E-Book, Deutsch, 337 Seiten
Droonberg Am Nelsonstrom
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7309-1535-6
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Indianerroman
E-Book, Deutsch, 337 Seiten
ISBN: 978-3-7309-1535-6
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Mit sengender Glut brannte die Sonne auf die Tausende von Geviertmeilen von Muskeg hernieder, der sich mit geringen Unterbrechungen nördlich und südlich des Nelsonstromes weit in das Land hinein dehnte, und lag in blendendem Widerschein auf den grauen, schlammigen Wassern, die sich träge der Hudsonbai zuwälzten ... Coverbild: © Red monkey / Shutterstock.com
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1. Die Fußspur auf der Klippe
Mit sengender Glut brannte die Sonne auf die Tausende von Geviertmeilen von Muskeg hernieder, der sich mit geringen Unterbrechungen nördlich und südlich des Nelsonstromes weit in das Land hinein dehnte, und lag in blendendem Widerschein auf den grauen, schlammigen Wassern, die sich träge der Hudsonbai zuwälzten. Ich saß auf einem breiten Streifen festen Sandes, der hier das Nordufer des Stromes bildete, und beobachtete müßig meinen Gefährten, einen alten Siouxindianer, der nur wenige Schritte von mir entfernt auf einem über das Wasser hinausragenden Baumstumpfe hockte, beschäftigt, einige Fische für unsere Abendmahlzeit zu angeln. Der Hauptteil meiner Aufmerksamkeit war aber in Anspruch genommen durch die Abwehr der Moskitoschwärme, die wie dicke braune Wolken höllischen Unheils die Luft erfüllten. Sie sind der Fluch des kanadischen Nordens und Alaskas, diese Moskitos. Und leider trägt auch der Umstand, dass man die unausgesetzten und unerhörten Quälereien nur durch das schönere Geschlecht dieser Ausgeburt der Hölle erleidet, nicht das Geringste zu ihrer Milderung bei. Der männliche Moskito ist ein völlig harmloses Geschöpf, das nur Nektar und Ambrosia aus den Blumen saugt, sich aber im Übrigen ausschließlich um seine eigenen Angelegenheiten kümmert. Seine bessere Hälfte zeigt aber blutsaugerische Amazoneninstinkte von dämonischer Verruchtheit. Das Seltsamste dabei ist, dass diese Quälgeister nicht etwa nur eine Plage der tropischen Länder sind, wie vielfach angenommen wird, sondern dass sie im Gegenteil noch viel schlimmer in den kalten und kältesten Zonen auftreten. In Sibirien wie in Kanada und Alaska kommen sie zum Vorschein, sobald der Schnee weggetaut ist. Dann brütet die Tundra mit ihren Sümpfen solch unglaubliche Massen von ihnen aus, dass sie die Luft wie Rauchschwaden füllen und Rentiere, Pferde, Schlittenhunde und oft genug auch die Menschen buchstäblich zu Tode peinigen. In Alaska versuchen die meisten Tiere das Waldes ihnen dadurch zu entfliehen, dass sie, wie zum Beispiel die Herden Hunderttausender von Karibus, immer gegen den Wind ziehen, gleichviel wohin, oder dass sie immer weiter nach Norden, bis an die Schneegrenze, abwandern. Aber auch das hilft meist nicht sehr viel, denn der unerbittliche Feind folgt ihnen bis auf die höchsten Berge und dort bis über die Vegetationslinie hinauf. Die Moskitos töten Wapitis und Hirsche, indem sie über diese unglücklichen Geschöpfe in solchen Massen herfallen, dass sie ihre Körper leer saugen von Blut. Bären werden rasend vor Qual, erblinden unter den Stichen ins Auge, verkriechen sich bis zur Nasenspitze im Schlamme der Sümpfe und verhungern dort oft lieber, als dass sie es wagen, herauszukommen. Tiere, die der Quälerei nicht erliegen, zeigen ein von dem eingedrungenen Gifte völlig verfärbtes Fleisch, und selbst das Mark in den Knochen ist in Blut und Wasser zersetzt. Männer, die unter keiner Entbehrung, keiner Anstrengung und keiner Erschöpfung zusammengebrochen wären, findet man oft unter der unausgesetzten, Tag und Nacht währenden Qual mit ihren Nerven so weit fertig, dass sie weinen vor hilfloser Wut. Die Idylle, die dieser Sommernachmittag, den wir hier in voller Muße am Ufer des gewaltigen Stromes verbrachten, für uns hätte sein können, war also nicht ganz ohne Beeinträchtigung. Mein indianischer Gefährte schenkte der Moskitoplage übrigens viel weniger Beachtung. Das konnte er um so eher, als die Indianer darunter zwar ebenfalls zu leiden haben, aber doch nicht in dem Grade wie die Weißen. Vielleicht sind sie durch die dauernde Aufnahme des Moskitogiftes in ihr Blut bis zu einem gewissen Grade gegen die Moskitostiche immun geworden. Wir waren vor zwei Tagen nach einer mehr als dreiwöchigen Kanureise von Winnipeg über den langen Winnipegsee und das sich an diesen anschließende System von Wasserläufen hier eingetroffen. Ich hatte die Reise im Auftrage des Chefredakteurs der ‚Daily News‘ unternommen. Von The Pas, im nördlichen Manitoba, nach Port Nelson, an der Mündung des gleichnamigen Stromes in die Hudsonbai, wurde nämlich eine Bahn gebaut, und die Partei, der das Blatt gehörte und die zu der augenblicklichen Regierung in Opposition stand, glaubte Gründe zu der Annahme zu haben, dass diese oder doch eine Gruppe von ihr nahestehenden Politikern die günstige Gelegenheit zu einem umfangreichen ‚Graft‘ benutzt hatten. Der Chefredakteur hatte mir daher den Vorschlag gemacht, nach Port Nelson zu reisen, die Zweckmäßigkeit des ganzen Projektes an Ort und Stelle zu prüfen und eine Reihe von Artikeln darüber zu schreiben. Er hielt es für ratsam, eine politisch ganz und gar unbescholtene Person, wie mich, mit dieser Aufgabe zu betrauen, damit diese Berichte nicht von vornherein als parteipolitisch voreingenommen verdächtigt werden konnten. Trotzdem schien er überzeugt, dass seine Partei ausnahmsweise diesmal auch bei einer solchen Art von Berichterstattung auf ihre Kosten kommen würde. Und in der Tat mussten einige seltsame Umstände, auf die er mich im Einzelnen aufmerksam machte, wenn sie sich bewahrheiteten, den Bau der neuen Linie in einem recht merkwürdigen Lichte erscheinen lassen. Mein Gefährte, der Sioux, war ein alter Bekannter von mir. Er war der Häuptling der Touchwood Hills Reservation in der Provinz Saskatchewan und trug den etwas sonderbaren Namen Dead Body, also ‚Leichnam‘, den er einem Ereignis aus dem letzten Indianeraufstande im Jahre 1885 verdankte. Das Indianische Amt in Ottawa hatte ihm durch den Agenten, dessen Aufsicht seine Reservation unterstand, mitteilen lassen, dass er und sein Stamm die Touchwoodberge verlassen müssten. Man sei aber bereit, ihnen ein gleich großes Stück Land an der Hudsonbai anzuweisen, über dessen genaue Lage man Vorschläge von ihnen in Erwägung ziehen würde. Einen bestimmten Grund für diese Maßnahme hatte man ihm nicht genannt; es war ihm aber bekannt, dass die umwohnenden Farmer die Regierung schon seit langer Zeit drängten, das Land, das sie als Weide für ihr Vieh benötigten, freizumachen. Da die Sioux nicht zu den Vertragsindianern gehören, sondern erst im Jahre 1876 nach dem blutigen Gefecht gegen die amerikanischen Truppen unter General Custer am Little-Big-Horn-Flusse als Flüchtlinge aus den Vereinigten Staaten nach Kanada gekommen waren, hat sie die kanadische Regierung immer nur im Lande geduldet und niemals irgendwelche Verpflichtungen gegen sie anerkannt. Es blieb Dead Body daher auch nichts anderes übrig, als sich der Entscheidung zu fügen, denn sie ergab sich aus dem Umstande, dass die Farmer bei der Wahl Stimmen abzugeben hatten, er und sein Stamm aber nicht. Ich hatte ihn zufällig auf dem Indianischen Amte in Winnipeg getroffen, wohin ich gegangen war, um vor meiner Abreise einige Karten einzusehen. Da er eine Reise nach der gleichen Gegend vorhatte, beschlossen wir sofort, sie zusammen zu unternehmen. Wie alt Dead Body eigentlich war, habe ich niemals ganz genau feststellen können, denn darüber war er sich selbst im Unklaren. Er berechnete sein Leben nicht nach Jahren, sondern nach den bedeutsameren geschichtlichen und sonstigen Ereignissen, die er miterlebt hatte. Danach musste er sich jetzt etwa in der Mitte der Siebzig befinden. Seine Kleidung war die übliche der Indianer, die in Kanada auch heute noch vielfach von ihnen getragen wird. Sie bestand aus engen, hirschledernen Beinkleidern mit breiten blauen Streifen an den Seiten, ebensolchen Mokassins, blaugestreiftem baumwollenem Hemd und grauem Filzhut mit breitem flachem Rande. Das lange und nur ganz wenig ergraute Haar fiel in zwei Zöpfen über seine Schultern herab. Es lag eine gewisse Tragik in seiner Erscheinung, hervorgerufen oder doch zumindest auffälliger gemacht durch die Unbeweglichkeit der wie aus Erz gegossenen Züge seines kupferbraunen faltigen Gesichts und den fast stets in die Ferne gerichteten Blick seiner dunklen Augen, der nach dem Lande zu suchen schien, das die in die Wildnis vordringende Zivilisation seinem Volke geraubt hatte. Er war ein völlig einsamer Mann, und die letzte Überlebende seines Geschlechts, seine Enkelin Minnehaha, befand sich als Nonne im Kloster zu Lebret. Außerdem gehörte noch ein Halbblut zu uns, das ich in Selkirk als Guide angeworben hatte. Über seine Eignung dazu konnte ich mich freilich nur auf die Glaubwürdigkeit seiner eigenen Angaben stützen, und schon in den ersten Tagen unserer Reise fand ich Veranlassung, in diese einige Zweifel zu setzen. Augenblicklich weilte er in unserem Lager, das wir eine halbe englische Meile stromabwärts in einer Waldlichtung aufgeschlagen hatten, wo er mit den mannigfachen Lagerarbeiten beschäftigt war. „Dein Stamm wird einen guten Tausch machen, wenn er hier eine Reserve erhält“, bemerkte ich zu meinem Gefährten in der Siouxsprache, die ich ziemlich gut beherrschte. „Der Boden ist vorzüglich hier. Und hast du die vielen Tierspuren gesehen?“ „Meine Augen waren offen und haben gesehen, was mein weißer Bruder gesehen hat“, erwiderte er. „Das gibt also gute Aussicht für das Trappen im Winter, während in den Touchwood Hills, wie du mir oft geklagt hast, die weißen Farmer alles leer getrappt haben.“ Eine...