E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Droonberg Das Gold der Nebelberge
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7309-1584-4
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-7309-1584-4
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Viele Goldsucher erlagen schon dem Fluch, der auf dem Goldschatz in den Nebelbergen im hohen Norden Kanadas liegt, da erfährt Prospektor Warren davon und macht sich auf den gefahrvollen Weg. Coverbild: © Fun Way Illustration/Shutterstock.com
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EINS
Heulend und in seinen Stößen dichte Massen von Eisstaub in ganzen Wolken vor sich herjagend, raste der Sturm von den umliegenden Bergen herab. Mit der Gewalt titanenhafter Wurfgeschosse schmetterte er sie gegen den Schuppen, der unserer Abteilung deutscher Internierter als Behausung diente. Mit dem uns zugeteilten Wächter saß ich in einem kleinen Anbau und lauschte dem Wüten des Sturmes. Dieser Anbau war eigentlich unsere Küche, in der unser Koch, ein biederer, aber fürchterlich wortreicher Sachse, sonst seines Amtes waltete. Da aber dieser Anbau dank seiner geringen Größe und des großen Küchenherdes bei Weitem der wärmste Raum der ganzen Baracke war, hatte ich mich hierher geflüchtet, die Nacht hier zu verbringen. Ich war dazu gezwungen durch den Umstand, dass sich mein Bett in der zugigsten Ecke unseres Schlafraumes befand – der übrigens seiner ursprünglichen Bestimmung als Heuboden niemals hätte entzogen werden sollen –, und dass die durch den Sturm bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Kälte von fünfundvierzig Grad unter Null mich von dort verjagt hatte. Allerdings leitete mich dabei noch ein Nebenzweck. Ich wollte mit dem Wächter, einem alten Prospektor von fünfundsechzig Jahren, der in diesem gott- und weltverlassenen Neste in den kanadischen Felsengebirgen seinem Lande diente, wieder mal eine der Unterhaltungen führen, wie ich sie mit ihm schon häufig während der langen Winterabende an dem gleichen Orte gepflogen hatte. Trotzdem wir in den häufigen Pausen unserer Unterhaltung dem baufälligen Kochherd vor uns ein Scheit duftenden Zedernholzes nach dem andern zuführten und seine verbogenen Eisenplatten rote Glut strahlten, war doch sein Kampf mit dem Sturm da draußen zu ungleich. Der pfiff und fauchte und blies durch so viele geheime Ritzen und Löcher, dass wir, dicht vor dem Herde sitzend, unsere warmen Wintermäntel und eine wollene Decke über den Knien nicht hätten entbehren können. Der Ort, wo wir uns befanden, lag in den kanadischen Felsengebirgen in einer Talsenkung. Einst, das heißt vor etwa fünfzehn Jahren, war diese wohl von dichtem Urwald ausgefüllt gewesen, wovon jetzt noch kräftige Wurzeln, über die man in jedem Hofraum und auf jedem Pfade stolperte, Zeugnis ablegten. Als man die ‚Stadt‘, der man den Namen Morrissey gegeben hatte, gründete, wurden natürlich beträchtliche Breschen in den Wald geschlagen. Sein Dasein in dieser Bergwildnis verdankte Morrissey ausschließlich den nahegelegenen Kohlenminen. Der typische Charakter der westlichen Minenstädte kam auch heute noch durch eine Anzahl mehrstöckiger Boardinghäuser zum Ausdruck, die man in den kleinen Ortschaften der Farmerdistrikte vermisst. Inzwischen hatte Morrissey freilich als typische Minenstadt auch das typische Schicksal dieser Plätze erlitten, denn es war, als eines schönen Tages der Betrieb der Minen eingestellt werden musste, von seinen Bewohnern verlassen worden. Nachdem das Städtchen etwa zehn Jahre lang, im Sommer in der brütenden Sonnenhitze und im Winter halb im Schnee vergraben, in einer Art Märchenschlafe gelegen, hatten es die Furien des großen Völkerkrieges zu neuem Leben erweckt. Die ganze Stadt, die freilich insgesamt aus kaum mehr zwanzig Häusern bestand, wurde von der Militärbehörde für Internierungszwecke gemietet. Die Gegend war wunderbar malerisch und romantisch; der Wald belebt von Eichhörnchen, Rebhühnern und allem möglichen kleineren Vogelgesindel, das oft wie eine Versammlung von Markweibern durcheinander schrie und sich auch nicht im Geringsten stören ließ, wenn ein vereinzelter Rabe mit schwerem Flügelschlage auf eine der zahlreichen Lichtungen nieder schwebte. Aber scheu versteckte es sich im Geäst der Bäume, wenn ein Habicht seine Kreise in der klaren, mit dem Dufte der Balsamtannen erfüllten Luft zog und den Warnungsruf gab, der von einem Dutzend aufgeregter Vogelstimmen wiederholt wurde. Und während in der Ferne die alten Bergriesen ihre einsamen gletscherumstarrten und goldrein in der Sonne blinkenden Gipfel in den Äther streckten, erschienen an den Abhängen der näheren Berge oft Bergschafe, Rehe und gelegentlich wohl auch einmal die massige Form eines Bären. Das alles konnten wir von dem mit Stacheldraht umzäunten kleinen Hofe, der unsere Shanty umgab, beobachten. Jetzt schien der Winter alles Leben, soweit es sich unseren Blicken bot, auf den Lichtungen und in den dünnen Waldbeständen der umliegenden Berghänge ertötet zu haben. Nur nachts verriet uns das Geheul der herumstreifenden Wölfe und das gelegentliche schrille, katzenartige Miauen eines Luchses, dass es sich fortspann hinter den grauen Frostschleiern, die uns die meiste Zeit die Aussicht verhüllten, verstohlen, schleichend, auf leisen, samtenen Sohlen, in stetem blutigen Kampfe von Art gegen Art und mit derselben raublüsternen Mordgier, die da draußen in der Welt die Völker sich gegenseitig abwürgen ließ. Während man tagsüber unsere Sicherheit und unser Wohlergehen durch die Außenposten genügend gewährleistet glaubte, teilte man uns nachts immer noch zwei Innenwächter zu. Sie lösten sich jede halbe Stunde in der Weise ab, dass der eine seinen Dienst draußen im Hofe versah, während der andere sich in der Küche unserer Shanty wärmte. Der eine von diesen war Edward Warren, der alte Prospektor, mit dem ich in dieser wilden Januarnacht dort saß, rauchend, plaudernd und zeitweilig dem Toben des Sturmes lauschend. Als echter Prospektor, den das Prospektierfieber in seiner Jugend gepackt und nicht wieder losgelassen hatte, war Warren unverheiratet geblieben. Denn was sollte wohl ein Prospektor mit einer Frau und Familie anfangen? Auch all die Schrullen besaß er, die sich naturgemäß bei einem Menschen herausbilden, der sein Leben fern von der Zivilisation und der Gesellschaft der Menschen verbringt. Der große reiche Fund, der jedem Prospektor wie ein flackerndes Irrlicht auf seinen Wegen vorangaukelt, war ihm noch nicht geworden. Aber die Vorstellung, die Gewissheit, dass er ihm glücken würde, lebte noch immer in seinem Hirn wie ein nie verlöschender Fiebertraum, füllte noch immer jedes Frühjahr seine alten Knochen mit dem nötigen Optimismus, irgendeinen spekulationslustigen Geschäftsmann zur Hergabe eines Grubstakes zu veranlassen und ließ ihn im Sommer unter den härtesten Entbehrungen in einsamen Schluchten und Flussbetten die Erde aufwühlen und im Winter in der froststarren Öde der Wälder seine Fallen stellen. Anstatt, dass die nun schon so oft erlebten Enttäuschungen ihn, der jetzt an der Neige seines Lebens stand, ernüchtert hätten, war im Gegenteil die immer gehegte Hoffnung auf einen reichen Fund schließlich zur fixen Idee geworden. Und das gilt von jedem alten Prospektor. Er besitzt stets einen Optimismus, der unverwüstlich ist – oder er wäre eben kein alter Prospektor. Er weiß recht wohl, dass nur einer unter zehn etwas von Wert findet – dass nur eine unter hundert solchen Entdeckungen eine Ausnützung durch Minenbetrieb lohnt – und dass wiederum nur einer unter tausend solcher Betriebe zu einer bedeutenden Mine wird. Aber jeder Misserfolg scheint in seiner Vorstellung nach einer Art unbewusster Wahrscheinlichkeitsrechnung den Erfolg für das nächste Mal umso sicherer zu machen. Das Gold und die andern Metalle sind ja doch da! Und wie der Spieler glaubt, nachdem er zehn- oder zwanzigmal verloren oder nur kleine Einsätze gewonnen hat, dass sich die Wahrscheinlichkeit auf einen baldigen großen Gewinn steigert, so geht der Prospektor auf jede Entdeckungstour mit einem immer größeren Glauben an seinen endlichen Erfolg. Einmal muss er ja doch kommen! Ich hatte natürlich sofort gemerkt, dass Mister Warren mich hauptsächlich aus dem Grunde seiner besonderen Aufmerksamkeit würdigte, weil er in mir einen Mann witterte, der ihm nach Beendigung des Krieges zu einem Grubstake für seine nächste Wanderung in die Berge verhelfen könnte. Das war auch keineswegs ausgeschlossen, und ich hatte ihm bereits mitgeteilt, dass ich ihn recht gern einmal auf einer seiner Expeditionen begleiten würde. Die Lager von Edelmetallen, die wir dabei entdecken würden, wollte ich ihm überlassen und mich mit den Eindrücken und Erfahrungen der Reise begnügen. Nur wenn wir gerade zufällig auf ein Lager von Placergold stoßen sollten, würde ich mich vielleicht überreden lassen, einige Taschen voll mitzunehmen. Diese letzte Bemerkung veranlasste ihn, mir mit einem merkwürdig forschenden, gleichzeitig aber auch nachdenklichen Blick ins Gesicht zu sehen. Das flackernde Licht der armseligen Petroleumlampe, seltsam gemischt mit dem roten Schein der glühenden Eisenplatten des Herdes, spielte über seine verwitterten Züge. Die eingesunkenen Wangen, die scharfen Linien, die Not und Entbehrungen in sein Gesicht gegraben – nicht die Not der Städte, die unter ihrem steten Druck den Geist tötet und die Seele zermürbt, sondern jene der Wildnis, die man um des Zweckes willen, den man verfolgt, mutig erträgt und die zuletzt doch nur den Körper stählt und härtet –, waren braun und von einem gesunden dauerhaften Rot überzogen. Der weiße Schnurrbart war von unzähligen Pfeifen...