Von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert
E-Book, Deutsch, 509 Seiten
ISBN: 978-3-608-11098-2
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In ihrem herausragenden Werk verortet sich das alte und neue Europa historisch und entwirft seine Leitlinien für das 21. Jahrhundert.
Schon immer war Europa einem Prozess ständigen Wandels unterworfen – von den ersten Besiedlungen, der griechischen und römischen Antike über die Renaissance, die Reformation und die Aufklärung bis hin zur Moderne. Die fünfzehn Autoren widmen sich der europäischen Geschichte in ihrer gesamten Breite aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln. Sie alle schreiben mit an der Geschichte des Anderen, des Nachbarn, sei er geographisch nah oder fern, sei er ein früherer Feind oder ein gelegentlich schwieriger Freund. Damit wird dem Leser ein einzigartiges Panorama vor Augen geführt, das sich im Geiste der europäischen Toleranz entfaltet.
Die Autoren
Jacques Aldebert (Frankreich)
Johan Bender (Dänemark)
M.
Jan Krzysztof Bielecki (Polen)
Jiri Gruša (Tschechien)
Scipione
Guarraccino (Italien)
Ignace Masson (Belgien)
Kenneth Milne
(Irland)
Foula Pispiringou (Griechenland)
Juan Antonio Sanchez y García
Saùco
(Spanien)
António Simões Rodrigues (Portugal)
Ben W. M. Smulders
(Niederlande)
Dieter Tiemann (Deutschland)
Robert Unwin
(Großbritannien)
Edgar Wolfrum (Deutschland)
Redaktion: M. Jan Kieniewicz
(Polen)
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Eine Geschichte Europas könnte die bisher erwähnten Wesenszüge ausführlich entfalten, denn sie tauchen in der Vergangenheit immer wieder auf. Nachdem wir die wichtigsten Themen und Besonderheiten der europäischen Geschichte nun entwickelt haben, wollen wir einigen von ihnen über mehrere Jahrtausende hinweg folgen, und dies unter dem Gesichtspunkt der gegenseitigen Beeinflussung der einzelnen Länder und Kulturen im Lauf der Jahrhunderte. Gerade für die europäische Geschichte ist es so kennzeichnend, dass sie aus einem Geflecht wechselseitiger Einwirkungen, Verbindungen und Gegensätze der europäischen Völker besteht. Ebendas weckte gemeinsame Interessen bei den Autoren dieses Bandes und veranlasste sie, die wichtigsten Abschnitte der europäischen Ge schichte zu beleuchten. Diese Perioden kommen der Weltgeschichte immer dann recht nahe, wenn bestimmte geistige Anstöße zu einem guten Teil der Geschichte Europas entspringen. Diese Epochenbeschreibungen beschränken sich nicht auf die einfache Darstellung von mehr oder weniger willkürlich gewählten Zeiträumen, sondern verbinden sie mit einem Signum, das sie zu einer Einheit zusammenwachsen lässt. Es wechseln Perioden der Sammlung und des Rückzugs mit solchen der Öffnung gegenüber Europa oder sogar zur ganzen Welt. Um der hier gewählten Epocheneinteilung eine möglichst umfassende Bedeutung zu geben, sollen auf den folgenden Seiten viele Fragen angeschnitten werden – zur Geschichte Europas wie zu Europa in der Geschichte. Seit auf dem europäischen Kontinent Menschen lebten, wirkten sie ständig aufeinander ein, bekämpften einander oder verbündeten sich. Deshalb ist die Geschichte Europas in erster Linie eine Geschichte der Menschen in Europa. Der Europarat Mitgliedsländer: Albanien Andorra Armenien Aserbeidschan Belgien Bosnien und Herzegowina Bulgarien Dänemark Deutschland Estland Finnland Frankreich Georgien Griechenland Großbritannien Irland Island Italien Kroatien Lettland Liechtenstein Litauen Luxemburg Malta Mazedonien Moldawien Monaco Montenegro Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Rumänien Russland San Marino Schweden Schweiz Serbien Slowakei Slowenien Spanien Tschechien Türkei Ukraine Ungarn Zypern Assoziiert: Weißrussland Die Besiedelung Europas
Vor ungefähr 1,5 Millionen Jahren wanderten offenbar die ersten Vorfahren der heutigen Menschen aus Afrika nach Südeuropa ein. Vor etwa 100 000 Jahren lebte der Neandertaler, der in Europa zahlreiche Spuren hinterlassen hat. Ihm folgte vor etwa 40 000 Jahren der Cro-Magnon-Mensch und besiedelte den gesamten europäischen Kontinent. Er ist als direkter Vorfahr der Europäer zu betrachten. Der Tautavel-Mensch Die Gattung »Homo erectus« konnte sich aufrecht bewegen, wanderte aus Afrika nach Europa ein und breitete sich 1,5 Millionen bis 650 000 Jahre vor unserer Zeit in den klimatisch gemäßigten Zonen aus. Die Entdeckung eines Schädels und anderer Überreste 1971 in Tautavel (östliche Pyrenäen) erlaubte es, diesen »Homo erectus«, der als »Mensch von Tautavel« bekannt ist, zu rekonstruieren. Während dieser jahrtausendelangen Entwicklung sah Europa anders aus als heute. Sehr lange Zeit bedeckten Gletscher den Norden bis zur Mitte des Kontinents. Die Britischen Inseln waren noch Teil des Festlands, und der Meeresspiegel lag viel tiefer als heute. Im Zeitraum zwischen 15 000 und 10 000 Jahren v. Chr. schmolzen die Gletscher und ließen Europa so zurück, wie wir es heute kennen. Außerdem lag es nun mit Ausnahme seines hohen Nordens in der gemäßigten Klimazone. Hatte der europäische Mensch in der älteren und jüngeren Steinzeit zunächst als Fischer, Jäger oder Sammler gelebt, so wurde er in der jüngeren Steinzeit als Ackerbauer oder Viehzüchter sesshaft. Ging dieser Wandel, den manche Wissenschaftler eine »Revolution« nennen, von Mesopotamien aus, und verbreitete er sich dann über den gesamten europäischen Kontinent? Oder gab es während der Jungsteinzeit in Europa vielmehr eine eigenständige Zivilisation oder auch mehrere Kulturen nebeneinander? Während 3500 v. Chr. die Sumerer in Mesopotamien eine Schrift entwickelten und die Ägypter die ersten Pyramiden bauten, lebten die Menschen in Europa noch als Bauern und verrichteten ihre Arbeiten mit Steinwerkzeugen. Die in Ägypten um 3000 v. Chr. erfundene Bronzeschmelze wurde in der Folgezeit im ägäischen Raum und bis zum Tal des Indus bekannt. Es dauerte etwa 2000 Jahre, bis sie sich in ganz Europa ausgebreitet hatte. Die Technik der Herstellung von Waffen, Geräten, kunsthandwerklichen und künstlerischen Gegenständen aus Bronze drang von Anatolien und Griechenland aus auf die Iberische Halbinsel, dann nach Böhmen, zum Rheintal und nach Italien, schließlich bis nach England, Irland und zu den skandinavischen Ländern vor. Vielleicht hat dieses langsame Vordringen auch bewirkt, dass regionale und bereits deutlich unterscheidbare Kulturkreise isoliert entstehen konnten. Kelten, Griechen, Perser
Eisengewinnung und -bearbeitung waren schon um 1500 v. Chr. in Anatolien und den Regionen um den Kaukasus bekannt. Von dort drang die neue Technik rascher in westlicher Richtung nach Europa als in den asiatischen Osten vor. Sie ist somit als europäische Besonderheit zu betrachten, die allerdings keine einheitliche Kultur mit sich brachte. Die Griechen lernten die Gewinnung von Eisen recht früh (1200 v. Chr.) und entwickelten in ihren Siedlungen rund um die Ägäis eine eigenständige Lebensform. Etwa um dieselbe Zeit, zwischen dem 10. und dem 5. Jahrhundert v. Chr., besiedelten die Kelten nach und nach West- und Mitteleuropa. Sie breiteten sich vom heutigen Süddeutschland in Richtung Böhmen, Frankreich, Iberische Halbinsel, Italien, Balkan und Britische Inseln aus, bildeten zwar eine kulturelle, aber keine politische Einheit aus, und sie gründeten kein eigenes Reich. Ihre weitverstreuten Stämme blieben vorwiegend auf den jeweiligen Siedlungsraum beschränkt. Die Griechen lebten in untereinander zerstrittenen Stadtstaaten. Für sie lauerte die größte Gefahr im Osten. Dort hatten nämlich die Perser die Königreiche Kleinasiens und die berühmten und mächtigen Reiche der Assyrer und Babylonier in Mesopotamien erobert. Nun wollten sie ihre Herrschaft über Gesamtgriechenland ausdehnen, aber sie wurden von den Athenern bei Marathon (490 v. Chr.) und von der griechischen Flotte in der Seeschlacht bei Salamis (480 v. Chr.) geschlagen. Aber was bedeuteten diese Niederlagen? Kämpften zwei Gesellschaftssysteme um die Vorherrschaft? Hielten die Griechen ihre Demokratie den orientalischen Herrschaftsvorstellungen für überlegen? Kann man hier eine Grenze zwischen Europa und Asien ziehen? Marathon, Salamis und Plataiai: Siege der Griechen über die Perser Das griechische Drama »Die Perser« wurde 472 v. Chr., also acht Jahre nach der Seeschlacht bei Salamis, in Athen uraufgeführt. Der Dichter Aischylos verlegte die Handlung in den Palast des Xerxes in der persischen Stadt Susa, wo die Königinmutter und Witwe Dareios’ I. die Nachricht von der schweren Niederlage der persischen Flotte erhielt. Die Kommentare des Chores enthüllen die Bedeutung dieses Ereignisses: Die Königin Wer ist Hirte dieser Herde,
strenger Herrscher dieses
Heeres? Chorführer Keiner nennt sie seine Knechte,
niemand sind sie untertan. […] Chor (3. Klagegesang) Völker Asiens, sie werden
Nimmer sich dem Perser beugen,
Nimmer den Tribut bezahlen
An den Großherrn, der befiehlt.
Zu Boden wirft sich keiner mehr
Vor seinem Herrn. Des Königs Macht ist ganz zerronnen. Reichte Europa bis zum Indus und zur...