E-Book, Deutsch, Band 177, 80 Seiten
Reihe: Hedwig Courths-Mahler
Die Sonne von Lahori
E-Book, Deutsch, Band 177, 80 Seiten
Reihe: Hedwig Courths-Mahler
ISBN: 978-3-7325-2208-8
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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Martina saß in ihrem schwarzen Kleidchen ganz zusammengesunken in einem Sessel, der dicht am Kamin in einer Ecke stand. Sie zog fröstelnd die Schultern hoch und starrte in die verglimmende Glut des Kaminfeuers. Aus dem Nebenzimmer klangen nun Stimmen zu ihr herüber. Wie aus einer weiten Ferne, fast unwirklich, tönten sie an Martinas Ohr. Keine von diesen Stimmen hatte etwas Warmes, Tröstliches für die arme Waise, deren Mutter man vor einer Stunde hinausgetragen hatte auf dem letzten Weg ins dunkle Nichts. Die Mutter schlief jetzt in der abgelegenen Parkecke unter den Kastanien, die weit ihre Äste breiteten über dieses kleine geweihte Erdenfleckchen, wo die Rainauer Bewohner ihre Toten bestatten durften, auf einer Art privatem Friedhof. Dort war auch schon Martinas Vater begraben worden, nach einem selbst gewollten Ende, das man milde als einen „Jagdunfall“ bezeichnete. Der Tod der Mutter aber war der Schlussstrich unter ein leidvolles, quälendes Dasein gewesen. Immer musste Martina daran denken, was die Mutter ihr kurz vor ihrem Tod gesagt hatte: „Weine nicht um mich, wenn ich gestorben bin, mein liebes Kind. Mir wird wohl, so wohl sein. Aller Schmerzen, aller Not bin ich dann ledig; niemand kann mich mehr quälen. Nur um dich selbst wirst du weinen müssen, mein armes, liebes Kind. Aber wenn Gott mein Gebet erhört, wird er dich vor einem kummervollen Dasein bewahren, wie ich es führte.“ Und dann hatte sie ihr ein versiegeltes Kuvert übergeben, in dem sich ein Buch befand, und gesagt: „Dieses Buch sollst du Onkel Georg, meinem lieben Bruder, geben, wenn du ihn eines Tages wiedersiehst. Hoffentlich ist dieser Tag nicht weit. Onkel Georg soll es durchlesen, es ist mein Tagebuch, und er soll es für dich bewahren, bis du achtzehn Jahre alt bist. Dann sollst auch du es lesen und daraus lernen, dass der Mensch nur ein Spielball ist für Schicksalsmächte. Verwahre es gut, dieses Buch.“ Und Martina hatte dieses Buch in dem versiegelten Kuvert sorgfältig unter ihren wenigen Habseligkeiten droben in ihrem ärmlichen Giebelzimmer versteckt. Sie wusste, warum die Mutter die kalten, mitleidlosen Augen ihrer angeheirateten Verwandten nicht auf ihren Tagebuchblättern ruhen lassen wollte. Und wieder schauerte sie fröstelnd zusammen und lauschte in dumpfer, stumpfer Angst hinüber ins Nebenzimmer. Da waren alle ihre Verwandten väterlicherseits versammelt, um über ihr Schicksal zu beraten. Die Mutter hatte nur einen einzigen Verwandten hinterlassen, ihren Bruder Georg. Aber der weilte in fernen Landen und ahnte wohl nicht einmal, dass seine einzige, geliebte Schwester, kaum fünfunddreißig Jahre alt, ihr Dasein beendet hatte. Matt und erschöpft von vielen Nachtwachen am Bett der kranken Mutter und vom vielen Weinen, ließ Martina ihr Haupt immer tiefer auf die Brust sinken. Sie war zum Sterben müde und hätte sich am liebsten mit der toten Mutter hinaustragen lassen. Man hatte dem kaum vierzehnjährigen Mädchen die schwere Krankenpflege ganz allein überlassen. Niemand hatte in diesem Haus Zeit für die blasse, stille Frau Maria und ihr Töchterchen Martina. Diese beiden Menschen waren allen anderen Hausbewohnern lästig – man hätte sie gern hinausgestoßen aus dem Haus, wenn man sich nicht vor dem Gerede der Menschen gefürchtet hätte. Aber hinauf in das Dachgeschoss hatte man sie verbannt, in die beiden schmalen Giebelzimmer. Da hinauf schickte man ihnen die karge Kost, seit Frau Maria bettlägerig war. Was lag an dem Wohl und Wehe dieser beiden Menschen? Und doch war Martinas Mutter vor fünfzehn Jahren als strahlend glückliche Braut in Rainau eingezogen. Damals hatte die ganze Familie Dornberg sich nicht genug tun können, sie zu umschmeicheln. Herr Theodor Dornberg, Martinas Großvater, hatte ihr mit schmeichlerischen Worten die Hände geküsst und sie „mein geliebtes Töchterchen“ genannt. Die Großmutter hatte ihre Hände gestreichelt und sie immer wieder in die Arme gezogen, und Frau Marias beide Schwägerinnen, Melanie und Helene, hatten ihr versichert, sie müsse ihre geliebte Freundin werden. Frau Marias Gatte aber, Rupert Dornberg, hatte seine schöne junge Frau über die Schwelle des Hauses getragen und ihr süße Kosenamen ins Ohr geflüstert. Und das alles war nur geschehen, weil man in Maria die reiche Erbin sah, welche die Schuldenlast von Rainau nehmen und für all diese Menschen eine sorglose Zeit herbeizaubern sollte. Man erwartete von ihr einen reichen Goldsegen, denn sie war die Tochter des reichen Bankiers Feldner, und sie besaß nur einen einzigen Bruder, mit dem sie einst das reiche Erbe zu teilen haben würde. So umschwärmte man sie wie eine Erlöserin aus der Misere eines sorgenvollen Daseins. Aber es war dann betrüblich schnell ganz anders gekommen. Verlobung und Hochzeit folgten kurz aufeinander, und alles schien eitel Glanz und Wonne. Aber schon bald verdichtete sich Marias Verdacht, dass Rupert sie nur aus berechnenden Gründen zu seiner Frau gemacht hatte. Die Gewissheit über diese Frage sollte ihr sehr bald in erschreckender Weise kommen. Eines Tages kam die Kunde nach Rainau, der Bankier Feldner habe sich erschossen, weil er durch eine missglückte Riesenspekulation ruiniert sei. Es herrsche eine heillose Verwirrung im Bankhaus Feldner, alles sei verloren. Maria war wie versteinert, als sie diese Kunde vernahm, aber das Entsetzen lähmte sie vollends, als nun alle Familienmitglieder über sie herfielen mit hässlichen, grausamen Anschuldigungen. Auch ihrem Gatten fiel in dieser Stunde die Maske vom Gesicht, und sie sah ihn in seiner ganzen erbärmlichen Niedrigkeit. Er ließ es zu, dass man sie die Tochter eines Betrügers nannte, die, selbst eine Betrügerin, sich in eine ehrenwerte Familie eingeschlichen habe. Und ihr Gatte machte gemeinsame Sache mit seiner Familie, sagte ihr in kalten, dürren Worten, dass er mit ihr betrogen worden sei. Er habe gehofft, mit ihr eine reiche Partie zu machen, und sei gar nicht imstande gewesen, eine vermögenslose Frau zu heiraten. Maria, dieses feine, zarte Wesen, stand diesen Schmähungen wehrlos gegenüber. Eine verzweiflungsvolle Starrheit war über sie gekommen. Sie konnte ja nicht einmal fliehen vor diesen geifernden Menschen, denn sie fühle sich Mutter und war dadurch auf ewig an sie gebunden. Nicht ein Wort vermochte sie auf diese Schmähungen zu erwidern, solcher Niedrigkeit war sie nicht gewachsen. Die arme junge Frau führte von nun an ein Höllenleben in Rainau. Niemand hatte ein liebes, gutes Wort für sie, niemand stand ihr bei. Ihr Gatte vernachlässigte sie in beleidigender Weise, und sie hätte wohl finsteren Mächten Gehör gegeben, die sie in den Tod lockten, wenn der Gedanke an ihr Kind sie nicht davon abgehalten hätte. Nach einigen Monaten kam Georg Feldner eines Tages nach Rainau, um von seiner Schwester Abschied zu nehmen. Er sagte ihr, dass er erreicht habe, was sein sehnlichster Wunsch gewesen wäre, er habe alle Verpflichtungen seines Vaters decken können. Das Bankhaus Feldner sei in andere Hände übergeben. Er habe jedoch alles verkaufen und zu Geld machen müssen, damit alle Forderungen gedeckt werden konnten. „Aber für uns beide ist nichts geblieben, Maria, nichts. Ich habe mein Pferd, meine Bücher und was sonst mein persönlicher Besitz war, verkauft, um mir Reisegeld zu schaffen, denn in Deutschland kann ich nicht bleiben. Ich gehe nach Sumatra, zu meinem Freund Jan van Kossum.“ Maria hatte ihn mit einem seltsamen Blick angesehen. „Zu Jan van Kossum?“ „Ja, Maria, du weißt, dass sein Vater eine Handelsniederlassung und großen Länderbesitz auf Sumatra hat. Jan ist nach Sumatra übergesiedelt, um dort die Geschäfte zu führen. Er hat mich so oft gebeten, ihn zu besuchen. Und nun, als er von dem Zusammenbruch unseres Hauses gehört hat, depeschierte er mir: Komm, ich helfe dir.“ Marias Augen wurden feucht. „Der Gute! Das sieht ihm ähnlich.“ „Ja, Maria, er ist ein edler, vornehmer Mensch, wenn er auch kein schönes Gesicht hat.“ Sie presste die Hand vor die Augen. „Ich weiß, Georg, was du damit sagen willst. Er war der Edelstein, den ich achtlos von mir warf – ich hob einen glitzernden Glassplitter auf.“ „Meine arme Maria.“ Sie wehrte ab. Nachdem Georg abgereist war, wurden Maria nur noch von einer Seite Liebe und Erbarmen zuteil. Elisabeth Volmar, die älteste Schwester Ruperts, die schon seit Jahren verheiratet und Mutter eines zehnjährigen Knaben war, stand Maria teilnahmsvoll gegenüber. Leider war sie immer nur besuchsweise in Rainau, denn ihr Gatte war als Hauptmann in der nahen Stadt garnisoniert. Sie hatte Maria schon gekannt, ehe diese sich mit ihrem Bruder verlobte. Sie allein stellte sich nun liebevoll auf Marias Seite, und auch ihr Gatte brach zuweilen eine Lanze für die arme Maria. Auch als die kleine Martina geboren wurde, kam Elisabeth sofort nach Rainau und pflegte Mutter und Kind in liebevoller Hingabe. Einige Monate nach Martinas Geburt erhielt Maria Dornberg den ersten Brief von ihrem Bruder Georg. Er berichtete ihr, dass er wohlbehalten in Sumatra angekommen sei und Jan van Kossum ihm die Verwaltung eines Teiles seiner Besitzungen übertragen habe. Sein Lohn sei höher, als er für die eigenen Bedürfnisse benötige, und so könne er gut noch einige liebe Menschen mit ernähren. Und da er um Marias unglückliche Ehe wusste, schrieb er ihr eines Tages: Maria, komm zu mir. Nimm dein Kind und verlass dieses Haus, wo man dich noch zu Tode quält. Du bist einer so lieblosen Behandlung nicht gewachsen, du gehst zugrunde. Komm zu mir. Da hatte sie ihm traurig zurückgeschrieben: Selbst...