E-Book, Deutsch, 178 Seiten
ISBN: 978-80-272-1305-4
Verlag: Musaicum Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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»Jawohl. Monsieur de Valois, einen Hasen aus Le Prébaudet, er wog vierzehn Pfund.« »Braves Mädchen!« versetzte der Chevalier und gab ihr einen Klaps auf die Wange; »ah, er wiegt vierzehn Pfund!« Du Bousquier war nicht eingeladen. Mademoiselle Cormon blieb dem System, das man kennt, treu und behandelte diesen Fünfzigjährigen, für den sie unerklärliche, in den tiefsten Falten ihres Herzens verborgene Gefühle hegte, schlecht. Obwohl sie ihn abgewiesen hatte, tat es ihr manchmal leid; sie fühlte so etwas wie eine Ahnung, daß sie ihn heiraten würde, und zugleich ein Entsetzen, das sie hinderte, diese Heirat zu wünschen. Ihre von ihren Vorstellungen erregte Einbildungskraft beschäftigte sich mit Du Bousquier. Ohne daß sie es sich eingestanden hätte, machten die herkulischen Formen des Republikaners starken Eindruck auf sie. Madame Granson und der Chevalier de Valois, die sich die Widersprüche Mademoiselle Cormons nicht erklären konnten, hatten verstohlene naive Blicke erhascht, deren Bedeutung so klar war, daß es alle beide für nötig erachteten, die schon einmal gescheiterten, aber sicherlich noch beibehaltenen Hoffnungen des Lieferanten zu zerstören. Zwei Gäste, die durch ihr Amt von vornherein entschuldigt waren, ließen auf sich warten; der eine war Monsieur Coudrai, der Vorsteher des Hypothekenamts; der andere, Monsieur Chesnel, der frühere Intendant des Hauses d'Esgrignon, der Notar der hohen Aristokratie, die ihn mit der Achtung behandelte, wie es seine Tugenden verdienten; er war außerdem Besitzer eines ansehnlichen Vermögens. Als diese beiden verspäteten Gäste anlangten, rief Jacquelin, der sie in den Salon gehen sah: »Sie sind alle im Garten!« Ohne Zweifel waren die Mägen schon sehr ungeduldig, denn beim Anblick des Vorstehers des Hypothekenamts, eines der liebenswürdigsten Männer der Stadt, der nur den Fehler hatte, ihres Vermögens wegen eine unausstehliche alte Person geheiratet zu haben und Witze zu machen, über die er immer zuerst lachte, erhob sich das beifällige Gemurmel, mit dem die zuletzt Gekommenen in solchen Fällen stets empfangen werden. Während man die offizielle Meldung, daß angerichtet sei, erwartete, wandelte die Gesellschaft auf der Terrasse längs der Brillante und betrachtete die Wasserpflanzen, das Mosaik des Flußbetts, die hübschen Einzelheiten der auf dem andern Ufer zusammengedrängten Häuser, die alten Holzgalerien, die eingefallenen Fensterlehnen, die schrägen Stützsparren eines Zimmers, das über den Fluß hing, die Gärtchen, in denen Lumpen zum Trocknen hingen, die Werkstatt des Schreiners, all dieses Elend der kleinen Stadt, dem die Nähe des Wassers, eine hängende Trauerweide, Blumen, ein Rosenstock soviel malerische Anmut verleihen. Der Chevalier studierte alle Gesichter, weil schon der Brand, den er entfacht hafte, sich bereits den besten Kreisen der Stadt mitgeteilt hatte; aber noch sprach niemand laut von der großen Neuigkeit: Suzanne und Du Bousquier. Die Leute der Provinz verstehen im höchsten Grade die Kunst, einen Klatsch vorzubereiten. Der Moment zur Unterhaltung über dieses seltsame Abenteuer war noch nicht gekommen, es überlegte sich noch jeder, was er zu sagen habe. Vorläufig flüsterte man sich ins Ohr: »Sie wissen?« – »Ja.« – »Du Bousquier?« – »Und die schöne Suzanne.« – »Mademoiselle Cormon weiß noch nichts?« – »Nein.« – »Ach!« Es war das ›Piano‹ des Klatsches. Das ›Rinforzando‹ sollte erst beginnen, wenn man bei der ersten Vorspeise spielt. Plötzlich faßte Monsieur de Valois Madame Granson ins Auge, die ihren grünen Hut mit den Aurikelsträußchen aufgepflanzt hatte und deren Gesicht vor Ungeduld zuckte. War es die Lust, das Konzert zu beginnen? Obwohl eine solche Neuigkeit in dem ereignisarmen Leben dieser Leute wie eine auszubeutende Goldmine war, glaubte der scharf beobachtende, mißtrauische Chevalier bei der guten Frau den Ausdruck eines noch tieferen Gefühls zu bemerken: die Freude über den Sieg einer persönlichen Sache! :.. Sogleich drehte er sich um, um Athanase zu prüfen, und überraschte ihn in der bedeutsamen Haltung größter Vertieftheit. Ein Blick, den der junge Mann auf den Brustkasten Mademoiselle Cormons warf, der zwei Regimentspauken glich, ließ in der Seele des Chevaliers ein plötzliches Licht aufgehen. Dieser Blitz erhellte ihm mit einem Male die ganze Vergangenheit. ›Ach, zum Teufel! Das habe ich dumm angefangen!‹ Monsieur de Valois näherte sich Mademoiselle Cormon und reichte ihr den Arm, um sie in den Speisesaal zu führen. Die alte Jungfer hegte für den Chevalier große Hochachtung, denn sein Name und die Stellung, die er in den aristokratischen Kreisen des Departements einnahm, bildeten die Hauptzierde ihres Salons. Vor ihrem innern Forum sagte sie sich seit zwölf Jahren, daß sie Madame de Valois werden wolle. Dieser Name war, was den Rang, den Adel und die äußern Vorzüge einer Partie angeht, wie ein Zweig, an dem ihre Gedanken hängenblieben, wenn sie aus ihrem Hirn ausschwärmten; aber wenn der Chevalier de Valois der vom Herzen, vom Verstand, vom Ehrgeiz Erwählte war, so verursachte ihr diese alte Ruine, obwohl sie wie ein Prozessionsheiliger frisiert war, doch ein gewisses Grauen: wenn sie auch einen Edelmann in ihm sah, so sah das Mädchen in ihm doch keinen Ehemann. Die von dem Chevalier im Punkte der Ehe geheuchelte Gleichgültigkeit und besonders seine vorgebliche Sittenreinheit in einem Hause, das voller Grisetten war, taten ihm ganz gegen seine Voraussicht enormen Abbruch. Dieser Edelmann, der in der Sache der Lebensrente so richtig gesehen hatte, täuschte sich in diesem Punkt. Ohne daß sie es selbst wußte, ließen sich die Gedanken Mademoiselle Cormons über den allzu tugendhaften Chevalier ungefähr also wiedergeben: ›Wie schade, daß er nicht ein bißchen leichtfertig ist!‹ Die Erforscher des menschlichen Herzens haben beobachtet, daß die Frömmlerinnen eine Neigung für lockere Vögel haben, und fanden, daß dieser Geschmack im Widerspruch zu der christlichen Tugend stehe. Aber, welche Aufgabe ist geziemender für die tugendhafte Frau, als, gleich der Kohle, die trüben Wasser des Lasters zu reinigen? Und dann: Ist es nicht natürlich, daß die edlen Geschöpfe, die zu strenge Prinzipien haben, um die eheliche Treue jemals zu überschreiten, sich einen Gatten von großer praktischer Erfahrung wünschen? Lockere Vögel sind groß in der Liebe. So bejammerte es die gute Mademoiselle, daß ihr erwähltes Gefäß in zwei Stücke gebrochen war. Gott allein konnte den Chevalier de Valois und Du Bousquier zusammenschweißen. Um die Wichtigkeit der wenigen Worte zu verstehen, die der Chevalier und Mademoiselle Cormon im Begriff waren miteinander auszutauschen, muß man zwei ernste Angelegenheiten, die in der Stadt im Umlauf waren und über die die Meinungen auseinandergingen, berühren. Du Bousquier war auf geheimnisvolle Weise damit verquickt. Die eine betraf den Pfarrer von Alençon, der seinerzeit den Eid auf die Konstitution abgelegt hatte und der nunmehr das Widerstreben seiner katholischen Gemeinde durch die Entfaltung der höchsten Tugenden überwand. Er war ein Cheverus im kleinen und so beliebt, daß ihn bei seinem Tode die ganze Stadt beweinte. Mademoiselle Cormon und der Abbé gehörten zu dem orthodoxen Kirchensprengel, der für Rom das war, was die Ultras für Ludwig XVIII. wurden. Der Abbé vor allem wollte ganz und gar nichts von der Kirche wissen, die gezwungenermaßen einen Kompromiß mit denen, die den Eid abgelegt hatten, eingegangen war. Jener Pfarrer wurde in dem Hause Cormon, dessen Sympathien sich dem Vikar von Saint-Léonard, der aristokratischen Pfarrkirche von Alençon, zuwandten, nicht empfangen. Du Bousquier, dieser wütende Liberale in der Haut eines Royalisten wußte, wie notwendig zwischen den Unzufriedenen, die den Hauptbestand aller Opposition bilden, die Anknüpfungspunkte sind, und er hatte schon um diesen Pfarrer alle Sympathien der Mittelklasse geschart. Nun die zweite Angelegenheit. Unter der heimlichen Anregung dieses groben Diplomaten war die Idee entstanden, in Alençon ein Theater zu bauen. Die Seiden Du Bousquiers kannten nicht ihren Mahomet, aber sie waren nur um so eifriger, da sie ihren eigenen Einfall zu verteidigen glaubten. Athanase war einer der glühendsten Verfechter der Erbauung eines Theatersaals, und seit einigen Tagen warb er für die Sache, die alle jungen Leute zu der ihrigen gemacht hatten, Anhänger in den Büros des Rathauses. Der Edelmann reichte Mademoiselle seinen Arm zum Promenieren; sie nahm ihn und dankte ihm mit einem glücklichen Blick für seine Aufmerksamkeit, worauf der Chevalier mit einem schlauen Hinweis auf Athanase sagte: »Mademoiselle, Sie, die den sozialen Konventionen so großen Wert beilegen und mit der dieser junge Mann durch einige Bande verknüpft ist...« »Nur durch sehr entfernte«, warf sie ein. »Sollten Sie nicht«, fuhr der Chevalier fort, »von dem Einfluß, den Sie auf ihn und seine Mutter haben, Gebrauch machen, um ihn vor dem Verderben zu bewahren? Er ist schon nicht sehr religiös, er hält zu dem konstitutionellen Priester; aber das wäre noch nicht schlimm. Weit gefährlicher ist dies: Stürzt er sich nicht besinnungslos in die Opposition, ohne zu wissen, welche Folgen sein gegenwärtiges Betragen für die Zukunft haben wird? Er betreibt den Bau des Theaters, er läßt sich in dieser Sache von dem verkleideten Republikaner, dem Du Bousquier, zum Narren halten ...« »Mein Gott, Monsieur de Valois«, erwiderte sie, »seine Mutter sagt mir, daß er Geist hat, und er kann nicht bis drei zählen; er pflanzt sich immer vor einem auf wie eine Null...« »Die an nichts denkt!« fiel der Vorsteher des Hypothekenamts ein. »Ich habe ihn auf frischer Tat ertappt! ... Mein Kompliment dem Chevalier de Valois!«...