Wie man Einhörner macht, Drachen tötet und andere nützliche Tipps an meine Nachkommen. Ein Familienbuch in 26 Kapiteln mit Bildern von Sylvain Mérot
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-407-76249-8
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christian Duda heißt eigentlich Christian Achmed Gad Elkarim, früher hieß er sogar Ahmet Ibrahim el Said Gad Elkarim. Er war Österreicher, Ägypter und ist jetzt Deutscher, war Katholik, Muslim und ist schon seit sehr langer Zeit ein glücklicher Atheist. Er ist Autor, Regisseur und Vater, lebt in Berlin und träumt vom Snowboarden.
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2 Tür auf, Tür zu
Es klingelte an meiner Tür. Ich öffnete sie, da war niemand. Also nahm ich den Hörer der Telefonanlage, sagte: »Hallo?«, und eine Kinderstimme antwortete: »Hallo.« Die Stimme kam nicht aus dem Hörer. Ich schaute wieder in den Flur. Da war Hilde. Fünfeinviertel Jahre alt. »Ach«, sagte ich und wollte mich entschuldigen, von wegen »Tut mir leid, hab dich nicht gesehen«, aber Hilde ließ mich nicht aussprechen. »Hast du einen Fernseher?«, fragte sie. »Äh, ja.« Mehr fiel mir leider nicht ein, denn ich wollte mich doch gerade entschuldigen und diese Frage nach der Glotze hatte mich überrascht und war, finde ich, komisch. »Wirklich?«, wollte Hilde jetzt wissen, denn sie hatte meine Überraschung bemerkt. »Ehrlich«, antwortete ich jetzt mit fester Stimme. Ich kann es nicht leiden, wenn man mir nicht glaubt. »Ich hab einen Fernseher, sogar einen ganz guten!« Hilde marschierte an mir vorbei, ging direkt zum Wohnzimmer, sah sich dort an der Tür kurz um, betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter sich zu. Ich stand verwundert im Flur an der offenen Wohnungstür und dachte: Hat die jetzt etwa die Tür geschlossen? Was natürlich beweist, wie durcheinander ich war, denn ich hatte gesehen, wie sie die Tür zumachte. Neugierig und auch ein bisschen verärgert ging ich Hilde hinterher. Die Wohnungstür ließ ich offen. Es fühlte sich komisch an, mit einer Fünfeinvierteljährigen allein in der Wohnung zu sein. Ich hatte keine Kinder, obwohl ich schon groß war und Kinder hätte haben können. Das wollte ich aber damals nicht. Ich fand Kinder seltsam und wollte sie deswegen auch nicht immer um mich haben! Manchmal finde ich Kinder immer noch seltsam. Eltern müssen Kinder immer um sich wollen, sogar wenn sie seltsam sind! Das ist anstrengend. Ich dachte, dass Hilde von alleine wieder rausfindet, wenn ich die Tür offenlasse. Wie die Taube in meinem Wohnzimmer. Da hatte ich das Fenster einfach offen gelassen, und sie flog dann durchs Fenster raus, nachdem sie mir auf den Couchtisch gekackt hatte. Im Wohnzimmer fiel mein Blick zuerst auf den Fernseher. Er lief, obwohl ich ihn nicht angemacht hatte. Erst dann sah ich zum Sessel, in dem Hilde ihre Stummelbeine auf die Sitzfläche gelegt hatte, weil sie einfach noch zu klein war, um sie über die Sitzkante baumeln zu lassen. »Deine Schuhe sind schmutzig!«, kam mir als Erstes in den Sinn, was auch beweist, wie durcheinander ich war. »Ja, ja«, murmelte Hilde. Sie suchte gerade mit der Fernbedienung nach einer passenden Sendung. Da ist man immer etwas abgelenkt. »Du machst meinen Sessel schmutzig. Ich setze mich später auf die schmutzigen Bezüge und dann ist meine Hose schmutzig und –« »Dann musst du die Hose waschen und alles ist wieder gut!«, unterbrach sie mich. »Nein, ist es nicht! Der Sessel ist immer noch schmutzig.« »Zieh halt die Schuhe aus«, meinte sie ganz nebenbei, denn sie suchte nach einem Programm. Ich hatte aber keine Schuhe an! Wenn man keine Schuhe anhat, kann man sie auch nicht ausziehen. Da erst bemerkte ich, dass sie mir ihr linkes Bein entgegengestreckt hatte. Sie hatte ihre Schuhe gemeint! Ich hätte besser nachdenken müssen, aber ich war besorgt um meine hellbeigen Stoffbezüge, und es ging auch alles so schnell und ich kann manchmal nicht schnell denken. Ich ging zu ihr, kniete nieder und wollte gerade die Schuhe aufmachen, da meckerte sie mich an: »Ich seh nichts!« »Entschuldigung«, sagte ich und krabbelte ein Stück beiseite. Das waren kleine Füße, kann ich dir sagen, und das bedeutete, dass auch die Schuhe sehr klein waren und die Schnürsenkel kurz, und deswegen brauchte ich lange, bis ich die Schlaufen und Knoten endlich aufgemacht hatte. Als ich die Schuhe in den Flur brachte, fiel mir die offene Wohnungstür auf. Verflixt, dachte ich, die Wohnungstür steht noch offen! Während ich Hildes Schuhe neben meine Schuhe in den Flur stellte, dachte ich: Verflixt, ich hab ein Kind in der Wohnung! Aufgeregt rannte ich zurück ins Wohnzimmer. Mittlerweile hatte sich Hilde in meinem Sessel quer ausgestreckt, so dass ihre Füße auf der rechten Lehne lagen und ihr Kopf auf der linken! »Was machst du hier?«, wollte ich wissen. »Fernsehen.« Ich hatte eine Pause gelassen, weil ich mir ganz sicher war, dass Hilde gleich erklären würde, warum sie hier bei mir fernsah. Doch es blieb still, das heißt, Hilde blieb still, der Fernseher plapperte. »Wieso?«, wollte ich wissen, aber Hilde hatte keine Lust zu antworten. Ich fragte nochmal. »Wieso?« »Wieso was?« »Wieso siehst du fern?« Hilde drehte sich auf den Bauch, ihre schmutzige Wange wischte über die Lehne. Wenn die bloß keine Flecken macht, dachte ich. Sie sah mich genervt an und antwortete: »Weil es ein Fernseher ist. Was soll man auch sonst mit einem Fernseher tun? Ist ja kein Fahrrad.« »Das weiß ich, aber –« Wieder unterbrach mich Hilde: »Sag mal, warum zieht es hier so?« Ich drehte mich um. Tatsächlich! Die Wohnungstür war noch offen. »Die Wohnungstür ist offen«, sagte ich wahrheitsgemäß und schüttelte den Kopf über so viel Unvernunft. Es ist sehr unvernünftig, am helllichten Tage mitten in einer Großstadt die Tür sperrangelweit offen zu lassen. »Willst du sie nicht zumachen?«, schlug Hilde vor. Jetzt nickte ich, blieb aber stehen, denn ich erinnerte mich daran, dass ich die Tür absichtlich offen gelassen hatte. »Worauf wartest du?«, wollte Hilde wissen. Ich hasse es, wenn man mich drängelt, das macht mich nämlich konfus. Konfus ist, wenn man durcheinander ist, aber nur kurz, nicht für immer. Ich war lang genug durcheinander, um zur Wohnungstür zu gehen, dort aber fiel es mir wieder ein. Eilig kehrte ich ins Wohnzimmer zurück. »Willst du hierbleiben?«, fragte ich Hilde, die wieder in den Fernseher starrte. »Ich frag nur, weil du wohnst nicht hier.« »Was gibt es denn zu essen?« »Äh«, sagte ich. Ich hatte noch nicht entschieden, was ich heute essen wollte. »Äh?«, fragte Hilde, »wie schmeckt Äh?« »Wie bitte?« »Na, ist Äh süß oder salzig? Ist es eine Suppe?«, fragte sie beunruhigt und setzte panisch nach: »Sag jetzt bloß nicht, dass es grün ist! Ich mag nichts Grünes essen, musst du wissen!« »Keine Ahnung«, murmelte ich. Mittlerweile war ich nicht nur konfus, ich war vollkommen verwirrt. »Kannst du mich nochmal fragen?«, bat ich Hilde. »Ganz von Anfang an?« Hilde setzte sich auf. Besorgt sah sie mich an. »Bist du dumm?« »Nein«, schrie ich, weil ich bin nicht dumm und es ist nicht nett, wenn man so was gefragt wird! Ich kann mich gut erinnern, wie ich früher immer weinen musste, wenn mich jemand dumm nannte! Dumm sein ist nicht schön. Niemand will dumm sein oder auch nur dumm genannt werden! Selbst wenn er dumm ist! »Warum ist dann die Wohnungstür noch offen?«, wollte Hilde wissen und jetzt sah sie noch besorgter aus. »Ich, äh …«, stotterte ich und gab dann zu: »Hab’s vergessen.« »Nicht schlimm,« meinte Hilde und sprang von der Sitzfläche, nahm mich an der Hand und erklärte: »Wir können sie zusammen schließen. Ich helf dir, damit du es nicht gleich wieder vergisst!« Kaum hatten wir die Tür zugemacht, fiel es mir ein: »Würstchen mit Ketchup!« »Cool«, sagte Hilde. »Ich bleib bei dir, wenn du Würstchen machst. Ich mag Würstchen und Ketchup ist nicht grün.« »Nein, es ist rot«, stimmte ich zu. »Gut. Dann leg los. Ich warte so lange vorm Fernseher auf dich!« Ich wollte natürlich, dass wir in der Küche essen. Ketchup-Flecken lassen sich ganz einfach vom Küchentisch wischen. »Gibt es einen Fernseher in deiner Küche?« »Ich hab nur einen Fernseher und der steht im Wohnzimmer!«, erklärte ich ihr. »Dann geht das nicht.« »Aber Essen im Wohnzimmer macht bestimmt Flecken! Auf dem Sofa oder auf dem Sessel und das will ich nicht.« Das war jetzt nicht so richtig die Wahrheit. Meine Putzfrau schimpfte mit mir, wenn ich was schmutzig gemacht hatte. Ich hatte ein bisschen Angst vor ihr. Auch mag ich es grundsätzlich nicht, wenn man mich ausschimpft. »Dann ess ich auf dem Boden?« »Dann sind die Flecken auf dem Teppich!« »Dann ess ich eben gar nichts!« »Dann hab ich umsonst gekocht!« ...