, normali-sierte sich die Lage zwischen den Regierungen in den Jahren 1972 und 1973 erstaunlich schnell. Der in Folge der 68er-Bewegung veränderte Zeitgeist trug zur wohlwollenden Beurteilung sozialrevolutionärer Projekte in der Dritten Welt bei, wie sie Allendes Linkskoalition Unidad Popular (UP) vertrat. Insbesondere nach dem Sturz des Präsidenten am 11. September 1973 durch eine Militärjunta wurden die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Chile erstmalig zum Thema einer politisch zutiefst polarisierten öffentlichen Diskussion, die über die Spezialistenkreise hinausging. Die Regierung der UP und die Diktatur Augusto Pinochets als ihr Gegenbild erweckten den Internationalismus der Linken: Die Chile-Solidaritätsbewegung und chilenische Politexilanten betrieben in der Bundesrepublik eine nie dagewesene Popularisierung des Andenlandes und seiner Situation aus ihrem spezifischen Blickwinkel. Die vehemente Anklage gegen die chilenische Diktatur brachte auch inhaltliche Neuerungen in die internationalen Beziehungen mit ein: So trug sie langfristig dazu bei, dass Fragen der Menschenrechte immer mehr zu einem Kriterium - nicht nur für die Chile-Beziehungen - wurden.
Nicht erst vor dem Hintergrund dieser Politisierung der Chile-Bezie-hungen wurde deutlich, dass nichtstaatliche Akteure das deutsch-chileni-sche Verhältnis maßgeblich mitbestimmten. Neue Akteure bearbeiteten nicht etwa einfach nur die bekannten Themen der Diplomatie von ihrem Standpunkt aus, sondern erweiterten das Spektrum der Beziehungen hin zu einem inhaltlich größeren Bündel. Nichtstaatliche Akteure traten in den Beziehungen wirksam in Erscheinung und gingen zur Umsetzung ihrer Ziele transnationale Koalitionen ein. Insbesondere die Fragen der Entwicklung Chiles und die Pflege der nichtstaatlichen Kontakte hatten immer wieder entscheidende Auswirkungen auf die Beziehungen in ihrer Gesamtheit. Dem abstrakten Phänomen internationaler Beziehungen will sich diese Untersuchung daher mit einer gegenüber der Diplomatiegeschichte erweiterten Sichtweise der zu betrachtenden Akteure, Themen und Strategien annähern.
Diese Arbeit zeichnet die Entwicklung der politischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Chile nach, verdeutlicht dabei unter-scheidbare Phasen und beantwortet zentrale Fragen zu Akteuren, Themen, Zielsetzungen und Strategien. Das Verhältnis wird hierfür sowohl im Kontext der historischen Traditionslinie als auch im Rahmen der Bedingungen des Kalten Krieges und dem Verhalten anderer Staaten gegenüber Chile interpretiert. Neben objektiv die Beziehungen bestimmenden Faktoren in Wirtschaft und Politik spielen auch Fragen der gegenseitigen Wahrnehmung eine Rolle für die Interaktion. An den entscheidenden Umbrüchen der hier betrachteten Vorgänge werden daher Veränderungen dieser Wahrnehmung thematisiert und mit dem Geschehen in Beziehung gesetzt.


Georg Dufner, Dr. phil., ist Historiker, Politikwissenschaftler und Journalist in Berlin.


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