Diercks | Flüchtlingsland Schleswig-Holstein | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 292 Seiten

Diercks Flüchtlingsland Schleswig-Holstein

Erlebnisberichte vom Neuanfang, 1945-1950
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8042-3015-6
Verlag: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erlebnisberichte vom Neuanfang, 1945-1950

E-Book, Deutsch, 292 Seiten

ISBN: 978-3-8042-3015-6
Verlag: Boyens Buchverlag GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Einer Bevölkerungsexplosion kam der gewaltige Flüchtlingsstrom gleich, der Schleswig-Holstein am Ende des Zweiten Weltkrieges erreichte. Die Bevölkerung des eher dünn besiedelten Landes wuchs innerhalb weniger Jahre um ca. eine Million Menschen - Schleswig-Holstein wurde zum Flüchtlingsland Nr. 1.
Die Konsequenzen für das tägliche Leben waren gravierend. Wie gravierend, das berichten Flüchtlinge und Schleswig-Holsteiner in diesem Buch. Die Erlebnisberichte geben Zeugnis über Ankunft und Aufnahme und beschreiben die Lebensverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Leser erfährt von Notunterkünften, dem Kampf gegen Hunger und Kälte und dem Ideenreichtum, mit dem die Menschen ihre Lebensumstände meisterten, von der Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat und den großen Sorgen um das Schicksal vermisster Familienangehöriger. Ein besonderer Aspekt diese Berichte handelt von dem Verhältnis der "Einheimischen" zu den "Neu-Schleswig-Holsteinern".

Diercks Flüchtlingsland Schleswig-Holstein jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Kurt Schulz Der Anfang aus der Hoffnungslosigkeit
Es sind mehr als fünf Jahrzehnte seit Ende des schrecklichen Zweiten Weltkrieges vergangen. Durch ihn wurde die größte Völkerwanderung unseres Jahrhunderts ausgelöst. Bis in die 60er Jahre kamen mehr als 12 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in das Gebiet der (damaligen) Bundesrepublik. Am 1.4.1947 betrug in Schleswig-Holstein die Zahl der Flüchtlinge aus den Gebieten ostwärts der Oder/Neiße, der von der Sowjetunion besetzten Zone und der Evakuierten aus den Westgebieten ca. 1,1 Millionen. Zusätzlich war das Land in den ersten 4 Monaten nach Kriegsende ein großes Kriegsgefangenenlager mit fast 1,2 Millionen gefangenen Soldaten und Internierten, die eine weitere Belastung bedeuteten. Die Vertreibung war ein Unrecht, so wie jede Vertreibung von Menschen aus ihrer angestammten Heimat ein Unrecht bleibt. Ich sage das nicht, um unser Unrecht gegenüber anderen zu verwischen, sondern weil es meine Auffassung von Wahrhaftigkeit und Ethik ist. Die Frauen und Männer, die in diesem Buch ihre unterschiedlichen Erlebnisse dokumentieren, gehören zu den vom Schicksal geschlagenen Menschen. Ich als gebürtiger Pommer bin einer von ihnen. Meine letzte Verwundung brachte mich wenige Tage vor Kriegsende ins Lazarett Eckernförde. Meine Generation ist um ihre Jugend betrogen worden – Schule, Krieg, Verwundung, Kriegsende im Lazarett oder in Gefangen-schaft und schließlich Verlust der Heimat. Alles schien damals hoffnungslos. Diese Hoffnungslosigkeit ist mir heute noch gegenwärtig und wird es auch immer bleiben. Viele suchten ihre Angehörigen – einige suchen noch heute. Ich hatte Glück. Mit meinen Eltern und mit meiner Großmutter erhielten wir, nachdem wir uns gefunden hatten, einen kleinen ausrangierten Eisenbahnwagen als Wohnstätte. Damals ahnte ich noch nicht, daß ich später einmal 20 Jahre lang Bürgermeister dieser schönen Stadt Eckernförde sein würde. Ich habe diese Region auch als Abgeordneter im Landtag vertreten. Beruflich habe ich die damalige Zeit als „Persönlicher Referent“ des bereits an verantwortlicher Stelle politisch tätigen, späteren Ministers Kurt Pohle erlebt. Durch Kurt Pohle gewann ich Einsichten in die Tätigkeit der ernannten und der folgenden Landtage. Ich lernte die Legislative und die Exekutive sowie die Arbeit der Regierung und der Opposition kennen. Dadurch ist mir vieles bekannt geworden und auch erinnerlich geblieben. Kurt Pohle zeigte mir neue Wege zur Zusammengehörigkeit und zur kulturellen Gemeinsamkeit unseres geschlagenen Volkes. Er diskutierte mit mir über die Notwendigkeit einer sozialen Gerechtigkeit im Inneren als wesentliche Voraussetzung für Solidarität nach außen. Solidarität nach innen und nach außen brauchte aber eine neue politische Moral und ein neues Bewußtsein. Er lehrte mich, daß man auf Haß keine neue Welt aufbauen kann und persönliche Rache kein Garant für den Seelenfrieden ist. Ich habe oft darüber nachgedacht. Heute weiß ich, er hatte recht! Die Situation damals war sehr schwierig: Hunger, Schwarzmarkt, Brenn- und Heizstoffmangel, keine Wohnungen. Viele Straßen und Bahnanlagen waren zerstört. Die Post nahm nur sehr zögernd ihre Arbeit auf. Die Presse war verboten. Schulunterricht gab es nicht. Elternlose Jugendliche drohten zu verwahrlosen. Die Kommunen waren teilweise noch intakt, standen aber vor unlösbaren Aufgaben. Die Besatzungsmacht ordnete Sperrstunden an. Ich erinnere mich, daß Frauen und Mädchen, ohne Rücksicht auf ihr Alter, in den Straßen zusammengetrieben und zwangsweise auf Geschlechtskrankheiten untersucht wurden. Heute fühle ich mich bestätigt, daß ich mich dagegen auflehnte und der Bitte meiner Freunde und Kollegen folgend den britischen Stadtkommandanten um Aufhebung dieser Maßnahme ersuchte. Ich weiß nicht, ob es mit darauf zurückzuführen war, jedenfalls wurde diese würdelose Behandlung der Frauen und Mädchen eingestellt. Am 26. Februar 1946 wurde der erste Landtag durch die Militärregierung ernannt. Ich nahm als Gast im Kieler Schauspielhaus daran teil. Die Eingänge waren für Engländer und Deutsche getrennt. Auf der Bühne saßen die ranghöchsten Vertreter der Militärregierung und ganz am Ende des Tisches der spätere Ministerpräsident Steltzer. Während die Vertreter der Militärregierung von einem „gemeinsamen Kraftakt zum demokratischen Neuanfang“ sprachen, rief Oberpräsident Steltzer zum „menschlichen Zusammenstehen“ auf. Nachdem die Engländer den Saal verlassen hatten, begann die eigentliche Arbeitssitzung der ernannten Abgeordneten. Es wurde ein Ausschuß gebildet, der eine Geschäftsordnung und eine Verfassung erarbeiten sollte. Die vorläufige Verfassung wurde nach ihrer Fertigstellung durch den Landtag angenommen, die Militärregierung versagte aber ihre Zustimmung. Im Mai 1946 erfolgte die Umbenennung der Gremien in Landtag und Landesregierung. Die Landesbehörden wurden Landesverwaltung genannt. Deren Aufgaben bestanden in Maßnahmen zur Vermeidung von Seuchen, in Überlegungen, den Zustrom der Flüchtlinge und Vertriebenen zu lenken und eine gerechtere Verteilung vorzunehmen, sowohl im eigenen Land als auch unter den Ländern der westlichen Besatzungszonen. Bereits im Mai 1946 erfolgte auch die erste Initiative zur Bodenreform. Betriebe von 30–150 ha sollten gegen Entschädigung an Siedler abgegeben werden, um Flüchtlingen eine eigene Existenz zu schaffen. Güter über 150 ha sollten meiner Erinnerung nach aufgesiedelt werden. Obgleich es sich um einen Kompromiß handelte, versagte die Militärregierung auch hierzu ihre Zustimmung. Alle Überlegungen und die Arbeit waren vergebliche Bemühungen. Ein Datum ist mir sehr genau erinnerlich – der 23. August 1946. An diesem Tag erhielten die preußischen Provinzen die Stellung von Ländern zugesprochen. Obwohl die Verfassung von der Militärregierung erneut nicht gebilligt wurde, arbeitete der Landtag danach. Die in der vorläufigen Verfassung eingeführte Bezeichnung „Landespräsident“ wurde in „Ministerpräsident“ umgewandelt. Die Bildung des Landes erfolgte damit nicht von unten nach oben als Willensvollzug der Bevölkerung – und ist damit nicht die Erfüllung eines alten geschichtlichen Traums –, sondern als Anordnung der Militärregierung, um in dem überschaubaren Raum zwischen Nord- und Ostsee ein politisches Selbstverwaltungsrecht zu erlassen. Hiermit sollte ein „Modelland“ in der britischen Zone geschaffen werden. Die deutsch-dänische Grenzpolitik zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Landes Schleswig-Holstein. In der Regierungserklärung vom 8. Mai 1947 erkannte die Landesregierung unter Hermann Lüdemann die durch Volksabstimmung festgelegte Grenze zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark als gerecht und endgültig an. Die SPD bezog sich intern auf die Protokollerklärung der Vorsitzenden der sozialdemokratischen Parteien Otto Wels und Staatsminister Thorvald Stauning aus dem Jahre 1923. Nach dieser Erklärung wurde die Grenze als gesetzlich geltend anerkannt. Ich glaube sogar, daß die dänische Reichsregierung trotz des zeitweise erforderlichen Taktierens eine Grenzverschiebung nie ernsthaft anstrebte. Es entwickelten sich zwischen den Regierungen beiderseits der Grenze freundliche Konsultationen, deren Ergebnis 1948 die Ernennung Jens Nydals zum Landesbeauftragten für Schleswig war. Er war mein erster Vorgänger im Amt als Grenzlandbeauftragter. Die britische Seite unternahm keine Anstrengung, die Grenze zu ändern; sie erwartete eine Regelung der Minderheitenfrage, die mit der sogenannten „Kieler Erklärung“ 1949 gegeben wurde. Darin erklärte die Landesregierung, die berechtigten Belange der dänischen Minderheit zu gewährleisten und ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zum dänischen Volk herbeizuführen. Es wurde aber auch der Erwartung Ausdruck gegeben, daß die dänische Regierung der deutschen Minderheit in Dänemark dieselben Rechte und Freiheiten einräumte und garantierte. Die Kieler Erklärung hatte historisch eine begrenzte zeitliche Funktion. Nach den deutsch-dänischen Minderheitenverhandlungen in Kopenhagen unterzeichneten Bundeskanzler Konrad Adenauer und Staatsminister H. C. Hansen die Bonn-Kopenhagener Erklärungen am 29.3.1955. Dem Inhalt nach gleichen sie in vielen Teilaspekten der Kieler Erklärung, waren aber, das ist das Bedeutsame daran, beidseitig verpflichtend und gaben der deutschen Minderheit in Dänemark die gleichen Rechte wie der dänischen in der Bundesrepublik. Diese Erklärungen auf übergeordneter Ebene lösten die Kieler Erklärung ab. Die Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955 und ganz besonders die Kieler Erklärung von 1949 entspannten die Verhältnisse im Grenzraum. Heute ist das Zusammenleben von Minderheiten und Mehrheitsbevölkerung so gut wie nie zuvor. Dazu haben auch und vor allem die Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze ganz erheblich beigetragen. Im September/Oktober 1946 fanden die ersten demokratischen Wahlen statt. Es ging um die Kreistage und Gemeindevertretungen. Die SPD erreichte leichte Vorteile. Nach diesen Ergebnissen wurde der zweite ernannte Landtag zusammengesetzt. Aus 17 Kreisen und 4 kreisfreien Städten wurde je ein Vertreter von den Gremien ernannt. Dazu ernannte die Militärregierung noch weitere 39 Vertreter. Ministerpräsident einer großen Koalition blieb Theodor Steltzer. Dieser Landtag war nur etwa vier Monate im Amt. Ministerpräsident Steltzer ließ in seiner Regierungserklärung keine Zweifel aufkommen, daß eine Katastrophe eintreten würde, wenn die Besatzungsmacht Regierung und Parlament nicht bald größere Vollmacht zugestände. Die Lage des Landes wurde immer dramatischer. Ich denke noch oft an die harten Winter 1946/47 und 1947/48. Dazwischen lag der heiße Sommer, der die Ernte auf den Feldern...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.