Ein Kompendium der Religions- und Kirchenkritik
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
ISBN: 978-3-8288-5701-8
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Gerhard Czermak geht mit dem "Problemfall Religion" hart ins Gericht: Seine Anklage gegen insbesondere die christlichen Kirchen ist so breit aufgestellt wie bestürzend konkret untermauert. Dabei wirbelt er nicht bloß Staub aus längst vergangenen Zeiten auf, sondern bringt auch aktuelle Fakten ans Licht, die selbst Gläubigen noch gänzlich unbekannt sein dürften. Aber wen wundert das schon - die Kirchen leben eben von der Unkenntnis ihrer Anhänger.
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7 – Religiöse Ethik Wo die Moral auf die Theologie, das Recht auf göttliche Einsetzung gegründet wird, da kann man die unmoralischsten, unrechtlichsten, schändlichsten Dinge rechtfertigen und begründen. Ich kann die Moral durch die Theologie nur begründen, wenn ich selbst schon durch die Moral das göttliche Wesen bestimme. Widrigenfalls habe ich kein Kriterium des Moralischen und Unmoralischen, sondern eine unmoralische, willkürliche Basis, woraus ich alles Mögliche ableiten kann. Ludwig Feuerbach, in: Das Wesen des Christentums (1841) Mit und ohne Glauben können sich gute Menschen anständig verhalten und schlechte Menschen Böses tun; doch damit gute Menschen Böses tun, dafür braucht es Religion. Steven Weinberg, Nobelpreisträger Physik Allgemeine Fragen38 Die Begriffe „Ethik“ und „Moral“ werden oft synonym gebraucht. Weitgehend durchgesetzt hat sich aber auch die Unterscheidung, dass unter Moral die Gesamtheit von einzelnen Verhaltensnormen verstanden wird, während Ethik ein möglichst widerspruchsfreies System von Verhaltensregeln darstellt. Diese Unterscheidung ist oft nicht durchzuhalten. Stets geht es aber um das individuell und gesellschaftlich „richtige“ Verhalten der Menschen und um die Grundsätze, auf denen es beruht. Manche Vertreter einer religiösen Moral sprechen gern davon, ohne Gott sei alles erlaubt. Aber das ist nicht nur ein großer Affront gegen die zahlreichen unreligiösen Menschen (A 12), sondern es ist auch nicht sehr klug. Alle Religionen enthalten Verhaltensforderungen, die auch für Entscheidungssituationen außerhalb spezifisch religiöser Zusammenhänge gelten. Aber die Religionen unterscheiden sich in ihren moralischen Anforderungen beträchtlich, und zu vielen Lebenssituationen sagt die Religion gar nichts. Insoweit ist man auf die praktische Vernunft angewiesen. Zudem enthalten die religiösen Texte zahlreiche Selbstwidersprüche. Schon wegen dieser praktischen Probleme ist religiöse Ethik etwas Fragwürdiges. Selbst wenn sich im Einzelfall spezielle religiöse Verhaltensregeln zweifelsfrei ermitteln lassen sollten, gelten doch diese Regeln zunächst nur innerhalb einer weitgehend homogenen Gruppierung. Eine Erstreckung auf andere Religionen bzw. religiöse Richtungen wäre nur unter Zwang möglich und ist daher mit jedem System pluralistischer Demokratie unvereinbar. Monotheistische Probleme der Moralbegründung Unabhängig von diesen praktischen Gründen ergeben sich auch rein innerreligiös schwerwiegende Bedenken gegen jedes Konzept religiöser Ethik, zumindest bei den monotheistischen Religionen. In der antiken Ethik haben religiöse Argumente eine weitaus geringere Rolle gespielt. Im Monotheismus gilt als oberster ethischer Grundsatz, dass man dem Willen Gottes gehorcht. Wenn aber einerseits das moralisch „Richtige“ als „gut“ bezeichnet wird und andererseits Gott als allmächtig und Inbegriff des Guten gedacht wird, so ergibt sich das sokratische Dilemma: Ist etwas moralisch richtig, weil es göttlichem Gebot entspricht, oder hat Gott es geboten, weil es moralisch richtig ist? Geht man von einem guten, menschenfreundlichen Gott aus wie heute die meisten Christen („Gott ist die Liebe“), so gebietet Gott, weil die Gebote gut sind. Das Gute ist dann aber unabhängig von der Existenz Gottes. Dann kann man selbstständig gleich „das Gute“ tun. Das Gute ist dann eine eigene, von Religion unabhängige Kategorie, und das spricht gegen die Möglichkeit einer speziell theologischen Ethik. Das wird im christlichen Bereich manchmal auch zugestanden. So heißt es im Ethikartikel des von Kardinal König mitbegründeten „Lexikon der Religionen“: „Die Moral der Offenbarung fordert nichts, was nicht prinzipiell von der Vernunft her einsehbar ist […]. Wo Menschen beispielsweise für die Würde und die Rechte anderer sich einsetzen, dort kann auch die christliche Erlösungsbotschaft anknüpfen.“39 Weiter wird die Liebe beschworen, aus der sich die Gerechtigkeit, unmittelbare Mitmenschlichkeit und „Solidarität mit den Verachteten, Deklassierten, Diskriminierten und Entrechteten“ ergebe. Aber was ergibt sich schon konkret aus den Motiven Liebe und Gerechtigkeit? Heiden töten aus Grausamkeit, Christen jedoch aus Liebe, hat der hl. Augustinus einmal gesagt. Oft sprach er von der Liebe, aber auch Militär, Krieg und Gehorsam waren ihm wichtig, und fanatisch bekämpfte er Häretiker und Juden, die er unflätig beschimpfte: Zeichen der Solidarität? Und Thomas von Aquin, Begründer der Lehre vom gerechten Krieg, hat den Krieg gegen Ungläubige und Abgefallene gerechtfertigt und die Todesstrafe für Häretiker gutgeheißen. Auch und gerade im 20. Jh. hat sich die „Religion der Liebe“ Verstöße gegen das Gebot der Liebe und Solidarität zuschulden kommen lassen, die ihresgleichen suchen. In unterschiedlichem, aber geringerem und umstrittenem Maß haben sich auch Islam und Judentum unfriedlich verhalten. Argumente gegen religiöse Moralbegründung Eine monotheistische Moral setzt den Glauben an einen persönlichen Gott voraus. Schon diese Voraussetzung ist zumindest in einer Reihe europäischer Länder zu einem großen Teil nicht mehr gegeben (Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Tschechien u. a.). Überdies kann eine auf Gott zurückgeführte Moral schon aus theoretischen Gründen keine „letzte“ Begründung liefern. Denn die Warum-Frage kann auch über Gott hinaus stets weiter gestellt werden („infiniter Regress“). Sie wird einerseits durch das Glaubensdogma Gott und andererseits durch Dogmatisierung seiner Gebote einfach abgebrochen, nicht aber begründet. Eine Moralbegründung nur aus der Natur ist ebenfalls nicht möglich, denn aus Tatsachen (Sein) allein folgt niemals eine Verhaltensnorm (Sollen). Es bleibt aber die Möglichkeit einer kulturellen Entwicklung von vernunftbetonten und erfahrungsbezogenen Normen unter Berücksichtigung der evolutionären Gegebenheiten. Die religiöse Glaubensbegründung birgt ein internes Grunddilemma: Angenommen, das Gute ist gut, weil es dem Willen Gottes entspricht. Die entsprechenden Gebote sind dann autoritär und ihre Befolgung dient wesentlich auch der Vermeidung von Sanktionen (Hölle, Krankheit). Das entsprechende Verhalten ist insoweit Ausdruck egoistischer Einstellung. Wenn aber der als gut vorgestellte Gott zumindest im Ergebnis nur gute Anweisungen erteilt, dann ist das Gute ganz unabhängig von Gott (s. o.). Die AT-Erzählung von Abraham und Isaak ist Ausdruck dieses Dilemmas. Denn eine rein menschliche Tötungsanordnung, um sklavischen Gehorsam zu testen, würde man für unmoralisch halten. Auch sind den religiösen Basistexten (Hebräische Bibel, NT, Koran) und religiösen Autoritäten konkrete widerspruchsfreie göttliche Weisungen nicht oder nur selten sicher zu entnehmen. Aus den in der Zusammenschau sehr widersprüchlichen Texten kann man praktisch alles begründen. Auch im Islam gibt es viele Textwidersprüche, unterschiedliche Interpretationen sowie Überlagerungen des Koran durch die Worte des Propheten (Hadithe). Religiös begründete Moral ist im Wesentlichen autoritär und ermangelt meistens einer einsichtigen oder ausreichenden Begründung. Anders ist es bei Religionen, die ohne die These Gott auskommen und keinen magischen Charakter haben. Monotheistisch-religiöse Moral hat einen kindlichen Charakter. Von den drei Entwicklungsstadien kindlichen Verhaltens entspricht ihr (nach Jean Piaget) das zweite, die Altersstufe 5–9 Jahre. In diesem Alter lassen sich die Kinder beim Spielen schon von Regeln leiten, die für sie aber einfach vorgegeben sind. Sie fragen noch nicht nach ihrem Sinn und halten sie für unverletzbar, entwickeln daher noch kein autonomes Regelverständnis (das auch eine Veränderbarkeit zulässt). Der monotheistische Strenggläubige behandelt die religiösen Moralnormen genau nach diesem kindlichen Muster. Demgemäß spielt der Gehorsam eine große Rolle (z. B.: Paradiesgeschichte, Abraham und Isaak). Das neutestamentliche Verhältnis zu Gott ist kindlich (Gotteskindschaft, Gott als Vater). Das katholische Kirchenrecht spricht von den „geistlichen Hirten“, und Ehrfurcht und Gehorsam gegenüber der Obrigkeit ist ihm, wie zumindest früher auch dem Protestantismus, besonders wichtig. Allgemein spricht man im Christentum von Hirten und Schafen. Die Haltung zu Gott ist eine paradoxe Mischung aus Liebe und Angst. Das alles entspricht der zweiten kindlichen Entwicklungsstufe. Religion sollte aber erwachsen werden.40 Die religiöse Moral begründet zugunsten der religiösen und politischen Instanzen leicht eine mit der Aura des Heiligen umgebene Macht. Diese wird je nach den...