E-Book, Deutsch, 318 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-0369-9129-0
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sir Arthur Conan Doyle wurde 1859 in Edinburgh geboren. Er studierte Medizin und praktizierte von 1882 bis 1890 in Southsea. Reisen führten ihn in die Polargebiete und nach Westafrika. 1887 schuf er Sherlock Holmes, der bald seinen 'Geist von besseren Dingen' abhielt. 1902 wurde er zu Sir Arthur Conan Doyle geadelt. In seinen letzten Lebensjahren - seit dem Tod seines Sohnes 1921 - war er Spiritist. Sir Arthur Conan Doyle starb 1930 in Crowborough/Sussex.
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DER ERBLEICHTE SOLDAT Die Ideen meines Freundes Watson sind begrenzt, aber um so hartnäckiger hält er an ihnen fest. Seit langem schon drängt er mich, eines meiner Erlebnisse einmal selbst niederzuschreiben. Womöglich habe ich diese Aufsässigkeit ein wenig provoziert, da ich schon oft Ursache hatte, ihn auf die Oberflächlichkeit seiner Darstellungen hinzuweisen und ihn dafür zu tadeln, daß er dem Massengeschmack willfahre, anstatt sich streng an Fakten und Personen zu halten. »Versuchen Sie es doch selbst, Holmes!« gab er darauf zurück, und ich muß bekennen, daß ich nun, die Feder in der Hand, doch einzusehen beginne, daß der Stoff auf eine Weise präsentiert werden muß, die das Interesse des Lesers zu wecken vermag. Diesen Zweck kann die folgende Begebenheit kaum verfehlen, da sie zu den seltsamsten Fällen meiner Sammlung zählt – auch wenn sich zufälligerweise darüber nichts in Watsons Sammlung findet. Wo ich schon von meinem alten Freund und Biographen spreche, möchte ich die Gelegenheit ergreifen, um folgendes anzumerken: Wenn ich mich bei meinen vielfältigen kleinen Untersuchungen mit einem Begleiter belastet habe, so nicht etwa aus Gefühlsduselei oder aus einer Kaprice heraus, sondern weil Watson einige bemerkenswerte Eigenschaften besitzt, denen er – bescheiden, wie er ist – in seiner übertriebenen Wertschätzung meiner Leistungen bisher nur geringe Beachtung geschenkt hat. Ein Verbündeter, der einem Schlußfolgerungen und Vorgehensweise vorwegnimmt, ist immer gefährlich; aber jemand, dem jede Entwicklung stets als Überraschung daherkommt und dem die Zukunft allzeit ein versiegeltes Buch ist, stellt in der Tat einen idealen Gehilfen dar. Meinem Notizbuch entnehme ich, daß ich im Januar 1903, just nach Beendigung des Burenkrieges A24, Besuch von Mr. James M. Dodd erhielt, einem großen, frischen, sonnengebräunten und aufrechten Briten. Der gute Watson hatte mich damals um einer Gattin willen verlassen, im Lauf unserer Kameradschaft die einzige eigennützige Tat, deren ich mich entsinnen kann. Ich war allein. Gewöhnlich sitze ich mit dem Rücken zum Fenster und plaziere meine Besucher auf den Stuhl gegenüber, wo das Licht voll auf sie fällt. Mr. James M. Dodd schien ein wenig in Verlegenheit, wie das Gespräch zu beginnen sei. Ich machte keinen Versuch, ihm zu helfen, denn sein Schweigen ließ mir mehr Zeit zur Beobachtung. Es hat sich als klug erwiesen, die Klienten mit einer Kostprobe meiner Fähigkeiten zu beeindrucken, daher teilte ich ihm einige meiner Schlußfolgerungen mit. »Aus Südafrika, Sir, stelle ich fest.« »Ja, Sir«, antwortete er ziemlich überrascht. »Imperial Yeomanry A25, nehme ich an.« »Genau.« »Middlesex Corps, ohne Zweifel.« »So ist es. Mr. Holmes, Sie sind ja ein Hexenmeister.« Ich lächelte über seine verblüffte Miene. »Wenn ein kräftig wirkender Gentleman mein Zimmer betritt, mit einer Gesichtsbräune, wie sie die englische Sonne niemals erzeugen könnte, und mit dem Taschentuch im Ärmel statt in der Tasche, fällt es nicht schwer, ihn einzuordnen. Sie tragen einen kurzen Bart, was zeigt, daß Sie kein Berufssoldat waren. Sie sehen aus wie ein Reiter. Was Middlesex betrifft, so hat mir bereits Ihre Karte verraten, daß Sie ein Börsenmakler aus der Throgmorton Street sind. Welchem Regiment sollten Sie sonst angehören?« »Sie sehen alles.« »Ich sehe nicht mehr als Sie, aber ich habe mir angewöhnt zu beachten, was ich sehe. Wie auch immer, Mr. Dodd, Sie sind heute morgen nicht zu mir gekommen, um die Wissenschaft der Beobachtung zu erörtern. Was ist denn in Tuxbury Old Park geschehen?« »Mr. Holmes …!« »Mein lieber Sir, daran gibt es nichts Geheimnisvolles. Ihr Schreiben trug diesen Briefkopf, und da Sie die Dringlichkeit unseres Treffens betont haben, war klar, daß sich etwas Unvorhergesehenes und Bedeutsames ereignet hatte.« »Ja, allerdings. Aber ich habe den Brief am Nachmittag geschrieben, und seitdem ist eine ganze Menge passiert. Wenn Colonel Emsworth mich nicht rausgeworfen hätte …« »Rausgeworfen!« »Naja, darauf lief es jedenfalls hinaus. Er ist ein eisenharter Bursche, dieser Colonel Emsworth. Der größte Leuteschinder in der Armee seinerzeit, und damals herrschte sowieso schon ein rauher Umgangston. Wenn es nicht um Godfrey gegangen wäre, hätte ich mir das Benehmen des Colonels nicht gefallen lassen.« Ich zündete mir meine Pfeife an und lehnte mich in den Stuhl zurück. »Vielleicht erklären Sie mir bitte, wovon Sie sprechen.« Mein Klient grinste verschmitzt. »Ich war schon drauf und dran zu glauben, daß Sie alles wissen, ohne daß man Ihnen was erzählt«, sagte er. »Aber ich will Ihnen berichten, was passiert ist, und ich hoffe zu Gott, daß Sie mir sagen können, was das zu bedeuten hat. Die ganze Nacht habe ich wachgelegen und mir den Kopf zerbrochen, und je mehr ich nachdenke, um so unglaublicher wird die Geschichte. Als ich im Januar 1901 eingerückt bin – genau vor zwei Jahren –, gehörte der junge Godfrey Emsworth bereits derselben Schwadron an. Er ist der einzige Sohn von Colonel Emsworth – Emsworth, dem Träger des Krimkrieg-Viktoria-Kreuzes A26 –, er hat Kämpferblut, und so war es kein Wunder, daß er als Freiwilliger diente. Es gab im Regiment keinen feineren Burschen. Wir schlossen Freundschaft – jene Art von Freundschaft, die sich nur entwickeln kann, wenn man das gleiche Leben führt und die gleichen Freuden und Sorgen teilt. Er war mein Kamerad – und das bedeutet in der Armee eine ganze Menge. Ein Jahr lang, in dem hart gekämpft wurde, sind wir zusammen durch dick und dünn gegangen. Dann traf ihn eine Kugel aus einer Elefantenbüchse, im Gefecht bei Diamond Hill, hinter Pretoria. Ich bekam einen Brief aus dem Hospital in Kapstadt und einen aus Southampton. Seitdem kein Wort mehr – nicht ein einziges Wort, Mr. Holmes, seit über sechs Monaten, und er war doch mein bester Kumpel. Tja, als der Krieg vorüber war und wir alle zurückkehrten, habe ich seinem Vater geschrieben und mich erkundigt, wo Godfrey sich aufhält. Keine Antwort. Ich habe ein bißchen abgewartet und dann noch mal geschrieben. Diesmal bekam ich eine Antwort, kurz und schroff. Godfrey befinde sich auf einer Weltreise und werde kaum vor einem Jahr zurück sein. Das war alles. Mir hat das nicht genügt, Mr. Holmes. Die ganze Geschichte kam mir so verdammt unnatürlich vor. Er ist ein anständiger Kerl und würde einen Kumpel nicht einfach so fallenlassen. Das sähe ihm nicht ähnlich. Und ich wußte eben auch, daß er einmal eine Menge Geld erben wird, und außerdem, daß sein Vater und er nicht besonders gut miteinander auskämen. Der Alte sei manchmal ein Tyrann, und der junge Godfrey habe zu viel Temperament, um sich das gefallen zu lassen. Nein, mir hat das nicht genügt, und ich beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Es ergab sich allerdings, daß ich – nach zweijähriger Abwesenheit – noch eine Menge Ordnung in meine eigenen Angelegenheiten bringen mußte, und deshalb konnte ich mich erst diese Woche wieder mit dem Fall Godfrey beschäftigen. Aber seitdem möchte ich alles übrige liegen lassen, bis die Sache endlich ausgestanden ist.« Mr. James M. Dodd schien zu der Sorte Mensch zu gehören, die man wohl besser zum Freund denn zum Feind hat. Seine blauen Augen blickten entschlossen, während er sprach, und seine kantigen Kiefer bissen fest aufeinander. »Und, was haben Sie unternommen?« fragte ich. »Mein erster Schritt war, zu ihm nach Hause zu gehen, nach Tuxbury Old Park bei Bedford, um einmal selbst das Gelände zu sondieren. Zu diesem Zweck habe ich mich schriftlich bei seiner Mutter angemeldet – von dem Bärbeißer von Vater hatte ich die Nase ziemlich voll – und machte einen sauberen Frontalangriff: Godfrey sei mein Stubengenosse, mir liege sehr viel daran, ihr von unseren gemeinsamen Erlebnissen zu erzählen, ich hielte mich gerade in der Gegend auf, ob sie etwas dagegen hätte, et cetera? Daraufhin bekam ich von ihr eine sehr liebenswürdige Antwort nebst einer Einladung, in ihrem Haus zu übernachten. Und das hat mich am Montag dorthin geführt. Tuxbury Old Hall liegt völlig abgeschieden – fünf Meilen ringsum nirgendwo ein Ort. Am Bahnhof war kein Wagen, und so mußte ich mit meinem Koffer zu Fuß losziehen; es war schon fast dunkel, als ich ankam. Das Haus ist groß und weitläufig und es steht in einem ansehnlichen Park. Ich würde sagen, es setzt sich aus allen möglichen Epochen und Stilarten zusammen; den Grundstock bildete wohl elisabethanisches Fachwerk A27, und den Abschluß ein viktorianischer Säulengang. Innen war alles...