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E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 1300 mm x 990 mm

Crist Schöpfung ohne Krone

Warum wir uns zurückziehen müssen, um die Artenvielfalt zu bewahren

E-Book, Deutsch, 400 Seiten, Format (B × H): 1300 mm x 990 mm

ISBN: 978-3-96238-662-7
Verlag: oekom verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



»Wir müssen langfristig weniger Menschen werden, wenn wir die Biodiversität nicht weiter gefährden wollen.« Hunderte Wale, die vor der Küste von Wales Heringsschwärme jagen; gewaltige Bisonherden in der amerikanischen Prärie; dichte Urwälder auf allen Kontinenten: Pflanzen und Tiere verteilten sich vor gar nicht langer Zeit in unfassbarer Fülle und Vielfalt über die ganze Erde. Heute sind unzählige Arten vom Aussterben bedroht und die wilde Vielfalt ist einer vom Menschen kolonialisierten Landschaft gewichen, die alleine dazu dient, unsere Konsumwünsche zu befriedigen. Weil wir uns selbst eingeredet haben, wir seien die Krone der Schöpfung und die Welt sei unsere Ressourcenmine, haben wir vergessen, dass wir nur ein Teil einer faszinierenden Welt sind, in der alles Lebendige seinen Platz hat. Eileen Crist analysiert, wie es so weit kommen konnte, und zeichnet den Weg in eine neue Zivilisation, die ihrer Mitwelt wieder Platz einräumt. Ein eindringlicher Appell zum Handeln.

Eileen Crist ist Soziologin und als Professorin an der Virginia Tech tätig. In ihren Publikationen beschäftigt sie sich mit dem Konzept der Wildnis, den Wurzeln der ökologischen Krise und Aspekten einer neuen, ökologischen Gesellschaft.
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Einleitung
Wie sprechen wir über die biologische Krise, in der wir heute stecken? Der Kosmologe Brian Swimme bezieht sich gelegentlich auf eine persönliche Erfahrung, die die Problematik, die dabei beobachtbar ist, sehr gut zusammenfasst. Nachdem er gehört hatte, wie führende Biowissenschaftler auf einem Kongress verkündeten, der Einfluss des Menschen auf die Biosphäre würde schon bald zu einem Maussterben führen, ging er abends zutiefst beunruhigt zu Bett und griff am nächsten Morgen als Erstes nach der New York Times, um zu erfahren, wie die Medien diese erschütternde Nachricht aufgenommen hatten. Er blätterte eine Seite nach der anderen um, aber da war nichts. Erst auf Seite 26 entdeckte er dann doch noch einen knappen Bericht darüber. Für Swimme war die enttäuschend schwache Reaktion der Medien ein Schock: Die New York Times wusste über 25 Seiten Wichtigeres zu berichten, als dass wir es schon bald mit einem durch den Menschen verursachten massenhaften Artensterben zu tun haben könnten.
Der Erde stehen harte Zeiten bevor. Mit einer geschätzt tausendmal höheren Aussterberate als der natürlichen droht ihr tatsächlich ein Massenaussterben. Viele Spezies und Unterspezies sterben aus, noch bevor wir sie überhaupt entdeckt haben. Die Bestände an wilden Tieren und Pflanzen gehen massiv zurück, komplexe Ökosysteme werden zerstört. Phänomene wie die biologische Artenvielfalt, Tierwanderungen oder unberührte Naturlandschaften verschwinden. Zwei aktuelle Erkenntnisse der Wissenschaft sprechen hier Bände: In den letzten fünfzig Jahren verschwand die Hälfte der auf der Erde lebenden Wildtiere. Und in den letzten vierzig Jahren wurden zehn Prozent der ohnehin schon stark geschrumpften Wildnis zerstört. Ohne eine entscheidende Kehrtwende in der Geschichte der Menschheit wird die Biosphäre schon bald von Menschen, Nutztieren, Gebäuden, industrieller Infrastruktur und einigen wenigen global auftretenden Arten, die unter diesen Bedingungen überleben können, vollständig beherrscht werden.
Wirft man einen Blick in die zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahrzehnte, ist klar, was den rasanten Rückgang der biologischen Vielfalt zu verantworten hat: das anhaltende Expandieren der Volkswirtschaften, der eskalierende Welthandel, eine stetig wachsende Bevölkerung, sich ausdehnende Infrastrukturen und die Verbreitung destruktiver Technologien. Aber obwohl wir wissen, was uns droht und wie es um die Biosphäre bestellt ist, forcieren wir die Übernahme der Natur immer weiter, um Platz für die Nahrungsmittelproduktion zu schaffen, Energie- und Rohstoffe zu gewinnen, Konsumgüter herzustellen und die Infrastruktur immer weiter auszubauen. Jedwede Form der Entwicklung wird ungebremst vorangetrieben.
Dieses Buch thematisiert die Zerstörung der Vielfalt, Komplexität und Fülle des Lebens mit dem Ziel, den weitverbreiteten Glauben an die Überlegenheit des Menschen und dessen Herrschaftsanspruch, die dem destruktiven Expansionismus der Menschheit zugrunde liegen, zu demaskieren. In diesem Sinne reflektiert es Swimmes Fassungslosigkeit: Wie kann es sein, dass das Schwinden der biologischen Artenvielfalt in der Mainstreamkultur nur eine unbedeutende Nebenrolle spielt? Und damit zusammenhängend: Wenn weithin bekannt ist, dass die Ausbreitung des Menschen für die biologische Krise verantwortlich ist, warum werden dann nicht die erforderlichen Schritte unternommen, um diesen Expansionismus einzudämmen? Sich diesen Fragen unter Berücksichtigung wissenschaftlicher Analysen und Kritiken zu stellen bedeutet, den Schleier, den wir über die Zerstörung des Reichtums an Lebensformen ausgebreitet haben, zu lüften. Das wirklich Entscheidende hierbei ist, dass der wissenschaftliche Diskurs die Bühne bereitet für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit einem komplett neuen Verhältnis zwischen Mensch und Erde: für die Entscheidung, zurückzustecken und die Präsenz des Menschen zu verringern, mit dem Ziel einer weltweiten, in die Lebensfülle unseres Planeten integrierten ökologischen Zivilisation.
Teil 1 dieses Buches bildet den aktuellen Kollaps der Biodiversität ab und dokumentiert sowohl dessen direkte Auslöser als auch die zugrunde liegenden Ursachen. Er soll eine Bestandsaufnahme sein, die das Ausmaß der systematischen Zerstörung von Leben aufzeigt. Die Vielfalt an Lebensformen auf der Erde, ihre einzigartigen Naturlandschaften, ihr Reichtum an wilden Tieren und Pflanzen, die Weite ihrer ungezähmten Landstriche und die Komplexität ihrer ökologischen Systeme und Erscheinungen nehmen immer weiter ab und verschwinden. Ohne grundlegende Veränderungen, die dem Ausmaß dieser Katastrophe gerecht werden, wird die heutige Umweltkrise der Vorbote einer fest verankerten Herrschaft des Menschen über die Natur und einer uneingeschränkten Umnutzung des Planeten als Rohstoffkolonie sein.
Die Klärung der direkten und eigentlichen Ursachen der biologischen Krise allein bringt uns der Antwort auf die Frage, weshalb die Menschheit so verschwindend wenig dagegen unternimmt, aber noch nicht näher. Im Gegenteil, die unverhohlene Untätigkeit trotz des weitverbreiteten Wissens um die Ursachen der Zerstörung des Lebens wirft noch weitere Fragen auf. Ich vertrete hier den Standpunkt, dass es die vorherrschende Weltanschauung von der Überlegenheit des Menschen (Anthropozentrismus) ist, die dem dringend notwendigen historischen Wandel unüberwindbar im Wege steht, denn dieses Weltbild lässt den voranschreitenden Expansionismus nicht nur normal erscheinen, sondern bewirbt ihn sogar. Das Überlegenheitsdenken des Menschen gründet in dem gelebten kollektiven Glauben, dass der Mensch über allen anderen Lebensformen steht und somit das Recht hat, sie und ihre Lebensräume für sich zu nutzen.
Dieser Glauben macht die Herrschaft des Menschen über den Planeten zu einer gegebenen, unanfechtbaren Weltordnung. Die soziokulturelle Konditionierung, durch die der Menschen sich als besonders und mit gewissen Vorrechten wahrnimmt, macht eine substanzielle Eindämmung der Ausbreitung des Menschen aus der Sicht der Mehrheit nahezu undenkbar. Die Empfänglichkeit für die Idee einer schrumpfenden Menschheit zugunsten des Erhalts der Artenvielfalt wird durch das Überlegenheitsdenken gänzlich unterdrückt. Jede Überlegung, die Zahl der Menschen auf der Erde zu senken und sich aus der Natur zurückzuziehen, wird von der vorherrschenden Kultur und ihren politischen Systemen, die auf die Besonderheiten, Privilegien und Vorrechte des Menschen pochen, systematisch ignoriert oder bestenfalls verdrängt.
Anstatt zu erkennen, dass wir den Reichtum an Leben nur dann erhalten oder wiederherstellen können, wenn wir unsere Vormachtstellung aufgeben, werden auf einschlägigen Tagungen und Kongressen regelmäßig technologische oder managerialistische Lösungen angepriesen, um den Herausforderungen, die auf uns zukommen, zu begegnen – Lösungen, die es tunlichst vermeiden, die Kolonialisierung der Biosphäre durch den Menschen zu hinterfragen oder sich dieser gar entgegenzustellen. Der Technologie-Managerialismus – ein angesagtes Rahmenkonzept in Politik, Wissenschaft und Forschung – strebt danach, den Status quo der Erde als Planet des Menschen aufrechtzuerhalten, während er gleichzeitig versucht, die Auswirkungen der zivilisationsgefährdenden Katastrophen, die dieser Status quo mit sich bringt, abzumildern oder zu beheben.
Noch erstaunlicher ist, dass das Weltbild vom überlegenen Menschen auch im Umweltschutz nicht ausreichend hinterfragt wird, obwohl es dessen ausdrückliche Mission ist, das ungleiche Machtverhältnis zwischen Mensch und Natur auszugleichen und alternative Wege für die Zukunft aufzuzeigen. Die Frage, weshalb man sich in der Auseinandersetzung mit der Umweltproblematik vom Widerstand gegen den Anthropozentrismus weitgehend verabschiedet hat und sich nicht länger für eine freie Natur und ein Ende des menschlichen Expansionismus einsetzt, verdient in der Tat unsere Aufmerksamkeit. Teil 2 des Buches setzt sich daher mit einigen »diskursiven Knoten« auseinander, die verhindern, dass die Umweltbewegung zu einer ernst zu nehmenden und wegweisenden Macht wird – einer Macht, die sich der Leben zerstörenden Weltanschauung vom Menschen als der Krönung der Schöpfung widersetzt und die Menschheit dazu inspiriert, sich in Richtung einer lebensbejahenden, die Vielfalt des Lebens fördernden Zukunftsvision zu entwickeln.
Die Metapher des diskursiven Knotens leitet sich von Buckminster Fullers Definition des Knotens als »störendes Muster« ab. Jeder weiß, je mehr Knoten man auf einen ersten Knoten knüpft, umso schwieriger wird es, diesen zu lösen. Analog dazu bilden sich diskursive Knoten aus oft wiederholten Argumentationsmustern in Bezug auf die globale Situation und verhindern so ein alternatives Denken und Handeln. Die Folge ist, dass wir den »Trend zu mehr« – die boomende Wirtschaft, den expandierenden Welthandel, die wachsende Weltbevölkerung, die zunehmenden Viehbestände, die explodierende Rohstoffindustrie und die ausufernde Infrastruktur – nicht anfechten, sondern als eine unveränderliche Variable ansehen. Wir passen uns der Situation mithilfe techno-managerialistischen Mitteln an und wappnen uns (als Reaktion auf die Konsequenzen) mit einem verinnerlichten Glauben an unsere Belastbarkeit.
Mit drei dieser diskursiven Knoten und ihren störenden Mustern beschäftige ich mich: zum einen mit der weitverbreiteten Neigung, den menschlichen Einfluss als natürlich anzusehen, dann mit der oft vertretenen Ansicht, »echte« Wildnis existiere nicht mehr und wäre nichts weiter als eine überholte Idee, und schließlich mit der gängigen Meinung, der Expansionismus sei ein Segen, der immer mehr...


Crist, Eileen
Eileen Crist ist Soziologin und als Professorin an der Virginia Tech tätig. In ihren Publikationen beschäftigt sie sich mit dem Konzept der Wildnis, den Wurzeln der ökologischen Krise und Aspekten einer neuen, ökologischen Gesellschaft.


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