E-Book, Deutsch, 201 Seiten
E-Book, Deutsch, 201 Seiten
Reihe: Studien zur ganztägigen Bildung
ISBN: 978-3-7799-8839-7
Verlag: Julius Beltz GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Annalena Danner, Jg. 1996, Dr. phil., war wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialpädagogik, Erwachsenenbildung und Pädagogik der frühen Kindheit an der TU Dortmund im Forschungsprojekt Laien als Akteur*innen im Ganztag sowie am Institut für Theorie und Empirie des Sozialen in Kassel. Aktuell ist sie als Projektleitung bei der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft im Handlungsfeld Inklusive ganztägige Bildung tätig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Ganztagsbildung, Professionalisierung und quantitative Forschungsmethoden sowie Mixed-Methods-Designs.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1.Einleitung
Ganztägige Bildungs- und Betreuungsarrangements werden für immer mehr Kinder und Jugendliche Lebensrealität, was sich in der steigenden Nutzung von Ganztagsbeschulung in den letzten Jahren ausdrückt und die Relevanz von Ganztagsschulforschung markiert. Der Anteil der Kinder, die am Ganztagsschulbetrieb an allgemeinbildenden Schulen insgesamt teilnehmen, stieg von 39,3?% im Jahr 2015 auf 47,9 % in 2019 (KMK 2021). Für die Grundschulen berichtet die Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik (2021) von einer steigenden Inanspruchnahmequote von schulischen Ganztagsangeboten von 12,6 % in 2007 zu 40,2 % in 2019. Zusätzlich wurden 16,5 % der Grundschulkinder in 2017 in Hortangeboten betreut (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik 2021). Für die Grundschulen berichtet die Kinder- und Jugendhilfestatistik im Schuljahr 2021/2022 von circa 1,7 Millionen Kindern in schulischen Ganztagsangeboten (davon etwa 500.000 in Hortangeboten) (Autor:innengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik 2024; Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2023). Die Datenlage erweist sich jedoch als undurchsichtig. Bei den Grundschulen kann es mitunter zu Doppelzählungen kommen, da vor allem in den ostdeutschen Bundesländern eine enge Kooperation von Hortangeboten, die über die Kinder- und Jugendhilfestatistik (KJH-Statistik) erfasst werden (Autor:innengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik 2024), und Schulen, die über die Kultusministerkonferenz (KMK) erfasst werden (KMK 2021), besteht (Guglhör-Rudan et al. 2022). Im Report des Instituts für Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen (IAQ-Report) werden die verschiedenen Angebotsformen in Grundschulen nebeneinandergestellt (inklusive der Übermittag-Betreuung) (Stöbe-Blossey 2023). Für Deutschland ergibt sich dementsprechend eine Ganztagsquote in den Grundschulen von ca. 55?% – hierbei lassen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Bundesländern und im Vergleich von ost- und westdeutschen Ländern erkennen. Thüringen ist mit 94 % das Land mit der höchsten und Schleswig-Holstein mit 33 % das Land mit der niedrigsten Betreuungsquote. Ostdeutsche Länder verzeichnen eine Quote von 84 %, wohingegen westdeutsche Länder lediglich 47 % benennen (Stöbe-Blossey 2023). Hierbei handelt es sich jedoch um organisationsbezogene Zahlen – für tatsächliche Nutzungszahlen, die Intensität und die Kontakte im Rahmen der Nutzung liegen keine validen Daten vor, da die KMK-Statistik keine Betreuungsumfänge von Kindern erhebt (Prognos und ITES 2023). Eine Annäherung kann lediglich für den Primarbereich über die DJI-Kinderbetreuungsstudie erfolgen. Diese gibt an, dass 53 % aller Kinder im Grundschulalter in Betreuungsformen zwischen 25–35 Stunden pro Woche betreut werden, 35 % werden mehr als 35 Wochenstunden betreut und zehn Prozent werden im Umfang von bis zu 25 Stunden betreut (Hüsken et al. 2023). Obwohl also 71 % aller Grundschulen ganztägig organisiert sind und die deutschlandweite Teilnahmequote bei 55 % liegt, ist hierüber keine Aussage über die Intensität der Nutzung an den einzelnen Standorten möglich (Prognos und ITES 2023). Die Daten zeigen, dass von der Schulform nicht auf die Teilnahme geschlossen werden kann. Ein Grund für diese fehlende Statistik könnte sein, dass finanzielle, personelle und räumliche Ressourcen von kommunaler und Landesebene nach der Anzahl der Schüler*innen im Ganztag bemessen werden. Zählen einzelne Schüler*innen als Ganztagsschüler*innen, obwohl sie nur an drei von fünf Tagen am Ganztagsangebot teilnehmen, stehen dennoch Ressourcen für die gesamte mögliche Betreuungszeit zur Verfügung. Neben organisationsbezogenen Nutzungszahlen steigt bei den meisten Schularten der Anteil von Schulen mit Ganztagsbetrieb (KMK 2021)1. Bei den Grundschulen erhöht sich der Anteil von Ganztagsgrundschulen von 55,6?% in 2015 auf 70,6 % in 2019 (KMK 2021). Lediglich bei den freien Waldorfschulen, integrierten Gesamtschulen und den schulartunabhängigen Orientierungsstufen ist tendenziell ein leichter Rückgang zu erkennen. Ziele von Ganztagsschulen
Die Legitimationen und Ziele für Ganztagsschulen sind vielfältig (siehe vor allem Kapitel 2.1 Beginn und Ziele). Politisch sei an dieser Stelle verwiesen auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, im Besonderen die Erwerbstätigkeit von Müttern (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2011), die wesentlich zur Veränderung von Schulen hin zu Ganztagsschulen beigetragen hat. Nachdem seit 1996 ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem vollendeten dritten Lebensjahr eingeführt wurde (§?24 SGB VIII), dieser dann 2013 erweitert wurde auf einen Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege ab dem vollendeten ersten Lebensjahr, entstand eine Betreuungslücke für Kinder nach der Kindergartenzeit. Um Eltern (vor allem Müttern) den Wiedereinstieg in den Beruf nach Zeiten der Betreuung und Erziehung der eigenen Kinder zu ermöglichen, müssen auch Grundschulen eine verlängerte Betreuungszeit anbieten. Neben diesem Betreuungsfaktor als starke familienpolitische Argumentation stehen weitere Ziele von Ganztagsschulen, die nachfolgend skizziert werden: Mit Ganztagsschulen sollen eine „[…] bessere individuelle Förderung von Schülerinnen und Schülern [und; A.D.] bessere Teilhabechancen benachteiligter Kinder“ (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2021) erzielt werden. Ein Mehrwert gegenüber Halbtagsschulen konnte im Anfangsstadium des Ausbaus empirisch nicht festgestellt werden (Steinmann und Strietholt 2019). In späteren Studien kann dann ein Kompetenzzuwachs empirisch belegt werden, wenn Schüler*innen freiwillig und ihren eigenen Interessen entsprechend an den Ganztagsangeboten teilnehmen (StEG-Konsortium 2019). Empirisch kann bisher keine umfängliche Kompensation von Leistungsdefiziten und ein damit einhergehender Abbau von Bildungsungleichheiten belegt werden (Sauerwein und Heer 2020). Auf das Soziale Lernen von Kindern wirkt sich die Ganztagsschule hingegen positiv aus (Fischer 2020). Im Kontext des bevorstehenden Rechtsanspruchs auf ganztägige Bildung und Betreuung für Kinder im Grundschulalter, des bereits bestehenden Fachkräftemangels und einer heterogenen Personalkonstellation wird das Personal jener Bildungseinrichtungen vor große Herausforderungen gestellt, diese umfassenden, an Ganztagsschulen herangetragenen Zielformulierungen zu erreichen. Rechtsanspruch – Fachkräftemangel – heterogene Personalkonstellation
Durch die stufenweise Einführung des Rechtsanspruchs auf ganztägige Bildung und Betreuung im Primarbereich (GaFöG) ab dem Schuljahr 2026/2027 wird, auch auf Grund der Demografie, von einem steigenden Betreuungsbedarf ausgegangen (Prognos und ITES 2023). Der bundesweite Fachkräftemangel für KiTa und Grundschule wird auf über 100.000 Personen bis 2030 geschätzt (Bock-Famulla et al. 2022). Die Autor:innegruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik (2024) berechnet allein für Westdeutschland einen zusätzlichen Personalbedarf für die Kindertagesbetreuung bis Schuleintritt von 286.000–315.000 zusätzlichen Stellen bis zum Jahr 2035. Hier sind bereits ein erhöhter Platzbedarf, Personalabgänge auf Grund von Alter und auch sonstige Mobilität des Personals eingerechnet. Dies deutet darauf hin, dass eine Besetzung der Stellen mit ausschließlich pädagogisch qualifiziertem Personal nahezu unmöglich sein wird. Bereits heute ist pädagogisch nicht-einschlägig qualifiziertes Personal im Ganztag tätig, jedoch explizit nicht ausschließlich auf Grund des Fachkräftemangels, sondern der Argumentation eines gewinnbringenden Einsatzes externer Akteur*innen in Bezug auf Alltagskompetenzen folgend. Viele Ganztagsschulen kooperieren mit Trägern der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) – insbesondere der Kindertagesbetreuung und der Jugendarbeit, zu denen sich die meisten Kooperationspartner*innen zuordnen lassen (Coelen 2014). Zu den Mitarbeitenden zählen Beschäftigte von Trägern aus dem jeweiligen Sozialraum der Schulen, wie zum Beispiel ...