Düffel | Beste Jahre | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 247 Seiten

Düffel Beste Jahre

Roman

E-Book, Deutsch, 247 Seiten

ISBN: 978-3-8321-8807-8
Verlag: DuMont Buchverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Erfolg seiner Familienromane ›Vom Wasser‹ und ›Houwelandt‹ hat John von Düffel bekannt gemacht – sein neuer Roman erzählt davon, wie wenig selbstverständlich Familie geworden ist: Bis in die besten Jahre hinein scheint die Gründung einer Familie nur eine Option unter vielen.

Ein Schauspieler stellt fest, dass das Dramatische aus seinem Leben verschwunden ist. Mit Anfang Vierzig muss er nicht mehr jedem Rock hinterherlaufen. Zusammen mit seiner Frau Lisa genießt er die ruhiger gewordene Zeit. Da taucht im Grundriss der neuen Wohnung das Wort »Kinderzimmer« auf.
Die beiden gestehen sich ein, dass sie mit einem Kind noch glücklicher wären. Doch auf Kommando ist da nichts zu machen, ihr »Fruchtbarkeitswettbewerb« kennt keinen Sieger. Also lassen sie sich helfen – und das Dramatische kehrt in ihr Leben zurück.

John von Düffel macht aus dem ebenso wichtigen wie aktuellen Thema der späten Familie einen höchst gewitzten Roman: ›Beste Jahre‹ erzählt eine verwickelte Liebesgeschichte aus Deutschland – der Weg vom Paar zur Familie hält manche Überraschung bereit.
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Autoren/Hrsg.


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4 Wir Wir wohnen noch nicht lange hier am Rand dieser besseren Bremer Gegend, wobei gut oder weniger gut relativ ist (besonders in Bremen), genauso wie kurz oder lang – zwei, drei Jahre waren einmal eine Ewigkeit, inzwischen sind sie mir nichts, dir nichts vorbei. Wenn wir nach Hause kommen, beginnt für meine Frau und mich die »Truman-Show«, wie wir unseren Alltag nennen, weil er uns zu schön vorkommt, um wahr zu sein. Meine Frau arbeitet wie ich am Theater, aber nie an demselben. Wir sehen uns nach all den Jahren noch immer nicht oft genug. Also genießen wir die wenigen Stunden Alltäglichkeit, die uns zwischen den Dramen auf und hinter der Bühne bleiben. Wir gehen nicht joggen wie Hartmut Gehlen mit seinen Elevinnen, wir räumen den Geschirrspüler aus, geben Fertiggerichten aus der Tiefkühltruhe mit ein paar Gewürzen den letzten Pfiff und tun ein bißchen so, als würden wir zusammen kochen. In unserem Beruf gibt es immer etwas zu erzählen, und in der Regel wissen wir, von wem der andere gerade spricht. Meine Frau kennt fast alle meine Hamburger Kollegen von der Bühne, ich kenne die meisten ihrer Bremer Kolleginnen von gelegentlichen Besuchen bei uns zu Hause. Wir verpassen selten eine Folge in der Seifenoper des Theaterlebens, das wir unabhängig voneinander führen. Manchmal rege ich mich über Regisseure auf, manchmal hat sie Magenschmerzen wegen einer Rolle. Dann machen wir zusammen einen Spaziergang, und meistens ist es danach wieder gut. In unseren ersten Jahren war es für beide nicht einfach mit anzusehen, wie der andere mit wechselnden Partnern Szenen spielte, die – hätte man einen Grund zur Eifersucht gesucht – wenig der Phantasie überließen. Sogar heute noch ist es nicht immer leicht, zwischen Liebesspiel und Liebeswirklichkeit zu unterscheiden. Kuß sieht aus wie Kuß, Berührung wie Berührung, und manche Zärtlichkeit auf der Bühne scheint so unmittelbar aus unserem Schlafzimmer zu kommen, daß wir beim Zuschauen zusammenzucken wie ertappt. Doch mittlerweile wissen wir es besser. Denn anders als die Liebe auf der Bühne – die Leidenschaften und großen Gefühle – hat die Liebe im Leben etwas mit Zeit zu tun und dem Abenteuer der Dauer. Je mehr Liebesszenen ich spiele, je mehr Kolleginnen ich begegne, desto weniger interessiert mich der Reiz des Neuen, desto größer wird der Reiz des Vertrauten. Und meiner Frau geht es genauso. Sie kennt mich besser als ich. Mit den Jahren haben meine Frau und ich eine unglaubliche Begabung zur Normalität entwickelt. Das war überlebensnotwendig, als wir noch an weiter auseinander liegenden Bühnen engagiert waren. Eine Zeitlang hat sie in Oldenburg gespielt und ich in Basel, dann ging sie nach Karlsruhe und ich nach Bonn. Was uns blieb, waren endlose Bahnfahrten und die wenigen wachen Stunden der Zweisamkeit an unseren freien Abenden. Hätten wir da zu hohe Erwartungen gehabt, wäre das nicht gut gegangen. Doch es gelang uns mit der Zeit immer besser, gleich nach dem Kofferauspacken so zusammen zu sein, als wären wir nie getrennt gewesen. Im Vergleich zur Liebe auf der Bühne und im Film haben wir als Paar nichts Spektakuläres unternommen, wir sind nicht unentwegt an romantische Orte gereist, wir haben uns nicht vor offenen Kaminfeuern auf Bärenfellen gewälzt, wir haben nur ein paar Spielregeln eingehalten und konnten uns aufeinander verlassen, das ist das ganze Geheimnis. Wenn es für uns einen entscheidenden Augenblick gab, einen Wendepunkt, dann war es der Moment, als die Zeit anfing, für und nicht gegen uns zu laufen. Schwer zu sagen, wann genau das war. Irgendwann schien die Eieruhr der Vergänglichkeit sich umgedreht zu haben, irgendwann war ein gewöhnlicher Tag, ein Monat, ein Jahr nicht bloß ein weiterer Schritt in Richtung Verfallsdatum der Gefühle. Etwas wuchs, ganz unbemerkt. Und plötzlich stellten wir zu unserem Erstaunen fest, daß wir schon länger friedlich zusammenlebten, als unsere Eltern verheiratet gewesen waren. Es war der Moment, in dem der Gedanke der Ehe seinen Schrecken verlor. Es ist ein schönes Gefühl, eine gemeinsame Vergangenheit im Rücken zu spüren, es ist schön, Wir sagen zu können und damit eine lange Geschichte zu meinen, es ist schön, in seinem Leben nicht immer nur die erste Person gewesen zu sein. »Ich will mit dir alt werden«, hatte Lisa damals gesagt und gelächelt, als sei es eine Liebeserklärung, doch es klang wie eine Drohung. Ich wußte zunächst nicht so recht, was ich davon halten sollte. Wenn sie sich gewünscht hätte, mit mir jung zu bleiben, hätte ich sie sofort verstanden, aber »mit dir alt werden« hörte sich nicht gerade verlockend an. Inzwischen genieße ich es sehr, mit ihr älter geworden zu sein. Unsere Geschichte wird immer länger, und wir können sie uns gegenseitig erzählen, ohne uns zu langweilen. Die verschiedenen Städte, Wohnungen, die Freakshows der Viertel, wechselnde Mietparteien über und unter uns, Begegnungen der Dritten Art im Hausflur, Familiendramen nachts um halb zwei – das alles war einmal unser Leben. Wir waren nicht immer dasselbe Paar. Wir hatten unsere Party-Phase, unsere Kino-Phase, unsere Essengeh-Phase, unsere Freunde-besuchen-Phase, unsere sportliche Phase, unsere meditative Phase und einige andere mehr, die gottlob vorbei sind. Vieles, ohne das wir damals nicht leben konnten, entlockt uns heute nur noch ein müdes Lächeln. Kaum zu glauben, wie und wer wir schon alles gewesen sind. Und es ist gut, daß wir uns zu zweit erinnern. Denn so ein Einzelgedächtnis ist wählerisch und neigt dazu, all das zu vergessen, was es von sich nicht mehr wahrhaben will. Oft übersteigt die Vergangenheit unsere Vorstellung. Wenn ich meine Frau über uns früher reden höre, ist es, als würde sie mich an etwas erinnern, das ich geträumt habe. Ich sehe uns beide wie im Film, verkleidet, verjüngt und umfrisiert, und staune über die Unwirklichkeit dessen, was wir damals gewollt, gesagt und getan haben. Einzelheiten fallen mir wieder ein – die Schuhe, die ich damals trug, das Poster an der Schlafzimmertür, der Sommerhit von ’96. Fast Vergessenes fügt sich zusammen, und langsam kommt das Traumgefühl zurück, das einmal unser Lebensgefühl war, aber nur so von fernher und verschleiert, ein Gefühl eher zum Bestaunen als zum Empfinden, wie beim An-die-Decke-Starren an einem Sonntagmorgen nach dem Aufwachen. Wobei es seltsam ist zu wissen, daß wir diesen Moment des Erwachens im Grunde auch nur träumen und eigentlich immer weiterschlafen, nur eben einen leichteren, durchlässigeren und anders geschichteten Schlaf, aus dem wir in zwei, drei oder fünf Jahren ebenso augenreibend wieder aufwachen werden, voller Verwunderung über das seltsame Zeug, das uns jetzt so wichtig und wirklich erscheint. Wenn meine Frau und ich in fünf Jahren die Augen aufschlagen und auf uns heute zurückblicken, wird unser Leben nicht mehr dasselbe sein. Mit einem müden Lächeln werden wir uns erinnern an unsere Pläne und Erwartungen, Sorgen und Ängste von einst, die uns im nachhinein naiv, wenn nicht sogar niedlich erscheinen, denn alles wird anders gekommen sein, als wir dachten (und falls es genau so gekommen sein sollte, wird es sich anders anfühlen, als wir glaubten). Wir werden uns längst daran gewöhnt haben, Eltern zu sein, und möglicherweise – wenn unser Kind schläft – werden wir etwas wehmütig zurückdenken an diese gute, hoffnungsfrohe Zeit, als meine Frau im vierten Monat schwanger war und die Fruchtwasseruntersuchung glücklich hinter sich gebracht hatte, die uns von den Ärzten aufgrund unseres fortgeschrittenen Alters empfohlen worden war. Wir werden uns gegenseitig ein bißchen damit aufziehen, wie wir damals die ersten Ultraschallbilder zur Hand genommen und angestarrt haben, fassungslos und verzückt. Meine Frau wollte sie rahmen lassen, werde ich behaupten, obwohl das meine Idee war, und sie wird sagen, ich hätte mir eines aus ihrem Mutterpaß geklaut, um es immer bei mir zu tragen, obwohl ich nur Witze gemacht hatte. Doch all das wird sehr lange her sein und schon fast nicht mehr wahr, wir werden vergessen haben, wo sie liegen, die Bilder und all die anderen Reliquien aus dieser Zeit der Erwartung. Andere Dinge werden wichtig geworden sein. Unser Kind wird einen richtigen Namen tragen und nicht mehr Obsklappt heißen, wie wir es damals nannten, als wir noch nicht wußten, ob es klappt. Es wird für uns so real sein, als hätte es nie Obsklappt geheißen. Und wir werden uns ein Leben ohne Kind beim besten Willen nicht mehr vorstellen können, schon gar nicht unser Leben jetzt. Natürlich wird die Erinnerung vieles verklären, und einer von uns beiden wird irgendwann sagen, es sei aber auch nicht alles so einfach gewesen, wie es nachträglich scheint. Wir werden an die Ängste denken, die wir ausgestanden haben vor und nach der Behandlung, und daran, wie wir uns Mut geholt haben bei den Kublitscheks, unseren Nachbarn, die dann vielleicht schon längst nicht mehr neben uns wohnen, weil es ihnen zu eng geworden ist mit ihren Zwillingen. Doch für uns werden sie immer unsere Nachbarn bleiben: Frau Kublitschek, die noch mit dreiundvierzig schwanger wurde wie durch ein Wunder, Herr Kublitschek, der als graue Eminenz mit Kinderwagen viel Lob erntete für die beiden hübschen Enkel, deren Vater er war. Anfangs konnten wir uns nicht vorstellen, es genauso zu machen wie sie. Als uns die Kublitscheks die Adresse des Instituts gaben und den Namen des Klinikchefs, der die künstliche Befruchtung bei ihnen durchgeführt hatte, steckten wir die Visitenkarte nur aus Höflichkeit ein und beließen es dabei. So etwas kam gar nicht in Frage, für uns doch nicht. Wir hatten keinen unbedingten Kinderwunsch, sondern sahen es eher als eine Frage des Schicksals...


Düffel, John
JOHN VON DÜFFEL wurde 1966 in Göttingen geboren, er arbeitet als Dramaturg am Deutschen Theater Berlin und ist Professor für Szenisches Schreiben an der Berliner Universität der Künste. Seit 1998 veröffentlicht er Romane, Erzählungsbände sowie essayistische Texte bei DuMont, u. a. ›Vom Wasser‹ (1998), ›Houwelandt‹ (2004), ›Wassererzählungen‹ (2014), ›Klassenbuch‹ (2017), ›Der brennende See‹ (2020), ›Wasser und andere Welten‹ (Neuausgabe 2021), ›Die Wütenden und die Schuldigen‹ (2021) und zuletzt


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