E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Disney – Dangerous Secrets
Disney / Mancusi Disney – Dangerous Secrets 1: Iduna und Agnarr: DIE WAHRE GESCHICHTE (Die Eiskönigin)
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-646-93639-1
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Disney – Dangerous Secrets
ISBN: 978-3-646-93639-1
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
PROLOG Das Dunkelmeer DER STURM WIRD IMMER SCHLIMMER. Blitze schneiden durch einen wütenden schwarzen Himmel, kurz darauf ertönt das Krachen des Donners. Die Wellen schlagen gegen den Schiffsrumpf, während ich mit weißen Fingerknöcheln die Holzreling umklammere. Heftige Windböen reißen Haare aus meinem Zopf und peitschen mir feuchte braune Haarsträhnen ins Gesicht. Ich wage es nicht, loszulassen, um sie wegzuwischen. Stattdessen behalte ich meine Augen auf dem Meer. Auf der Suche nach ihr. In gewisser Weise habe ich mein ganzes Leben damit verbracht, nach ihr zu suchen. Und heute Abend könnte meine Reise endlich zu Ende gehen. Unbeendet. Ohne sie zu finden. Ahtohallan! Bitte! Ich brauche dich! Vielleicht hat sie nie existiert. Vielleicht war sie einfach ein Mythos. Ein dummes Lied, um Kinder in den Schlaf zu wiegen. Damit sie sich sicher und geborgen fühlen in einer Welt, die alles andere als das ist. Vielleicht war ich eine Närrin zu glauben, wir könnten einfach losgehen und sie aufspüren. Die Geheimnisse der Mutter kennenlernen. Ich kenne die Geheimnisse einer Mutter. Eine weitere Welle stürmt herbei, schlägt gegen den Rumpf und spritzt Gischt aus eisigem Meerwasser in mein Gesicht. Kurzzeitig vom Salz geblendet, das mir in den Augen brennt, stolpere ich rückwärts. Ein starkes Paar Hände greift meine Hüften und eine kraftvolle Brust hinter meinem Rücken hält mich aufrecht. Schon während ich mich umdrehe, weiß ich, wer hinter mir steht. Der Mann, der fast mein ganzes Leben bei mir war. Der Mann, der mich mehr als jeder andere auf der Welt zum Lachen – und zum Weinen – gebracht hat. Mein Ehemann. Der Vater meiner Töchter. Mein Feind. Mein Freund. Meine Liebe. Agnarr, der König von Arendelle. „Komm, Iduna“, sagt er und dreht mich herum, um mir in die Augen zu sehen. Er greift nach meinen Händen und umklammert sie. Seine sind so warm und stark, wie meine kalt und zitternd sind. Ich schaue auf und bemerke die Wildheit in seinen blattgrünen Augen. Falls er Angst hat, zeigt er sie nicht. „Wir müssen unter Deck gehen“, ruft er durch den wilden Sturm. „Befehl des Kapitäns. Hier oben sind wir nicht sicher. Eine große Welle könnte dich über Bord gehen lassen.“ Ich möchte um mich schlagen, mich dem Befehl widersetzen. Mir geht es gut. Ich kann auf mich selbst aufpassen. Ich bin nicht irgendein dummes Mädchen, das sich vor den Elementen fürchtet. Aber was ich eigentlich sagen möchte ist: Ich kann nicht weggehen. Ich habe sie noch nicht gefunden. Wenn ich nach unten gehe, finde ich sie vielleicht nie. Und wenn das passiert … Elsa. Meine süße Elsa … Meine liebe Anna … Agnarr sieht mir direkt in die Augen. Ich seufze und befreie meine Hände aus seinen, stolpere zu den Stufen, die zu unserer Kabine führen. Meine Beine sind nicht an die raue See gewöhnt. Ich bin fast da, als das Schiff plötzlich hart nach links schlägt. Ich verliere den Halt und greife nach der Reling. Ich spüre, dass mich einige Besatzungsmitglieder besorgt beobachten, aber ich kämpfe mich erhobenen Hauptes vorwärts. Schließlich bin ich eine Königin und da gibt es gewisse Erwartungen. Unten angekommen, drücke ich unsere Kabinentür auf, gehe hinein und lasse sie hinter mir zuschlagen. Der Kapitän hat uns seine Kabine für die Reise zur Verfügung gestellt, was, wie ich betont hatte, nicht notwendig war. Aber ich wurde überstimmt. Es ist die einzige Kabine, die für eine feine Dame geeignet ist, hatte er protestiert. Denn so sieht er mich. So sehen mich jetzt alle. Eine feine Dame. Eine bestens gerüstete arendellianische Königin. Doch nun endlich kennt Agnarr die Wahrheit. Ich lege mich auf das Bett und greife nach meinen Stricknadeln und meiner halb fertigen Handarbeit. Unter diesen Umständen vermutlich eine unangebrachte Tätigkeit, aber vielleicht das Einzige, was meine Hände – und mein pochendes Herz – beruhigen kann. Ich höre, wie Agnarr die Tür aufstößt. Seine starke, massive Präsenz erfüllt den Raum. Aber ich schaue nicht auf. Stattdessen beginne ich zu stricken, während das Schiff unter mir schaukelt. Hier unten ist es dunkel, zu dunkel, um das feine Garn wirklich zu sehen, aber meine Handgriffe sind sicher und die sich wiederholenden Bewegungen so natürlich und vertraut wie das Atmen. Yelana wäre stolz. Yelana. Ist sie immer noch da draußen im Verzauberten Wald, immer noch im Nebel eingeschlossen? Nur Ahtohallan weiß es … Plötzlich möchte ich meine Nadeln durch den Raum werfen. Oder unter Tränen auf dem Bett zusammenbrechen. Aber ich tue weder das eine noch das andere, sondern richte meine Aufmerksamkeit auf den unfertigen Schal. Mit jeder Strickmasche zwinge ich mich mehr in einen Zustand von Geborgenheit. Agnarr nimmt einen Hocker vom Schreibtisch des Kapitäns und setzt sich mir gegenüber. Er greift nach einer Ecke des Schals und fährt mit seinen großen Fingern über die winzigen Maschen. Ich wage einen Blick auf ihn und stelle fest, dass seine Augen weich geworden und in eine nur ihm bekannte Ferne gerichtet sind. „Das ist das gleiche Muster“, sagt er langsam. Und ich weiß, was er meint. Denn natürlich ist es das. Ich hatte es nicht einmal bemerkt, als ich anfing, aber natürlich ist es das. Das gleiche Muster wie auf dem Tuch, das meine Mutter für mich gestrickt hatte, als ich ein Baby war. Das Tuch, das ihm das Leben rettete. „Es ist ein altes Northuldra-Muster“, erkläre ich und bin überrascht, wie leicht die Worte nun über meine Lippen kommen, nachdem die Wahrheit bekannt ist. „Es gehört zu meiner Familie.“ Ich nehme seine Hand und lege sie der Reihe nach auf jedes Symbol. „Erde, Feuer, Wasser, Wind.“ Auf dem Windsymbol halte ich inne und denke an Gale zurück. „Es war der Windgeist, der mir an diesem Tag half, dein Leben zu retten.“ Agnarr pfeift leise. „Ein Windgeist! Wenn ich das gewusst hätte!“, sagt er und streicht sanft mit seinem Daumen über meine Wange. Selbst nach all den Jahren entfacht seine Berührung immer noch einen sehnsuchtsvollen Schmerz tief in mir. Und als stünde mir diese Entscheidung nicht frei, sondern wäre eine Notwendigkeit, lasse ich meine Nadeln fallen, um die Geste zu erwidern und mit meinen Fingern über die leichten Stoppeln seiner Wange zu fahren. „Es hätte meine Geschichten, die ich den Mädchen erzählt habe, so viel interessanter gemacht.“ Ich lächle. Ich kann nicht anders. Er hat immer einen Weg gefunden, mir zu helfen, Sonnenschein inmitten der trübsten Tage zu sehen. Doch es ist seltsam, zu realisieren, dass er jetzt alles weiß. Nach einem von Geheimnissen überschatteten Leben sollte es sich befreiend anfühlen. In Wahrheit macht mir das immer noch ein wenig Angst und ich ertappe mich dabei, dass ich ihn ansehe, wenn er es nicht merkt. Weil ich versuche zu sehen, versuche zu wissen, ob die Wahrheit seine Gefühle mir gegenüber verändert hat. Nimmt er es mir übel, dass ich ihm so lange so viel vorenthalten habe? Oder versteht er wirklich, warum ich es getan habe? Wenn wir diese Nacht überleben, wie werden sich die Dinge zwischen uns verändern? Wird die Wahrheit uns einander näherbringen? Oder uns auseinanderreißen? Nur Ahtohallan weiß es … Ich strecke die Hand aus und nehme Agnarrs Hände in meine, sein Blick aus den tiefgrünen Augen trifft auf meinen. Ich schlucke den Kloß in meiner Kehle herunter, der mich zu ersticken droht, und zwinge mich zu einem Lächeln. „Ich werde diesen Tag nie vergessen“, beginne ich mit einem Flüstern, nicht sicher, ob er mich wegen des Sturms draußen überhaupt hören kann. „Diesen schrecklichen, wundervollen Tag.“ „Sag es mir“, flüstert er zurück und schmiegt sich eng an mich. Ich spüre seinen Atem auf meinen Lippen. Unsere Gesichter sind nur Zentimeter voneinander entfernt. „Erzähl mir alles.“ Ich schlucke all die Worte hinunter, die sich Bahn zu brechen drohen, werfe mich zurück aufs Bett und starre an die Decke aus Holzbalken. Als ich wieder ruhig atme, sage ich: „Das kann die ganze Nacht lang dauern.“ Er legt sich neben mich auf das Bett. „Für dich habe ich eine Ewigkeit Zeit.“ Tränen steigen mir in die Augen. Ich will protestieren: Wir haben keine Ewigkeit Zeit. Nicht einmal die ganze Nacht. Vielleicht bleibt uns eine Stunde, wenn man bedenkt, wie die Holzbalken des Schiffes knarren und knacken. Andererseits spielt das keine Rolle. Es ist an der Zeit. Er verdient es, alles zu wissen. Ich wische die Tränen weg, rolle mich zur Seite und stütze meinen Kopf auf. „Aber du musst mir auch deinen Teil erzählen“, verlange ich. „Du weißt, dass diese Geschichte nicht nur meine ist.“ Er legt einen Arm um meine Taille und den anderen auf meinen Rücken, als er mich näher zu sich zieht. Er ist so warm. Wie ist es möglich, dass er immer noch so warm ist? „Ich glaube, das schaffe ich“, sagt er mit einem leichten Lächeln. „Aber du musst beginnen. Es fing schließlich alles mit dir an.“ „In Ordnung“, sage ich, meinen Kopf auf seiner Brust, seinen gleichmäßigen Herzschlag an meinem Ohr. Ich schließe meine Augen und überlege, wo ich anfangen soll. Im Lauf der Jahre ist so viel passiert. Aber da gibt es diesen einen Tag. Diesen einen schicksalhaften Tag, der den...