E-Book, Deutsch, 220 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm
Erkenntnisse über den Tod. Den letzten Weg gestalten und begleiten
E-Book, Deutsch, 220 Seiten, Format (B × H): 135 mm x 210 mm
ISBN: 978-3-432-11081-3
Verlag: Enke
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Zielgruppe
Gesundheitsinteressierte
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Soziologie | Soziale Arbeit Soziale Gruppen/Soziale Themen Tod, Sterbehilfe: Soziale und Ethische Themen
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Palliativmedizin
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Pflege Palliativpflege, Sterbebegleitung, Hospiz
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizin, Gesundheitswesen Medizin, Gesundheit: Sachbuch, Ratgeber
Weitere Infos & Material
Einführung
Daran erinnere ich mich: Eine Krankenschwester, die freundlich, aber auch sehr unverblümt die logistischen Folgen des Todes skizzierte und mich fragte: »Möchtest du wissen, was passiert, wenn der Körper alle Systeme runterfährt?« Sie bot an, die Linien des Todes auf dem Körper meiner Mutter nachzuzeichnen, und das, während meine Mutter noch beweglich, bei Bewusstsein und äußerst lebendig war. Ich fühlte einen leichten Schock und hatte düstere Vorahnungen. Was meine Mutter und ich aber am intensivsten fühlten, waren Erleichterung und so etwas wie Faszination. Wir wollten es wissen. In den sechseinhalb Jahren der Behandlung – meine Mutter hatte zwei Hausärzte, einen Kardiologen, verschiedenste Röntgenspezialisten, Krankenschwestern in zwei onkologische Kliniken und Chirurgen in drei unterschiedlichen Kliniken gesehen – hatte nicht ein einziges Mal auch nur einer mit ihr darüber gesprochen, was passieren würde, wenn sie stürbe. Die Idee zu diesem Buch wurde genau in diesem Moment geboren, im Beisein meiner Mutter und der Schwester im Hospiz, obwohl noch Jahre vergingen, bis ich meinen Job als Professorin für Englisch und Journalismus aufgab und mit meinen Nachforschungen begann. Zunächst engagierte ich mich ehrenamtlich in einem Hospiz und grübelte über die Patienten, die ich besuchte: Was erlebten sie? Wenn der Atem mancher Patienten in ihren letzten Stunden unregelmäßig und laut wurde, fragte ich mich, wie sehr sie litten oder ob es möglich war, dass sie gar nicht litten. Ich fragte mich, warum manche Menschen so heftig verdrängten, dass sie sterben würden – wie konnten sie das als Patienten in einem Hospiz ignorieren? Besonders interessierte mich, wo sich der Geist und die Seele Sterbender befanden, wenn sie nicht mehr auf ihre Angehörigen reagierten. Ich war sowohl berührt als auch erschrocken: Kämpften sie tief in ihrem Inneren mit seelischem oder physischem Schmerz, oder hatten sie sich schon auf eine spirituelle Reise begeben? Als ich meine Forschungen begann, stellte ich erstaunt fest, wie viel Literatur es über das Sterben gibt. Es gibt Bücher über Schmerz und Leid, darüber, wie man mit Sterbenden umgeht, Bücher über die körperliche und geistige Erfahrung des Sterbens. Palliativärzte, Ärzte in Hospizen, Schwestern – jeder, der sich je mit Sterbenden befasst hat, stößt früher oder später auf dieselben Fragen wie ich. Diese Menschen hatten die Erfahrung und Expertise, sich diesen Fragen wissenschaftlich zu nähern. Sie haben wissenschaftliche Bücher und Artikel in beeindruckender Zahl geschrieben. Und fast alle nahmen sich trotz ihres hektischen Alltags Zeit, mir meine Fragen zu beantworten, und hofften darauf, dass diese Informationen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden würden. Natürlich begannen Freunde und Bekannte mich zu fragen, woran ich eigentlich arbeitete. Wenn ich sagte, ich schriebe über das Sterben, bekam ich oft eine Antwort wie diese: »Oh, wir Menschen in der westlichen Welt haben solche Schwierigkeiten mit dem Sterben. Wir sind eine Kultur, die den Tod verdrängt, niemand spricht über den Tod.« Ich wusste nicht recht, wie ich mit diesen Kommentaren umgehen sollte. Denn mir kam es vor, als werde überall über den Tod gesprochen. Man denke nur an populäre Bücher wie Atul Gawandes Sterblich sein. Was am Ende wirklich zählt. Über Würde, Autonomie und eine angemessene medizinische Versorgung oder Paul Kalanithis Bevor ich jetzt gehe. Die letzten Worte eines Arztes an seine Tochter, den Pixar-Film Coco oder die vielen hundert Sterbecafés(1), die nur dazu da sind, dass dort über den Tod gesprochen wird. Michelle Appenzeller(2) sagte mir, die Beliebtheit des Themas komme ihr manchmal komisch vor, denn zu der Zeit, als sie 1986 mit der Hospizarbeit begonnen habe, sei das ein totales Tabu gewesen. »Das ist so verrückt, aber auch lustig. Sogenannte Death Cafés, in denen Leute über den Tod sprechen wollen, das ist inzwischen fast schon cool und sexy.« Meine Mutter und ich aber kannten vor dem Gespräch mit jener Hospizschwester wesentliche Details nicht. Im Übrigen bedeuten die vielen Diskussionen über Tod und Sterben auch nicht, dass die Leute sich mehr mit ihrer eigenen Sterblichkeit befassen, meint Michelle Appenzeller. »Du kannst einen Hundertjährigen vor dir haben, und seine Familie ist geschockt, dass ihr geliebtes Familienmitglied stirbt.« Wir sprechen viel über den Tod und das Sterben, aber mit unserer eigenen Sterblichkeit beschäftigen wir uns nicht. Wir sprechen nicht genug über zentrale Aspekte des Sterbens oder darüber, wie es ist, zu sterben. Die meisten müssen sich mit dem Tod nie so direkt auseinandersetzen, wie es für unsere Vorfahren noch normal war. Und die medizinische Vorsorge ist teilweise so gut, dass man in dem Glauben lebt, alles könne geheilt werden. Viele von uns haben den Bezug zum Sterben verloren. »Denken Sie daran, wie Menschen in Filmen sterben«, sagt Marian Grant. »Sie sind bis zum Ende wach. Sie führen bedeutungsvolle Gespräche, und dann auf einmal fällt ihr Kopf zur Seite … und schwupps, sind sie tot.« Dieses Bild hat leider wenig mit der Realität zu tun. »Es ist ganz anders«, sagt Grant. »Noch vor hundert Jahren sind die Leute zu Hause gestorben. Sie starben im Kindbett, Kinder starben, und keiner wurde erwachsen, ohne nicht mindestens einen Angehörigen, Nachbarn oder Freund sterben gesehen zu haben. Heute kannst du siebzig oder achtzig werden und noch nie einen Sterbenden gesehen haben. In Filmen sieht man nur die verklärte Vorstellung. Aber die Realität sieht ganz anders aus.« Mehr als 90 Prozent aller Amerikaner werden so wie meine Mutter sterben, nach Wochen oder Monaten oder sogar Jahren des Wissens um eine tödliche Krankheit.(3) Aber die wenigsten von uns wissen, was sie in dieser Zeit zu erwarten haben – trotz aller Forschung über die Erfahrungen, Symptome und emotionalen Zustände Sterbender: vom existenziellen Schlag nach einer tödlichen Diagnose und der Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit bis zu den unglaublichen Schmerzen, die Sterbende erdulden müssen, aber auch den erfolgreichen Wegen, mit Sterbenden umzugehen. Dieses Wissen ist alles andere als weit verbreitet, auch wenn die Nachfrage nach mehr Informationen steigt. Dieses Buch kann nicht alle Informationen und Facetten des Sterbens behandeln. Mein Fokus liegt auf dem, was Patienten in ihren letzten Lebensmonaten erwarten können. Das Buch basiert auf Gesprächen mit Ärzten, Krankenschwestern, Psychologen und anderen medizinischen Experten, meiner eigenen, tiefen Neugier und den Jahren der Begleitung Sterbender in Hospizen. Ich versuche, so ehrlich wie möglich zu sein, manchmal unverblümt, denn genau danach gierten meine Mutter und ich, als sie dem Tod nahe war. Aber ich versuche auch, die Schönheit und Freude zu vermitteln, die den Tod oft umgibt – die Bedeutung, die der Tod einem Sterbenden und den Menschen um ihn herum verleiht. Als eine meiner besten Freundinnen an Pestsepsis litt, sagte sie, sie habe sich an einem Punkt gefragt, ob sie nun sterben werde (sie war nah dran, überlebte aber). Und dann sagte sie, das könne ja nicht sein, denn sie habe keine Thestrale gesehen. J. K. Rowling hat diese Kreaturen erfunden, Knochenpferde mit Flügeln und drachenähnlichen Köpfen. Viel später, als es meiner Freundin längst wieder besser ging, erkannte sie ihren Fehler: In den Harry-Potter-Romanen sind Thestrale für all jene unsichtbar, die noch nie jemanden sterben gesehen haben – mit dem eigenen Tod haben sie nichts zu tun. Als mein Cousin starb, erzählte seine Tochter mir, wie wichtig ihr die Thestrale waren. Diese fiktiven Gestalten waren eine Metapher dafür, wie anders sie die Welt nun sah, und sie vermutete, Rowling habe gewiss den Tod eines ihr...