Dark / Brückner / Lettau | Die Stille nach dem Fest | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 258 Seiten

Dark / Brückner / Lettau Die Stille nach dem Fest

Mörderische Schwestern

E-Book, Deutsch, 258 Seiten

ISBN: 978-3-96000-298-7
Verlag: Elysion Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sechzehn Verbrechen zum Fest, angerichtet von ebenso vielen Autorinnen und verfeinert mit weihnachtlichen Rezepten. Spannendes, Komisches, Tragisches - für jeden Geschmack ist etwas dabei. Wählen Sie als Vorspeise vielleicht einen misslungenen Giftmord an Punsch, als Hauptgang die tragischen Folgen eines unerfüllten Kinderwunsches an Spitzkohl aus dem Ofen und zum Dessert die wundersame Wandlung einer fiesen Lehrerin an Tannenbaum-Kokosmakronen Die Autorinnen sind Mitglied bei den 'Mörderische Schwestern e. V.'. Alle haben sich dem Krimi verschrieben, jedoch zeigt diese Kurzkrimisammlung, dass kein Krimi dem anderen gleicht.
Dark / Brückner / Lettau Die Stille nach dem Fest jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


3. Allüberall auf den Tannenspitzen …
Anja Feldhorst   Ich weiß nicht, ob ich mich vor Entsetzen schütteln oder vor Verzückung juchzen soll. Letzteres würde mein sechsjähriges Ich sofort tun, aber die erwachsene Lulu hat im Laufe der Jahre doch so etwas wie guten Geschmack entwickelt. Auch wenn mein Ex-Mann Heiner das Gegenteil behauptet. Ich entscheide mich für ein neutrales und nicht mal gelogenes »beeindruckend«. Denn dass der Weihnachtsbaum, der vorne rechts im Chor der Klosterkirche Marienfließ gen Himmel ragt, bemerkenswert ist, steht außer Frage. Statt der üblichen farbigen Christbaumkugeln und unvermeidlichen silbernen oder goldenen Girlanden öffentlicher Weihnachtsbäume ist die Tanne übersät mit blassblau glitzernden Sternen. Als der Pfarrer das Zeichen gibt und ein magerer Mittvierziger den Stecker in die Dose schiebt, flammen unzählige LED-Kerzen auf. Ihr Licht bricht sich tausendfach in den Facetten der Strasssteinchen. Neben mir schnauft Tante Käthe. »Ich will zurück ins Heim. Mir ist kalt«, murrt sie. »Ich dachte, du hast dich auf die Illumination gefreut?«, erwidert Tante Hiltrud mit leicht genervtem Tonfall. »Wenn ich Illuminaten will, les ich Dan Brown«, gibt Tante Käthe patzig zurück und vollführt eine harsche Drehung mit ihrem Rollstuhl. Ich kann gerade noch zur Seite springen. Tante Käthes gebrummelte Entschuldigung kommt nicht wirklich von Herzen. Aber ich kann sie verstehen. In der Kirche ist es saukalt, der Pfarrer ergeht sich in gewichtigen Worten über das Weihnachtsfest und von dem alten Mann schräg hinter uns wabert eine unerfreuliche Mischung aus Urin, Kohlgeruch und kaltem Rauch herüber. Ich sehe Tante Hiltrud an. Die zuckt mit den Schultern und verlässt ihren Platz in der Kirchenbank. Über einen schneematschigen Weg kehren wir zurück zum Pflegeheim. Eine schwarzgekleidete zierliche Person in für das Wetter und die Gegend viel zu hohen Pumps kommt uns entgegen. Tante Käthe manövriert ihr Gefährt mit etwas Mühe an den Rand des Weges, um der Frau Platz zu machen. Tante Hiltrud und ich reihen uns hinter ihr ein und im Gänsemarsch bzw. -korso geht es weiter. Als Tante Käthe auf gleicher Höhe mit der Fremden ist, bremst sie so unvermittelt ab, dass Tante Hiltrud beinahe gegen die Rückenlehne des Rollstuhls knallt. Die Frau guckt ebenso verdutzt wie ich, als Tante Käthe in einem Tonfall »Guten Tag« sagt, der klingt wie: »Ihren Ausweis, sofort!« Die Frau hat ihre kurz entgleisten Gesichtszüge wieder auf Spur gebracht und erwidert den Gruß knapp. Dann stöckelt sie mit schnellen Schritten davon Richtung Kirche. Als sie außer Hörweite ist, zischt Tante Hiltrud ihrer Schwester zu: »Bist du irre? Ich hätte mir das Genick brechen können.« Mit einem unwirschen »Papperlapapp« setzt Tante Käthe sich wieder in Bewegung und wir müssen uns beeilen, mit ihrem Tempo mitzuhalten. Eine Viertelstunde später sitzen wir bei staubtrockenem Christstollen und dünnem Kaffee im Aufenthaltsraum des Heims mit einigen von Tante Käthes Mitbewohnerinnen an einem Tisch. Die alten Damen streiten wie die Kesselflicker darüber, ob die neue Christbaumdeko Segen oder Fluch ist. Tante Hiltrud rollt mit den Augen und raunt mir zu: »Nur wer halb blind ist, kann diesem schreienden Kitsch etwas abgewinnen. Kristallsterne! Bis zum vorletzten Jahr hat sich die Dekoration auf eine hübsche, protestantisch bescheidene Lichterkette beschränkt. Dieses Brimborium – das ist ja fast schon katholisch!« Das mit dem Katholischen findet Anklang in der Runde. Fast alle nicken. Nur eine der Damen guckt grimmig und spielt mit dem Mutter-Gottes-Anhänger in ihrem Dekolleté. Bevor die Situation eskaliert, ergreife ich das Wort und frage Tante Käthe, wer denn die geheimnisvolle Dame in Schwarz gewesen ist. Sofort habe ich die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden. »Dame in Schwarz? Erzähl, Käthe, mach’s nicht so spannend«, feuern sie alle an. Tante Käthe lehnt sich in ihrem Stuhl zurück, schweigt wissend und genießt die Aufmerksamkeit. Doch dann passt sie genau jene Millisekunde ab, bevor ihr Publikum unruhig wird, und beugt sich verschwörerisch vor. »Erinnert ihr euch noch an letztes Jahr Weihnachten?« Während ich in die Gesichter der Umsitzenden blicke, bin ich mir nicht sicher, ob Tante Käthe einen guten Einstieg in ihre Geschichte sucht oder die Frage durchaus wörtlich meint. Tante Käthe fährt fort: »Der schreckliche Unfall …« »Oh Gott, das Loch im Kopf«, ruft die Dame gegenüber von mir. Ein Raunen geht durch die Runde. Köpfe werden zusammengesteckt und aufgeregtes Geschnatter bringt die Weihnachtsdeko auf dem Tisch zum Vibrieren. Tante Käthe stellt ihre Tasse ab. Ganz zufällig klingt das Auftreffen von Porzellan auf Porzellan wie ein Gerichtsglöckchen. Das Murmeln erstirbt und Tante Käthe ist wieder der Mittelpunkt des Geschehens. »Ja, sie war es. Ganz in Schwarz!« »Aber wieso denn? Ist doch schon ein Jahr rum, da darf sie wenigstens schwarzweiß ...« Ein mahnendes Gen-Himmel-Zucken von Tante Käthes linker Augenbraue und die Dame schweigt, auch wenn sie ein wenig indigniert wirkt. Mir sind Tante Käthes Augenbrauen egal. »Was für ein Loch im Kopf und was für ein Trauerjahr?«, frage ich. Wieder steigt der Lärmpegel um etliche Dezibel. Diesmal nutzt weder Tante Käthes Tassenklappern noch das Augenbrauenzucken. Schließlich setzt sich die Dame mit dem Muttergottesanhänger durch. »Das war so furchtbar«, beginnt sie. »Hochzeitsreise, obwohl das sicher nicht die erste war, der war doch mindestens Mitte fuffzig. Also wirklich ...« »Hochzeitsreise – und dann?«, lotse ich sie sachte zurück zum Thema. »Sind extra wegen der Christbaumdeko hergekommen. Die ist dem wunderbaren Ensemble nachempfunden, dass Edward VIII. seiner Wallis zur Hochzeit geschenkt hat – oder war es zur Verlobung?« Sie hält einen Moment inne, entscheidet dann aber offenbar, dass der Anlass nicht wichtig ist. »Jedenfalls ...« »Was für ein Edward?«, fragt Tante Hiltrud, die mit dem Klatsch und Tratsch des Adels nichts am Hut hat. »Ach Hiltrud.« Tante Käthe seufzt theatralisch. »Das weiß nun wirklich jeder. König Edward hat 1936 auf den Thron von England verzichtet, um seine Geliebte, die Amerikanerin Wallis Simpson, heiraten zu können. Eine der Liebesgeschichten des letzten Jahrhunderts.« Tante Hiltruds Gesichtsfarbe frischt ein wenig auf und sie brummt etwas, das wie »Nicht jeder hat Zeit, Klatschblättchen zu lesen« klingt. »Jedenfalls«, fährt die katholische Dame nun mit leichter Ungeduld in der Stimme fort, »hat mir die arme Frau erzählt, dass ihre Liebe so unendlich wie die von König Edward und seiner Wallis sei. Obwohl ich nicht rausfinden konnte, welchem Adelsgeschlecht der Mann entstammt. Muss irgendwas Unbedeutendes sein. Sein Unfall hat ja nicht mal in der ‚Bunten‘ gestanden.« Ich beuge mich vor. Eine tragische Liebesgeschichte. Wie inspirierend. Ich hänge nämlich schon wieder mit meinem Manuskript. Und dass ich Tante Hiltrud über die Feiertage zu ihrer Schwester begleite, ist offen gestanden nur eine Ausrede, um der hässlichen Schreibblockade, die mich im Griff hat, nicht ins Gesicht sehen zu müssen. Mein Ex Heiner, der berühmte Thriller-Autor, hat angeblich nie Schreibblockaden ... bevor ich in Depressionen versinke, wende ich mich wieder der Seniorenrunde zu. »Vielleicht gehört sie ja zum Adel und er war der bürgerliche geschiedene Amerikaner«, spekuliert ein sportlich wirkender Grauhaariger mit weihnachtsrotem Pullunder über einem taubengrauen Hemd. »Und jetzt ist sie eine trauernde, vermögende adelige Witwe.« »Du bist dreiundachtzig, Walter. Hör auf rum- zuspinnen«, unterbricht ihn Tante Käthe. Meine Fantasie schlägt ganz unweihnachtliche Purzelbäume und ich spüre, wie die Inspiration sich an meine Seite gesellt. Ich hoffe inständig, dass die Frau in Schwarz heute Abend zum Gottesdienst kommt, damit meine Inspiration Blut leckt und dahin zurückkehrt, wo sie hingehört – mit mir zusammen an den Laptop.   In der Kirche ist es ein wenig wärmer geworden, denn die Heizungen unter den vorderen Bänken bollern ordentlich. Als ich zusammen mit meinen Tanten die Kirche betrete, sind die Bänke schon gut gefüllt. Ich habe vorgegeben, meinen zweiten Ohrring verlegt zu haben, in der Hoffnung, dass wir so spät eintreffen, dass die Frau in Schwarz schon da ist und ich mich auf einen strategischen günstigen Beobachtungsplatz setzen kann. Meine List macht sich bezahlt: Sie sitzt bereits in der ersten Reihe. Blöderweise ist dort nichts mehr frei. Aber da tritt Tante Käthe in Aktion. Sie rollt nach vorne, positioniert sich im Gang neben der ersten Reihe und vertreibt einen jungen Mann mit harschen Worten von seinem Platz. Dann nickt sie mir gebieterisch zu. Alle rücken ein wenig zusammen, sodass aus dem einen Platz anderthalb werden. Zum Glück ist Tante Hiltrud so schmal wie eine Zwölfjährige. Aus den Augenwinkeln betrachte ich meine neue Muse. Sie trägt ein schlicht, aber edel geschnittenes schwarzes Kostüm, darüber einen offenen Wintermantel mit schwarzem Pelzbesatz, der hoffentlich falsch ist, und einen um den Hals geschlungenen Schal mit einem eingewebten Rankenmuster, der glatt ein Pashmina sein könnte. Die hellen Haare sind dezent auf Volumen toupiert und am Hinterkopf zu einem fülligen Knoten gesteckt. Nichts an der Frau scheint billig oder falsch, nur ihr verkniffener Gesichtsausdruck und der unstete Blick, der den Weihnachtsbaum hoch und runter wandert, stören das Bild von Eleganz und Adel empfindlich. »Also Trauer stell ich mir aber anders vor«,...


Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.