E-Book, Deutsch, 282 Seiten
Dederich / Breitenbach / Ellinger Philosophie in der Heil- und Sonderpädagogik
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-17-024428-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
E-Book, Deutsch, 282 Seiten
ISBN: 978-3-17-024428-3
Verlag: Kohlhammer
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Brauchen praktisch tätige Pädagoginnen und Pädagogen, die sich jeden Tag mit ganz handfesten und unmittelbar zu lösenden Problemen konfrontiert sehen, ein Buch über philosophische Aspekte ihres Fachs? Ist das nicht viel zu theoretisch und daher nicht praxisrelevant? Das Buch zeigt, dass die Philosophie nicht nur für die Fundierung der Heil- und Sonderpädagogik als Wissenschaft unverzichtbar ist. Es macht auch deutlich, dass philosophisches Denken in diesem Feld durchaus auch von Bedeutung für die Klärung dringlicher Fragen der Praxis ist. Die Grundidee des Bandes ist, bestimmte philosophische Fragen von einem für die Heil- und Sonderpädagogik ganz zentralen Problem aus zu untersuchen, nämlich dem Verhältnis von Gleichheit und Verschiedenheit. Die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen ziehen sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Kapitel.
Weitere Infos & Material
1;Deckblatt;1
2;Titelseite;4
3;Impressum;5
4;Inhalt;8
5;Vorwort;12
6;1 Einleitung: Philosophische Aspekte der Heil- und Sonderpädagogik;16
6.1;Einführende Überlegungen;16
6.2;Was ist Philosophie?;20
6.3;Die Bedeutung der Philosophie für die Heil- und Sonderpädagogik: Ein erster Überblick;23
6.4;Philosophie und die Offenhaltung des Blicks auf den anderen Menschen;26
6.5;Heil- und sonderpädagogische Impulse für die Philosophie;29
7;2 Die Anderen I: Gleichheit und Verschiedenheit;31
7.1;Einleitende Überlegungen;31
7.2;Der Gleichheits- und Differenzdiskurs in der Heil- und Sonderpädagogik;33
7.3;Über Gleichheit;36
7.4;Grundlinien des Differenzdiskurses;38
7.5;Differenzdenken in der Philosophie des 20. Jahrhunderts;40
7.6;Eine fundamentale Unterscheidung: ›Relative‹ und ›radikale‹ Differenz;43
7.7;›Relative Andersheit‹: Vielfalt und Heterogenität;44
7.8;Der Andere als Fremder;48
7.9;Diesseits von Allgemeinem und Besonderem: Ethische Konsequenzen;51
7.10;Schlussbemerkung;55
8;3 Die Anderen II: Im Spiegel von Wissen, Sprache und Repräsentation;58
8.1;Politische Implikationen;64
8.2;Zur Störfunktion der Philosophie;65
9;4 Die Frage nach dem Wissen: Erkenntnistheorie;67
9.1;Was ist Erkenntnistheorie?;67
9.2;Erkenntnis und Wahrheit;70
9.3;Zur Bedeutung der Erkenntnistheorie in der Heil- und Sonderpädagogik;73
9.4;Von der Perspektive der dritten zur Perspektive der zweiten und ersten Person;80
9.5;Erkenntnis und Erfahrung;84
9.6;Exkurs: Die Bedeutung der Aufmerksamkeit;86
9.7;Fazit: Erkennen als selektiver und exklusiver Prozess;88
10;5 Wege, Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis: Wissenschaftstheorie;90
10.1;Was ist Wissenschaftstheorie?;91
10.2;Grundlegende Probleme der Wissenschaftstheorie;94
10.3;Zur Erosion des alten Objektivitätsideals;102
10.4;Grenzen des Erklärens, Grenzen des Verstehens;107
10.5;Schluss I: Pluralismus in den Wissenschaften;110
10.6;Schluss II: Konsequenzen für die Heil- und Sonderpädagogik;112
11;6 Die Frage nach dem Menschen: Anthropologie;116
11.1;Einleitende Überlegungen;116
11.2;Anthropologie und Menschenbild;118
11.3;Anthropologie in der Heil- und Sonderpädagogik als Sonderanthropologie;120
11.4;Kritische und historische Anthropologie;123
11.5;Anthropologie und Ethik;124
11.6;Pädagogische Anthropologie und die Unbestimmbarkeit des Menschen;125
11.7;Exkurs: Das Leib-Seele-Problem und die Antwort der Phänomenologie;127
11.8;Schlussbemerkung;132
12;7 Der prothetisierte Mensch: Technikphilosophie;134
12.1;Einleitende Überlegungen;134
12.2;Erste Annäherung: Umrisse des Technikbegriffs;136
12.3;Zweite Annäherung: Philosophischer Technikbegriff und Technikphilosophie;137
12.4;Moderne Technik: Invasive Technisierung;141
12.5;Normative Leitideen der Heil- und Sonderpädagogik und der Behindertenpolitik und die Bedeutung der Technik;144
12.6;Technik in den verschiedenen Modellen von Behinderung;145
12.7;Technikbewertung in der Perspektive der ersten Person;150
12.8;Enhancement – Die Debatte über die Verbesserung des Menschen;151
12.9;Ausblick;155
13;8 Der Humanismus des anderen Menschen: Ethik;159
13.1;Einleitende Überlegungen;159
13.2;Zum Begriff ›Ethik‹;161
13.3;Ethik und das Problem der Legitimation der Heil- und Sonderpädagogik;164
13.4;Ethische Positionen und Ansätze in der Heil- und Sonderpädagogik;167
13.5;Problemfeld 1: Lebenswert und Lebensqualität;170
13.6;Problemfeld 2: Reziprozität;175
13.7;Problemfeld 3: Moralischer Status und der Begriff der Person;179
13.8;Problemfeld 4: Menschenwürde;184
13.9;Eine Ethik vom Anderen her;187
13.10;Ethik als responsives Geschehen diesseits von Gut und Böse;189
13.11;Ethik als responsives Geschehen diesseits von Allgemeinem und Besonderem;190
13.12;Schlussbemerkung;191
14;9 Ich und die Anderen I: Selbstbestimmung und Stellvertretung;193
14.1;Der Selbstbestimmungsdiskurs in der Heil- und Sonderpädagogik;193
14.2;Kritische Anfragen an die Idee der Selbstbestimmung;195
14.3;An Stelle des Anderen: Zur Problematik der Stellvertretung;197
14.4;Der Diskurs zur Stellvertretung im Kontext von Behinderung;200
14.5;Die Legitimationsproblematik der Stellvertretung in der Pädagogik;202
14.6;Zwischen Selbst- und Fremdbestimmung – Kritik des Subjektbegriffs;206
14.7;Stellvertretung und Macht;208
14.8;Schlussbemerkung;210
15;10 Ich und die Anderen II: Anerkennung;212
15.1;Einleitung;212
15.2;Zum Begriff der Anerkennung;214
15.3;Offene Fragen und Aspekte der Kritik;219
15.4;Behinderung, Anerkennung und Identität;223
15.5;Anerkennung und Verkennung;225
15.6;Verkennung und Achtsamkeit;230
15.7;Schlussbemerkung;231
16;11 Der Einzelne und die Vielen: Politik und Gerechtigkeit;234
16.1;Ein erster Überblick: Zur Relevanz der Politischen Philosophie für die Heil- und Sonderpädagogik;234
16.2;Der philosophische Gerechtigkeitsdiskurs;236
16.3;Behinderung und Gerechtigkeit: Einführende Überlegungen;238
16.4;Exkurs: Gerechtigkeit und Menschenrechte;241
16.5;Behinderung, Gleichheit und Gerechtigkeit;243
16.6;Gerechtigkeit und das Problem der Differenz;247
16.7;Korrekturen I: Gerechtigkeit vom Anderen her;254
16.8;Korrekturen II: Gelebtes Ethos, Tugenden und Gerechtigkeit;257
16.9;Zum Schluss: Gerechtigkeit als Kulturpolitik;261
17;Literaturverzeichnis;264
18;Stichwortverzeichnis;282
Vorwort
Im Gegensatz zur Psychologie, Medizin und Soziologie gehört die Philosophie nicht zu den Disziplinen, die normalerweise zu den wichtigen ›Nachbardisziplinen‹ der Heil- und Sonderpädagogik gezählt werden. Und doch ist sie eine wichtige, in Hinblick auf manche Fragen und Probleme sogar die wichtigste Bezugswissenschaft. Zu denken ist hier beispielsweise an all die Fragen, die durch den Fortschritt der modernen Medizin aufgeworfen werden: die Chancen und Risiken der vorgeburtlichen Diagnostik oder die Problematik der Spätabtreibungen. In diesen sehr speziellen Problemfeldern geht es um etwas Grundsätzliches, nämlich den moralischen Status von Menschen mit Behinderungen und die Frage, welche Pflichten ihnen gegenüber bestehen. Vorliegender Band ist ein Versuch, die Bedeutung der Philosophie für die Heil- und Sonderpädagogik zu würdigen und systematisch herauszuarbeiten. Jedoch handelt es sich nicht um ein Buch über Philosophie. Daher wird auf innerphilosophische Debatten und Kontroversen nur eingegangen, wo es notwendig ist, um die Hintergründe bestimmter heil- und sonderpädagogischer Problemstellungen zu erläutern. Im Mittelpunkt dieses Buchs, das sich als Grundlegung versteht und einen einführenden Überblick bereitstellen möchte, stehen zentrale und fundamentale Themen und Probleme der Heil- und Sonderpädagogik, die in einer philosophischen Perspektive untersucht und reflektiert werden. Diese zentralen Themen und Probleme werden anhand eines doppelten Leitfadens herausgearbeitet: zum einen dem Verhältnis von Gleichheit, Verschiedenheit und radikaler Differenz, zum anderen an der Figur der Grenze. Das Verhältnis von Gleichheit und Verschiedenheit kann als ein Grundthema der Heil- und Sonderpädagogik verstanden werden, und dies nicht erst seit den Konjunkturen der Debatten über Integration bzw. Inklusion. Auf der anderen Seite sieht sich die Heil- und Sonderpädagogik oft mit Grenzen bzw. Grenzphänomenen konfrontiert und durch diese herausgefordert: Grenzen dessen, was viele Philosophen als ›allgemeinmenschlich‹ (z. B. im Sinne charakteristischer oder notwendiger Gattungseigenschaften) ansehen, Grenzen der Kommunikation und des Verstehens (die z. B. erfahrbar werden, wenn Menschen sich nur auf einer sehr basalen körperlichen Ebene, nicht aber verbalsprachlich artikulieren können), Grenzen des pädagogisch Mach- und Herstellbaren (z. B. bei Menschen mit schwersten und komplexen Beeinträchtigungen) oder Grenzen normativer Systeme (z. B. hinsichtlich der Frage, ob es Grenzen der Zugehörigkeit zu moralischen Gemeinschaften gibt). Die Beschäftigung mit philosophischen Fragen im Kontext der Heil- und Sonderpädagogik führt immer wieder an solche Grenzen heran. Diese zu erkunden bedeutet einerseits, die Aufmerksamkeit für Phänomene zu schärfen, die häufig übersehen oder nur am Rande thematisiert werden. Andererseits können solche Grenzgänge auch zeigen, dass die Grenzen in der Regel nicht naturwüchsig sind, sondern beispielsweise durch Denksysteme, Menschen- und Gesellschaftsbilder, normative Setzungen und eine regelrechte soziale und kulturelle, aber auch ethische und anthropologische Grenzpolitik hervorgebracht werden. Insofern gibt es vieles von allgemeinem Interesse über die Wissenschaften, die Philosophie, den Menschen und die Gesellschaft zu erfahren, wenn man damit beginnt, sie von den Rändern her zu betrachten. Die Thematik des Buchs impliziert eine Anmaßung. Wenn aus Nachbarwissenschaften Anleihen gemacht werden, um bestimmte Fragestellungen und Probleme großräumiger und differenzierter reflektieren und theoretisch bearbeiten zu können, scheint das vorauszusetzen, dass das Übernommene in der Herkunftsdisziplin als geklärt gelten kann. Genau dies ist selbstverständlich bei vielen der hier angesprochenen philosophischen Fragestellungen keineswegs der Fall. Vielmehr sind viele Probleme, etwa solche erkenntnistheoretischer oder ethischer Art, in der Philosophie strittig. Tatsächlich gibt es ›die‹ Philosophie ebenso wenig wie ›die‹ Heil- und Sonderpädagogik. Beide Bezeichnungen für wissenschaftliche Disziplinen vereinen unterschiedlichste und vielstimmige Traditionen, Diskurse, methodische Präferenzen, überhaupt Vorstellungen davon, was die jeweilige Disziplin ist, kann und soll – und was eben nicht. Deshalb gilt: Die Probleme, die in den Kapiteln dieses Buchs zur Sprache kommen, könnten philosophisch auch anders aufgerollt und in andere methodische und begriffliche Kontexte gestellt werden und daher auch in andere Klärungsvorschläge münden. Mit diesem Hinweis soll aber keine Ausflucht in eine an Beliebigkeit grenzende Paradigmenvielfalt oder dergleichen formuliert werden. Denn vorliegendes Buch erhebt Geltungsansprüche und möchte an diesen gemessen werden. Vielmehr soll damit gesagt werden, dass auch der Rückgriff auf die Philosophie bestimmte Fragen der Heil- und Sonderpädagogik nicht endgültig beantworten wird. Auch ist zu erwähnen, dass es weder ortlose Reflexion gibt noch wissenschaftliche Erkenntnis, die ein Problem oder ein Thema in seiner Totalität erfassen könnte. Das, was in diesem Buch zur Sprache kommt (und was eben nicht), ist einerseits dem gewählten Zugang geschuldet, andererseits den selektiven und exklusiven Effekten, die jeder methodische Zugang, jedes Begriffssystem und Sprachspiel, jede Forschungstradition unweigerlich produziert. Im Falle des vorliegenden Buchs spricht kein Praktiker, der praktische Probleme lösen muss, sondern ein Wissenschaftler, der primär an Reflexion interessiert ist, und zwar einer Reflexion, die den Blick auf bestimmte Fragen und Probleme überhaupt erst eröffnen, erweitern oder verändern möchte. Der Zugang, der zu diesem Zweck gewählt wurde, ist über weite Strecken ein phänomenologischer, der um poststrukturalistische Denkfiguren und Theorieansätze angereichert wird. Ohne in Details der Phänomenologie als Methode oder Haltung einsteigen zu wollen, geht es bei diesem Zugang im Kern darum, »das Was des Sachgehalts an das Wie einer bestimmten Zugangsweise zu koppeln« (Waldenfels 2012, 170). Als Methode in einem ganz wörtlichen Sinn (nämlich als Weg zu etwas hin) ist sie ein Versuch, sich von den ›Sachen‹, d. h. den Phänomenen und ihren Anforderungen leiten zu lassen. Zum Kern der Phänomenologie als Haltung gehört, sich beispielsweise von metaphysischen, wissenschaftlichen oder moralischen Vorurteilen frei zu machen. Sie zielt darauf ab, den jeweiligen Gegenstand zum Ausgangspunkt der Untersuchung zu machen und nicht das, »was von unserem theoretischen Standpunkt zu erwarten ist« (Zahavi 2007, 26). Auch wenn im Sinne des Versuchs, eine methodische Überfrachtung dieses Buchs zu vermeiden, auf eine explizite Erläuterung und Diskussion der Phänomenologie verzichtet wurde, müsste vor allem im Abschnitt »Der Andere als Fremder« (Kap. 2) und im Exkurs »Das Leib-Seele-Problem und die Antwort der Phänomenologie« (Kap. 6) deutlich werden, was damit gemeint ist. Bei der Bearbeitung einzelner Kapitel bzw. Aspekte konnte ich auf eine ganze Reihe früherer Arbeiten zurückgreifen. Einige Kapitel bzw. Abschnitte dieses Buchs bestehen aus Überarbeitungen bereits publizierter Texte. Ein zentraler Aspekt der Überarbeitung war ihre Einpassung in die Struktur des Bandes und des ihm zugrundeliegenden Leitfadens. Das einführende Kapitel greift auf Teile meines Beitrags »Schwere und mehrfache Behinderung – Philosophische Aspekte« (2011a) zurück. Das Kapitel 3 »Die Anderen II: Im Spiegel von Wissen, Sprache und Repräsentation« ist eine Überarbeitung von Teilen meiner Dortmunder Antrittsvorlesung, die unter dem Titel »Wozu Theorie?« (2006) publiziert wurde. Aus diesem Text wurde auch der Abschnitt »Erkennen als selektiver und exklusiver Prozess« in das Kapitel 6 eingearbeitet. Die Überlegungen zu Grenzen des Verstehens im Kapitel zur Wissenschaftstheorie wurden zuerst in dem Beitrag »Grenzen des Fremdverstehens« (2011b) veröffentlicht und für vorliegendes Buch leicht überarbeitet. Kapitel 9, das das Verhältnis von Selbstbestimmung und Stellvertretung untersucht, geht auf den Text »Stellvertretung« (2013) zurück. Kapitel 10 über das Problem der Anerkennung ist eine stark überarbeitete und erweiterte Fassung des Beitrags »Behinderung, Identitätspolitik und Anerkennung – Eine alteritätstheoretische Reflexion« (2011c). Die Überlegungen zur Bildungsgerechtigkeit in Kapitel 11 schließlich sind dem Beitrag »Inklusion als Menschenrecht und Bedingung der Möglichkeit für Chancengleichheit?« (2012) entnommen und wurden leicht überarbeitet. Ich danke meinem Doktoranden Robert Stöhr, der mich auf die große Bedeutung der Technik in der Behindertenpolitik aufmerksam gemacht und wichtige Hinweise zum Technik-Kapitel gegeben hat. Meiner Doktorandin Nadine Dziabel danke ich...