Domingo | Der Geruch von verbranntem Eukalyptus | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 180 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 215 mm

Reihe: biografien bewegt

Domingo Der Geruch von verbranntem Eukalyptus

Über Herkunft, Sprache und Zugehörigkeit

E-Book, Deutsch, 180 Seiten, Format (B × H): 125 mm x 215 mm

Reihe: biografien bewegt

ISBN: 978-3-949545-64-1
Verlag: Orlanda Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wer bist du, wenn du aus zwei Welten kommst?Dieses beeindruckende und mutige Buch lässt uns u¨ber Herkunft, Mehrfach-Identitäten, Ungleichheit, Feminismus und Rassismus neu nachdenken. Und auch daru¨ber, welche Rolle Sprachen spielen, wenn wir wissen wollen, wer wir sind.In »Der Geruch von verbranntem Eukalyptus« erzählt Ennatu Domingo aus ihrem Leben als Mädchen im ländlichen Äthiopien, ehe sie nach dem Tod der Mutter und des Bruders als Siebenjährige Anfang der 2000er-Jahre von einer katalanischen Familie adoptiert wird. Als Erwachsene lässt ihr die Frage nach den Ursachen für das Elend der äthiopischen Landbevölkerung, vor allem der Frauen, keine Ruhe. Zugleich ergründet sie für sich, wie es ist, mit mehr als einer Identität zu leben, und was es bedeutet, die Sprache der eigenen Kindheit zu verlieren und zurückzugewinnen. Ihr Text hilft , die immer noch vorherrschenden bevormundenden und eurozentrischen Haltungen gegenüber Afrika abzubauen. Die Autorin zeigt uns, was eine nomadische Existenz bedeutet, und nimmt uns mit auf eine Reise durch verschiedene, ineinander verwobene Erzählebenen.»Der Geruch von verbranntem Eukalyptus« ist nicht nur eine packende Lektüre, sondern ein notwendiger, unverzichtbarer Text, um unsere Welt zu verstehen.»Wir sollten uns Gesellschaften wünschen, die miteinander verbunden sind durch Menschen, die in verschiedenen Kulturen aufgewachsen sind und Brücken bauen können: zwischen den Kulturen, den Sprachen, den Ideologien.« Ennatu Domingo»Der Geruch von verbranntem Eukalyptus lässt sich nicht so einfach in eine literarische Kategorie einordnen. Es ist gleichzeitig eine Liebesgeschichte und ein Schlachtruf, ein Klagegedicht und eine Hymne. Es ist eine fesselnde Pflichtlektüre, die vor Zärtlichkeit strotzt und kompromisslos in ihren Einschätzungen und Erkenntnissen bleibt.« Maaza Mengiste
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Ein neuer Krieg im Norden
Am 4. November 2020 erwachte ich am frühen Morgen in einer kleinen, behaglichen Wohnung in der Innenstadt von Brüssel. Draußen herrschte noch stockdunkle Nacht, die Straßen waren still und leer. Ich streckte die Hand unter der Bettdecke hervor, um mein Telefon vom Nachttisch zu nehmen. Mit mechanischen Fingerbewegungen öffnete ich Twitter. »Der äthiopische Premierminister Abiy Ahmed hat eine militärische Intervention in Tigray angeordnet«, las ich in einem Tweet, der gerade viral ging. Die Augen der ganzen Welt waren auf die USA gerichtet, wo bei der Präsidentschaftswahl Joe Biden und Donald Trump gegeneinander antraten. Und in Tigray, einem der zehn Bundesstaaten der Republik Äthiopien, war das Internet abgeschaltet. Blackout. Komplette Nachrichtensperre. Nun konnte ich nicht mehr schlafen. Ich wusste, binnen weniger Stunden würde dieser Tweet zu einer internationalen Schlagzeile werden. Meine Muskeln spannten sich an. Mir war klar, so wie die meisten Leute konnte ich dann nichts weiter tun, als zuzuschauen, wie die Zahl der Toten anstieg, wie die Informationen, die tröpfchenweise durchsickerten, manipuliert wurden, um uns über den Lauf der Ereignisse zu verwirren. Am Ende würde wieder das Schweigen eintreten, es würde Raum zum Nachdenken schaffen, und es würde den Weg für die nächste Welle der Gewalt frei machen. Die Situation ließ mich an einen Wassereimer voller Löcher denken, und es fehlten die Hände, um sie abzudecken. Ein Verhaltensmuster, das sich in dem Land verfestigt hatte und schwer zu durchbrechen war. Die äthiopische Zentralregierung sagte, die TPLF (Volksbefreiungsfront von Tigray) habe den Armeestützpunkt in Humera angegriffen, eine der truppenstärksten und am besten ausgerüsteten Militärbasen im Land. Was diese Basis so wichtig machte, war ihre Nähe zu Eritrea, das bis kurz zuvor noch als die größte Bedrohung für Äthiopien gegolten hatte. Auch wenn der Krieg gegen Eritrea, 1998 begonnen, seit 2000 beendet war, blieb die Basis in Humera weiterhin gefechtsbereit, um eventuelle Attacken auf die Grenze abzuwehren. Der Angriff auf diesen Stützpunkt war ein Angriff auf die Einheit Äthiopiens. Aber handelte es sich wirklich um einen Präventivschlag der TPLF? Kein Zweifel bestand daran, dass die äthiopische Zentralregierung seit Monaten versuchte, die Regionalregierung von Tigray zu stürzen. Aus Tigray stammte die alte Elite, die Äthiopien drei Jahrzehnte lang regiert hatte und die sich den Reformen und dem politischen Wandel widersetzte, für die Abiy Ahmeds Regierung stand. Zudem waren wenige Tage vor dem Angriff auf den Militärstützpunkt äthiopische Truppen beim Vormarsch auf Tigray beobachtet worden. Die Staatsregierung hatte die militärische Kontrolle über die Städte Dansha, Humera und Mek’ele zurückgewonnen, führte aber auch danach einen Guerillakrieg gegen die TPLF, im Bündnis mit eritreischen Soldaten. Mit vierundzwanzig Jahren befand ich mich über fünftausend Kilometer von Äthiopien entfernt, die Orte meiner Kindheit wurden bombardiert, und nie zuvor war ich so verwirrt gewesen, was meine Wurzeln betraf. Auch hatte ich mich noch nie so enttäuscht und naiv gefühlt – denn ich hatte gedacht, der Weg zur politischen Stabilität, Schlüssel für die Entwicklung des Landes, würde einfach sein. Es sah aus, als wären die Staatsregierung und die Regierung von Tigray zu dem Schluss gekommen, um das demokratische und prosperierende Äthiopien zu bauen, das sie wollten – und das die Bevölkerung einforderte –, sei es nötig, sich im Kampf um die politische Vorherrschaft selbst zu zerstören. Zum ersten Mal in meinem Leben fand ich Dansha und Humera in den internationalen Nachrichten wieder. Mir zog sich der Magen zusammen. Ein Gefühl, das ich inzwischen gut kannte: Es zwang mich, meine Identität neu zu definieren, die Verbindungen zu meinen Wurzeln neu zu ordnen und zu straffen. Ich bemühte mich, die Bilder der Straßen von Dansha und Humera zu rekonstruieren, die mein Gehirn schon vor zu langer Zeit gelöscht hatte. Ich hatte gehört, nur der Schmerz könne verlorene Erinnerungen zurückbringen, und meinen eigenen Schmerz hatte ich so sehr verinnerlicht, dass schon das Bild einer Frau mit einem schläfrigen Kind auf dem Rücken bei mir einen Kloß im Hals auslöste und mir die Tränen in die Augen trieb. Ein Bild, aus dem der opportunistische westliche Journalismus ein Klischee gemacht hatte, das ich aber zugleich als Spur einer Szene aus meiner eigenen Vergangenheit in mir trug. Ich konnte nur noch verschwommen sehen, war nicht imstande, weiterzulesen, und klickte einen anderen Artikel an. Im Juli 2003, als Siebenjährige, erklärte ich in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba meinen neuen Eltern, Anna und Ricard, dass ich in Dansha und in Humera gelebt hätte. Ihre äthiopischen Freunde Kumbi und Teddy dolmetschten für uns. Sie sprachen perfekt Spanisch, mit kubanischem Akzent, denn als Waisenkinder und Soldatensöhne waren sie in den Siebzigerjahren zum Studieren nach Kuba geschickt worden, im Rahmen einer Art Austauschprogramm unter kommunistischen Ländern, das Fidel Castro ins Leben gerufen hatte. Als sie die Vermutung äußerten, ich sei aus Welkait (einer Verwaltungseinheit des Bundesstaates Amhara, die unter der TPLF-Regierung an Tigray angeschlossen und dann im Krieg von 2020 von den amharischen Truppen zurückerobert wurde), wiederholte ich, dass ich zusammen mit Yamrot, meiner Mutter, auf den Baumwollfeldern zwischen Dansha und Humera gearbeitet hätte. In der freien Zeit zwischen den verschiedenen bürokratischen Hürden, die Anna und Ricard überwinden mussten, um mich rechtmäßig zu adoptieren, suchten wir in Addis Abeba nach einer guten Landkarte, auf der meine Herkunftsorte verzeichnet wären. Ich wusste damals nicht, was eine Landkarte war. Ich konnte weder schreiben noch lesen. Und wie schwierig es war, eine Karte zu finden, auf der die Ortsnamen Dansha und Humera vorkamen! Sie schienen nicht zu existieren, doch ich beharrte darauf, dass ich in diesen Städten gelebt hätte. Nie war mir so klar gewesen, wer ich war und woher ich kam. Bei der Ethiopian Mapping Authority mussten wir einen Antrag stellen, um die Karte zu erhalten: Wir sollten erklären, wofür sie brauchten. Kaum drei Jahre zuvor war der offene Krieg mit Eritrea beendet worden. Die Militärstützpunkte waren weiterhin mit voller Truppenstärke besetzt, denn der mit dem Abkommen von Algier im Jahr 2000 geschlossene Friedensvertrag besagte lediglich, dass beide Seiten – das schon damals von Isayas Afewerki regierte Eritrea und Äthiopien unter Premierminister Meles Zenawi – die Waffen ruhen lassen würden, um sich auf den Grenzverlauf zwischen dem noch jungen unabhängigen eritreischen Staat und Äthiopien zu einigen. Der konkrete Streitpunkt blieb ein Dorf namens Badimme, das von der äthiopisch-eritreischen Grenzkommission Eritrea zugeordnet worden war und von der eritreischen Regierung als strategische Enklave zur Überwachung der Grenze genutzt, von Äthiopien jedoch weiterhin als Teil seines Staatsgebiets beansprucht wurde. In den Jahren danach sollte sich die Abspaltung Eritreas und damit des Zugangs zum Roten Meer als tiefgreifender Verlust für Äthiopien erweisen, denn als Land ohne Küste war es nun auf Häfen der Nachbarstaaten angewiesen, um am Welthandel teilzuhaben. Ich verließ Äthiopien mit einer offiziellen Landkarte im Gepäck, auf der die wichtigsten Schauplätze meines kurzen Lebens markiert waren. Von Süden nach Norden malte ich Kreise um Wereta (wo ich, so hatte es immer geheißen, geboren war), um Gondar, Dansha und Humera. Sie zogen sich als eine Linie in westlicher Richtung, von der eritreischen Grenze bis zur Grenze zum Sudan. Mit sieben Jahren ließ ich alles zurück, was ich kannte. Beim Blick durchs Fenster der Ethiopian-Airlines-Maschine auf die weitläufige, immer kleiner werdende Stadt Addis Abeba, entfernte ich mich von den mir vertrauten Landschaften mit dem Gefühl, dass mir dort nichts blieb und dass ich nie wieder dorthin zurückkehren würde. Tatsächlich kehrte ich drei Jahre später, also 2006, zusammen mit Anna und Ricard zurück nach Dansha. Ich war zehn Jahre alt und erkannte weder die Straße noch das Haus wieder, in dem ich gelebt hatte. Die Erfahrung, dass mein Gedächtnis derart blockiert sein kann, zeigt mir, wie zerbrechlich der menschliche Verstand ist. Wer wäre ich ohne meine komplexe Identität? Vermutlich würde ich die Welt nicht so sehen, wie ich sie sehe, vermutlich hätte ich nicht die gleichen Ambitionen, vermutlich wäre ich ruhiger und hätte weniger Angst vor Armut und vor dem Scheitern. Meine Eltern wollten unbedingt bis in die Stadt Humera fahren, damit wir alle Orte meiner unsteten Kindheit besucht hätten. Es war eine lange Reise über schwierige Landstraßen, von Addis Abeba aus. Bei der Ankunft waren wir emotional und körperlich gleichermaßen erschöpft. Allerdings verspürte ich eine innere Ruhe bei dem Gedanken, dass es nun nicht mehr weiterging. Denn in Humera endet Äthiopien, uns blieb also gar nichts anderes übrig, als dort anzuhalten. In der Stadt selbst war ich nie zuvor gewesen. Mit Yamrot waren wir immer außerhalb geblieben, wir hatten in den Baumwollfeldern kampiert. Ich weiß nicht, wie lange wir dort gewesen waren. Wahrscheinlich kürzer, als ich denke. Wahrscheinlich erkannte ich deshalb kaum etwas wieder, obwohl der Name Humera so ein wichtiger Bezugspunkt in meiner Geschichte ist, eine Art Leuchtturm. Ich war zehn Jahre alt und zum ersten Mal mit meiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, mit meiner Trauer; auf der Suche nach den Empfindungen und den Bildern von früher. Nun erst wurde mir...


Ebmeyer, Michael
Michael Ebmeyer ist Autor und Übersetzer aus dem Spanischen, Katalanischen und Englischen. Er hat Romane wie »Plüsch«, »Der Neuling« (verfilmt als »Ausgerechnet Sibirien«) und »Landungen«, aber auch Sachbücher wie die »Gebrauchsanweisung für Katalonien« und »Nonbinär ist die Rettung: Ein Plädoyer für subversives Denken« geschrieben. Für Orlanda übersetzte er bereits Najat El Hachmis Romane »Eine fremde Tochter« und »Am Montag werden sie uns lieben« und ihren Essayband »Wir wollen die ganze Freiheit!«.

Domingo, Ennatu
Ennatu Domingo, geboren 1996 in Äthiopien, absolvierte nach ihrem Abschluss in Politikwissenschaft an der University of Kent in Canterbury einen Master in Internationaler Konflikt- und Sicherheitsforschung in Bru¨ssel. Als Stipendiatin der International Crisis Group hat sie am Sitz der ICG in Nairobi gearbeitet. Sie erhielt ein Schuman-Stipendium bei der Abteilung Auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments in Bru¨ssel, im Bereich der Beziehungen zwischen der EU und den afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten. Derzeit ist Ennatu Domingo als wissenschaftliche Assistentin am Thinktank European Centre for Development Policy Management (ECDPM) in Maastricht tätig.


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