E-Book, Deutsch, 688 Seiten
E-Book, Deutsch, 688 Seiten
ISBN: 978-3-13-242140-0
Verlag: Thieme
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Ärzte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
1 Parasiten und ihre Wirte
1.1 Allgemeines und Bedeutung
Das Wichtigste in Kürze Im medizinischen Sprachgebrauch bezeichnet man als Parasiten nur eukaryotische Krankheitserreger, die zu den Protozoen (Einzeller, „Urtiere“) und Metazoen (Animalia) gehören. Ein Parasit ist ein Organismus, der sich zeitweise oder dauernd auf oder in einem anderen, artfremden und meist größeren Lebewesen (Wirt) aufhält und auf dessen Kosten lebt. Seine Pathogenität unterscheidet Parasiten von Partnern anderer Lebensformen wie Kommensalen, Mutualisten und Symbionten. Parasiten sind Erreger wichtiger Infektionskrankheiten und verursachen große wirtschaftliche Schäden. Sie können als Vektoren von Infektionserregern (Viren, Bakterien, Protozoen, Nematoden) fungieren, sie verursachen wichtige Zoonosen und stellen oft ein Problem der Lebensmittelhygiene dar. Im weiteren Sinne bezieht sich die Bezeichnung „Parasit“ auf alle Organismen (Bakterien, Protozoen, Pilze, Pflanzen, Tiere) mit einer parasitischen Lebensweise. Im medizinischen Bereich wird dieser Begriff traditionsgemäß auf eukaryotische Krankheitserreger (Pathogene) beschränkt, die zu den Protozoen oder Metazoen gehören. In der Veterinär- und Humanmedizin gehört die Parasitologie mit der Virologie, Bakteriologie und Mykologie zum Fächerspektrum der Infektiologie. Die in der Veterinär- und Humanmedizin als Krankheitserreger oder Überträger von Erregern (Vektoren) wichtigen Parasiten gehören zu unterschiedlichen Gruppen (Taxa) der Eukaryota, die in ? Tab. 1.1 vereinfacht und konservativ aufgeführt sind (eine Klassifikation, basierend auf phylogenetischen Verwandtschaften, wurde von Adl et al. 2012 vorgeschlagen). Tab. 1.1 Medizinisch wichtige Gruppen (Taxa) von Parasiten im Regnum Eukaryota. Unterreich1 Stamm Protozoa 2 (Einzeller, Urtiere) Metamonada3, Parabasala, Euglenozoa, Percolozoa, Alveolata, Amoebozoa, Microspora Metazoa (Animalia, Tiere) Myxozoa Helminthen2 (Kollektivname): Platyhelmintha (Plattwürmer), Nematoda (Faden- oder Rundwürmer), Acanthocephala (Kratzer) Annelida (Ringelwürmer) Arthropoda (Gliederfüßer), inkl. Pentastomida (sog. Zungenwürmer) 1 lateinische Bezeichnungen für die Taxa s. ? Tab. 1.2 2 Kollektivbezeichnung ohne phylogenetische Bedeutung 3 Microspora sind nach neuen Erkenntnissen mit Pilzen (Fungi) verwandt, werden aber traditionell der Parasitologie zugeordnet Parasiten sind Erreger wichtiger Infektionskrankheiten beim Menschen, wie Malaria, Schlafkrankheit, Toxoplasmose, Bilharziose oder Echinococcose. Auch Haus- und Wildtiere werden häufig von Parasiten befallen, was Leistungsminderungen, Erkrankungen, Todesfälle und andere Schädigungen oder auch Verhaltensänderungen verursachen kann. Daher haben Parasiten weltweit für die Tierhaltung und die Tiermedizin eine erhebliche Bedeutung als Erreger von Erkrankungen der Haut und innerer Organe bei allen Gruppen von Tieren, die unter der Obhut des Menschen stehen (Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine, Geflügel, andere Nutztiere, Pferde, Kleintiere, Heimtiere, Labortiere, Zootiere, Nutz- und Zierfische, Bienen) wie auch bei Wildtieren. Überträger (Vektoren) von Infektionserregern (Viren, Bakterien, Protozoen, Helminthen). Erreger von Zoonosen, d.h. von Erkrankungen, deren Erreger zwischen Wirbeltieren und Menschen unter natürlichen Bedingungen zirkulieren können. Problem der Lebensmittelhygiene (human- und tierpathogene oder ekelerregende Parasiten in Schlachttieren oder in Lebensmitteln tierischen Ursprungs). Erreger, die beim Import oder Export von Tieren zu beachten sind. Aspekt des Tierschutzes, da Parasitenbefall zu Belästigung und Leiden der Tiere führen kann. Wirtschaftsfaktor, weil Parasiten weltweit Verluste in der Nutztierhaltung (Leistungseinbußen, Todesfälle) verursachen und bei der Bekämpfung von Parasitosen erhebliche Kosten entstehen. Vor allem in Gebieten mit günstigen Bedingungen für die Entwicklung und Übertragung von Parasiten (z.B. Tropen) oder mangelhafter Futterversorgung der Tiere (z.B. aride Regionen) können Parasitosen die Nutztierhaltung besonders stark beeinträchtigen. Die veterinärmedizinische Ausbildung fokussiert auf die wichtigsten Parasitosen, deren Erkennung und Bekämpfung. Das Studium ermöglicht jedoch auch interessante Einblicke in das weitverbreitete biologische Phänomen „Parasitismus“ mit seinen komplexen Interaktionen zwischen Parasit, Wirt und Umwelt. Jeder Organismus steht in Wechselbeziehungen zu seiner Umwelt und zu Individuen der gleichen Art [ ? Autökologie]. Darüber hinaus gibt es vielfältige Beziehungen zwischen verschiedenen Arten von Organismen [ ? Synökologie] , zu denen auch bestimmte Lebensformen (Biosysteme) gehören, die durch Körperkontakt zwischen zwei artfremden Partnern gekennzeichnet sind und generell als Gast-Wirt-Beziehungen bezeichnet werden. So ist der ? Kommensalismus ein Biosystem, in dem ein Gast (Kommensale) vom Wirt profitiert, ohne diesen zu schädigen. Im ? Mutualismus leben artfremde Organismen (Mutualist und Wirt) zum gemeinsamen Vorteil zusammen, jedoch ohne gegenseitige Abhängigkeit. Die ? Symbiose ist ein regelmäßiges Zusammenleben artfremder Organismen (Symbiont und Wirt), in dem sich beide Partner physiologisch ergänzen und aufeinander angewiesen sind. Zum Kreis solcher Lebensformen gehört auch der ? Parasitismus. Parasiten töten ihre Wirte in der Regel nicht oder nicht unmittelbar, doch können sie die Lebensfunktionen der Wirte erheblich beeinträchtigen und auch Erkrankungen und Todesfälle verursachen. Weitere Biosysteme sind beispielsweise ? Parasitoidismus (Raubparasitismus) und ? Prädation (Räubertum). Eine klare Abgrenzung bestimmter Biosysteme, vor allem von Kommensalismus und Parasitismus, ist oft nicht möglich, da es fließende Übergänge gibt und die Gewinn-Verlust-Bilanz aus der Beziehung nicht immer zu ermitteln ist. Aus ökologischer Sicht ist hervorzuheben, dass Parasiten zwar auf Kosten ihrer Wirte leben, jedoch unter naturbelassenen Bedingungen ihre Wirtspopulation in der Regel nicht gefährden. Dafür sind die im Verlauf der Evolution entstandenen ökologischen Gleichgewichte zwischen Wirt- und Parasitenpopulationen verantwortlich. Durch Eingriffe des Menschen in diese Ökosysteme, z.B. durch Veränderungen des Lebensraumes von Wildtieren oder die Art der Haltung unserer Haus- und Nutztiere, können diese Gleichgewichte zugunsten der Parasiten verschoben und dadurch Erkrankungen sowie Todesfälle der Wirte ausgelöst werden. Zusatzinformation Nomenklatur, Taxonomie und Systematik von Parasiten Der Begriff „Parasit“ geht auf den griechischen Terminus parasitos zurück und bedeutet „Bei- oder Mitesser“. Ursprünglich bezeichnete man als Parasiten jene Personen, die als Opferbeamte an rituellen Gastmahlen für Gottheiten teilnahmen. Später wurden mit diesem Begriff im Umkreis reicher Adliger jene Personen belegt, die sich – eingeladen oder ungebeten – Zugang zu...