E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-95753-118-6
Verlag: Verlag DeBehr
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Start ins Ungewisse Die interessanten Reiseberichte von Anana und Akiak, den Jungvermählten, ließen die Weltenbummler nicht mehr los. Nach einer unruhigen Nacht voller tollkühner Träume stand es für alle Krummels fest: Sie wollten sich wieder in neue Abenteuer stürzen. Ein hölzerner Schwimmkessel schaukelte bereits an einer gelben Boje am alten Steg und wartete auf zukünftige Abenteuer. Qannik rief: „Los, aufstehen, ihr Schlafmützen, lasst uns in See stechen, zu lange waren wir an einem Ort. Die Weltmeere wollen erobert werden!“ Die grellen Sonnenstrahlen wirkten wie echte Muntermacher. „Juhu“, ertönte es aus den restlichen krummeligen Schlafsäcken, „wir sind zu allen Schandtaten bereit.“ So wunderschön und abwechslungsreich die Zeit mit Anana, Akiak und den Kobukmuits war, die Reiselust ihrer Vorfahren sickerte wieder durch. Die Seefahrer waren, trotz Bitten aller, nicht mehr aufzuhalten. Sie mussten die raue See mit allen Gefahren erneut unter sich spüren. Höchste Eile war geboten, um der frostigen Polarregion vor dem bevorstehenden Wintereinbruch zu entfliehen. Letzte Vorbereitungen wurden getroffen. Die ersten eisigen Nächte mit Minusgraden waren bereits im Anmarsch. Anana suchte wärmende Kleidungsstücke aus ihren Beständen zusammen, kuschelige Felldecken, gefütterte Wollmützen, bunte Fäustlinge und dicke Schals. Akiak war damit beschäftigt, Trockenfisch in Kisten zu verstauen und gefrostete Eisblöcke mit Lachs, Doraden und Barsch in Holzfässer zu schichten. Ona wickelte mehrere riesige Fladenbrote in Leinenbeutel, um sie länger haltbar zu machen. Die erste Schneedecke lag bereits über dem Land, als sich Sakari, Nukka, Miki, Koko, Tikaani, Qannik und Nanuq am alten, wackeligen Holzsteg mit einem weinenden und einem lachenden Auge verabschiedeten. Die Kobukmuits warteten schon mit Geschenken am Bootssteg. Kleine Überraschungen oder etwas selbst Gebasteltes sollten die Krummels auf hoher See an die gemeinsame Zeit bei den Eskimos erinnern. Anana ließ die Rasselbande nur ziehen mit dem festen ‚Krummel-Ehrenwort-Versprechen‘, spätestens nächsten Sommer in den Schneekessel zu Besuch zurückzukommen. Das Versprechen Tikaani blinzelte Anana zu: „Versprochen, wir möchten doch zur Taufe eures Erstgeborenen wieder zurück sein!“ Just in diesem Moment flog eine Weißkopfmöwe über die heitere Schar hinweg und hinterließ auf Tikaanis Stirn eine klebrige Hinterlassenschaft. „Siehst du“, konterte Akiak mit einem schelmischen Lächeln, „kleine Sünden werden umgehend bestraft.“ „Ach woher“, lachte Ona, „das bringt Glück!“ Qanniks tiefe Stimme erklang vom Deck der schwimmenden Behausung: „Alle Mann und zwei Frauen an Bord?“ Nachdem ein einstimmiges „Ei, ei Käpt’n“ ertönte, gab Qannik den Befehl zum Ablegen. Viele Eskimohände mit bunten Tüchern winkten noch lange den Reisenden nach. Damals bei ihrer Landung war es ein freudiger Willkommensgruß, heute war es ein rührender Abschied. Nach einer Weile waren nur noch farbenfrohe Tupfer am Horizont zu erkennen. Bald verschwanden die Zurückgebliebenen ganz aus ihrem Sichtfeld. Abschiedsschmerz Liebevoll tröstete Nukka Miki, der noch immer herzzerreißend flennte. Zärtlich streichelte sie über sein wuscheliges Krummelköpfchen und flüsterte ihm ins Ohr: „Du musst nicht traurig sein. Wenn wir wieder zurückkommen, bringen wir genau so schöne Geschenke wie damals Anana und Akiak von ihrer Hochzeitsreise mit. Außerdem kannst du dann ebenso interessante und spannende Geschichten erzählen wie unser Brautpaar. Übrigens hat mir Ona für dich und Koko eine extra Portion Schokoladeneis mitgegeben.“ Allmählich beruhigte sich Miki und kramte aus seinem vollgestopften Fellrucksack umständlich sein ledernes Tagebuch hervor. Es war ein Geschenk von Ananas Großvater Anyu. Ihm hatte er versprochen, alle wichtigen Ereignisse der Krummel-Abenteuerfahrt aufzumalen. So begann Miki gleich damit, die Abschiedsszene der am Bootssteg winkenden Eskimos aufzuzeichnen. Darüber vergaß er bald seinen Trennungsschmerz. Ordnung ist das halbe Leben Koko gesellte sich zu seinem Bruder. Eifrig skizzierte er Obstsorten und Fischarten auf farbige, eckige Kärtchen. Im Kühlraum befestigte er anschließend die Zettel mit Lederbändchen an Kisten, Fässern und Körben. Je nach Haltbarkeit der Lebensmittel stapelte er mit Nanuqs Hilfe die Proviantvorräte in die dafür vorgesehenen Regale. Aus Erfahrung wusste er, dass bei orkanartigen Stürmen manchmal das ganze Mobiliar zu Bruch gehen konnte. Deshalb sicherte er zusätzlich die hölzernen Gestelle mit stabilen Querbrettern ab. Kulinarisches Nukka und Sakari bereiteten in der Küche Onas traditionellen Fischeintopf für das Abendessen zu, er war gesund und schmeckte vorzüglich. Als eine der Köchinnen die Tischglocke läutete, saßen auf der Stelle alle am runden Eichentisch. Eine altmodische Gaslampe spendete angenehmes Licht. „Habt ihr auch kräftig die Hände mit Robbenfettseife abgeschrubbt?“, mahnten die Zwillinge ihre Brüder. „Wie könnten wir das bei eurer erstklassigen Erziehung vergessen?“, grinste Nanuq über das ganze Gesicht. Bei bester Laune und witziger Unterhaltung löffelten die hungrigen Krummels ihre Teller bis auf den letzten Bissen leer. Ihr lautes Schmatzen war dabei nicht zu überhören. Spieleabend Ausgelassene Stimmung machte sich breit. Die temperamentvollen Gesellen amüsierten sich bei dem heiteren Reaktionsspiel „Fuchs, die Möwe ist weg“. Dabei spielte abwechselnd jemand den schlauen Fuchs. Als Erster wurde Tikaani für diese Rolle ausgewählt. Er bekam den Lederbecher, an dessen Boden ein Büschel mit Fuchshaaren gebunden war. Die anderen Spieler erhielten eine Möwenfeder an einem jeweils unterschiedlich farbigen Faden. Auf der Tischplatte lagen nun im Halbkreis nebeneinander aufgereiht die weißen Federn. Am Tischrand hatte jeder Krummel sein Schnurende fest in der Hand und wartete voller Spannung auf seinen Einsatz. Jetzt rief Nukka, die Spielleiterin: „Rot reißt aus!“ Blitzschnell musste derjenige mit dem roten Lederband seine Möwenfeder in Sicherheit bringen und vom Tisch ziehen. Gleichzeitig versuchte Tikaani, der seinen Mitspielern gegenüber saß, mit dem Fuchsbecher die Feder zu erwischen. Zeigte sich der Fuchs erfolgreich, so schied die gefangene Möwe aus. Zuckte eine andere Schnur, so bedeutete es für dessen Besitzer ebenfalls das Aus. Wer zuletzt übrig blieb, durfte in der nächsten Runde den Fuchs spielen und den neuen Spielleiter bestimmen. So knobelten die Krummels aus, wer die erste Nachtwache auf hoher See übernehmen musste. Nach einem knappen Endkampf fiel die Entscheidung auf Nanuq. Er bezog seinen verantwortungsvollen Posten und die übrige Mannschaft krummelte sich in ihre Schlafsäcke. Herrliche Ausblicke Die glühende Sonne kroch langsam am Horizont wie eine riesige Kugel aus dem Ozean. Einerseits demonstrierte sie ihre geballte Kraft, andererseits stieg sie wie ein federleichter Ballon in die Höhe. Die weißen Schaumkronen auf den Wellen tanzten wie leichtfüßige Ballerinen übers Meer. Ihr schwimmendes Zuhause schaukelte friedlich in den neuen Tag hinein. Ein einzigartiges Blau spannte seinen Schirm über die fröhliche Reisegruppe. Die komplette Mannschaft war an Deck versammelt und bekräftigte erneut, den richtigen Entschluss gefasst zu haben, sich in die fremde Welt der Abenteuer zu stürzen. Papageientaucher Der Spätherbst ließ noch einmal das Land in seiner ganzen Farbenpracht erstrahlen. Auf mehreren Inseln, die wie in einem Film vorbeizogen, tummelten sich Tausende von gackernden Papageientauchern. „Die Einheimischen nennen sie kleine arktische Brüderchen“, gab Nanuq sein Wissen zum Besten. „Durch den üppigen Fischreichtum leben die Vögel hier wie im Schlaraffenland. Ihr Tisch ist immer abwechslungsreich gedeckt. Ihre amüsanten Clowngesichter versetzen einen beim ersten Anblick in gute Laune. So ist es eigentlich unvorstellbar, dass Menschen sie als Delikatesse verspeisen. Es zerreißt einem schier das Herz und macht einen gleichzeitig wütend. Aber zum Glück gibt es hier entlang der Küste viele Untiefen, starke Strömungen und gefährliche Felsriffe. So können Schiffe nur unter schwierigsten Bedingungen anlegen, was für das Überleben der niedlichen Taucher von größter Bedeutung ist“, fügte Tikaani nachdenklich hinzu. Entsetzt über diese Neuigkeit schüttelten alle ungläubig die Köpfe. Spätherbst Auf moosigen Steinfelsen blühte noch das Heidekraut in seiner violetten Farbenvielfalt, es reichte von zartrosa bis dunkellila. In höheren Lagen waren die Bergspitzen bereits weiß gezuckert. Aber die intensive Sonneneinstrahlung schaffte es bislang täglich aufs Neue, die dünne Schneedecke wegzulutschen. Wie viele solch außergewöhnliche Tage würden die Krummels noch genießen dürfen? Nach ausgiebigen Schwärmereien über die bezaubernde Landschaft huschte jeder wieder unter Deck und ging seiner gewohnten Arbeit nach. Schneeflockes Geheimnis Äußerst konzentriert brütete Qannik über einer vergilbten Seefahrerschatzkarte. Sie mag bestimmt schon durch so manch raue Männerhand gewandert sein. Das alte Pergament aus Tierhaut war stark zerknüllt, schmuddelig und roch nach stinkigem Kautabak. Dieses Stück Papier ähnelte einem zerknitterten Stück Stoff, das durch schlampiges Bügeln mit zu niedriger Temperatur wieder einigermaßen geglättet wurde. Erstaunlicherweise hatte Akiaks Großvater...