Roman
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-641-06139-5
Verlag: Knaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sie haben Großes vor, doch das Leben ist voller Fallstricke: Eine Allergie zerstört die Liebe, ein unerwarteter Hauptgewinn bringt Tonnen von Hundefutter ins Haus, die Aufführung des Polit-Stücks scheitert an den Brecht-Erben, und der künstlerische Durchbruch gelingt mit bunten Betonblümchen … »Das kaputte Knie Gottes« erzählt von jenem Wahnsinn, der uns hartnäckig als Alltag verkauft wird, aber eigentlich eine einzige Zumutung ist.
Im Ruhrgebiet zwischen Bochum und Essen: Dennis, der Bildhauer, Lily, die Zigarillo rauchende Kommunistin, und Mark, der schreibende, ambitionierte Lehramtsanwärter, wollen dem Leben eine ordentliche Portion Glück abtrotzen, was ihnen im alltäglichen Irrsinn aber nur selten gelingt. Marc Degens erzählt ihre Geschichte mit feinem Gespür für verlorene Träume und verrückte Zufälle, durchsetzt mit leiser Ironie und schwarzem Humor. »Das kaputte Knie Gottes« ist ein Roman über hochfliegende Pläne und harte Landungen in der Realität, über Wandlungen und Entfremdung einer ganzen Generation. Und ganz nebenbei eine Persiflage auf den Kulturbetrieb.
Autoren/Hrsg.
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"(S. 113-114)
Dennis
Fast drei Jahre sah ich Dennis nicht wieder, trotzdem blieben wir die ganze Zeit über in Kontakt. Und dabei lernte ich eine Seite an ihm kennen, von der ich bis dahin nichts gewusst hatte und die mich überraschte: Dennis war ein fleißiger Briefeschreiber. Bestimmt einmal im Monat bekam ich Post von ihm, mindestens eine Karte, meist aber mehrere Seiten lange Briefe. Seine Schrift war klein und präzise, alle Punkte und Striche ordentlich gesetzt, jeder Bogen rund und jeder Kreis vollendet. Dass man mit so großen Händen so fein schreiben kann, verblüfft mich noch heute. Noch erstaunlicher war allerdings das, was er schrieb.
Seine Sprache war seltsam manieriert und voll eigentümlicher Vergleiche. Dennis schilderte keine Ereignisse, er bildete vielmehr Stimmungen ab. An seinem dreißigsten Geburtstag schrieb er mir einen langen Brief, der so begann: »Heute ist der Tag der deutschen Einheit, gleichwohl spüre ich allein das Auseinanderfallen meiner Person. Alles fließt, nur ich ruhe still wie eine Truhe voll Dukaten auf dem Grund des Marianengrabens.« Dennis übertrieb oft, mal zogen sich »pechschwarze, vierzehn Tage alte Regenwolken« über seinem Kopf zusammen, ein anderes Mal versetzte ihm ein Anruf die »ü-Tüpfelchen seiner Trübsal«.
In seinem Wunsch, alles genau zu beschreiben, steigerte er sich oft zu sehr in die Dinge hinein. »Das Frühjahr ebbte so dahin. Stunden kamen, Tage gingen, formten Monate. Ich war bloß ein einsames Stück Holz, das auf seichten Wellen untätig herumschwappte und bisweilen an den Strand des Lebens gespült wurde, dort unberührt liegen blieb, um doch nur wieder von einer Flut erfasst zu werden und zurückzukehren in das gleichförmige Strömen des Meeres ohne Dauer.«
Anfangs noch wenige, später immer mehr Briefe waren auf Hotelbriefpapier geschrieben. Die Städte wechselten häufig, Stuttgart, München, Basel, Mailand. Mal ging es um eine Ortsbesichtigung für eine geplante Ausstellung, mal traf er sich mit Kunsthändlern oder Sammlern. Oft erfuhr ich den Grund seiner Reise auch gar nicht – dafür schrieb er seitenlang über das Wetter. Seit seiner Trennung von Lily war Dennis immer wortkarger und eigenbrötlerischer geworden. In seinen Briefen stand jedoch der alte Dennis vor mir, der mich immer wieder mit wunderlichen Geständnissen überraschte:
»Erotik und ich, wir sind ein Paar wie Kain und Abel. Im letzten Jahr habe ich einmal den Beischlaf vollzogen, die Frau hat mich regelrecht vergewaltigt. Der ganze Akt inklusive An- und Ausziehen vollzog sich während zweier Titel einer Kuschelrock-CD, es war ein mieses Essen in schlechter Gesellschaft.« Ein Knoten schien geplatzt zu sein – nach Jahren des Schweigens sprudelte es aus Dennis heraus. Dennis schrieb viel über Vergangenes, seine letzten Jahre im Ruhrgebiet, eine Zeit, in der er ziemlich »parterre« war, wie er es ausdrückte. Doch seine Rückblicke blieben seltsam abstrakt, sein Verhältnis zu Lily thematisierte er nicht – obwohl er sich in jedem seiner Briefe nach ihr erkundigte. Wenn er über die Gegenwart schrieb, dann nur über Arbeit. Es klang nicht mehr nach der schönsten Sache der Welt:"